Richtlinien für die Schadenrückstellungen

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Transkript:

Richtlinien für die Schadenrückstellungen in der Nichtleben-Versicherung Version vom August 2006 Verabschiedet vom SAV-Vorstand am 1. September 2006 Seite 1

1. Absicht Die Richtlinien für die Schadenrückstellungen in der Nichtleben-Versicherung beschreiben die erforderlichen Grundsätze, die bei der Schätzung von Schadenrückstellungen vom Aktuar oder von der Aktuarin zu beachten sind, und stellen damit diesbezügliche Standards im Rahmen der Schweizerischen Aktuarvereinigung sicher. Diese Standards sind allgemein gehalten und setzen voraus, dass der Aktuar oder die Aktuarin im konkreten Fall die spezifischen Umstände angemessen berücksichtigt und diese zusammen mit den mathematisch-statistischen Kenntnissen professionell in die Rückstellungsberechnungen einbezieht. Der Begriff Schadenrückstellungen ist nicht eindeutig. Er wird in der statutarischen oder handelsrechtlichen Bilanz nach Obligationenrecht zum Teil anders definiert als beispielsweise in den Rechnungslegungsstandards nach Swiss GAAP ARR, IFRS, US-GAAP oder im Schweizer Solvenztest nach Versicherungsaufsichtsgesetz. Insbesondere im Zusammenhang mit der Diskontierung von Schadenrückstellungen hat der Aktuar oder die Aktuarin die entsprechenden Definitionen und Vorgaben sowie die Abgrenzung zu den Belangen des Pricing zu kennen und zu berücksichtigen. Zentral sind in jedem Fall die Bedarfsschadenrückstellungen. Sie stellen den Hauptgegenstand dieser Richtlinien dar. Rentendeckungskapitalien und Alterungsrückstellungen in der Unfall- und Krankenversicherung sowie die vom Management unter den verschiedenen Rechnungslegungsstandards zu verantwortenden Bilanzrückstellungen, welche gegebenenfalls zusätzliche Verstärkungen enthalten können, sind nicht Gegenstand dieser Richtlinien. Die wichtigsten Fachausdrücke sind in einem Glossar zusammengestellt. Seite 2

2. Methodik und Prinzipien 2.1 Bedarfsschadenrückstellungen Die Bedarfsschadenrückstellungen per Stichtag sind eine Schätzung der nach dem Stichtag anfallenden nicht diskontierten Schadenzahlungen für alle Schadenfälle mit Schadendatum bis zum Stichtag. Mathematisch ausgedrückt sind die Bedarfsschadenrückstellungen ein bedingt erwartungstreuer Schätzer des bedingten Erwartungswertes der zukünftigen Zahlungen aufgrund der zum Zeitpunkt der Schätzung vorliegenden Information. Sie gelten damit als Best-Estimate, sind also weder auf der vorsichtigen noch auf der unvorsichtigen Seite und enthalten insbesondere keine bewussten Verstärkungen. Die Bedarfsschadenrückstellungen umfassen die Rückstellungen für die per Stichtag pendenten Schadenfälle, die per Stichtag noch nicht gemeldeten Schadenfälle (IBNR) sowie die Rückstellungen für allfällige zukünftige Schadenaufwendungen der per Stichtag bereits erledigten Schadenfälle (Wiedereröffnungen). Zukünftige potenzielle Änderungen im Umfeld wie etwa eine Änderung des für die Berechnung der Entschädigungen in der Motorfahrzeughaftpflicht massgebenden technischen Zinsfusses werden in der Schätzung der Bedarfsschadenrückstellungen nicht berücksichtigt, sind jedoch als Szenarien in die Bestimmung des Abwicklungsrisikos (Ziff. 2.4) einzubeziehen. Wichtige Bestimmungsgrössen für die Bedarfsschadenrückstellungen sind die Art der Buchführung und davon abhängig die Definition des Schadendatums. So sind beispielsweise bei einer Buchführung nach Zeichnungsjahrprinzip mehr IBNR-Fälle zu erwarten als beim Ereignisjahrprinzip. Seite 3

Der Aktuar oder die Aktuarin ist verantwortlich für die Wahl einer geeigneten Methode zur Berechnung der Bedarfsschadenrückstellungen. Zur Beurteilung des Modellrisikos ist es sinnvoll, mehrere Methoden gleichzeitig zu verwenden und zu vergleichen. Die Grundlage für jegliche Rückstellungsberechnungen bilden Abwicklungsdreiecke (Ziff. 3.2). Es ist empfehlenswert, jedoch nicht zwingend, die Bedarfsschadenrückstellungen für die IBNR-Fälle und für die bereits bekannten Fälle separat zu schätzen. Besondere Beachtung ist dabei den gegebenenfalls vorhandenen Verstärkungen oder Unterreservierungen in den Case-Reserves zu schenken. Einen wesentlichen Einfluss auf die zukünftigen Schadenzahlungen hat die Teuerung. Sie kann implizit oder explizit berücksichtigt werden. In den Abwicklungsdreiecken ist die in der Vergangenheit beobachtete Teuerung enthalten, so dass Rückstellungsberechnungen aufgrund solcher Dreiecke die Teuerung im Ausmass der in der Vergangenheit beobachteten Werte bereits implizit enthalten. Bei der expliziten Berücksichtigung der Teuerung ist es sinnvoll, zwischen der normalen Teuerung aufgrund von ökonomischen Grössen wie des Konsumentenpreisindex und einer Superimposed-Inflation, hervorgerufen beispielsweise durch Änderungen in der Rechtssprechung, zu unterscheiden. 2.2 Bedarfsrückstellungen für Schadenbearbeitungskosten Schadenbearbeitungskosten sind die im Zusammenhang mit der Schadenregulierung anfallenden Kosten. Die Bedarfsrückstellungen für Schadenbearbeitungskosten per Stichtag sind definiert als eine erwartungstreue Schätzung des Erwartungswertes der nach dem Stichtag anfallenden Schadenerledigungskosten für Schadenfälle mit Schadendatum bis zum Stichtag. Die Bewertung der Schadenbearbeitungskosten geschieht unter der Annahme der Fortführung des Geschäftes (Going- Concern). Seite 4

Die Rückstellungen für Schadenbearbeitungskosten setzen sich aus zwei Komponenten zusammen: den Rückstellungen für die den einzelnen Schadenfällen direkt zuweisbaren Kosten (ALAE) und den Rückstellungen für die Kosten, die nicht den einzelnen Schadenfällen direkt zugeordnet werden können (ULAE). Sofern die Datenbasis es erlaubt, die direkt zuweisbaren Schadenbearbeitungskosten von den übrigen Schadenzahlungen zu trennen, können die Rückstellungen für diese Kosten analog den Bedarfsschadenrückstellungen separat geschätzt werden. Ist dies nicht der Fall, werden die Bedarfsschadenrückstellungen und die Rückstellungen für die direkt zuweisbaren Schadenbearbeitungskosten zusammen berechnet. Bei der Schätzung der ULAE ist es sinnvoll, zwischen den Kosten für die Abwicklung der Schäden und den Kosten für die Eröffnung neu registrierter Fälle zu unterscheiden. 2.3 Diskontierung Die Bedarfsschadenrückstellungen sind per Definition eine Schätzung nicht diskontierter Schadenzahlungen. Unter bestimmten Bedingungen kann jedoch eine Diskontierung der Rückstellungen vorgenommen werden: - Die Diskontierung muss im Kontext, in welchem die Bewertung vorgenommen wird, erlaubt sein (Gesetz, Aufsicht, Rechnungslegungs-Standards). - Die Diskontierung muss deklariert werden, und es sind neben den diskontierten Rückstellungen auch die Bedarfsschadenrückstellungen anzugeben. - Die Zinssätze sind so zu wählen, dass die diskontierten Rückstellungen nicht niedriger sind als diejenigen, die sich bei einer Diskontierung mit der risikofreien Zinskurve ergeben würden. Abweichungen von diesem Grundsatz sind zu begründen. - Die zukünftigen Zahlungsflüsse müssen mit genügender Zuverlässigkeit geschätzt werden können. Seite 5

Eine Diskontierung ist dabei nicht einer marktnahen Bewertung der Verpflichtungen gleichzusetzen, da Letztere zusätzlich einen Risikozuschlag enthält. 2.4 Abwicklungsrisiko Die Bedarfsschadenrückstellungen sind eine Schätzung des Erwartungswertes zukünftiger Schadenzahlungen, deren Höhe zum Zeitpunkt der Schätzung unbekannt ist. Die effektiven Schadenzahlungen, die sogenannte Abwicklung der Rückstellungen, werden im Allgemeinen davon abweichen. Der Grund liegt in der stochastischen Natur des Schadenprozesses. Schadenfalles betreffen, der Anzahl und der Höhe der Schäden, die zwar schon eingetreten, dem Versicherer aber noch nicht gemeldet sind (IBNR-Fälle) sowie der Einflussgrössen, die eine Menge von Schadenfällen in gleicher Art und Weise betreffen, wie etwa die Teuerung oder Änderungen in der Rechtssprechung. Da die ersten beiden Unsicherheiten auf Zufälligkeiten in den einzelnen Schadenfällen beruhen, lassen sie sich durch Diversifikation in einem grossen Portefeuille reduzieren. Sie werden als Zufallsrisiken bezeichnet. Die dritte Art der Unsicherheit wirkt sich simultan auf mindestens eine Teilmenge aller Schadenfälle aus. Innerhalb dieser Teilmenge wirkt keine Diversifikation. Insbesondere ist ein grosses Portefeuille davon auf dieselbe Art und Weise betroffen wie ein kleines. Damit zusammenhängende Risiken werden Parameterrisiken genannt. Um das in den Bedarfsschadenrückstellungen steckende Risiko zu quantifizieren, muss der Zeithorizont der Risikobetrachtung definiert sein. Grundsätzlich gibt es ein Abwicklungsrisiko bis zum Erledigungszeitpunkt der Schadenfälle und ein Abwicklungsrisiko über eine bestimmte Periode, beispielsweise ein Geschäftsjahr. Die Schätzung der Bedarfsschadenrückstellungen ist daher mit einer Angabe zum Abwicklungsrisiko zu ergänzen. Diese Angabe kann aus einer Verteilung, einem Vertrauensintervall, einer Standardabweichung oder einer anderen geeigneten Grösse bestehen. Sie sollte Seite 6

gegebenenfalls durch spezielle Szenariobetrachtungen ergänzt werden und muss von der Nennung des Zeithorizontes begleitet sein. 2.5 Dokumentation Der Aktuar oder die Aktuarin hat die verwendete Methodik zur Schätzung der Bedarfsschadenrückstellungen und des Abwicklungsrisikos so zu dokumentieren, dass diese für einen anderen Aktuar oder eine andere Aktuarin nachvollziehbar ist. Insbesondere sind die getroffenen Annahmen und allfällige Abweichungen zu vorangegangenen Berechnungen aufzuführen und zu begründen. 3. Datenanforderungen 3.1 Grundsätzliches Bei der Schätzung der Bedarfsrückstellungen spielen die zugrunde liegenden Daten eine wichtige Rolle. Die Genauigkeit der Schätzung hängt neben den verwendeten aktuariellen Methoden entscheidend von der Qualität der Datenbasis ab. Für die richtige Beurteilung und Interpretation der Daten muss der Aktuar oder die Aktuarin das gezeichnete Geschäft sowie die in der Firma bestehenden administrativen Schadenprozesse kennen. So können Änderungen dieser Prozesse wie die Einführung von Teleclaims, Änderungen der Richtlinien zur Schätzung der Case-Reserves, Änderungen in den Kompetenzen oder in der Zuteilung der Schadenfälle einen wesentlichen Einfluss auf die zukünftig zu erwartenden Abwicklungszahlen haben. Seite 7

Der Aktuar oder die Aktuarin prüft, welche Daten verfügbar sind, welche davon bei der Schätzung der Rückstellungen verwendet werden sollen und welche gegebenenfalls wegen Unvollständigkeit ergänzt oder korrigiert werden müssen. Die benutzen Daten sind in Bezug auf Vollständigkeit sowie interne und externe Konsistenz zu plausibilisieren. Im Glossar findet sich eine Liste von Informationen, welche im Regelfall bei einem Direktversicherer auf Stufe Einzelschaden verfügbar sein sollten. Die Daten müssen zum Zeitpunkt der Berechnung aktuell sein. Das bedeutet, dass die kumulierten Zahlungen dem aktuellen Stand per Stichtag entsprechen und die Case-Reserves die neusten verfügbaren Informationen berücksichtigen. Insbesondere sollen Prozesse und Systeme garantieren, dass die Case-Reserves bei Eintreffen wesentlicher Informationen überprüft und angepasst sowie bei grösseren Fällen zusätzlich periodisch, mindestens einmal pro Jahr, generell überprüft werden. 3.2 Abwicklungsdreiecke Ein Abwicklungsdreieck ist eine Darstellung von Schadengrössen in einer Tabelle. Bei vollständiger Dateninformation besitzt diese die Form eines Dreiecks. Die einzelnen Zellen beziehen sich einerseits auf eine Ereignisperiode (z.b. Schadenjahr i) und anderseits auf eine Abwicklungsperiode (z.b. Abwicklungsjahr j). Die Zelle (i,j) enthält dann die Information über die Schadengrösse des Schadenjahres i am Ende des Geschäftsjahres i + j. Für die Bestimmung, Analyse und Beurteilung der Rückstellungen sind im Regelfall mindestens die Abwicklungsdreiecke für folgende Schadengrössen zu erstellen: - Schadenanzahl Seite 8

- Schadenzahlungen - gemeldeter Schadenaufwand (kumulative Schadenzahlungen plus Case-Reserves) - Bedarfs-Schadenaufwand (kumulative Schadenzahlungen plus Bedarfsschadenrückstellungen). Pro Schadenjahr sollte zudem ein geeignetes Volumenmass wie die Prämie, die Versicherungssumme oder die Anzahl der versicherten Risiken bekannt sein. Die Länge der Abwicklungsdreiecke hängt vom Segment ab. Dieses kann zum Beispiel eine Versicherungsbranche oder eine Schadenkategorie sein. In den so genannten Long-Tail- Branchen wie Allgemeine Haftpflicht oder Motorfahrzeug-Haftpflicht sollte die Abwicklung über mindestens zwanzig Jahre verfolgt werden. Grundsätzlich ist das Schadenportefeuille derart zu unterteilen, dass statistisch aussagefähige Teilportefeuilles mit vergleichbaren Abwicklungscharakteristiken zusammengefasst werden. Sind die zur Verfügung stehenden Daten statistisch zu wenig aussagefähig, was insbesondere oft in der Rückversicherung der Fall ist, sind gegebenenfalls industrieweite Statistiken als zusätzliche Information heranzuziehen oder die Rückstellungsberechnungen mit modellgestützten Annahmen zu ergänzen. 3.3 Dokumentation Der Aktuar oder die Aktuarin hat die Herkunft der Daten sowie die Konsistenz und Übereinstimmung mit den vergleichbaren Daten in Bilanz und Erfolgsrechnung zu dokumentieren. Insbesondere ist auch festzuhalten, ob und wie relevante Einflussfaktoren wie zum Beispiel Selbstbehalte, Regresse oder ALAE berücksichtigt sind. 4. Rückversicherung und Mitversicherung Seite 9

Die Bedarfsschadenrückstellungen sind sowohl brutto (vor Berücksichtigung der Rückversicherung) wie auch netto (nach Rückversicherung) zu ermitteln und auszuweisen. Das Geschäft aus Mitversicherungen ist gegebenenfalls separat zu betrachten, falls dies einen bedeutenden Einfluss auf die Gesamtrückstellungen und deren Abwicklung hat. Glossar Differenz von Betrachtungszeitpunkt (Kalender- Abwicklungsjahr jahr) zu Schadenjahr ALAE allocated loss adjustment expenses (z.b. Gerichtskosten, Kosten für externe Anwälte, Polizeirapporte, medizinische Gutachten) Best-Estimate Synonym für erwartungstreuer Schätzer Case-Estimate Schätzung des Endschadenaufwandes eines einzelnen Schadenfalls durch den Sachbearbeiter oder eine statistisch ermittelte pauschale Einzelfallschätzung. Case-Estimate abzüglich kumulierte Schaden- Case-Reserve zahlungen Claims-made-Policen Policen mit Anspruchserhebungsprinzip, d.h., für die Deckung ist der Zeitpunkt der erstmaligen Anspruchserhebung massgebend Endschadenaufwand des Falles Einzelschadeninformationen - Schadendatum Seite 10 Schadenaufwand nach vollständiger Abwicklung - eindeutige Kennzeichnung (Schadennummer)

- Anlagedatum - Kennzeichnung erledigt/pendent - Schadenerledigungsdatum (gegebenenfalls) - bisher geleistete Zahlungen (kumuliert) - Case-Reserve oder Angabe, dass keine individuelle Schätzung vorhanden ist - Segment (z.b. Branche, Sparte, Gefahr) - Angaben zu Mitversicherung - Angaben zu Rückversicherung zusätzlich wünschbar: - historisierte Daten - relevante Risikoinformationen (z.b. Selbstbehalt) - weitere Attribute (z.b. Schadenarten) - Kennzeichnung von Grossschaden-Kumul- ereignissen (Ereigniscode, z. B. Unwetter) Ereignisjahr-Prinzip Der Schaden wird der Police zugeordnet, welche zum Zeitpunkt des Schadenereignisses in Kraft ist. Erledigter Schaden Schadenfall, welcher als erledigt im System erfasst ist. Es werden keine weiteren Zahlungs-bewegungen auf dem Fall mehr erwartet. IBNR Long-Tail-Branchen Pendenter Schaden incurred but not reported Branchen mit langer Schaden-Abwicklungsdauer Schadenfall, welcher noch nicht erledigt ist Schadendatum In der Regel ist dieses das Schaden-Ereignisdatum. In Spezialfällen wie bei Claims-made Policen oder Buchführung auf Zeichnungsjahr-Basis kann dieses vom Ereignigsdatum abweichen. Schadenjahr Schadendatums zugeordnet wird Seite 11 das Jahr, welchem der Schaden aufgrund des

Stichtag Zeitpunkt, auf den sich die Rückstellungen beziehen. Superimposed-Inflation Komponente der Schadenteuerung, welche über der Teuerung, gemessen an einem offiziellen Index, liegt Telefonische Entgegennahme der Schadenmel- Teleclaims dungen in einem Call-Center ULAE unallocated loss adjustment expenses (z.b. Löhne der Schadensachbearbeiter, Unterhalt der IT- Schadensysteme und andere Schadenverwaltungskosten) Schäden werden dem Jahr zugeordnet, in wel- Zeichnungsjahr-Prinzip chem die Police gezeichnet wurde Seite 12