Dr. Ulrich Fischer, Historisches Archiv der Stadt Köln

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Transkript:

Der Notfall ist eingetreten Gelebter Kulturgutschutz nach dem Kölner Ereignis

Die Katastrophe als Test für gelebten Kulturgutschutz

Umfang der Katastrophe Insgesamt mussten bislang fast 27 lfd. km Archivgut geborgen oder bewegt werden (1 m entspr. 10.000 Bl.), darunter 500.000 fotogr. Medien, mehrere Tausend Handschriften und Amtsbücher aus Mittelalter und früher Neuzeit, mehr als 100.000 Karten und Pläne u.v.m. Schädigung ist überall beträchtlich (35 % des geborgenen Archivgut hat schwerste Schäden) Insges. mehr als 4000 einsatzkräfte und Freiwillige (knapp 2000) bei Bergung und Erstversorgung 19 Asylarchive, viell. 350 Mio. EUR Restaurierungskosten

Was tun nach der Katastrophe? Bergung vorantreiben Kooperation Organisation Delegation Gesunder Menschenverstand statt verzweigter Notfallpläne => Kulturgutschutz ist Prävention und Risikoanalyse

Exkurs: Risk assessment und Notfallplanung Hohe Eintrittswahrscheinlichkeit, geringe Auswirkungen geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, schwerwiegende Auswirkungen Notfallplanung macht am linken Ende viel Sinn: Schäden an der Installation Kleine Brandschäden Lokaler Wassereinbuch durch Naturkatastrophe Eine große Katastrophe ist nicht planbar!

Kulturgutschutz ist Prävention Prävention Notfallvorsorge Notfalllogistik Fazit

Prävention 1: Boxing Bislang: verschiedenste Verpackungszustände: 1. Unverpacktes Archivgut (Leitzordner, nicht näher verpacktes Nachlassgut) 2. Vorläufig verpacktes Archivgut (formierte, aber nicht kartonierte Akten) 3. Altverpacktes Archivgut ( Kölner Karton ) 4. Neuverpacktes Archivgut (Jurismappe, säurefreie Rheinische Kartons )

Prävention 2: Anderes Archivgut 1. Großformate: immer in Planschränke 2. Fotomaterialien: immer gesondert aufzubewahren und bevorzugt zu evakuieren 3. Urkunden: Kölner Hängung vs. Kartonierung 4. Handschriften, Amtsbücher etc.: Schuber hilft, Vorsicht bei nichtfarbechten Umverpackungen 5. Dreidimensionales: Hier ist guter Rat (und gute Verpackung) teuer

Prävention 3: Erfassung Mindestens Archivkataster, besser vollständige Magazindatenbank Locatursysteme (gern farbkodiert, gern maschinenlesbar) Versicherungswerte Genaue Kenntnis über Mengen: Je Bestand, je Archivgutart, je Standort

Prävention 4: Erschließung Findbücher sichern, am Besten vollständig digitalisieren Unerschlossenes Archivgut kann kaum identifiziert werden Erschlossen bedeutet: Inhaltliche und formale Beschreibungen Achtung: Klare Signaturen für Bestände und VZE! Signaturen klar, wenn möglich mehrfach und sicher aufbringen! Paginieren!

Funktion im Katastrophenfall Ersatzüberlieferung bei Komplettverlust Hilfe für Identifikation und Restaurierung Prävention 5: Verfilmung / Zeitnah nutzbar für (termingebundene) Forschung Dokumentation des Schadens Achtung: Digitalisierung Kein Grund zum Verzicht auf Restaurierung des Originals Kein vollwertiger Ersatz bei der Nutzung ( Zauber des Originals ) Mikrofilm ist unkomfortabel und schadensanfällig in der Benutzung, und ist nicht parallel nutzbar Digitalisate sind aufwändig in der Erhaltung

Notfallvorsorge Generelle Regelungen sind wichtig Übung, Notfallausstattung, Verantwortliche Vor allen: Adresslisten (Telefone, Handys, außerhalb des Archivs!) Zusammenarbeit mit Einsatzkräften Formalisierte Zusammenarbeit U.a. Löschmittel, Evakuierungsplan Informelle Kontakte, Sensibilisierung Möglichkeiten vor Ort Infrastruktur (Transportunternehmen (!), Kühlhäuser) Manpower : Kollegen, Interessierte, Ausbildungseinrichtungen (FH)

Notfalllogistik 1: Gemeinsam arbeiten 1. Verbünde helfen! Zusammenarbeit unter Kollegen: Archivare, Restauratoren Zusammenarbeit der Gedächtnisinstitutionen Zusammenarbeit und Sensibilisierung der Verwaltung All dies muss nicht immer den Stempel Notfallverbund tragen 2. Logistik ist das A und O Organisation von Transport und Transportmitteln Organisation von Material Herantransport und Unterbringung von Helfern

Fazit: 10 Gebote?! 1. Eine solche Katastrophe ist nicht planbar! 2. Archivgut sicher und gründlich verpacken! 3. Archivgut richtig lagern (Urkunden, Großformate)! 4. Archivbestände erfassen! 5. Archivgut gründlich und zeitnah (!) erschließen! 6. Archivgut signieren und paginieren! 7. Sicherungsüberlieferung aktiv erstellen! 8. Notfallprävention ernst nehmen! 9. Netzwerke bilden (nicht unbedingt nur für Notfälle)! 10.Einsatzkräfte sensibilisieren!

Fazit 2: Soziales Vertrauen und Kontrolle im richtigen Maß + Archivare und Restauratoren sind intrinsisch motiviert und im Bedarfsfall extrem leistungsbereit + Unter den Kollegen finden sich immer geborene Organisatoren - Archivare und Restauratoren sind oft gern selbst Experten - Archivare und Restauratoren sind am Material interessiert und leicht abgelenkt Strukturen und Abläufe gemeinsam entwickeln und festhalten! Hilfe annehmen! Klare Verantwortungen benennen!