Vortrag anlässlich der 50-Jahr-Feier der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche Fulda am 27. Juni 2007 Erziehungsberatung in Fulda heute und morgen Jürgen Plass, Leiter der Beratungsstelle Sehr geehrte Gäste, bei der Beschäftigung mit dem Heute und dem Morgen von Erziehungsberatung können wir von einem ausgehen: Die Leistung Erziehungsberatung ist gefragt wie nie. Erziehung ist das beherrschende Thema unserer Zeit! Erziehungsberatung wurde als Angebot für diejenigen gestaltet, die einer Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder bedürfen und den Weg zu dieser Hilfe aus eigener Entscheidung heraus gehen. Dabei hat Erziehungsberatung kaum die Werbetrommel gerührt, sondern der Weiterempfehlung vertraut durch diejenigen, die bereits Beratung erhalten haben oder als Fachkräfte die Möglichkeiten dieses Dienstes einschätzen konnten.. Heute - nach 50 Jahren hat sich diese Situation deutlich gewandelt. Die Zahlen in Deutschland zeigen, dass derzeit für jeden 5. Minderjährigen bis zu seiner Volljährigkeit Erziehungsberatung als Hilfe in Anspruch genommen wird in Fulda ist dies nicht anders. Erziehungsberatung ist nicht länger ein Angebot für die Wenigen, die eine Unterstützung bei der Erziehung ihrer Kinder brauchen.
Erziehungsberatung gehört vielmehr zur Grundversorgung der Bevölkerung und muss als ein leicht zugängliches Infrastrukturangebot ausgestaltet sein, so wie dies in 36 a des KJHG neuerdings sichergestellt ist. Der Anspruch auf diese Leistung ergibt sich nach dem Gesetz aus dem erzieherischen Bedarf von Eltern oder anderer Personensorgeberechtigten. Oder anders formuliert: Das Ziel aller unserer Interventionen ist die Ausrichtung auf eine gelingende Erziehung. Damit unterscheidet sie sich zu Zielsetzungen im Bereich der Psychotherapie, wo die psychische Gesundheit im Vordergrund steht. Auch wenn Erziehungsberatung immer stärker gefordert ist, ihre Kompetenz für schwierige Fälle unter Beweis zu stellen und damit Beratungskapazitäten der direkten Inanspruchnahme durch Ratsuchende entzogen werden, bleibt die Versorgung von Familien in der Breite der Bevölkerung doch unsere vorrangige Aufgabe. Zurückblickend auf die letzten 10 Jahre können wir trotz dieser Vorrangigkeit einige Besonderheiten unserer Arbeit feststellen: - Mit der Entwicklung eines Flyers zur Jugendberatung und einem für Jugendliche raschen und unbürokratischen Anmeldeverfahren haben wir den Zugang für Jugendliche zur EB erleichtert. - Beratungsangebote für Eltern ganz junger Kinder im Alter von 0 bis 2 Jahren gehen von der Beobachtung aus, dass frühe Probleme beim Schlafen, Füttern und bei der Tagesregulation oft lang nachwirkende Störungen der Eltern-Kind-Interaktion bewirken. Getreu des Satzes Frühe Hilfen sind die wirksamsten Hilfen konnten wir hier die Inanspruchnahme für junge Eltern ausweiten.
- Die Veränderung der familialen Strukturen, besonders durch Trennung und Scheidung, ist ein ganz wesentlicher Motor eines steigenden Bedarfes an Erziehungsberatung, dem wir durch entsprechende Angebote und Fortbildungen versuchten zu begegnen. - Den Gedanken eines präventiv angelegten, nachgewiesen effektiven und effizienten Elterntrainings zur Förderung erzieherischen Basisverhaltens haben wir in den letzten 4 Jahren mit der Durchführung eines verhaltensorientierten Programms entsprochen. - Die Berücksichtigung neurobiologischer Besonderheiten erschloss ein besseres Verständnis dieser Kinder mit interaktionellen Unbeholfenheiten (Asperger, ADS). - Die Gestaltung einer eigenen Homepage erleichtert internetorientierter Nutzern das Finden von Angeboten. - In einer Nachfragestudie (2003/04) bestätigten uns die befragten Klienten in einem hohen bis sehr hohen Maße, dass sie die Erziehungsberatung als eine hilfreiche und stützende Maßnahme empfunden hatten. Diese hier zu erahnende Vielseitigkeit der BeraterInnen hat kaum Grenzen: auch das Einfangen eines Schwarms vagabundierender Jung- Fledermäuse sowie die kompetente Vermittlung eines entwichenen Bienenvolks gehört dazu. Heute - nach 50 Jahren Erziehungsberatung - können wir festhalten: - Der Wandel der Erziehungsberatung zu einer gut vernetzten Jugendhilfeeinrichtung ist vollzogen. Ihre bekannten Grundprinzipien haben Eingang in die Jugendhilfe gefunden und haben dieses Feld maßgeblich beeinflusst.
- Eine kontinuierliche Veränderung therapeutischer Konzepte hat stattgefunden und findet weiter statt. Die unbestritten hohe Fachlichkeit wird auch gerne von anderen Institutionen genutzt. - Der Zuspruch zu Erziehungsberatung ist ungebrochen hoch. Die Zahl der beendeten Beratungen hat in den letzten 10 Jahren eine Steigerung von 135 % erfahren. - Die Erziehungsberatung ist im Vergleich zu anderen Hilfen zur Erziehung eine sehr kostengünstige Hilfe. - Die Erziehungsberatung ist Evaluationsstudien zu Folge erfolgreich. Dieser zufriedene Blick auf das Erreichte bietet eine gute Grundlage für den aktiven Umgang mit den neuen Anforderungen - mit dem Morgen von Erziehungsberatung. Dabei wissen wir natürlich, dass die finanziellen Ressourcen knapp bleiben werden und es keine Erfolgsrezepte gibt..trotzdem lohnt es sich, ein Stück vorauszuschauen. Bei aller Priorität der Einzelfallarbeit wird es fachliche Weiterentwicklungen geben, die ich kurz skizzieren möchte: Präventive Partnerschaftsberatung: Der Blick auf die unterschiedlichen Familiensituationen von Kindern in stationären Einrichtungen zeigt: Die beste Prävention für die sehr teure Heimerziehung ist das Aufwachsen der Kinder bei ihren leiblichen Eltern. Die Stärkung von Erziehungskompetenz von Eltern ist also eine frühzeitig intervenierende Hilfeart, sie hat im Bezug auf andere Hilfemaßnahmen einen deutlich präventiven Charakter. Wenn das Aufwachsen bei den leiblichen Eltern die beste Prävention in Bezug auf Fremdunterbringung ist, dann muss Jugendhilfe Eltern verstärkt darin unterstützen, ihre Partnerschaft, auf die Kinder ja offensichtlich angewiesen sind, zu stärken. Eine präventiv orientierte Partnerschaftsberatung als Auftrag der Erziehungsberatung ist so eine
wichtige Klammer zwischen den Hilfen zur Erziehung, der Ehe- und Lebensberatung und der Familienbildung. Kooperation bei hoch strittigen Eltern: Eltern, die nach einer Trennung bzw. Scheidung mit einem hohen Konfliktniveau aufeinander bezogen bleiben, binden die Kapazitäten der unterschiedlichen Scheidungsprofessionen von Jugendamt, Familiengericht und Beratungsstellen und spielen diese häufig gegeneinander aus. Der Erziehungsberatung kann in diesen Fällen eine besondere Bedeutung zukommen, da die Konfliktkonstellation zu ihrer Bearbeitung auch einer therapeutisch geschulten Kompetenz bedürfen. In einer explizit geregelten Zusammenarbeit der Beratungsstelle mit Jugendamt und Familiengericht kann sich eine neue Perspektive in der Kooperation entwickeln. Kindesschutz als Auftrag der Beratung: Der gesetzliche präzisierte Schutzauftrag der Jugendhilfe nach 8 a bedeutet sowohl eine erhebliche fachliche Anforderung an die Fachkräfte der Erziehungsberatung bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos bei Kindern um deren Willen die Einrichtung aufgesucht wird als auch bei der Zurverfügungstellung der fachlichen Erfahrung mit familialer Gewalt und sexuellem Missbrauch auch für andere Dienst und Einrichtungen ( insoweit erfahrene Fachkraft ). Beratung nach psychosozialen Belastungssituationen Kinder und Familien benötigen nach einem erlittenen Trauma (Unfalltod, Selbstmord) rasche und qualifizierte Hilfen. Hier kann EB auf der Basis vorhandener psychotherapeutischer Kompetenzen sozialraumnahe Angebote entwickeln.
Kooperation mit Kindertagesstätten und Schulen: Gesetzliche Neuerungen im Jugendhilfebereich verpflichten Fachkräfte vontageseinrichtungen,mit Kinder- und Familienbezogenen Institutionen im Gemeinwesen zusammen zu arbeiten. Besonders hervorgehoben werden dabei die Familienbildung und die Familienberatung. Die Zusammenarbeit von EB und Kindertagesstätten hat eine lange Tradition. Sie betrifft präventive Angebote wie auch die Fachberatung im Einzelfall und findet oft mit einzelnen Einrichtungen statt. Wenn der gesetzliche Auftrag ernst genommen werden soll, dann muss systematisch geprüft werden, welche Kapazitäten in der Beratungsstelle für diese Zusammenarbeit erforderlich sind. Dies gilt ebenso für die zu verstärkende Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule. Auch hier ist Erziehungsberatung mit ihrem Angebot für die Schüler, aber auch für Lehrer und Eltern, gefordert. Auch die Online-Beratung als ein Kooperationsprojekt mit anderen Beratungsstellen kann eine Neuerung im Leistungskatalog einer Erziehungsberatungsstelle darstellen. Für die fachliche Weiterentwicklung der Erziehungsberatung bieten sich also eine Reihe von Anknüpfungspunkten an. Die Hoffnung ist berechtigt, dass durch Kooperation die Effekte der Hilfen für Betroffene
gesteigert werden können. Aber es darf dabei nicht übersehen werden, dass die Vielzahl der wünschenswerten Aktivitäten auch eine angemessene Personalausstattung der Einrichtung voraussetzt. Schlussbemerkung Der Bedarf von Beratung hat weiter zugenommen und daher müssen Hilfestellungen nicht nur weiterhin, sondern auch vermehrt, angeboten werden. Bundespräsident Köhler schrieb im Grußwort zur 100-Jahr- Feier unseres Dachverbandes: Wir alle haben ein Interesse daran, dass Kinder und Jugendliche zu selbstbewussten und verantwortungsvollen Menschen heranwachsen können. Deswegen müssen wir das Netz stärken, das Kinder und ihre Eltern auch in schwierigen Zeiten trägt. Daran, sehr verehrte Gäste, möchten wir auch in Zukunft weiter verantwortungsvoll und kompetent mitwirken. Vielen Dank!