Es gilt das gesprochene Wort. Swissmem-Industrietag vom 24. Juni 2010, «Messezentrum», Zürich «Rohstoff-Sicherheit Eine neue strategische Herausforderung» Referat von Dr. Heinrich Kreft Berater für Aussen- und Sicherheitspolitik der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag Exportbeschränkungen Chinas für strategische Rohstoffe haben im Spätsommer letzten Jahres in zahlreichen metallverarbeitenden Firmen in Europa, den USA und Japan die Alarmglocken erklingen lassen. Das Wallstreet Journal in den USA, die Yomiuri Shimbun in Japan, die NZZ bei Ihnen in der Schweiz und das Handelsblatt in Deutschland hatten übereinstimmend darüber berichtet. Eine sichere Rohstoffversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen ist von existenzieller Bedeutung für alle Industriestaaten. Für die Schweiz genauso wie für Deutschland für die USA wie auch für Japan. Unsere Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten steht seit einiger Zeit auf der politischen Agenda. Vergleichbare Versorgungsrisiken bei metallischen Rohstoffen haben noch nicht diese Aufmerksamkeit der Politik erlangt. Zu Unrecht, denn bei einigen Hochtechnologiemetallen ist unsere Abhängigkeit bereits heute höher als bei Öl und Gas. Die EU-Kommission spricht in einem in der letzten Woche veröffentlichten Bericht von 14 wichtigen mineralischen Rohstoffen, die knapp werden. Viele metallische Rohstoffe sind in der breiten Bevölkerung auch gar nicht bekannt - wie die «seltenen Erden», die immer wichtiger werden. Die Schweizer wie auch die deutsche Volkswirtschaft müssen nahezu sämtliche metallischen Primärrohstoffe importieren. Eine hochgradige Importabhängigkeit besteht vor allem bei sogenannten Hochtechnologiemetallen wie Kobalt, Platin, Titan, Indium und Seltenerd-Metallen wie Neodym. Hierbei handelt es sich um strategische Rohstoffe, denn sie sind für Schlüsseltechnologien und damit für unsere technologische Zukunft unverzichtbar. Sie werden für die Herstellung technisch anspruchsvoller Produkte, z. B. für die Umstellung auf eine nachhaltige Produktion und umweltfreundliche Produkte zunehmend wichtig. 60 Kilogramm mehr Kupfer, 50 Kilogramm mehr Aluminium, 20 Kilogramm mehr Stahl und 10 Kilogramm mehr Nickel: Das ist der durchschnittliche Mehrbedarf an Metallen, der für ein Auto mit Elektromotor und einer durchschnittlichen Lithium Ionen-Batterie erforderlich ist pro Auto. Weitere Metalle wie Lithium, Kobalt und Seltene Erden kommen hinzu. Eine Mio. Elektroautos sollen bis 2020 auf Deutschlands Straßen fahren. Das ist jedenfalls das Ziel, das die Bundesregierung im vergangenen Jahr formuliert hat. Einige in der Schweiz sind noch ambitionierter. So hält das führende Schweizer Energieunternehmen Alpiq in einer Studie 720 000 Elektrofahrzeuge für die Schweiz bis 2020 für erstrebenswert und realistisch zugleich. China strebt an die Spitze des Elektroautomarkts. Die chinesische Regierung hat bereits umfangreiche Subventionen für E-Autos angekündigt.
Diese Zahlen und politischen Entscheidungen machen deutlich, wie stark sich die Rohstoffnachfrage in Umfang und Zusammensetzung in den kommenden Jahren ändern wird. Ein anderes Beispiel ist der Siegeszug des Mobiltelefons: Bis zu 30 verschiede Metalle sind in einem durchschnittlichen Handy enthalten. Neben bekannteren wie Kupfer, Kobalt und Nickel auch in kleinen Mengen seltenere Metalle wie Zink, Silber, Chrom, Cadmium, Blei, Zinn, und in Kleinstmengen Tantalum, Indium und Germanium. Letztere werden auch als Gewürzmetalle bezeichnet, da von ihnen nur jeweils eine Prise für die Herstellung eines Handys benötigt wird. Etliche davon stehen auf der kritischen Liste der EU. Allerdings sind in 2009 schätzungsweise 1,3 Mrd. Handys verkauft worden, insgesamt schon fast 10 Mrd. Bei solchen Stückzahlen summieren sich auch kleinste Mengen zu großen Nachfragevolumina. Eine noch größere Anzahl seltener Erden sind z.b. in einem modernen Flachbildschirm enthalten Ohne die 17 Metalle der Gruppe der Seltenen Erden sind heute fast keine high-tech-produkte mehr herzustellen: Kein MP3 Player Kein Blackberry Keine Windkraftanlage Ohne Akkus, in denen bis zu 15 KG Lanthan stecken und ein KG Neodym, kann es keine Elektro- und Hybridautos geben Vergangenes Jahr wurden weltweit rund 115.000 Tonnen Seltene Erden verbraucht. Für 2012 wird der Bedarf schon auf 185 000 Tonnen geschätzt. 95% dieser Selten Erden oder high-tech-metalle kommen aus China. Bei einigen wie Neodym liegt der Anteil gar bei 98%. Der zukünftige Bedarf dieses Metalls für 2030 dürfte bei fast dem Vierfachen der Weltproduktion des Jahres 2006 liegen. Das hat natürlich erhebliche Konsequenzen. Es ist zwar eine unumstößliche Tatsache, dass die Rohstoffausstattung der Erdkruste endlich ist, doch gibt es prinzipiell ausreichend mineralische Rohstoffreserven. Gerade sind große Mineralvorkommen in Afghanistan wiederentdeckt worden. Die seit der Jahrtausendwende zu beobachtende hohe Preisvolatilität auf den Rohstoffmärkten sind das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage. Die Rohstoffversorgung ist global hoch vernetzt und dadurch vielfältigen Einflüssen ausgesetzt, die von einem Staat oder gar einem einzelnen Unternehmen nur begrenzt beherrschbar sind. Marktstörungen bestehen zumeist in Lieferverzögerungen; Sie sind die Folge von Konzentrationsprozessen in der Bergbaubranche; Der Abbau von Eisenerz wird von drei großen Unternehmen dominiert: Vale, Rio Tinto und BHP Billiton. oder vor allem die Folge der Instabilität von Förderländern. Nehmen Sie rohstoffreiche Länder wie die Demokratische Republik Kongo und Sierra Leone, die seit Jahren nicht zur Ruhe kommen. Seite 2
Marktstörungen entstehen aber auch, wenn durch das rapide Wachstum von Entwicklungs- und Schwellenländern die Rohstoffnachfrage unvorhergesehen schnell ansteigt oder revolutionäre Technologieschübe Bedarfsspitzen oder auch Nachfrageeinbrüche zur Folge haben. Das Störpotential ist dort besonders gross, wo keine Substitutionsmöglichkeiten für knappe Rohstoffe existieren. Die hohe Volatilität der Rohstoffpreise in den zurückliegenden Jahren geht zu einem großen Teil auf Fehleinschätzungen der Bergbauindustrie zurück. Zum einen wurden technologische Neuerungen nicht (rechtzeitig) vorhergesehen. Zum anderen wurde die Branche von der stürmischen Entwicklung Chinas überrascht: 25 Jahre Hochwachstum von durchschnittlich über 10% pro Jahr haben zu einem globalen Importsog Chinas nach Rohstoffen aller Art geführt. Chinesische Firmen haben sogar überall auf der Welt Eisen- und Kupferschrott aufgekauft - oder aufgesogen wie ein riesiger Staubsauger. Der chinesische Nachfrageanstieg hat den fünf Jahre anhaltenden Rohstoff-Superzyklus auf ein Rekordniveau katapultiert. China war Hauptauslöser, aber nicht alleinige Ursache dieses Rohstoffbooms. Diese war auch auf das für die Rohstoffbranche typische zyklische Investitionsverhalten zurückzuführen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Preisbildung auf den Rohstoffmärkten spielen auch die großen Rohstoffhändler allen voran die Schweizer Glencore, die in Baar ihren Sitz hat. Auch spekulativ orientierte Anleger haben den Rohstoffmarkt für sich entdeckt, was vielfach zur Volatilität der Rohstoffmärkte beigetragen hat. In der Zukunft dürfte sich auch das Wachstum Indiens und anderer Schwellenländer merklich auf die Rohstoffnachfrage auswirken. Das ist natürlich nicht zu kritisieren. Im Gegenteil: Das wirtschaftliche Aufholen der weniger entwickelten Weltregionen ist gewollt und Voraussetzung für eine friedliche Zukunft. Bei Hochtechnologiemetallen ist die Versorgungssicherheit aus drei Gründen besonders kritisch: 1. Es handelt sich um strategische Rohstoffe für unsere Industrie 2. die Zahl ihrer Lieferländer ist sehr klein 3. und es bestehen derzeit keine Substitutionsmöglichkeiten Ihre wichtigsten Fördergebiete liegen in China, Afrika, Südamerika, Russland und Australien. Einige dieser Länder und Regionen sind instabil vor allem in Afrika andere sind durch einen erheblichen Einfluss der Regierungen auf die Wirtschaft geprägt so in China und Russland. Schwellenländer unter den Produzenten neigen zunehmend dazu, z.b. durch Exporteinschränkungen ihren eigenen Industrien einen privilegierten Zugang zu heimischen Rohstoffen zu sichern, oder sich einen solchen Zugang in anderen Förderländern zu verschaffen. So hat China, der größte Produzent von Hochtechnologiemetallen, u.a. den Export von Neodym eingeschränkt, bei dem es mit 98 Prozent der Weltproduktion quasi über ein Weltmonopol verfügt. Zudem versucht sich Peking seit einigen Jahren mit Erfolg exklusive Rohstoffförderrechte vor allem in Afrika aber auch in Lateinamerika und Asien zu sichern und hat zu diesem Zweck bereits mehr als 50 Mrd. US-Dollar investiert: Die Liste der Länder ist lang. Oben stehen die Demokratische Republik Kongo, Seite 3
Simbabwe und Angola. In Afghanistan hat sich China die Rechte an den Kupferminen gesichert. In Bolivien versucht sich China derzeit die mit 5 Mio. Tonnen weltgrößten Lithium-Vorkommen zu sichern. Wenn das gelingt, würde China rund 90 Prozent der weltweiten Lithium-Vorräte kontrollieren dem Treibstoff der Elektromobilität. Zum geostrategischen Vorgehen Chinas gehören auch Beteiligungen an Bergbauunternehmen in Kanada und Australien. Die EU hat jüngst 450 Exportbeschränkungen für mehr als 400 verschiedene Rohstoffe festgestellt. Über 50 Prozent der wichtigen Rohstoffvorkommen liegen in Ländern mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter zehn US Dollar pro Tag. Mehr als die Hälfte der weltweiten Rohstoffproduktion erfolgt in politisch instabilen Ländern. Bei einigen Metallerzen stammt sogar die gesamte Weltförderung aus solchen Ländern. Damit ist das politische Risiko, dass diese Länder aufgrund von militärischen Konflikten, Terrorismus oder der Verstaatlichung von Rohstoffquellen als Lieferanten ausfallen, hoch. Wie stellt man unter solchen Bedingungen die Versorgung mit Rohstoffen sicher? Die kritische Abhängigkeit unserer Industrie von bestimmten Rohstoffen zeigt die Dringlichkeit eines Übergangs zu einer ressourceneffizienteren Volkswirtschaft und zu einer nachhaltigen Entwicklung. Dafür sollten Ressourceneffizienz, Recycling und die Substitution sowie der verstärkte Einsatz erneuerbarer Rohstoffe gefördert werden. Rohstoffsicherheit ist ein volkswirtschaftliches Gut, für dessen Bereitstellung Staat und Privatwirtschaft eng kooperieren müssen. In Deutschland sichern sich nur etwa die Hälfte der metallverarbeitenden Firmen derzeit gegen Risiken bei der Rohstoffversorgung ab. Für die Schweiz habe ich keine vergleichbaren Zahlen gefunden. Es ist von zentraler Bedeutung, dass sich die Unternehmen ihrer Rohstoffabhängigkeit bewusst werden und geeignete privatwirtschaftliche Strategien entwickeln, um das Risiko zu beherrschen. Dazu gehören u.a. Instrumente wie langfristige Verträge Bildung von strategischen Allianzen entlang der Wertschöpfungskette Preissicherung über Hedging Auch Investitionen in Forschung und Entwicklung Für den Rahmen bleibt der Staat zuständig. Ein verlässlicher und von Marktverzerrungen unbeeinträchtigter Zugang zu Rohstoffen ist eine zunehmend wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Aufgrund der hohen Abhängigkeit von Importen sind freie Weltmärkte eine grundlegende Voraussetzung für unsere Rohstoffversorgung. Doch die Realität sieht leider anders aus. Die internationalen Rohstoffmärkte sind in beträchtlichem Maße von Handels- und Wettbewerbsverzerrungen gekennzeichnet, die infolge der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise noch zugenommen haben. Die politischen Herausforderungen für die Versorgung mit nicht-energetischen Rohstoffen betreffen Wirtschafts- und Umweltpolitik ebenso wie Außen-, Handels- und Entwicklungspolitik. Seite 4
Daher muss auf nationaler und auf europäischer Ebene eine politikfeldübergreifende Rohstoffstrategie entwickelt werden, die 1. auf die Sicherung eines diskriminierungsfreien Zugangs zu den auf dem Weltmarkt gehandelten Rohstoffen zielt; 2. auf die Reduktion des Rohstoffverbrauchs, und 3. auf die Versorgung mit Rohstoffen aus heimischen/aus europäischen Quellen. Eine wesentliche Quelle ist dabei das Recycling auch gelegentlich auf Neu-Deutsch «Urban-Mining» genannt. Viele der notwendigen Maßnahmen sind aber nur auf dem Wege internationaler Kooperation möglich. Dazu gehört eine bessere Koordination in der Entwicklungszusammenarbeit. Dazu gehören internationale Transparenzinitiativen wie die Extractive Industries Transparency Initiative E.I.T.I. Dazu gehören auch andere Maßnahmen zur nachhaltigen Stabilisierung und Entwicklung rohstoffreicher Entwicklungsländer als Elemente eines globalen Ressourcenmanagements. Rohstoffsicherheit ist kein Selbstzweck, sondern entscheidende Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und damit für Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung bei uns. Niemand kann die künftige Entwicklung der Rohstoffmärkte voraussagen. Die eingehende Analyse der treibenden Faktoren und die Herstellung von Transparenz über fundamentale Marktdaten erlauben es jedoch, belastbare Entwicklungstrends zu identifizieren. Dieser Trend geht in die Richtung einer insgesamt steigenden Rohstoffnachfrage. Der vorübergehende Preisverfall im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise hat an der vor uns liegenden Aufgabe nichts geändert: Wir müssen unsere Rohstoffabhängigkeit reduzieren. Wir müssen uns um eine nachhaltige Sicherung unserer Rohstoffimporte bemühen. Neue Technologien werden die Märkte der Zukunft prägen: Elektromobilität mit Hybridantrieb, Lithium- Ionen-Batterien, Brennstoffzelle und effiziente Elektromotoren. Und erneuerbare Energien in Form von Offshore-Windparks oder Dünnschicht-Photovoltaik. Metallrohstoffe werden bei diesen Technologien eine tragende Rolle spielen insbesondere auch das Know-how, die Metalle effizient aufzubereiten, zu Produkten zu formen und am Ende wieder zu recyceln. Die Sicherung der Versorgung unserer Industrie mit den notwendigen Rohstoffen ist eine strategische Herausforderung um Wachstum und Beschäftigung in der Schweiz, in Deutschland und in ganz Europa für unsere Kinder und Enkel zu sichern. Zürich, 24. Juni 2010 Seite 5