Schlussbericht Nr des Büros für Flugunfalluntersuchungen

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Transkript:

Büro für Flugunfalluntersuchungen Bureau d enquête sur les accidents d aviation Ufficio d inchiesta sugli infortuni aeronautici Uffizi d'investigaziun per accidents d'aviatica Aircraft accident investigation bureau Schlussbericht Nr. 1820 des Büros für Flugunfalluntersuchungen über den schweren Vorfall des Flugzeuges Airbus A 321-111,, betrieben durch Swissair unter Flugnummer SWR 809 vom 21. Februar 2000 während des Fluges von London-Heathrow nach Zürich-Kloten Bundeshaus Nord, CH-3003 Bern

Cause The serious incident is attributable to the fact that because of a known malfunction of a cabin pressure controller, the outflow valve of the pressurised cabin opened and the redundant controller was not able to correct the malfunction. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 1 von 8

Allgemeine Hinweise zu diesem Bericht Entsprechend dem Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt (ICAO Annex 13) ist das alleinige Ziel der Untersuchung eines Flugunfalles oder eines schweren Vorfalles die Verhütung künftiger Unfälle oder schwerer Vorfälle. Es ist nicht Zweck dieser Untersuchung, ein Verschulden festzustellen oder Haftungsfragen zu klären. Gemäss Art. 24 des Schweizer Luftfahrtgesetzes ist die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Flugunfällen und schweren Vorfällen nicht Gegenstand der Flugunfalluntersuchung. Geschlechtsunabhängig wird in diesem Bericht aus Datenschutzgründen ausschliesslich die männliche Form verwendet. Alle Zeiten in diesem Bericht sind, wo nicht anders angegeben, in koordinierter Weltzeit (coordinated universal time UTC) angegeben. Im Unfallzeitpunkt galt für das Gebiet der Schweiz die mitteleuropäische Zeit (MEZ) als Normalzeit (local time LT). Die Beziehung zwischen LT, MEZ und UTC lautet: LT = MEZ = UTC + 1 h. Der Wortlaut des deutschsprachigen Berichtes ist massgebend. Das Büro für Flugunfalluntersuchungen bedankt sich bei den Behörden und Organisationen für die Unterstützung, die ihm bei der Durchführung der Untersuchung gewährt wurde. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 2 von 8

Schlussbericht Luftfahrzeug Airbus A 321-111 Halter Eigentümer Swiss Air Transport Co. Ltd., 8058 Zürich-Flughafen Flightlease AG, 8058 Zürich-Flughafen Kommandant Schweizerbürger, Jahrgang 1961 Ausweis Führerausweis für Verkehrspiloten (ATPL) nach JAR, ausgestellt durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt, gültig bis 9. August 2005 Flugstunden insgesamt 7058 während der letzten 90 Tage 157 auf den Airbus A-320 Typen 514 während der letzten 90 Tage 157 Copilot Schweizerbürger, Jahrgang 1963 Ausweis Führerausweis für Verkehrspiloten (ATPL) nach JAR, ausgestellt durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt, gültig bis 23. April 2005 Flugstunden insgesamt 4300 während der letzten 90 Tage 170 auf den Airbus A320 Typen 841 während der letzten 90 Tage 170 Ort In der Nähe des UKW-Drehfunkfeuers KOKSI (VOR KOK), Belgien Koordinaten --- Höhe FL 330 Datum und Zeit Betriebsart Flugphase Art des Vorfalls 21. Februar 2000, 20:01 UTC Linienflug Reiseflug Rascher Druckabfall in der Kabine Personenschaden Besatzung Passagiere Drittpersonen Tödlich verletzt --- --- --- Erheblich verletzt --- --- --- Leicht oder nicht verletzt 7 121 Schaden am Luftfahrzeug Sachschaden Dritter keiner keiner Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 3 von 8

Flugverlauf Das Flugzeug startete am 21. Februar 2000 um 19:40 UTC in London-Heathrow zum planmässigen Linienflug SWR 809 nach Zürich-Kloten. Um 20:01 UTC, nach einem durchgehenden Steigflug von ungefähr 21 Minuten und kurz nachdem die Maschine ihre Reiseflughöhe auf Flugfläche (flight level FL) 330 erreicht hatte, meldete der Copilot dem Kommandanten ein rasches Steigen der Kabinenhöhe (cabin altitude). Der Kommandant bemerkte, dass das Kontrollsystem 2, welches den Kabinendruck regelte, eine Fehlfunktion aufwies. Weiter stellte er fest, dass das Kontrollsystem 1 die vorgesehene Funktion nicht übernahm und die Kabinenhöhe weiter anstieg. Wenig später fiel auch das Kontrollsystem 1 aus und das Druckregulierventil (outflow valve) blieb halb offen stehen, so dass die Luft in der Kabine in sehr kurzer Zeit ungehindert ausströmen konnte. Im Inneren des Flugzeuges nahm man aufgrund dieser adiabatischen Expansion eine deutliche Abkühlung verbunden mit Nebelbildung wahr. Als die Kabinenhöhe 9550 ft überschritten hatte, wurde im Cockpit die excess cabin altitude warning ausgelöst. Der Kommandant entschied sich daraufhin, unverzüglich einen Notabstieg vorzunehmen. Beide Flugbesatzungsmitglieder zogen die Sauerstoffmasken an und der Copilot leitete als fliegender Pilot den Sinkflug ein. Der Kommandant erklärte der Flugverkehrsleitung, dass sich SWR 809 in einer Luftnotlage befinde und erhielt in der Folge mehrere Freigaben für einen raschen Sinkflug nach FL 100. Die Maschine sank während der folgenden 6 Minuten mit einer durchschnittlichen Sinkrate von 3800 ft/min auf die freigegebene Flugfläche. Während des Sinkfluges führte die Flugbesatzung das entsprechende ECAM procedure durch. Die Besatzung gab nach dem Vorfall an, dass sie während des gesamten Vorgangs keine Warnungen master caution bzw. master warning festgestellt hatte. Da die Kabinenhöhe zwischenzeitlich eine Höhe von 14 000 ft erreicht hatte, wurden in der Fluggastkabine die Notsauerstoffmasken ausgeworfen und die Passagiere durch eine automatische Ansage aufgefordert, die Masken anzuziehen. Als die FL 100 erreicht hatte, nahm die Flugbesatzung die Sauerstoffmasken ab und der Kommandant informierte die Fluggäste. Da keiner der Flugzeuginsassen gesundheitliche Beeinträchtigungen aufwies und genügend Treibstoff für die Fortsetzung des Fluges in geringerer Höhe bis nach Zürich vorhanden war, entschied sich der Kommandant auf eine Ausweichlandung zu verzichten und bis zur Destination weiterzufliegen. Die Flugbesatzung stellte fest, dass die Kabine manuell unter Druck gesetzt werden konnte. Da auf der verbleibenden Strecke bis nach Zürich auf FL 100 Vereisungsbedingungen herrschten, wurde ein Steigflug auf FL 140 durchgeführt und die Druckkabine manuell bedient. Vorsorglich bestellte die Flugbesatzung einen Arzt für eine eventuelle Betreuung von Passagieren nach der Landung. Diese wurde nicht in Anspruch genommen. Die Landung in Zürich-Kloten erfolgte um 21:01 UTC. Es wurde kein anderes Flugzeug durch diesen Notabstieg behindert. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 4 von 8

Befunde Die Verantwortlichen des Flugbetriebsunternehmens Swissair haben dem Büro für Flugunfalluntersuchungen den schweren Vorfall nicht gemeldet. Das BFU hat auf Umwegen über das Ereignis erfahren und daraufhin eine Untersuchung eingeleitet. Die Verantwortlichen des Flugbetriebsunternehmens Swissair kannten die im Luftfahrthandbuch (aeronautical information publication - AIP) veröffentlichten Vorschriften zur Meldung schwerer Vorfälle nicht. Das operation manual des Flugbetriebsunternehmens war diesbezüglich nicht vollständig. Weil der Vorfall nicht ordnungsgemäss gemeldet wurde, konnten die Aufzeichnungen der Flugschreiber nur unvollständig sichergestellt werden. Die Untersuchung des Vorfalls wurde von den belgischen Behörden (Ministère des Communications et de l infrastructure, Cellule d Enquêtes d Accidents et d Incidents d Aviation) an das Eidgenössische Büro für Flugunfallunterschungen (BFU) übertragen. Gemäss den Aufzeichnungen des Flugdatenschreibers wurde fünf Sekunden nach der excess cabin altitude warning die master warning ausgelöst, und von der Besatzung sechs Sekunden später manuell quittiert. Eine Sekunde später wurde die Warnung master caution ausgegeben. Die Flugzeuge A321 sind mit zwei Regelanlagen für die Kabinendruckbelüftung (cabin pressure controller CPC) versehen. Jeder CPC ist in der Lage den Kabinendruck alleine zu regeln und wird dabei vom zweiten, redundanten Gerät überwacht. Die Steuer- bzw. Überwachungsfunktion wird bei jedem Flug zyklisch vertauscht. Die Schaltlogik sieht vor, dass bei einer Fehlfunktion des aktiven CPC die Regelanlage des anderen CPC die Aufgaben des defekten Geräts übernimmt. Zusätzlich müssen allerdings gewisse Rahmenbedingungen erfüllt sein. So konnten beispielsweise die zum Zeitpunkt des Vorfalls im Flugzeug eingebauten Geräte die Druckregulierung nur übernehmen, wenn die Steigrate der Druckkabine weniger als 2000 ft/min betrug. Im Flugzeug waren zwei cabin pressure controller mit gleichem Modifikationsstand (standard - STD)-8 eingebaut. Auf dem Flug SR 809 war vor dem Vorfall der CPC 2 aktiv und der CPC 1 überwachte die Funktion des CPC 2. Im Jahr 1998 erliess die Firma Nord-Micro, welche den CPC fabrizierte, die Herstelleranweisung (service bulletin SB) VB 15702-21-006, die ebenso wie das zu Grunde liegende SB A320-21-1116 des Flugzeugherstellers Airbus eine Modifikation aller CPC auf STD-10 zum Ziel hatte. Diese Verbesserung wurde notwendig, weil mehrere Fälle aufgetreten waren, bei denen CPC mit Modifikationsstand STD-8 unter bestimmten Bedingungen eine unkontrollierte Öffnung des outflow valves zugelassen und somit einen raschen Druckverlust der Passagierkabine verursacht hatten. Weiter wurde die Software der Regelanlage so geändert, dass bei Ausfall des aktiven CPC der redundante CPC die Funktion übernehmen kann, selbst wenn hohe Steig- oder Sinkraten auftreten. Nachdem bei mehreren anderen Fluggesellschaften eine Testphase mit dem neuen Modifikationsstand absolviert worden war, begann auch SR Technics ab 26. Oktober 1999 die eingelagerten CPC auf STD-10 zu modifizieren. Vom 25. Januar 2000 an wurden sukzessive alle in den Flugzeugen eingebauten CPC ausgetauscht. Da zu Beginn nur wenige umgebaute CPC zur Verfügung standen, wurde in einem ersten Schritt jeweils nur ein auf STD-10 modifizierter CPC in das Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 5 von 8

entsprechende Flugzeuge eingebaut und während einer Übergangszeit zusammen mit einem Gerät älterer Bauart eingesetzt. Ab Mitte 2001 waren in allen Flugzeugen nur noch CPC mit Modifikationsstand STD-10 oder höher eingesetzt. Die Aufzeichnungen des Flugdatenschreibers belegen, dass die Steiggeschwindigkeit der Druckkabine unmittelbar nachdem die Öffnung des outflow valve begonnen hatte, mehr als 6000 ft/min betragen hat. Das outflow valve vergrösserte innerhalb von 12 Sekunden seine Öffnung um 24 %. Nach dem Vorfall wurde ein defekter Kabinendrucksensor festgestellt. Nord-Micro konnte nach dem Vorfall die Dauerspeicher (non volatile memories) der CPC auslesen. Dabei zeigte sich, dass eine vergleichbare Fehlfunktion schon einige Monate vor dem schweren Vorfall vorgekommen war. Bezüglich der möglichen raschen Öffnung des outflow valves, verursacht durch eine Fehlfunktion des CPC, war im Zeitpunkt des Vorfalls vorübergehend eine spezielle Verfahrensvorgabe für Notfälle und aussergewöhnliche Lagen gültig. Diese temporary emergency and abnormal procedures schrieben unter anderem folgendes vor: o If outflow valve is moving towards open and cabin rate is above 1500 ft/min: If at least one CPC controlling (SYS 1 or SYS 2 green) DITCHING ON AS soon as outflow valve is closed: o ONE PACK OFF o CABIN PRESS MODE SEL MAN o DITCHING OFF o V/S CTL AS RQRD o BOTH PACKS ON ( ) If both CPC failed (CAB PR SYS 1 + 2 FAULT) CPC 1 and 2 CB RESET Die Flugbesatzung gab nach dem Flug an, dass sich die Ereignisse so rasch entwickelt hätten, dass keine Zeit für die Durchführung des temporary emergency and abnormal procedures bestanden habe. Ein ausgedehntes Hochdruckgebiet erstreckte sich von den Azoren bis nach Mitteleuropa. Von der norwegischen Küste bis nach Nordfrankreich erstreckte sich eine stark abgeschwächte Okklusion. Auf der Flugstrecke herrschte das folgende Wetter: Über Südengland und dem Ärmelkanal war es leicht bewölkt, die Hauptwolkenuntergrenze lag bei 25 000 ft AMSL. Über Nordfrankreich und Belgien lag starke Bewölkung in mehreren Schichten vor. Über der Nordschweiz wurden 3-4/8 mit einer Basis bei 11 000 ft AMSL und 5-7/8 mit einer Basis auf 26 000 ft AMSL verzeichnet. Der Wind wehte zwischen FL 100 und FL 390 allgemein aus nordwestlicher Richtung mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 kt. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 6 von 8

Beurteilung Während des Steigfluges um 20:01 UTC versagte die aktive Regelanlage für die Kabinendruckbelüftung (cabin pressure controller) CPC 2, was dazu führte, dass sich das Regulierventil (outflow valve) der Druckkabine öffnete. Diese Fehlfunktion der CPC wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit durch einen defekten Kabinendrucksensor ausgelöst. Wie das non volatile memory des CPC 2 zeigte, ist der gleiche Fehler einige Monate früher schon einmal aufgetreten. Da der Dauerspeicher nur durch den Hersteller ausgelesen werden kann, blieb dieser Defekt verborgen. Das Öffnen des outflow valves führte zu einem raschen Abfall des Kabinendruckes, wobei die als Steigrate formulierte Druckänderung pro Zeit den Wert von 2000 ft/min überschritt. Damit wurde der Grenzwert für eine Übernahme der Regulierfunktion durch den CPC 1 mit Modifikationsstand STD-8 überschritten, so dass dieses Kontrollsystem ebenfalls mit einer Fehlermeldung reagierte und keine Korrektur des falschen Steuerbefehls an das Druckregulierventil vornahm. Es war seit einiger Zeit bekannt, dass CPC mit Modifikationsstand STD-8 Probleme hatten, die Funktion des anderen CPC zu übernehmen, wenn mit dessen Versagen hohe Steigraten verbunden waren. Ein entsprechender Umbau der Regelanlagen war deshalb im Gang. Der Modifikationsstand STD-10 wies diese Eigenheit nicht mehr auf. Da dem Flugbetriebsunternehmen nicht genug CPC mit Modifikationsstand STD-10 zur Verfügung standen, konnte bis ins Jahr 2001 nur ein CPC STD-10 pro Flugzeug eingebaut werden. Gemäss den Angaben der Flugbesatzung lief dieser Ausfall beider Systeme so rasch ab, dass keine Zeit für ein Vorgehen gemäss den Vorgaben des temporary emergency and abnormal procedures mehr blieb. Weil die Verantwortlichen des Flugbetriebsunternehmens den schweren Vorfall nicht gemeldet haben, konnte insbesondere der cockpit voice recorder nicht zeitgerecht sichergestellt werden, was eine genaue Rekonstruktion der tatsächlichen zeitlichen Verhältnisse verunmöglichte. Ob die Anwendung des temporary emergency and abnormal procedures des Flugzeugherstellers durch die Besatzung die Situation rascher entschärft hätte, als dies der Notabstieg vermochte, muss offen bleiben. Beide Piloten zogen unverzüglich ihre Sauerstoffmasken an und führten einen Notabstieg auf FL 100 durch. Diese Reaktion war zweckmässig. Wie die Aufzeichnungen der Flugschreiber belegen, haben die Warnungen master warning und die master caution funktioniert. Der Umstand, dass sich die Flugbesatzung nach dem Flug nicht mehr an diese Warnungen erinnern konnte, ist nicht aussergewöhnlich und mit der hohen Belastung während der Notsituation erklärbar. Da nach Einschätzung der Besatzung nach dem emergency descent weder die Passagiere noch sie selber gesundheitlich beeinträchtigt waren und die Druckkabine wieder manuell geregelt werden konnte, setzte sie den Flug nach Zürich fort. Dieser Entscheid erscheint mit Blick auf die Wettersituation und den vorhandenen Treibstoffvorrat nachvollziehbar. Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 7 von 8

Ursache Der schwere Vorfall ist darauf zurückzuführen, dass sich aufgrund einer bekannten Fehlfunktion eines cabin pressure controllers das outflow valve der Druckkabine öffnete und die redundante Regelanlage nicht in der Lage war, die Fehlfunktion zu korrigieren. Bern, 24. April 2006 Büro für Flugunfalluntersuchungen Dieser Bericht wurde ausschliesslich zum Zwecke der Unfallverhütung erstellt. Die rechtliche Würdigung der Umstände und Ursachen von Flugunfällen ist nicht Sache der Flugunfalluntersuchung (Art. 24 des Luftfahrtgesetzes). Büro für Flugunfalluntersuchungen Seite 8 von 8