Technische Universität Chemnitz Institut für Sportwissenschaft, Bewegungswissenschaft Sterzing, Thorsten; Brauner, Torsten; Milani, Thomas L.

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Transkript:

Technische Universität Chemnitz Institut für Sportwissenschaft, Bewegungswissenschaft Sterzing, Thorsten; Brauner, Torsten; Milani, Thomas L. Laufen: Barfuß vs. Schuh Kinetische und Kinematische Adaptationen der unteren Extremität Einleitung Schuhe sind künstliche Schnittstellen zwischen dem menschlichen Fuß und der Umwelt. Potentiell beeinflusst der Schuh den menschlichen Bewegungsablauf akut sowie mittel- und langfristig über Aspekte wie Schutz, Bequemlichkeit, Verletzungsprävention und sportliche Leistung. In der Spitzensporthistorie finden sich vereinzelt barfüßige Ausdauerläufer wie Abebe Bikila, Marathon Olympiasieger 1960 in Rom oder Zola Budd, 5000 m Weltrekordlerin 1984. Dies verdeutlicht, dass das barfüßige Laufen hinsichtlich der Erzielung sportlicher Leistungen dem Schuhlauf ebenbürtig sein kann. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der Schuhlauf in der heutigen Gesellschaft als die Norm beim Ausdauerlauf anzusehen ist. So stellt der barfüßige Fersenlauf für den Läufer, der es gewohnt ist in Schuhen zu laufen, eine unbequeme und teils schmerzhafte Situation dar. Dies gilt insbesondere für die Phase des Fersenaufsatzes. Ein kinematischer Vergleich zwischen Barfuß- und Schuhlauf zeigte einen flacheren Fußaufsatz in der Sagittalebene beim Barfußlauf (Frederick 1986). Der Laufstil beim Barfußauf verändert sich demnach vom Fersenaufsatz in Richtung Mittelfußaufsatz. Begründet wurde dies durch das Fehlen einer Schuhdämpfung, was den Sportler dazu veranlasst, Veränderungen im Bewegungsablauf vorzunehmen. Diese Veränderungen wurden in einer weitere Studie als komplexer Adaptationsmechanismus an Hand von neun Probanden detailliert untersucht (De Wit et al. 2000). Die Kinematik in der Sagittalebene bestätigte den flacheren Fußaufsatz beim Barfußlauf und zeigte überdies eine höhere Knieflexion. Diese kinematischen Veränderungen werden als aktive, in der Flugphase vorbereitete, Bewegungsadaptation interpretiert. Einhergehend zeigten sich beim Barfußlauf in der Kinetik eine höhere Kraftanstiegsrate sowie geringere Spitzendrücke unter der Ferse. Stacoff et al. (2000) zeigten mittels einer invasiven Studie probandenspezifische Bewegungsmuster von Calcaneus und Tibia beim Laufen auf. Sie konnten diesbezüglich jedoch keine substantiellen Unterschiede zwischen Barfuß- und Schuhläufen feststellen. Für unterschiedliche Laufschuhe konnte gezeigt werden, dass schon minimale Dämpfungsunterschiede im Fersenbereich von Läufern mit analogen Adaptationsmechanismen zu Frederick (1986) bzw. De Wit et al. (2000) beantwortet werden. Härtere Laufschuhe riefen dabei flachere Fußaufsatzwinkel in der Sagittalebene hervor (Heidenfelder et al. 2008). dvs Band??? Edition Czwalina 1

Basierend auf dem Literaturstand war das Ziel dieser Studie, kinetische und kinematische Bewegungsmodifikationen der unteren Extremität beim Ausdauerlaufen in zwei Laufbedingungen, Barfuß (BAFO) und mit Laufschuh (SHOE), zu untersuchen. So sollte der aktuelle Wissensstand einerseits überprüft und durch die Zunahme eines größeren Probandenkollektivs gegebenenfalls manifestiert werden. Methodik 17 Läufer (26,5 ± 2,9 Jahre; 176,2 ± 5,1 cm; 70,1 ± 5,8 kg), erfahren in biomechanischen Laboruntersuchungen, nahmen an der Studie teil. Alle Läufer waren Fersenläufer und wurden auch bei der Barfußbedingung aufgefordert einen Fersenlauf durchzuführen. Sie absolvierten zunächst fünf gültige Schuhläufe (SHOE) im Modell Asics Gel-Nimbus 9 gefolgt von fünf Barfußläufen (BAFO) bei über Lichtschranken standardisierter Laufgeschwindigkeit von 3,5 m/s (± 0,1) auf einer 13 m langen Laborlaufbahn. Die Versuchsbedingungen wurden nicht randomisiert, um einen Einfluss der ungewohnten und eventuell unangenehmen Barfußbedingung auf die Ausführungen des Schuhlaufs zu verhindern. Die Bodenreaktionskräfte eines Bodenkontaktes des rechten Fußes je Lauf wurden mittels einer Kraftmessplatte (Kistler 9287BA) bei einer Aufnahmefrequenz von 1000 Hz erfasst. Die Durchführung des Fersenlaufs in beiden Bedingungen wurde mit Hilfe der vertikalen Bodenreaktionskraft überwacht. Ein 12 Kamera (MX-3) Bewegungsanalysesystem (Vicon, Oxford Metrics, UK) erfasste bei 240 Hz die zugehörige Kinematik der unteren Extremität. Zur kinematischen Betrachtung der unteren Extremität wurden Fuß-, Unterschenkel- und Oberschenkelsegment des rechten Beines mit anatomischen Kalibrierungsmarkern definiert. Die einzelnen Segmentbewegungen während der Läufe wurden an Hand von Trackingmarkerclustern verfolgt. Die Einzelmarker eines Clusters waren hierbei nicht gegeneinander verschiebbar. Zur Bestimmung der 3D Kinematik wurden Cardan-Winkel durch Rotationen in Sagittal-, Frontal- und schließlich in Transversalebene errechnet (Cole et al. 1993). Zur Synchronisation mit den kinetischen Daten wurden die kinematischen Daten auf 1000 Hz interpoliert. In der weiterführenden Datenverarbeitung wurden die kinetischen und kinematischen Messdaten des Bodenkontakts auf 101 Datenpunkte normiert. Die beiden Untersuchungbedingungen Barfuß und Schuh wurden hinsichtlich kinematischer Veränderungen im Bereich des Fußwinkels, Sprunggelenkswinkels und des Kniewinkels in der Sagittalebene ausgewertet. Dabei wurde der Winkel zwischen Fuß und Boden als Fußwinkel bezeichnet wobei der 0 Winkel der stehenden Kalibrierungsposition entsprach. Beim Fußaufsatz mit der Ferse entsteht so ein negativer Fußwinkel, beim Fußabdruck ein positiver Fußwinkel (Abbildung 1). Der Winkel zwischen Fuß und Unterschenkel wurde als Sprunggelenkswinkel bezeichnet. Der 0 Winkel entsprach hier ebenfalls der stehenden Kalibrierungsposition. Negative Winkel beschreiben eine dorsalflektierte Fußhaltung, positive Winkel eine plantarflektierte Fußhaltung (Abbildung 2). 2 STERZING: Adaptation Barfuß-Lauf

Abbildung 1: Fußwinkel (Sagittalebene) Abbildung 2: Sprunggelenkswinkel (Sagittalebene) Ein Kniewinkel bei vollständiger Knieextension in der stehenden Kalibrierungsposition wurde als 0 definiert, positive Kniewinkel bezeichnen das Ausmaß der Knieflexion während der Laufbewegung. Die in dieser Studie betrachteten diskreten kinetischen Variablen waren: Bodenkontaktzeit (GCT), passive vertikale Kraftspitze (PVF pas ) und die dazugehörige Kraftanstiegsrate (FRR).Als kinematische Variablen der Sagittalebene wurden betrachtet: Fußwinkel (FSP), Sprunggelenkswinkel (ASP) und Kniegelenkswinkel (KSP) während der Bodenkontaktphase. Bei allen Gelenkswinkeln wurde besonders die diskrete Ausprägung der betrachteten Winkel beim Fußaufsatz (td) und Fußabdruck (to) betrachtet. Es erfolgte eine deskriptive Mittelwertbildung der Variablen-Zeitverläufe unter Darstellung der Standardabweichung (SA) als Streuungsmaß über alle Probanden mit ihren jeweiligen fünf Läufen pro Untersuchungsbedingung. Die diskreten Variablen der beiden Laufbedingungen wurden mittels gepaarten t-tests auf einem Signifikanzniveau von α < 0,05 inferenzstatistisch verglichen. dvs Band??? Edition Czwalina 3

Ergebnisse/ Diskussion Der Barfußlauf wies eine um 15 ms verkürzte Bodenkontaktzeit (p<0,01) gegenüber dem Schuhlauf auf (Abbildung 3). Abbildung 3: Bodenkontaktzeit Bezüglich der Höhe der passiven Vertikalkraftspitze konnten statistisch keine Veränderungen zwischen den Untersuchungsbedingungen nachgewiesen werden (p=0,53). Dem hingegen verdeutlichte die zugehörige stark erhöhte Kraftanstiegsrate in der Fußaufsatzphase (3-4 fach, p<0,01) die erhöhten Belastungen des Barfußlaufs auf den Bewegungsapparat im Vergleich zum Schuhlauf (Abbildung 4). Diese erhöhte Belastung beim Barfußlauf kann auf die fehlenden Dämpfungseigenschaften des Schuhs zurückgeführt werden. Das Fersenfettpolster als ein materieller körpereigener Dämpfungsmechanismus kann dabei eine gleichwertige Dämpfung nicht leisten. Abbildung 4: Vertikale Bodenreaktionskraft Interessant erscheint zudem die deutlich erhöhte interindividuelle Variabilität sowohl bei der passiven Kraftspitze (SA: 20% BAFO gegenüber 12% SHOE) als auch bei der Kraftanstiegsrate (SA: 30% BAFO gegenüber 21% SHOE). Dies lässt darauf schließen, dass die ungewohnte teils schmerzhafte Bewegungsaufgabe des Barfußlaufs zwischen Probanden mit höherer Variabilität durchgeführt wird als die gewohnte Bewegungsaufgabe des Schuhlaufs. Eine stärkere Variabilität der biomechanischen Variablen beim Barfußlauf im Vergleich zum Schuhlauf wurde auch 4 STERZING: Adaptation Barfuß-Lauf

von De Wit et al. (2000) berichtet und konnte in dieser Studie bezüglich der vertikalen Bodenreaktionskraftvariablen bestätigt werden. Hinsichtlich der Gelenkwinkel-Zeitverläufe zeigten sich ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Untersuchungsbedingungen. Jedoch sind diese Unterschiede bei allen betrachteten Winkeln der unteren Extremität auf die Fußaufsatzphase beschränkt. Im weiteren Verlauf des Bodenkontaktes bis hin zum Fußabdruck kommt es danach zu einer Angleichung des kinematischen Bewegungsmusters der unteren Extremität. Die Betrachtung des Fußwinkels (Abbildung 5, Tabelle 1) zeigte dabei im Mittel einen deutlich flacheren Fußaufsatz beim Barfußlauf (BAFO: -13,5 gegenüber SHOE: -27,5 ). Der Winkel des Fußaufsatzes beim Schuhlauf lag dabei im Bereich der Ergebnisse von Heidenfelder et al. (2008). Die interindividuelle Variabilität des Fußwinkels beim Fußaufsatz ist für BAFO gegenüber SHOE leicht erhöht. Die zu Beginn der Bodenkontaktphase festgestellten Unterschiede sind im weiteren Verlauf bis hin zum Fußabdruck nicht mehr zu erkennen. Beim Fußabdruck selbst sind Fußwinkel und zugehörige interindividuelle Variabilität für beide Untersuchungsbedingungen annähernd gleich. Eine kinematische Bewegungsadaptation des Fußwinkels an das Barfußlaufen findet demnach nur zu Beginn und gegebenenfalls vor der Bodenkontaktphase statt. Abbildung 5: 5: Fußwinkel Ebenfalls deutliche Veränderungen zeigen sich für den Sprunggelenkswinkel beim Fußaufsatz (Abbildung 6). In der BAFO Bedingung war das Sprunggelenk zum Zeitpunkt des initialen Fußaufsatzes in Nullstellung (0 ). Hingegen ist bei SHOE eine Dorsalextension des Fußes im Mittel um 11,5 zu beobachten gewesen. Es ist zu beachten, dass der Fußwinkel und der Sprunggelenkswinkel voneinander abhängig sind. So wird der flachere Fußwinkel beim Fersenaufsatz in der BAFO Bedingung zum Teil dadurch erreicht, dass die Probanden keine Dorsalextension im Sprunggelenk (0,0 ) durchführen. dvs Band??? Edition Czwalina 5

Abbildung 6: Sprunggelenkswinkel Der Kniegelenkswinkel der Probanden zu Beginn des Fußaufsatzes erwies sich für BAFO höher (Abbildung 7). Abbildung 7: Kniegelenkswinkel Dies bedeutet, die Probanden leiten mit einem stärker flektierten Knie die Bodenkontaktphase ein. Dieser Mechanismus unterstützt die körpereigenen Dämpfungsvorgänge. Das stärker flektierte Knie ermöglicht eine bessere Anpassungsmöglichkeit der unteren Extremität hinsichtlich ihrer Beinsteifigkeit und kann so als aktiver zusätzlicher Dämpfungsmechanismus der Läufer interpretiert werden. In Tabelle 1 sind BAFO und SHOE Mittelwerte, Standardabweichungen und p- Werte der t-tests für alle betrachteten diskreten Variablen aufgelistet. Tabelle 1: Diskrete kinetische und kinematische Variablen Tabelle 1: Diskrete kinetische und kinematische Variablen GCT PVF pas FRR FSP td FSP to ASP td ASP to KSP td KSP to [ms] [bw] [N/ms] Barfuß 224,6 ± 12,7 1,86 ± 0,39 503,5 ± 152,0-13,5 ± 7,2 57,6 ± 5,0 0,0 ± 5,6 24,3 ± 4,1 10,1 ± 5,3 12,5 ± 5,3 Schuh 239,1 ± 11,0 1,93 ± 0,23 132,5 ± 27,9-27,5 ± 4,1 58,5 ± 4,4-11,5 ± 3,8 23,5 ± 4,0 6,1 ± 5,9 13,5 ± 4,2 p-wert p < 0,01 p = 0,53 p < 0,01 p < 0,01 p = 0,44 p < 0,01 p = 0,49 p < 0,01 p = 0,24 6 STERZING: Adaptation Barfuß-Lauf

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Studie in der Kinematik der Sagittalebene Adaptionsmechanismen der unteren Extremität beim Fersenaufsatz, nicht jedoch beim Fußabdruck. Es ist anzunehmen, dass schon in der Flugphase vor dem Fußaufsatz veränderte kinematische Charakteristika beim Barfußlauf gegenüber dem Schuhlauf die Bodenkontaktphase einleiten. Im Vergleich zum Schuhlauf zeigt der Barfußlauf beim Fersenaufsatz einen flacheren Fußaufsatzwinkel (FSP td ), einen Sprunggelenkswinkel (ASP td ) in anatomischer Neutralstellung (dorsalflektiert beim Schuhlauf) und eine höhere Knieflexion (KSP td ). Der ungewohnte und unangenehme initiale Bodenkontakt, veranschaulicht durch die drei- bis vierfach erhöhte FRR, veranlasst die Läufer in allen drei betrachteten Winkeln der Sagittalebene der unteren Extremität Veränderungen im Bewegungsablauf zu Beginn der Bodenkontaktphase vorzunehmen. Hier ist zu vermuten, dass die Kraftanstiegsrate durch den flacheren FSP td beim Fußaufsatz soweit möglich abgemildert wird und daraus ein stärker plantarflektierte ASP td resultiert. Die stärkere KSP td lässt eine geringere Rigidität des Kniegelenks und somit eine geringere Steifigkeit der unteren Extremität insgesamt beim Fußaufsatz vermuten. Es bleibt zudem festzuhalten, dass die bobachteten kinematischen Adaptationen nicht für eine komplette Kompensation der Belastung auf den Bewegungsapparat ausreichen. Denn die Kraftanstiegsrate zeigte trotz der Adaptationen stark erhöhte Werte. Die verkürzte Bodenkontaktzeit beim Barfußlauf lässt sich durch den flacheren Fußaufsatz und den damit verbundenen geringeren Abrollweg im Vergleich zum Schuhlauf erklären. In diesem Zusammenhang stellt die Schuhmittelsohlendeformation einen weiteren Faktor dar, welcher beim Schuhlauf zusätzlich die Bodenkontaktzeit erhöhen dürfte. Ausblick Ausblickend ist zu untersuchen, in wie fern auch Bewegungsadaptationen bei den betrachteten Gelenken in der Frontal- und Transversalebene während des Barfußlaufs auftreten. Weiterhin ist zu untersuchen, ob das Fehlen der Schuhdämpfung der alleinige Grund für die gezeigte Bewegungsadaptation ist oder ob der Schuh dem Fuß die Position vorgibt. Dies kann durch eine Weiterführung der Studie unter Verwendung eines weichen Bodenbelags geschehen, welcher für eine schuhunabhängige Dämpfung sorgt, die eine Bewegungsadaptation auf Grund der fehlenden Dämpfung beim Barfußlaufen kompensieren könnte. Literatur Cole, G. K.; Nigg, B. M.; Ronsky, J. L.; Yeadon, M. R. (1993) Application of the joint coordinate system to three-dimensional joint attitude and movement representation: a standardization proposal. Journal of Biomechanical Engineering, 115, 344-349. De Wit, B.; De Clercq, D.; Aerts, P. (2000) Biomechanical analysis of the stance phase during barefoot and shod running. Journal of Biomechanics, 33, 269-278. dvs Band??? Edition Czwalina 7

Frederick, E. C. (1986) Kinematically mediated effects of sport shoe design: a review. Journal of Sports Sciences, 4(3), 169-184. Heidenfelder, J.; Sterzing, T.; Bullmann, M.; Milani, T. L. (2008) Heel strike angle and foot angular velocity in the saggital plane during running in different shoe conditions. Journal of Foot and Ankle Research, 1, Suppl. 1. Stacoff, A.; Nigg, B. M.; Reinschmidt, C.; van den Bogert, A. J.; Lundberg, A. (2000) Tibiocalcaneal kinematics of barefoot versus shod running. Journal of Biomechanics, 33, 1387-1395. 8 STERZING: Adaptation Barfuß-Lauf