Epi.Consult GmbH Prof. Dr. med. Eberhard Greiser Gesundheitsgefährdung und Nachtfluglärm Tischvorlage zur Anhörung des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 3.3.21 Epi.Consult GmbH Ortsstr. 1 A, 54534 Musweiler Handelsregister Wittlich HRB 4 797 - Bankverbindung: Postbank Stuttgart (BLZ 6 1 7) Konto 181 111 77 - Steuer-Nummer 43 665 6983 (Finanzamt Bernkastel-Wittlich)
1. Bereits 1972 wurden erste epidemiologische Studien publiziert, die einen Zusammenhang zwischen Fluglärm und Erkrankungen des Herzens und des Kreislaufs nahe legten 1,2. In den letzten Jahren hat sich die wissenschaftliche Erkenntnislage erheblich verbreitert. Um 6 europäische Großflughäfen, darunter Berlin-Tegel, hatten Wissenschaftler des HYENA-Studienverbundes ermittelt, dass nächtlicher Fluglärm dosisabhängig von einem Dauerschallpegel von 35 db(a) aufwärts das Risiko für krankhaften Bluthochdruck erhöhte, und zwar um 14.1% pro Anstieg des Dauerschallpegels um 1 db(a) 3. In einer Übersichtsarbeit aus dem vergangenen Jahr kam ein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes, Dr. Wolfgang Babisch, gemeinsam mit einer Wissenschaftlerin des niederländischen Nationalen Instituts für Public Health und Umwelt, Dr. Irene van Kamp, zu dem Schluss, dass eine kausale Beziehung zwischen Fluglärm und der Entstehung von Bluthochdruck gegeben sei 4. 2. Eine im Auftrage des Umweltbundesamtes durchgeführte Studie im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn hatte 26 ergeben, dass Fluglärm, vor allem nächtlicher Fluglärm, zu einer Erhöhung der Verordnungsmengen von Arzneimitteln zur Behandlung von Herz- und Kreislaufkrankheiten durch niedergelassene Ärzte geführt hatte 5. Für diese Studie waren die Daten von mehr als 89. Versicherten gesetzlicher Krankenkassen im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn herangezogen worden. Bei Frauen fanden sich außerdem erhöhte Verordnungsmengen für Tranquillizer, Schlaf- und Beruhigungsmittel und für Arzneimittel zur Behandlung von Depressionen. Beispielhaft sei für Arzneimittel zur Behandlung von Bluthochdruck der Anstieg der Verordnungsmengen bei verschiedenen Dauerschallpegeln nächtlichen Fluglärms dargestellt. Bei den dieser Abbildung zugrunde liegenden Berechnungen ist jeweils der mögli- 1 Knipschild P. Medical effects of aircraft noise: Community cardiovascular survey. Int Arch Occup Environ Health 1977; 4: 185-19. 2 Knipschild P. Medical effects of aircraft noise. Drug survey. Int Arch Occup Environ Health 1977; 197-2. 3 Jarup L, Babisch W, Houthuijs D, Pershagen G, Katsouyanni K, Cadum E, Dudley ML, Savigny P, Seiffert I, Swart W, Breugelmans O, Bluhm G, Selander J, Haralabidis A, Dimakopoulou K, Sourtzi P, Velonakis M, Vigna-Taglianti F on behalf of the HYENA study team. Hypertension and exposure to noise near airports: The HYENA Study. Environ Health Perspect 28; 116: 329-333. 4 Babisch W, van Kamp I. Exposure-respone relationship of the association between aircraft noise and the risk of hypertension. Noise Health 29; 44:161-168. 5 Greiser E, Janhsen K, Greiser C. Beeinträchtigung durch Fluglärm: Arzneimittelverbrauch als Indikator für gesundheitliche Beeinträchtigung. Publikationen des Umweltbundesamtes, November 26.
che Einfluss von Straßenverkehrslärm, Schienenverkehrslärm und die soziale Lage der Versicherten berücksichtigt worden. Abbildung 1. Verordnung von blutdrucksenkenden Arzneimitteln und nächtlicher Fluglärm Verordnung von definierten Tagesdosen pro Versicherungsjahr Verordnung von blutdrucksenkenden Arzneimitteln und nächtlicher Fluglärm 2 DDD/Versicherungsjahr Fluglärm (22-6 Uhr) <4 db(a) 45 db(a) 5 db(a) 55 db(a) 15 Männer Frauen 1 5 4-49 5-59 6-69 7-79 8+ 4-49 5-59 6-69 7-79 8+ Altersgruppen 3. Die Ergebnisse der Studie zu Fluglärm und Arzneiverordnungen um den Flughafen Köln Bonn waren der Anlass für die Durchführung einer zweiten Studie, die den Einfluss von Fluglärm auf Erkrankungen untersuchen sollte, die zu einer Behandlung im Krankenhaus führten 6. Nach den Ergebnissen der Arzneimittelstudie wurde vermutet, dass vor allem Erkrankungen des Herzens und des Kreislaufs sowie psychische Erkrankungen infolge von Fluglärm häufiger auftreten könnten (Forschungshypothesen). Als epidemiologische Methode wurde die Fall-Kontroll-Studie gewählt. Dabei werden Faktoren, die im Verdacht stehen, zu Erkrankungen beizutragen, bei bereits Erkrankten erhoben und mit der Verteilung derselben Faktoren bei einer Vergleichsgruppe von Nicht-Erkrankten verglichen. Finden sich solche 6 Greiser E, Greiser C. Risikofaktor nächtlicher Fluglärm Abschlussbericht einer Fall-Kontroll-Studie zu kardiovaskulären und psychischen Erkrankungen im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn. UBA-Schriftenreihe Umwelt und Gesundheit 1/21 und 2/21(Appendix),. Berlin, 21.
Faktoren statistisch signifikant häufiger in der Gruppe der Erkrankten, kann man von Risikofaktoren (= krankmachenden Faktoren) sprechen. 4. Basis für diese Studie waren die Fluglärmdaten des Jahres 24 (sechs verkehrsreichste Monate und die Daten von 1.3 Millionen Versicherten von 8 gesetzlichen Krankenkassen. Dieses entspricht ca. 55% der Bevölkerung der Studienregion (Stadt Köln, Rhein-Sieg-Kreis, Rheinisch-Bergischer Kreis). Die Fluglärmdaten wurden adressgenau mit den Anschriften der Versicherten verbunden. Daneben wurden gleichzeitig Straßenverkehrslärmdaten, Schienenverkehrslärmdaten, sowie als Indikator für die Sozialschicht die Sozialhilfe- Häufigkeit des jeweiligen Ortsteils bzw. Stadtteils bei den Auswertungen berücksichtigt. 5. Die Ausbreitung des Fluglärms zeigen bis zu einem Dauerschallpegel von 45 db(a) herunter für den Fluglärm am Tage und den Fluglärm in der Nacht die folgenden Abbildungen. Für die Analysen wurden Fluglärmwerte bis zu einem Dauerschallpegel von 4 db(a) verwendet. Abbildung 2. Ausbreitung des Fluglärms am Tage Köln Bonn
Abbildung 3. Ausbreitung des Fluglärms in der Nacht Köln Bonn Vom Fluglärm in der Nacht waren etwa 2% der Versicherten betroffen. Abbildung 4 zeigt die Anzahl der Betroffenen nach Stärke des Dauerschallpegels. Abbildung 4. Nächtlicher Fluglärm Anzahl der betroffenen Versicherten Häufigkeit der Versicherten mit nächtlichem Fluglärm 25 Tausende 2 15 1 5 4 41 42 43 44 45 46 47 48 49 5 51 52 53 54 55 56 57 58 59 6 61 62 Nacht (22-6 Uhr) db(a)
Die Dauerschallpegel reichen bis zu 62 db(a). Selbst am Tage waren 63 db(a) die höchsten berechneten Dauerschallpegel. 6. Die Analysen zeigten, dass die gesundheitlichen Folgen des Fluglärms von einem Dauerschallpegel von 4 db(a) an linear anstiegen. Sensitivitätsprüfungen erbrachten, dass andere Modellannahmen (quadratische, exponentielle oder gemischte Modelle) keine bessere Modellierung erbrachten. Durchweg waren bei Frauen stärkere gesundheitliche Effekte zu beobachten als bei Männern. Ein weiterer relevanter Befund war, dass solche Personen, die sich auf Kosten des Flughafens Köln-Bonn Schallschutzfenster für Schlafzimmer finanzieren lassen konnten, ein geringeres Erkrankungsrisiko aufwiesen, als solche, denen eine derartige Finanzierung nicht möglich war. 7. Auf der Basis der statistisch signifikanten Risikoerhöhungen lässt sich berechnen, wie viele Personen bei den verschiedenen diagnostischen Gruppen infolge nächtlichen Fluglärms erkrankt sein können. Die ermittelten Zahlen beziehen sich auf einen durchschnittlichen Zeitraum von zwei Kalenderjahren. Abbildung 5. Nächtlicher Fluglärm und Schlaganfälle Risiko für Schlaganfall durch nächtlichen Fluglärm Männer und Frauen ab 4. Lebensjahr 4 Anzahl Schlaganfälle Schlaganfälle...davon durch Fluglärm 3 Schlaganfälle im Studiengebiet: 13.571 davon in Region mit Fluglärm: 2.772 verursacht durch Fluglärm: 938 2 1 4 41 42 43 44 45 46 47 48 49 5 51 52 53 54 55 56 57 58 59 6 61 62 Nächtlicher Dauerschallpegel (db(a))
Erheblich häufiger als Schlaganfälle tritt die koronare Herzkrankheit auf, wie Abbildung 6 zeigt. Abbildung 6. Nächtlicher Fluglärm und koronare Herzkrankheit Risiko für koronare Herzkrankheit durch nächtlichen Fluglärm Männer und Frauen ab 4. Lebensjahr 1 8 6 Anzahl Patienten mit koronarer Herzkrankheit Koronare Herzkrankheit...davon durch Fluglärm Patienten mit koronarer Herzkrankheit im Studiengebiet: 37.531 davon in Region mit Fluglärm: 7.545 verursacht durch Fluglärm: 2.118 4 2 4 41 42 43 44 45 46 47 48 49 5 51 52 53 54 55 56 57 58 59 6 61 62 Nächtlicher Dauerschallpegel (db(a)) Abbildung 7. Nächtlicher Fluglärm und Herzschwäche Risiko für Herzschwäche durch nächtlichen Fluglärm Männer und Frauen ab 4. Lebensjahr 8 6 Anzahl Patienten mit Herzschwäche Herzschwäche...davon durch Fluglärm Patienten mit Herzschwäche im Studiengebiet: 26.751 davon in Region mit Fluglärm: 5.545 verursacht durch Fluglärm: 1.666 4 2 4 41 42 43 44 45 46 47 48 49 5 51 52 53 54 55 56 57 58 59 6 61 62 Nächtlicher Dauerschallpegel (db(a)) Für den akuten Herzinfarkt fanden sich weder bei Männern noch bei Frauen infolge Fluglärms erhöhte Erkrankungsrisiken.
8. Bei der Analyse psychischer Erkrankungen fanden sich von den untersuchten Diagnosegruppen (Angst und Phobie; Psychosen; Depressionen) nur für das Krankheitsbild der Depressionen bei Frauen erhöhte Erkrankungsrisiken. 9. Die Studie stellt die weltweit umfangreichste Studie zum möglichen Zusammenhang zwischen Fluglärm und Erkrankungen dar. Dennoch ist auf einige Limitierungen hinzuweisen: A. Es ist nichts darüber bekannt, wie lange die Versicherten an der Adresse gewohnt haben, mit der sie bei den Krankenkassen gemeldet waren. Das bedeutet, dass der Einfluss der Dauer der Fluglärmbelastung auf das Erkrankungsrisiko nicht genau abschätzbar ist. Es ist sowohl möglich, dass Personen aus einer stärker mit Fluglärm belasteten Region in eine leisere Umgebung verzogen sind, als auch, dass Personen aus einer weniger verlärmten Umgebung in eine stärker belastete umgezogen sind. In beiden Fällen würde sich dieses jedoch zu einer Unterschätzung der Erkrankungsrisiken führen. B. Die Sozialschicht ist nur über einen regionalen Sozialschicht-Indikator (Sozialhilfe-Häufigkeit des Ortsteils bzw. des Stadtteils) berücksichtigt worden. Exakter wäre die Erfassung der Sozialschicht über einen individuellen Indikator, z.b. Einkommen, möglich. Diese Daten standen jedoch nur in unvollständiger Form zur Verfügung. C. Es wäre möglich, dass die Einflussvariable Dauerschallpegel des Fluglärms die tatsächliche Belastung nur ungenau abbildet. Da von Betroffenen häufig der Einfluss von Maximalpegeln, d.h. sehr lauten, plötzlich auftretenden Lärmereignissen, auf das Schlafverhalten berichtet wird, wäre es möglich, dass die Verwendung von Maximalpegeln zu genaueren Schätzungen von Krankheitsrisiken führen könnte. Dieses wäre jedoch methodisch außerordentlich schwierig. D. Individuelle Risikofaktoren, die ebenfalls zu den untersuchten Erkrankungen führen können, konnten nicht berücksichtigt werden. Ebenfalls war es unmöglich, Belastungen am Arbeitsplatz in die Analysen einzubeziehen. E. Es sind im Rahmen der Studie zwar vier Zeitfenster des Fluglärms analysiert worden. Es ist jedoch bei einer Interpretation der Ergebnisse für einzelne
Zeitfenster zu bedenken, dass der größte Teil der betroffenen Bevölkerung dem Fluglärm sowohl am Tage als auch in der Nacht ausgesetzt war. 1. Eine genaue Prüfung der in der vorliegenden Studie erhobenen Befunde und der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur anhand der in der Epidemiologie üblichen Checkliste zur Beurteilung von kausalen Zusammenhängen (Kriterien nach Sir Austin Bradford Hill) erlauben die Feststellung, dass für den Zusammenhang zwischen Fluglärm und Herz- und Kreislauferkrankungen ein Kausalzusammenhang angenommen werden muss. 11. Aufgrund des Umfangs der Datenbasis ist eine Verallgemeinerungsfähigkeit der erzielten Ergebnisse zu bejahen. Allerdings muss bei einer möglichen Ü- bertragung der um den Flughafen Köln-Bonn gewonnenen Risikokoeffizienten auf andere durch Fluglärm belastete Regionen berücksichtigt werden, dass sowohl die Anzahl von Flugbewegungen als auch ihre zeitliche Konfiguration die Übertragbarkeit beeinträchtigen können. Musweiler, 2.3.21 Prof. Dr. Eberhard Greiser