Kienbaum Business Technology Report Nr. 2, Januar 2015 Business Technology Report Thema IT RUNS Business 1
Kienbaum Business Technology Report 01/2015
Hidden Champion Mittelstand auch in puncto IT? von Dr. Heinz Linß und Stefanie Kaib Dr. Heinz Linß Fon: +49 89 45 87 78-45 heinz.linss@kienbaum.de ist Mitglied der Geschäftsleitung bei der Kienbaum Management Consultants GmbH und als Director verantwortlich für den Kompetenzbereich Business Application Strategy & Transformation. Er berät Unternehmen bei der Veränderung von IT-Systemen, -Prozessen, -Organisationen und -Kompetenzen. Stefanie Kaib Fon: +49 89 45 87 78-30 stefanie.kaib@kienbaum.de ist Consultant in der Practice Business Technology Management mit Schwerpunkt in den Bereichen Applikationsstrategie und strategische Neuausrichtung von Organisationen und Prozessen. Handlungsdruck im Mittelstand Viele mittelständische deutsche Unternehmen gelten als Hidden Champions hochgradig erfolgreiche Unternehmen, die führend in ihrem jeweiligen Markt sind. Die Wettbewerbsvorteile dieser Unternehmen beruhen selten auf Kostenvorteilen, sondern sind vielmehr auf Innovation, insbesondere durch technischen Vorsprung, sowie auf Produktqualität zurückzuführen. Darüber hinaus zeichnen sich Hidden Champions auch durch Liefertreue und Kundennähe aus. Aufgrund ihrer gewöhnlich hohen Fertigungstiefe mit teilweise selbst entwickelten Maschinen und Werkzeugen können diese Unternehmen ihre überlegene Position im Markt über einen lang andauernden Zeitraum verteidigen. Betrachtet man hingegen die IT-Landschaft, die im Mittelstand im Einsatz ist, dann indet man häuig individuell programmierte Systeme vor, die vor über zehn Jahren eingeführt und in der Vergangenheit auf Zuruf weiterentwickelt wurden. Diese IT-Systeme konnten zwar den oftmals sehr speziellen Prozessabläufen immer wieder lexibel angepasst werden, sind aber mittlerweile fehleranfällig, zum Teil deutlich überaltert und insgesamt mit einem hohen Wartungsaufwand verbunden. Sie liefern nicht die von der Geschäftsführung geforderten Informationen und bieten keine ausreichende Transparenz über das Unternehmen. Bei einigen Unternehmen kommt hinzu, dass der Wirtschaftsprüfer bereits Kritik an der Nachvollziehbarkeit und Revisionssicherheit der bestehenden Systeme übt. Ein neues IT-System als Initiator für größere Veränderungen In dieser Situation entscheidet sich die Geschäftsführung von mittelständischen Unternehmen vermehrt für die Einführung eines neuen, integrierten IT-Systems. Die Erwartungen an die Einführung des neuen IT-Systems gehen dabei im Mittelstand über den reinen technischen Ersatz bestehender IT-Systeme hinaus. Ziel ist es, durch das Systemeinführungsprojekt auch weitere Verbesserungen im gesamten Unternehmen anzustoßen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen oder Wachstumsziele im Markt zu erreichen. Das IT-System wird somit als Initiator und Treiber einer weitreichenden Veränderung im Unternehmen verstanden, mit der sich fachliche Herangehensweisen, Unternehmensprozesse, Organisationsstrukturen, Führungsstrukturen und Unternehmenskultur verändern sollen eine komplexe Transformation auf allen Ebenen (siehe Abbildung 1). Die Optimierung betrieblicher Prozesse spielt hierbei eine zentrale Rolle: Vielfach wird eine anstehende Systemeinführung als Chance begriffen, um die Prozesse zur Leistungserbringung neu auszurichten und damit die Produktivität zu erhöhen. Nicht zuletzt ist
mit einer Systemeinführung auch der Wunsch nach einer Einführung oder der Verbesserung von unternehmensübergreifenden Steuerungsmöglichkeiten verbunden. Hier kann zum Beispiel integrierten Enterprise- Resource-Planning(ERP)-Systemen eine bedeutende Rolle zukommen, da mit deren Einführung Auswertungen und Informationen zentral in einem System verfügbar werden. Mit einer Verbesserung betrieblicher Prozesse geht oft eine organisatorische Neuaufstellung einher, da eine Neuverteilung von Verantwortungsbereichen oder der Aufbau neuer Funktionen erforderlich werden. Durch diese Restrukturierung kann die Zusammenarbeit im Unternehmen verbessert und durch begleitende gezielte Entwicklungsmaßnahmen auch die Mitarbeiterqualiikation erhöht werden. Häuig möchte man jungen Führungskräften oder Nachwuchstalenten die Chance geben, sich für neue Aufgaben und den nächsten Karriereschritt zu positionieren. Ein unterschätztes Risiko Eine Studie von McKinsey und der Universität Oxford 1 kam jedoch zu dem Ergebnis, dass bei der Einführung von Standardsoftware das Projektbudget im Durchschnitt um 42 Prozent und die Projektdauer im Durchschnitt um 26 Prozent überschritten werden. Zudem werden nur 25 Prozent der erwarteten Nutzeffekte realisiert. Die Einführung eines neuen IT-Systems, wie zum Beispiel eines integrierten ERP-Systems, verursacht für mittelständische Unternehmen nach unserer Erfahrung häuig Gesamtprojektkosten zwischen sechs und zwölf Millionen Euro. Diese signiikante Investition erfordert die Freigabe durch den Eigentümer und sichert dem Projekt über die gesamte Projektlaufzeit die volle Aufmerksamkeit der Geschäftsführung. Trotzdem gelingt es auch im Mittelstand kaum, das ursprünglich geplante Investitionsbudget einzuhalten und den erwarteten Nutzen in der vorgesehenen Zeit zu erreichen. Projektverzögerungen und Budgetüberschreitungen in dieser Größenordnung haben im Mittelstand allerdings gravierendere Auswirkungen als in einem Großunternehmen: Aufgrund der vergleichsweise geringen Mitarbeiterzahl geht eine signiikante Kapazitätsbindung durch das Projekt über einen längeren Zeitraum zwangsläuig zu Lasten des Tagesgeschäfts. Ein durch das neue IT-System verursachter Stillstand der Produktion könnte sich schnell zu einer handfesten Bedrohung für die Existenz des gesamten Unternehmens entwickeln. Genauso dramatisch ist es für das mittelständische Unternehmen, wenn laut dieser Studie nur 25 Prozent des erwarteten Nutzens erreicht wird. Zusätzlich zur Tatsache, dass sehr viel Geld für nur geringe Verbesserungen ausgegeben wurde, sind die verantwortlichen Führungskräfte nicht dem hohen Erwartungsdruck des Eigentümers gerecht geworden. Erfolgsfaktor Mensch Aus Sicht von Kienbaum handelt es sich bei IT-Systemeinführungen in mittelständischen Unternehmen um extrem komplexe Transformationsprojekte, die die betroffenen Unternehmen vor große Herausforderungen stellen. Vor Beginn eines solchen Projektes sollten Sie sich daher die folgenden Fragen stellen, um die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen:» Haben Sie einen Projektleiter, der Erfahrung mit großen Transformationsprojekten besitzt? Dieser sollte nicht nur technische IT-Einführungen begleitet haben, sondern auch fachliche Veränderungen anstoßen und Akzeptanz in den Fachbereichen Abbildung 1: Betrachtungsebenen nachhaltiger Transformationen Ausrichtung & Strategie Prozesse & Systeme Organisation & Steuerung Nachhaltige Veränderung» Individuen» Organisation Nachhaltiger Erfolg Menschen & Kompetenzen 1 Angst vor schwarzen Schwänen, Christoph Lixenfeld, CIO Magazin, 11/2013; [http://www.cio.de/projektmanagement/denken/2936010/] Kienbaum Business Technology Report 01/2015
schaffen können. Er sollte zudem die Fähigkeit besitzen, IT-Dienstleister für die Implementierung und die Datenmigration aus Altsystemen zu steuern.» Haben Ihre Führungskräfte Erfahrung mit Veränderungsprozessen und können sie Mitarbeiter für neue Themen oder Arbeitsweisen begeistern? Gerade langjährigen Mitarbeitern fällt es oft schwer, sich von bekannten Arbeitsabläufen zu lösen und Veränderungen aufgeschlossen gegenüberzutreten.» Haben Sie engagierte Mitarbeiter, die nicht nur Experten in ihrem operativen Tagesgeschäft sind, sondern auch alte Gewohnheiten hinterfragen, um neue Themen konzeptionell zu erarbeiten?» Haben Sie genügend Kapazitäten für das Projekt? Können Sie Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fachbereichen von einem Teil ihres Tagesgeschäftes entbinden und für die Projektarbeit freistellen?» Ist Ihre IT-Abteilung in der Lage, neben dem operativen IT-Betrieb ein neues IT-System technisch einzuführen von der Berücksichtigung von Schnittstellen zu Umsystemen bis hin zur Abschaltung des Altsystems? Der wichtigste Faktor bei der erfolgreichen Einführung eines IT-Systems im Mittelstand ist der Erfolgsfaktor Mensch (siehe Abbildung 2). Nach unserer Erfahrung wird dies häui g unterschätzt. Kienbaum-Studie Mit der Studie IT-Systeme im Mittelstand ist Kienbaum der Frage nachgegangen, warum die hohen Erwartungen an eine IT-Systemeinführung im Mittelstand meist nicht erfüllt werden. Neben möglichen Ursachen galt es insbesondere herauszui nden, was seitens der Eigentümer und Geschäftsleitungen mittelständischer Unternehmen als entscheidender Faktor für erfolgreiche IT-Systemeinführungsprojekte bewertet wird vom professionellen Projektmanagement über eine enge Einbindung der Fachbereiche bis hin zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit dem IT- Dienstleister. Die Studie basiert auf einer Online-Umfrage zum Thema, an der sich Geschäftsführer und Entscheider aus mittelständischen Unternehmen beteiligten. Ziel der Studie war es, anhand des Dreiklangs Geschäftsprozesse, IT-Systeme und Menschen die Erfolgsfaktoren und typischen Herausforderungen einer IT-Systemeinführung im Mittelstand quantitativ zu verii zieren. Bei Interesse an den Studienergebnissen genügt eine kurze E-Mail an die folgende Adresse: heinz.linss@ kienbaum.de. Abbildung 2: Erfolgsfaktor Mensch bei der Einführung von IT-Systemen Geschäftsführung IT-Bereich Faktor Mensch Fachbereich IT-Dienstleister