Ordnung ins Chaos bringen

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Transkript:

Ordnung ins Chaos bringen 1 1 Einleitung Ordnung ins Chaos bringen Vor kurzem tauchte in einer Diskussion auf dem Weg von einer Vorlesung zur nächsten innerhalb einer Gruppe von Studenten (größtenteils Redaktionsmitglieder der WURZEL ) die Frage auf, ob man auf jedem Körper 1 eine Ordnung (im Sinne von vollständiger Ordnungsrelation) definieren kann, die sich mit der Addition und Multiplikation verträgt. Diese Frage ist leicht, wie dem folgenden Abschnitt zu entnehmen ist, zu beantworten. Dennoch bot sie einen Aufhänger für weitere interessante Folgefragen, um welche es in diesem Artikel gehen soll. 2 Beantwortung der Ausgangsfrage Die gestellte Frage kann man leicht negativ beantworten, indem man ein Gegenbeispiel angibt. Das Standard-Beispiel dafür sind die komplexen Zahlen C. Wäre nämlich z. B. die komplexe Zahl i > 0, so würde auch 1 = i i > 0 und 1 = ( 1) ( 1) > 0 gelten, also auch 0 = ( 1) + 1 > 0 + 0 = 0, was ein Widerspruch ist. Analog wäre für i < 0 dann ( i) > 0, was man aus der vorhergehenden Ungleichung durch Addition von ( i) erhält, und der Widerspruch zum eben gezeigten Fall würde analog folgen. Also ist weder i > 0, i < 0 noch i = 0. Allerdings fordern wir von einer Ordnung, dass zwischen je zwei Elementen immer genau eine dieser drei Relationen erfüllt ist. Da dies hier nicht der Fall sein kann, wie wir gerade gezeigt haben, kann man also keine Ordnung auf C definieren, die mit der Addition und Multiplikation verträglich ist. 1 Unter einem Körper versteht man anschaulich und nicht ganz exakt gesprochen einen Zahlbereich, in welchem man die vier Grundrechenarten so, wie man sie kennt, ausführen kann, und sich diese auch gutartig verhalten, also z. B. die rationalen Zahlen.

Ordnung ins Chaos bringen 2 Auf diese Antwort sind wir auch recht schnell gekommen. Die natürliche Anschlussfrage ist dann aber auch sofort gefallen: Was passiert, wenn wir die Voraussetzungen abschwächen? Wenn wir nur noch die Verträglichkeit mit der Addition fordern und es uns egal ist, wie sich die Multiplikation mit der Ordnung verträgt? 3 Die komplexen Zahlen als Prototyp Nun, wie schaut dies auf C aus? Die Idee, die wir auch später noch einmal aufgreifen werden, ist die der lexikographischen Ordnung: Wir können jede komplexe Zahl z eindeutig als a + i b mit reellen Zahlen a und b darstellen. Da die Addition von komplexen Zahlen komponentenweise definiert ist (der Realteil der Summe zweier komplexer Zahlen also die Summe der Realteile der beiden Summanden ist, analog mit den Imaginärteilen), verträgt sich die lexikographische Ordnung mit dieser Addition. Dabei meint die lexikographische Ordnung die gleiche Ordnung, wie sie auch in Lexika verwendet wird: Zuerst werden nur die ersten Buchstaben zweier Wörter verglichen. Das Wort, welches den kleineren ersten Buchstaben besitzt, kommt vor dem anderen. Sollten die beiden Wörter in ihrem ersten Buchstaben übereinstimmen, so werden die zweiten Buchstaben miteinander verglichen, und so weiter. Ähnlich wollen wir auch hier vorgehen. Wir definieren: a 1 + i b 1 < a 2 + i b 2 : (a 1 < a 2 ) (a 1 = a 2 b 1 < b 2 ). Damit haben wir eine Ordnung 2 auf den komplexen Zahlen definiert, welche sich offenbar mit der Addition komplexer Zahlen verträgt, denn man prüft leicht nach, dass aus z 1 < z 2 sofort z + z 1 < z + z 2 für alle komplexen Zahlen z 1, z 2 und z folgt. 2 Mit dem Begriff Ordnung auf einer Menge M meinen wir eine zweistellige irreflexive, antisymmetrische und transitive Relation <, d. h. für alle x, y, z M soll gelten: (1) Kein x < x; (2) ist x < y, so nicht y < x und (3) aus x < y und y < z folgt x < z. Des Weiteren sollen je zwei verschiedene Elemente x und y vergleichbar sein, d. h. es gilt x < y oder y < x. Bemerkung: Für y < x schreiben wir auch x > y.

Ordnung ins Chaos bringen 3 4 Verallgemeinerung der Problemstellung Wir haben nun gesehen, dass diese Abschwächung der Forderung in unserer Fragestellung neue Antwortmöglichkeiten zulässt. Kehren wir also zum originalen Umfang der Frageestellung zurück: Für welche Körper lässt sich nun eine solche Ordnung konstruieren? Als erstes fällt auch hier auf, dass dies gar nicht für alle Körper gehen kann. Gilt nämlich in einem Körper 1 + 1 + + 1 = p 1 = 0, wie z. B. in dem Körper F p = Z/pZ, so kann man nicht einmal die beiden Elemente 0 und 1 miteinander vergleichen. Wäre nämlich 1 > 0, so würde mit Hilfe der Verträglichkeit mit der Addition auch 1 + 1 > 0 + 1 = 1 und dann wegen der Transitivität auch 1 + 1 > 0 gelten. Analog könnte man dann auch 1 + 1 + 1 > 0 usw. herleiten, was aber zum Widerspruch 0 = p 1 = 1 + 1 + + 1 > 0 führen würde. Genauso auch für die Ansetzung 0 > 1. Damit fallen also alle Körper mit positiver Charakteristik (das kleinste, positive solche p, falls es existiert) weg. Wie schaut es aber mit Körpern der Charakteristik 0 (kein solches p existiert) aus? Aus der Algebra sind hier zwei schöne Fakten bekannt. Zum einen: Jeder Körper mit Charakteristik 0 besitzt die rationalen Zahlen als Unterkörper, und zum anderen: Man kann jeden Körper auf natürliche Weise als Vektorraum über jedem seiner Unterkörper auffassen. Diese zwei Fakten macht man sich durch kurzes Überlegen und Anschauen der jeweiligen Definitionen klar. Wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen und benutzen einfach diese Resultate. Damit erhalten wir also die Aussage, dass jeder nun noch in Frage kommende Körper, auf dem wir eventuell noch eine solche Ordnung definieren können, als ein Vektorraum über den rationalen Zahlen Q aufgefasst werden kann. Die Datenreduktion, die wir dabei vornehmen, nämlich die multiplikativen Eigenschaften unseres betrachteten Körpers zu vergessen, stört uns dabei gar nicht, denn wir interessieren uns ja eh nur für die Addition. Außerdem haben wir das Problem so nun auf ein allgemeineres zurückgeführt: Können wir über jedem Q-Vektorraum eine Ordnung definieren?

Ordnung ins Chaos bringen 4 5 Vektorräume, Basen und Zorn Die Idee, um eine Ordnung auf einem Vektorraum festzulegen, haben wir am Beispiel der komplexen Zahlen schon einmal gesehen: Wir stellen die Elemente eindeutig als Folgen mit verschiedenen Komponenten dar und vergleichen dann komponentenweise, d. h. definieren eine lexikographische Ordnung. Dabei sollte die Addition in dem Vektorraum dann aber auch komponentenweise erfolgen. Damit ergeben sich aber auch schon die Probleme: Woher eine solche Komponentendarstellung holen? Und wie soll man damit umgehen, wenn es zu viele Komponenten gibt, so dass man diese nicht einfach nacheinander abarbeiten und jeweils einzeln vergleichen kann? Für das erste der beiden genannten Probleme gibt die lineare Algebra uns eine Lösung in die Hand: Kennt man eine Basis, d. h. ein linear unabhängiges Erzeugendensystem, des Vektorraums, so kann man jedes Element v des Vektorraums eindeutig als endliche Linearkombination v = k 1 b 1 + k 2 b 2 +... + k n b n mit rationalen Zahlen k 1 bis k n und Basisvektoren b 1 bis b n darstellen. Dies liefert uns eine eindeutige Darstellung aller Elemente des Vektorraums mithilfe von Komponenten, wenn wir eine Basis kennen. Aber gibt es überhaupt für jeden Vektorraum eine Basis? Die Antwort ist zum Glück: Ja. Dies beweist man gewöhnlich mit dem Lemma von Zorn 3, welches zum Auswahlaxiom äquivalent ist. Da es uns noch weitere nützliche Dienste erweisen wird, werden wir es hier kurz angeben: Lemma von Zorn: Jede nichtleere halbgeordnete Menge, in der jede Kette (d. h. jede total geordnete Teilmenge) eine obere Schranke hat, enthält mindestens ein maximales Element. Dabei heißt eine Menge halbgeordnet, im Unterschied zu (total) geordnet, wenn nicht notwendigerweise je zwei Elemente miteinander vergleichbar sind, d. h. es kann zwei Elemente x und y geben, für die weder x < y, x = y noch x > y gilt. So ist z. B. die Teilmengenbeziehung zwischen verschiedenen Mengen eine solche Halbordnung. Eine obere Schranke einer Menge M von Elementen (z. B. einer solchen Kette) ist dabei ein Element s mit der Eigenschaft, dass dieses s größer oder 3 Max Zorn: 1906 1993

Ordnung ins Chaos bringen 5 gleich jedem Element aus M ist. Und abschließend heißt ein Element maximales Element, wenn es kein weiteres Element gibt, welches größer ist als dieses. Bemerkung: Eine halbgeordnete Menge kann durchaus mehrere maximale Elemente enthalten. Dem geneigten Leser sei nun der Beweis von oben angegebenem Satz, dass jeder Vektorraum eine Basis besitzt, als Übungsaufgabe zum Umgang mit jenem Lemma überlassen. Man nutze dabei als bezüglich der Mengeninklusion halbgeordnete Menge für die Anwendung des Zornschen Lemmas die Menge aller linear unabhängigen Mengen über dem betrachteten Vektorraum. Wir wissen also nun, dass eine Basis B für unseren betrachteten Vektorraum V existiert. Halten wir B fest, so können wir jedes Element von V eindeutig als eine Linearkombination der Basisvektoren mit rationalen Koeffizienten schreiben: Wir haben also unsere Komponentendarstellung, die sich auch mit der Vektoraddition verträgt, gefunden! Wie aber nun vergleichen? Die Basis B kann eine beliebig große, vor allem unendliche oder gar überabzählbare Menge sein. Es muss auch kein kleinstes Element, was einer ersten Komponente wie dem Realteil bei unserem Beispiel mit den komplexen Zahlen gleichkommen würde, in B geben. Zum Glück allerdings reicht uns eine beliebige Ordnung der Basisvektoren aus, und wir müssen auch nur endlich viele Komponenten (d. h. die rationalen Koeffizienten von einigen Basis-Vektoren) betrachten, wenn wir zwei beliebige Vektoren aus V vergleichen wollen. Dies liegt daran, dass nur endlich viele Koeffizienten bei der Darstellung eines Vektors bezüglich dieser Basis verschieden von Null sind. Seien also v und w zwei Vektoren aus V, die wir vergleichen wollen. Dann existiert eine endliche Teilmenge B von B, sodass v = b B k b b und analog w = b B l b b mit rationalen Zahlen k b und l b für alle b B. Besitzen wir nun eine Ordnung der Elemente von B, so natürlich auch auf der Teilmenge B. Da B aber eine endliche Menge ist, besitzt sie auch ein kleinstes, zweitkleinstes, usw. Element. Wir definieren nun v < w nach der lexikographischen Ordnung: v < w, wenn k b < l b für den kleinsten Basisvektor b B, oder aber k b = l b für diesen Basisvektor und k b < l b für den zweitkleinsten Basisvektor b aus B, oder aber... Damit ist diese Ordnung wohldefiniert, denn für jede Obermenge B von B sind die zusätzlichen Koeffizienten von v und w bezüglich der Darstellung mit den Basisvektoren aus B eh alle jeweils gleich, nämlich Null. Dass diese Relation sich mit

Ordnung ins Chaos bringen 6 der Addition verträgt und transitiv ist, prüft man ähnlich schnell nach. Wir können also eine Ordnung auf unserem Vektorraum V definieren, wenn wir eine auf seiner Basis B finden. So haben wir das Problem also weiter auf ein elementareres zurückgeführt: Kann man eine Ordnung auf einer beliebigen Menge definieren? 6 Ordnung auf nackten Mengen Man beachte, auf welche Allgemeinheit wir uns hier nun zurückgezogen haben: Gestartet sind wir bei der Frage nach einer Ordnung auf einem Körper, die sich mit der Addition dort vertragen soll. In dieser Situation hatten wir viel Struktur und Beziehungen zwischen den Elementen gegeben. Dann haben wir uns auf Vektorräume (über den rationalen Zahlen) zurückgezogen und nun stehen wir vollkommen ohne jede Struktur, mit einer nackten Menge ohne jeden Zusammenhang zwischen den Elementen da. Natürlich muss sich dann die zu definierende Ordnung auch nicht mehr mit irgendeiner Operation vertragen, da ja keine Operation auf dieser Menge vorausgesetzt wird. Nun, es mag intuitiv klar sein, dass man die Elemente einer beliebigen Menge schon irgendwie so anordnen kann, dass alle Ordnungsaxiome erfüllt sind. Aber schon bei solchen Mengen wie der Potenzmenge der reellen Zahlen ist es nicht mehr so intuitiv, eine solche Ordnung auch anzugeben (zumindest für den Autor dieses Artikels). Ein endgültiger Beweis für die Existenz einer solchen Ordnung nutzt nun wieder das Lemma von Zorn. Dazu müssen wir allerdings den Begriff Ordnung erst noch etwas formalisieren. Eine Ordnung O über einer Menge M ist eine zweistellige Relation über M mit gewissen Eigenschaften, d. h. eine Menge von Paaren mit Elementen aus M. Also ist O insbesondere auch eine Menge. Dabei sagen wir für x, y M, dass x < y genau dann, wenn das Paar (x, y) in der Menge O liegt. Für eine solche Menge O von Paaren von Elementen aus M definieren wir die zugehörige Grundmenge G als Teilmenge von M mit der Eigenschaft, dass G genau diejenige Menge von Elementen aus M ist, zu der wenigstens ein Paar in O existiert. Also G := {x M y M : (x, y) O (y, x) O}. Eine solche Menge O heiße nun abgeschlossene Ordnung, wenn es eine vollständige Ordnung von Elementen aus G ist, d. h. für je zwei verschiedene Elemente x, y aus G entweder (x, y) oder (y, x) in O ist und sonst auch alle Ordnungsaxiome von O erfüllt werden.

Ordnung ins Chaos bringen 7 Um nun das Lemma von Zorn anwenden zu können, betrachten wir über der festen Menge M, auf welcher wir eine solche vollständige Ordnung definieren/finden wollen, die Menge N aller abgeschlossenen Ordnungen über M. Diese Menge N ist nicht leer, da die leere Menge auch eine solche abgeschlossene Ordnung über der Grundmenge der leeren Menge ist. Diese Menge N von abgeschlossenen Ordnungen ist natürlich als Menge von Mengen halbgeordnet bezüglich Inklusion, d. h. Teilmengenbeziehung. Die letzte noch offene Voraussetzung von Zorns Lemma ist nun noch, dass jede Kette, d. h. total geordnete Teilmenge von N auch eine obere Schranke in N besitzt. Für eine solche Kette K von abgeschlossenen Ordnungen in N betrachten wir dafür die Vereinigung S all dieser. Wäre diese Vereinigung nun auch eine abgeschlossene Ordnung, so wäre diese auch ein Element von N und eine obere Schranke bezüglich Inklusion für diese Kette, d. h. die noch zu zeigende Voraussetzung für Zorns Lemma wäre damit erfüllt. Uns bleibt also nachzuweisen, dass die Vereinigung von beliebig vielen abgeschlossenen Ordnungen wieder eine solche ist. Dazu müssen wir einfach nacheinander alle Bedingungen für abgeschlossene Ordnungen für diese Vereinigung S nachweisen. Zuerst zur Irreflexivität: Gäbe es ein Element x M, für welches das Paar (x, x) in S liegt, so gäbe es aufgrund der Definition von S als Vereinigung aller abgeschlossenen Ordnungen aus K auch eine solche Ordnung aus K, in der dieses Paar liegen müsste, was ein Widerspruch dazu ist, dass alle Elemente aus N, und damit auch aus K, Ordnungen sind, also keine solchen Paare beinhalten. Die Asymmetrie: Gäbe es zwei Elemente x, y M, für welche sowohl die Paare (x, y) als auch (y, x) in S liegen, so gäbe es zwei abgeschlossene Wohlordnungen O 1 und O 2 aus K, welche jeweils eines dieser Paare als Element besitzen. Da nun O 1 und O 2 Teil der Kette K sind, gilt, dass eine dieser Mengen Teilmenge der anderen ist, d. h. o. B. d. A. enthält O 1 beide diese Paare. Dies ist aber ein Widerspruch dazu, dass O 1 selbst eine abgeschlossene Ordnung ist und damit eine asymmetrische Relation. Zur Transitivität: Auch dies geht ähnlich und sei dem geneigten Leser als weitere Übungsaufgabe überlassen. Hat man die Transitivität gezeigt, so weiß man nun, dass S auch eine (Halb-)Ordnung ist. Bleibt noch die Abgeschlossenheit, d. h. dass je zwei Elemente der Grundmenge dieser Ordnung auch wirklich vergleichbar sind. Dies zeigen wir hier: Aus offensichtlichen Gründen ist die Grundmenge von S aller derjenigen Elemente von M, über die in

Ordnung ins Chaos bringen 8 S eine Aussage gemacht wird, gleich der Vereinigung aller Grundmengen von abgeschlossenen Ordnungen aus K. Genauer gilt sogar: Ist eine abgeschlossene Ordnung Obermenge einer anderen, so ist auch die Grundmenge der ersten Obermenge der Grundmenge der zweiten. So gibt es also für je zwei verschiedene Elemente x, y G S der Grundmenge von S eine abgeschlossene Ordnung O, in deren Grundmenge diese beiden Elemente schon liegen. (Eigentlich kann man ersteinmal nur zwei solche Ordnungen O 1 und O 2 postulieren, in deren Grundmenge x bzw. y liegen. Aber analog dem Schluss bei der Asymmetrie können wir auch hier die Existenz einer solchen abgeschlossenen Ordnung schlussfolgern, in deren Grundmenge beide Elemente liegen.) Wegen der Abgeschlossenheit der Ordnung O liegt dann aber genau eines der beiden Paare (x, y) oder (y, x) in O und damit auch in S. Damit ist S also auch eine abgeschlossene Ordnung. Nun haben wir alle Voraussetzungen zusammengetragen: Die Menge N aller abgeschlossenen Ordnungen über M ist nicht leer und für jede Kette K aus Elementen aus N existiert eine obere Schranke S in N. Damit können wir nun endlich das Lemma von Zorn anwenden und erhalten die Existenz eines maximalen Elements in N. Dieses nennen wir L. Aber was ist jetzt dieses maximale Element L? Nun als Element von N ersteinmal eine abgeschlossene Ordnung. Nur muss noch nicht notwendigerweise jedes Element von M schon einsortiert sein, d. h. nicht unbedingt jedes Element von M hat durch L schon seinen Platz innerhalb der Reihenfolge aller Elemente von M zugewiesen bekommen. (Dies gilt ja für alle abgeschlossenen Ordnungen; durch die leere Menge z. B. wurde noch keinem Element aus M sein Platz zugewiesen.) Nun ist L aber auch ein maximales Element in der Menge N aller abgeschlossenen Ordnungen. Dies heißt aber wiederum, dass es keine echt größere abgeschlossene Ordnung von Elementen aus M als L gibt. Damit muss L aber nun die Grundmenge M besitzen, also eine Ordnung aller Elemente auf M sein. Denn wäre die Grundmenge von L nicht ganz M, so gäbe es ein Element x aus der Restmenge. Würde man nun für alle Elemente y aus der Grundmenge von L zu L noch die Paare (x, y) hinzufügen, d. h. x als größer als alle bisherigen Elemente einstufen, so würde man offenbar dadurch wieder eine abgeschlossene Ordnung erhalten, die aber echt größer als L ist, was aber ein Widerspruch zur Maximalität von L ist. Also ist L unsere gesuchte und nun nach langem Kampf endlich gefundene (vollständige/totale) Ordnung aller Elemente von M.

Ordnung ins Chaos bringen 9 7 Resümee Was haben wir nun eigentlich gezeigt? Wir haben die Existenz einer vollständigen/totalen Ordnungsrelation auf jeder beliebigen Menge M gezeigt. Lesen wir den Artikel weiter rückwärts, so haben wir damit die Existenz einer solchen Ordnung auf beliebigen Q-Vektorräumen, die sich mit der Addition dort verträgt, gezeigt. Und noch ein Schritt zurück: Wir können die Ausgangsfrage, welche Körper denn eine Ordnungsrelation besitzen, die sich wenigstens mit ihrer Addition verträgt, nun endgültig beantworten: Genau die Körper, welche Charakteristik = 0 besitzen. Der Beweis hat sogar leicht mehr gezeigt: Alle Vektorräume über Körpern mit Charakteristik 0 besitzen eine solche mit der Vektoraddition verträgliche Ordnung. Alle anderen Vektorräume (mit Ausnahme des trivialen) über Körpern mit positiver Charakteristik dagegen nicht. Dieser kleine Ausflug in die Mengenlehre verdeutlicht vielleicht noch einmal, welche Schwierigkeiten sich manchmal beim Beweis eigentlich intuitiv recht klarer Dinge ergeben, speziell dann, wenn die zu Grunde liegenden Mengen nicht mehr notwendigerweise endlich oder abzählbar sind. Man erkennt hier vielleicht auch, wie wichtig das Auswahlaxiom, welches wir hier häufiger in seiner äquivalenten Form als Zornsches Lemma benutzt haben, ist bzw. welche Macht es hat. Ohne dieses hätten wir hier vieles nicht zeigen können. Leider liefert es aber auch keine expliziten, konstruktiven Ergebnisse, sondern nur Existenzaussagen, sodass wir damit nicht eine Ordnung explizit angeben können. Die hier dargestellte Konstruktion einer solchen Ordnung ist alles andere als eindeutig. An vielen Stellen hat man Auswahlmöglichkeiten, so z. B. bei der Wahl der Basis für einen Vektorraum oder bei der Ordnung der Basiselemente selbst. So verwundert es auch nicht, dass dort sehr skurrile Ordnungen auftreten können, was man sich z. B. an den reellen Zahlen, aufgefasst als Vektorraum über den rationalen Zahlen klar machen kann. Abschließen möchte ich diesen Artikel mit einem kurzen Dank sowohl für die interessante Aufgabe als auch für die fleißigen Mitdenker, durch die erst die endgültige Lösung hier entstand. Christian Hercher, Aachen