Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung



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Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung Sven Thomas Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Fakultät für Elektrotechnik und Informatik Institut für Praktische Informatik Fachgebiet Software Engineering http://www.se.uni-hannover.de Zusammenfassung. Bei der Entwicklung von Software sind Informationen die wichtigste Ressource. Daher sind die Eigenschaften von Informationsflüssen und der Aufbau und Transfer von Wissen für die Forschung von großem Interesse. Aber nicht nur für die Softwareentwicklung, sondern auch in den Wirtschaftswissenschaften wird die Bedeutung von Informationen und Wissen genauer untersucht. In der wissensorientierten Unternehmensführung ist Information die Basis für das Wissen, mit dem Unternehmen Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten erzielen können. Für die Herausbildung dieses Wissens sind nicht nur die richtigen Informationen, sondern auch eine effektive Kommunikation notwendig. Die Wissenstreppe von North stellt anschaulich dar, worauf Wissen basiert und wie Wettbewerbsfähigkeit durch die Anwendung von Wissen erzielt wird. Die mit diesem Modell gewonnen Erkenntnisse und einige auf die Softwareentwicklung übertragbare Konzepte des Wissensmanagements werden anschließend mit Hilfe von Informationsflüssen modelliert. Diese Modelle zeigen potentielle Verbesserungen für den projektübergreifenden Wissenstransfer auf, mit dem Ziel einer wissensorientierten Softwareentwicklung. 1 Einführung Wissen ist eine zunehmend wichtige Ressource für Unternehmen um nachhaltig wettbewerbsfähig zu sein. Klaus North nennt in seinem Buch Wissensorientierte Unternehmensführung [4] die Gründe und beschreibt Ansätze für ein erfolgreiches Wissensmanagement. Die Bedeutung von Wissen, das Modell der Wissenstreppe, sowie die Möglichkeiten, Methoden und Hindernisse bei der Umsetzung des Wissensmanagements werden im folgen Kapitel genauer erläutert. Da der Faktor Wissen insbesondere in der Softwareentwicklung von großer Bedeutung ist, werden die gewonnen Erkenntnisse anschließend wieder aufgegriffen. Im dritten Kapitel sind einige Konzepte des Wissensmanagements, die von Relevanz für die Softwareentwicklung sind, als ein umfassendes Modell für projektübergreifende Informationsflüsse dargestellt. Dabei wurden sowohl eine Unternehmensstruktur, als auch einzelne Methoden zur Sicherung und Verteilung von Wissen berücksichtigt.

2 Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung 2 Wissensorientierte Unternehmensführung Unternehmen können mit den richtigen Kenntnissen über Prozesse, Technologien, Lieferanten und Kunden ihren Geschäftserfolg positiv beeinflussen. Das Wissen kann genutzt werden um die Produktion effektiver zu gestaltet, die Qualität von Produkten zu verbessern, den Absatz zu steigern und neue innovative Produkte zu entwickeln. Außerdem kann ein Wettbewerbsvorteil erreicht werden, wenn bereits vorhandenes Wissen eines Unternehmens nur schwer von anderen Unternehmen übernommen werden kann, sei es aufgrund von Patenten, ausgereiften Prozessen, innovativen Technologien oder einfach weil deren Mitarbeiter sich neue Fähigkeiten erst mühsam aneignen müssen. Daher zielt das Wissensmanagement darauf ab, Wissen im Unternehmen rechtzeitig aufzubauen und vorhandenes Wissen zu sichern, zu kombinieren und zu transferieren. Es müssen Rahmenbedingungen und Regeln festgelegt werden, so dass Informationen gezielt in Wissen umgesetzt werden können. Dieses Wissen kann dann in mehreren Schritten, wie sie in der Wissenstreppe dargestellt sind, in Kompetenzen und Wettbewerbsfähigkeit umgesetzt werden. Die Ansätze und Methoden sind dabei keinesfalls nur theoretisch. In großen Unternehmen wurden die Techniken der wissensorientierten Unternehmensführung bereits erfolgreich angewendet, wie viele Beispiele in dem Buch von North [4] zeigen. 2.1 Der Wissensbegriff In Unternehmen ist Wissen in verschiedenen Formen vorhanden. Zum einen können in der Forschung und Entwicklung konkrete neue Technologien und Produkte entwickelt und zum Patent angemeldet werden, zum anderen steckt individuelles und kollektives Wissen in den Fähigkeiten der Mitarbeiter und festgelegten Prozessen. Je schwerer es für konkurrierende Unternehmen ist wichtiges Wissen zu imitieren, umso größer können die eigenen Wettbewerbsvorteile sein. Unternehmenswerte hängen daher oft stark von immateriellem Vermögen ab. Dieses Vermögen ist jedoch schwer quantifizierbar, denn vor allem Wissen hat ganz spezielle Eigenschaften im Vergleich zu anderen Ressourcen. Wissen ist personengebunden und schwierig zu messen. Es entsteht bei der individuellen Verarbeitung von Informationen, die aufgrund von Erfahrungen und im spezifischen Kontext interpretiert werden. Für den Wissenstransfer nutzen Nonaka und Takeuchi [3] die folgende Terminologie: Eine Person nimmt Information durch Austausch mit Erfahrungen und Wissen einer anderen Person (Sozialisation) oder über in beliebiger Form gespeicherte Daten (Internalisierung) auf und verfügt daraufhin über implizites Wissen. Dokumentiert eine Person ihr implizites Wissen (Externalisierung) wird es als explizites Wissen bezeichnet. Gespeicherte Daten können außerdem maschinell verarbeitet und zu neuen Informationen zusammengefügt werden (Kombination). Zu den genannten Definitionen gibt es noch zwei Anmerkungen: Für sich genommen ist explizites, dokumentiertes Wissen nur eine Ansammlung von Informationen, denn es ist nicht unmittelbar an eine Person gebunden. Andererseits lässt sich innerhalb

Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung 3 eines Unternehmens sagen, dass explizites Wissen ein Teil des kollektiven Wissens ist. Der Begriff Wissenstransfer wiederum steht genau genommen für den Austausch von Informationen, also von potentiellem Wissen. Die verschiedenen Arten der Wissenserzeugung und -transformation sind in Abb. 1 dargestellt. Abb. 1. Wissenserzeugung und -transformation nach Nonaka und Takeuchi [3] 2.2 Die Wissenstreppe Die Wissenstreppe von North stellt anschaulich dar, worauf Wissen basiert und wie aufgrund von Wissen die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ausgebaut werden kann. Der erste Teil bezieht sich auf das Daten-, Informationsund Wissensmanagement. Der zweite Teil ist das strategische Wissensmanagement mit dem Ziel Wissen in Geschäftserfolge umzusetzen. Alle Stufen der Wissenstreppe müssen bei der wissensorientierten Unternehmensführung berücksichtigt werden, denn fehlen beispielsweise wichtige Daten oder die Motivation zum Handeln wird dieses den Erfolg eines Unternehmens sehr wahrscheinlich negativ beeinflussen. Auf der ersten Stufe stehen Zeichen, also einzelne Buchstaben oder Ziffern, die zusammen mit einem Code oder einer Syntax zu Daten werden. Daten sind also kodierte Zeichenfolgen, die in Informationsverarbeitungssystemen gespeichert werden können. Aber erst wenn dem Betrachter klar wird, was die Daten bedeuten, kann er damit etwas anfangen. So hat beispielsweise ein einzelnes Wort (z.b. Uhr) oder eine einzelne Zahl (z.b. 4) keine Aussagekraft. Erst durch den Bezug (z.b. 4 Uhr) erhält der Betrachter eine sinnvolle Information. Dann kann durch die Vernetzung von Informationen, durch das Betrachten in einem spezifischen Kontext und durch Interpretation aufgrund von Erfahrungen und Erwartungen Wissen generiert werden. Das strategische Ziel des Wissensmanagements ist nun, angeeignetes Wissen in Geschäftserfolge umzusetzen. Dafür ist zunächst wichtig, dass Mitarbeiter nicht nur in der Lage sind sich Wissen anzueignen, sondern auch lernen, wie man das Wissen anwenden und in Fertigkeiten umwandeln kann. Des Weiteren müssen

4 Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung Abb. 2. Die Wissenstreppe von K. North [4] die Mitarbeiter motiviert werden ihr Können in Handeln umzusetzen. Erst Handlungen von Personen liefern messbare Ergebnisse für ein Unternehmen. Sind diese Handlungen zweckorientiert und umfassend genug, werden Fähigkeiten und somit die Kompetenzen von Personen und Gruppen erkennbar. Diese Kompetenzen innerhalb eines Unternehmens werden dann zusammen als Kernkompetenzen nach außen hin sichtbar und haben einen Wert für potentielle Kunden. Je einzigartiger die Kompetenzen eines Unternehmens sind, umso schwerer sind sie von anderen Unternehmen imitierbar, was schließlich zur besseren Wettbewerbsfähigkeit führt. 2.3 Hindernisse beim Wissensaufbau Bestimmte Organisationsstrukturen können sowohl den Aufbau von neuem Wissen als auch den Wissenstransfer behindern. Ist ein Unternehmen hierarchisch gegliedert und werden beispielsweise Informationen eines Kunden von Vorgesetzten gefiltert und dann an Mitarbeiter weitergegeben, können auch wichtige Informationen leicht verloren gehen. Außerdem kann in Organisationen der Kontakt zwischen einzelnen Abteilungen schlecht sein, so dass wenig oder gar nicht kommuniziert wird und somit kein Wissenstransfer stattfinden kann. Es kann aber auch sein, dass Wissen anderen Personen absichtlich vorenthalten wird, weil die Vergütungs- und Beurteilungssysteme zu individualistisch ausgerichtet sind. In dem Fall stellen Mitarbeiter ihren persönlichen Erfolg vor den Erfolg des Unternehmens. Hinzu kommt noch, dass Wissen schlecht zu messen ist und vom

Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung 5 Management unterschätzt werden kann, wenn es um immaterielle Investitionen in Forschung, Entwicklung, Bildung u. a. geht. 2.4 Wissensmanagement Wissensmanagement ist das Gestalten, Lenken und Entwickeln der Wissensbasis einer Organisation im Hinblick auf die Unternehmensziele. Um die einzelnen Stufen der Wissenstreppe zu realisieren, müssen neben einer umfassenden Informations- und Kommunikationsstruktur, Rahmenbedingungen, Regeln und Prozesse geschaffen werden, die die Mitarbeiter motivieren, Wissen aufzubauen und zu teilen. Dabei soll auch die Zusammenarbeit zwischen den Einheiten des Unternehmens und mit Kunden und Lieferanten gefördert werden. Die im Folgenden beschriebenen Elemente des Wissensmanagement sind ausgewählte Methoden aus dem Buch von North [4]. Die Konzepte werden im nächsten Kapitel wieder verwendet und als projektübergreifende Informationsflüsse für die Anwendung in der Softwareentwicklung modelliert. Eine Unternehmensform, die den Wissensaufbau und -transfer fördern soll, ist die Entrepreneurial Coperation von Ghoshal und Bartlett [2]. Die Akteure werden bezeichnet als die Unternehmensleitung, die Coaches und die Unternehmer an der Front. Die einzelnen Einheiten des Unternehmens werden von den Coaches geleitet, die auch als mittlere Führungskräfte bezeichnet werden können. Außerdem gibt es drei Prozesse, die alle genannten Gruppen einbinden. Der Erste ist der unternehmerische Prozess, in dem die Unternehmer an der Front Wachstumschancen schaffen und verfolgen sollen, während die Coaches unterstützen, evaluieren und bewerten und die Unternehmensleitung anspruchsvolle, strategische Ziele setzt. Die Leitung gibt also nur ein einheitliches Leitbild vor und setzt Prioritäten. Damit die Zusammenarbeit zwischen den Einheiten gefördert wird, sollen diese in verschiedener Weise voneinander abhängig sein. Im Integrationsprozess sind dann die Coaches dafür verantwortlich, dass Wissen zwischen den Einheiten ausgetauscht wird und somit ein kollektiver Wissensaufbau und eine langfristige Kompetenzentwicklung des Unternehmens vorangetrieben werden. Damit jederzeit auch neue Kompetenzen ausgebildet werden können, gibt es schließlich den Erneuerungsprozess, indem Rationalisierung und Revitalisierung im Vordergrund stehen. Der unternehmerische Prozess, die Zusammenarbeit der Einheiten und die Möglichkeit zur stetigen Erneuerung sollen den Erfolg der Entrepreneurial Cooperation ausmachen. Interessant im Hinblick auf die Softwareentwicklung ist besonders der Transfer von Wissen zwischen den Einheiten, sei es Wissen über Kunden, Techniken oder Best Practices. Des Weiteren stellt North sein Wissensmarktkonzept vor, in dessen Kern die Erkenntnis steht, dass Wissen eine knappe Ressource ist, also angeboten und nachgefragt wird. Außerdem ist wichtig, dass nicht einige einzelne Methoden des Wissensmanagements zum Erfolg führen können, sondern nur ein Unternehmenskonzept, das Wissensmanagement in alle Geschäftsprozesse integriert. Dafür müssen zunächst Rahmenbedingungen festgelegt werden, die ein Unternehmensleitbild und Führungsgrundsätze beinhalten sowie neue Anreizsysteme setzen. Mitarbeiter werden nicht mehr nur nach individuellen Leistungen beurteilt

6 Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung und belohnt, sondern insbesondere für Kooperation, für Gruppenerfolge, für den Austausch von Wissen und für Erfolge des Gesamtunternehmens. Außerdem sollten regelmäßig Seminare, Aus- und Weiterbildungen stattfinden, an denen Mitarbeiter auch in Gruppen teilnehmen und somit das Gelernte anschließend gemeinsam umsetzen können. Um den Wissensmarkt anzutreiben ist es zudem wichtig, dass das Management anspruchsvolle Ziele vorgibt und deren Erfüllung misst. So sollen Mitarbeiter motiviert werden, sich mit anderen Mitarbeitern auszutauschen, um schnell zu lernen, Ressourcen optimal zu nutzen und Doppelarbeit zu vermeiden. Außerdem gibt es einige Spielregeln, die den Wissenstransfer effektiver machen sollen: Erstens ist es für den Austausch von Informationen wichtig, dass die am Wissenstransfer beteiligten Personen oder Gruppen auch wirklich gemeinsame Interessen haben. Die Informationen sollten also nach Interessenbereichen gegliedert sein. Zweitens sollten Gruppen mit hohen Kompetenzen herausgestellt werden, damit sie für Nachfragende leicht zu finden sind. Es muss schnell erkennbar sein, welche Unternehmensbereiche über welche Kenntnisse verfügen. Drittens muss es nicht nur möglich sein Wissen nachzufragen, sondern für bestimmte Personen wichtige oder interessante Informationen müssen automatisch zugeteilt werden. Um diese Spielregeln umzusetzen, ist es erforderlich, dass ein Wissensmanager ernannt wird, der den Wissensmarkt in Gang hält und die Einhaltung der Regeln überwacht. Außerdem sind Wissensmittler notwendig, die dafür sorgen, dass Kontakte zustande kommen und Informationen bewertet, aufgearbeitet und verteilt werden. Das Personal des Wissensmanagements ist außerdem zuständig für Prozesse und Strukturen, die den Wissensmarkt gestalten und steuern. Dazu gehören unter Anderem der Austausch von Best Practices, die Bewertung und der Vergleich von Geschäftseinheiten, das Bilden von Kompetenznetzwerken und Problemlösungsgruppen sowie kooperative Programme und Projekte zur Förderung der Zusammenarbeit. Kompetenznetzwerke sollen bei regelmäßigen Treffen Best Practices identifizieren, bewerten und weiterentwickeln und daraufhin Datenbanken und Diskussionsforen aufbauen und inhaltlich pflegen. Für die informationstechnische Infrastruktur schlägt North dabei ein dreistufiges System vor. Zunächst die Gelben Seiten des Wissen, auf denen man Erfahrungen und Best Practices findet. Zudem Kommunikationsmöglichkeiten im Intranet, wie e-mail und Diskussionsforen, und schließlich Datenbanken, die geprüfte, aufgearbeitete und strukturierte Informationen beinhalten. Das Informationsmanagement ist die Basis für Wissensaufbau und Wissenstransfer. 3 Softwareentwicklung Die Softwareentwicklung ist schon in sich ein sehr wissensorientierter Vorgang. Informationen sind die wichtigste Ressource wenn es darum geht Softwareprojekte erfolgreich abzuschließen. Auf der einen Seite sind Informationen über den Kunden und seine Erwartungen und Vorstellungen für die Anforderungsanalyse erforderlich. Auf der anderen Seite ist umfassendes Wissen der Software-

Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung 7 entwickler und Programmierer über ihre Werkzeuge notwendig, um Projekte zum Erfolg zu führen. Entwickler müssen Wissen wie sie Kundenanforderungen effektiv erfüllen können, um eine Software zu erstellen, die den Kunden zufrieden stellt. Dafür ist unter Anderem Wissen über Architekturen, Modelle, Programmiertechniken und verschiedenste Prozesse notwendig. Martin Rösch vertritt in einem interessanten Artikel über wissensorientierte Softwareentwicklung [5] die Auffassung, dass die Softwareentwicklung sich in erster Linie am Wissen orientieren sollte. Dem Faktor Wissen kommt also zweifelsohne eine zentrale Bedeutung zu. In Bezug auf die einzelnen Stufen der Wissenstreppe kann man im Bereich der Softwareentwicklung davon ausgehen, dass die ersten Schritte, also Informations- und Kommunikationstechnologie in ausreichendem Maße vorhanden ist. Verbesserungen sind aber sicherlich beim Aufbau und Austausch von Wissen, der Motivation von Mitarbeitern und der Bildung von Kompetenznetzwerken möglich. Die Erkenntnisse aus der wissensorientierten Unternehmensführung mit dem Ziel des langfristigen Kompetenzaufbaus sind insbesondere für projektübergreifende Verbesserungen in Softwareunternehmen interessant. Vorschläge für Organisationsformen, in denen der effiziente Austausch von Informationen möglich ist, sowie Prozessen und Strukturen, die den Austausch von Wissen fördern, können dabei auch mit Hilfe von Informationsflüssen modelliert werden. 3.1 Projektübergreifende Informationsflüsse Diagramme mit Informationsflüssen stellen den Austausch von Informationen im realen Unternehmen dar, also der Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung. Somit wird auch deutlich an welchen Stellen potentielles Wissen transferiert wird, wo Wissen aufgebaut werden kann (Internalisierung, Sozialisation) oder gesichert wird (Externalisierung). Für die folgenden Modelle wird die am Fachgebiet Software Engineering entwickelte FLOW-Notation [6] verwendet. Die dargestellten Smileys stehen für eine oder mehrere Personen, auch flüssige Informationsspeicher genannt. Die Dokumente kennzeichnen feste Informationsspeicher. Gestrichelte Pfeile stehen für Externalisierung oder Sozialisation, durchgezogene Pfeile für Internalisierung oder Kombination. Graue oder farbige Pfeile markieren dabei den Transfer von Erfahrungen, die in der Regel sehr wertvolle Informationen sind. In Abb. 3 ist eine mögliche Unternehmensstruktur für ein Softwareunternehmen skizziert. Die Struktur basiert auf Teilen der Entrepreneurial Coporation und ist sicherlich erst für Unternehmen ab einer gewissen Größe geeignet. Das Modell zeigt die Unternehmensleitung, und zwei Geschäftseinheiten mit Teamleiter und Software-Entwicklern. Natürlich sind auch mehr als zwei Geschäftseinheiten oder auch Projektgruppen möglich. Entscheidend ist nur, dass die Teamleiter sicherstellen, dass ihre Entwickler auch mit Entwicklern anderer Einheiten zusammenarbeiten. Verschiedene Einheiten mit ähnlichen Aufgaben- und Interessengebieten sollen ihr Wissen über Kunden, Techniken und Best Practices gegenseitig austauschen. So ist eine stetige Kommunikation im Unternehmen und es kann langfristig kollektives Wissen aufgebaut werden. Außerdem ist die

8 Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung Abb. 3. Unternehmensstruktur für ein Softwareunternehmen Struktur dadurch flexibel und offen für Neuerungen, wie beispielsweise neue Programmiertechniken oder neue Aufgabenbereiche durch neue Kunden. Die Unternehmensleitung hat hingegen die Aufgabe die strategischen Ziele anzugeben, Prioritäten zu setzen und somit ein einheitliches Unternehmensleitbild vorzugeben. Außerdem sollte ein Bewertungs- und Entlohnungssystem offen gelegt werden, das den Mitarbeitern Anreize sowohl für eigene als auch für Gruppen- Leistungen, Kooperation und gemeinschaftliche Erfolge bietet. Diese Anreize können finanzieller Art sein, aber auch Belohnungen in Form von neuen Aufgaben, mehr Mitbestimmungsrechten, kostenlosen Weiterbildungen oder Ähnliches. Dabei können auch einzelne Beiträge zum Wissenstransfer, wie das Verfassen von Anleitungen, Best Practices und Erfahrungsberichten, berücksichtigt werden. Zusätzlich sind die Spielregeln für den Wissensmarkt möglichst unter Einbeziehung der Prinzipien von North festzulegen. Der Wissensmarkt ist ein zentraler Teil der Unternehmensstruktur. Das Wissen von Mitarbeitern und Kunden wird hier externalisiert und gesammelt, von den Informationsmanagern aufbereitet und steht jederzeit allen Personen im Unternehmen zur Verfügung. Der Wissensmarkt wird in Abb. 4 noch einmal im Detail mit exemplarisch ausgewählten Elementen dargestellt. Der Kern ist hier eine Experience Base, wie in [1] beschrieben, die mit Erfahrungen, Best Practices und anderen Informationen gefüllt wird. Bei Treffen von Mitarbeitern, die Wissen anbieten können, werden vorhandene Informationen aus der Experience Base betrachtet, bearbeitet und ergänzt. Die Treffen können auf den Austausch von Erfahrungen basieren, aber auch Kompetenznetzwerke oder Problemlösungsgruppen sein, die wertvolles Wissen auf einem bestimmten Gebiet aufweisen können. In jedem

Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung 9 Fall sollten die Teilnehmer gemeinsame Interessen verfolgen, damit eine effektive Zusammenarbeit möglich ist. Zum Zeitpunkt eines Treffens sind die Teilnehmer Anbieter von Wissen, die Mitarbeiter, die dieses Wissen später abfragen und nutzen, sind die Nachfrager. Die Wissensmittler im Zentrum dieses Marktes sind die Informationsmanager. Sie haben eine Vielzahl an Aufgaben. Zum einen müssen die gespeicherten Informationen gepflegt werden, d. h. die Inhalte müssen geprüft, gefiltert und sortiert werden. Wertlose Informationen werden gelöscht und wichtige Informationen weitergeleitet. Diese wichtigen Informationen können von der Unternehmensleitung oder von Kunden kommen, aber auch von Informationsmanagern zusammengestellt sein. Zusammengestellte Informationen sind beispielsweise Ergebnisse aus der Kombination von gespeicherten Daten, wie Benchmarks, Statistiken und Vergleiche der Ergebnisse von Geschäftseinheiten. Außerdem sollen Informationsmanager die Systeme ständig weiterentwickeln, indem sie implizites und explizites Feedback der Mitarbeiter auswerten und gefragte und wichtige Dokumente herausstellen. Schließlich müssen die Daten auch gesichert und vor unberechtigtem Zugriff geschützt werden. Abb. 4. Wissensmarkt für Softwareentwicklung Beide Modelle zeigen wie die Erkenntnisse der wissensorientierten Unternehmensführung in die Struktur eines Softwareentwicklungsunternehmens umgesetzt werden können. Geschäftseinheiten können effektiv miteinander kommunizieren, die Unternehmensleitung setzt Anreize zum Wissensaufbau und Wissenstransfer und ein aktiver Wissensmarkt sorgt für den Austausch und die langfristige Sicherung von Informationen und Erfahrungen.

10 Wissensorientierte Unternehmensführung in der Softwareentwicklung 4 Zusammenfassung In der Softwareentwicklung werden bereits verschiedene Methoden angewendet, um Wissen im Unternehmen projektübergreifend aufzubauen und zu nutzen. Insbesondere der Austausch von Erfahrungen wird dabei bereits berücksichtigt, um Projekte mit ähnlichen Anforderungen effizienter durchzuführen und doppelte Arbeit sowie sich wiederholende Fehler zu vermeiden. Bekannte Methoden sind die leichtgewichtige Erfahrungsdokumentation (LID) [7] und Datenbanken in Form der Experience Base [1]. Unternehmensweite Konzepte, die den Wissensaufbau und Informationsaustausch aktiv fördern sind jedoch weniger bekannt und verbreitet. Die dargestellten Modelle basieren auf der wissensorientierten Unternehmensführung von North [4] und zeigen wie so ein Konzept aussehen könnte. Will man allerdings wissensorientierte Softwareentwicklung betreiben, so wie Rösch [5] sie vorgeschlagen hat, sind noch ganz andere, moderne Software-Entwicklungsmethoden notwendig, die sich auf einzelne Softwareprojekte und die konkreten Techniken zur Entwicklung von Software beziehen. Bei der Fokussierung auf das Wissen im Softwareentwicklungsprozess liegt sicherlich noch eine Menge Potential für die Forschung und die Umsetzung in die Praxis. References 1. Buchloh, T.: Erstellung eines Baukastens für Experience Bases. Master s Thesis, FG Software Engineering, Hannover (2005) 2. Ghoshal, S., Bartlett, C. A.: Building the Entrepreneurial Corporation. European Management Journal 13, no. 2, 139-155 (1995). 3. Nonaka, I., Takeuchi, H.: The Knowledge-Creating Company: How Japanese Companies Create the Dynamics of Innovation. Oxford University Press, New York - Oxford (1995) 4. North, K.: Wissensorientierte Unternehmensführung: Wertschöpfung durch Wissen, 2. Auflage. Gabler, Wiesbaden (1999) 5. Rösch, M.: Fehlerfreie Software durch wissensorientierte Softwareentwicklung. OB- JEKTspektrum 1/2001, 54 57 (2001) 6. Schneider, K., Stapel, K., Knauss, E.: Beyond Documents: Visualizing Informal Communication. Third International Workshop on Requirements Engineering Visualization (REV 08), Barcelona (2008) 7. Schneider, K.: LIDs: A Light-Weight Approach to Experience Elicitation and Reuse. PROFES 2000, Oulu/Finland (2000)