1 Theorie: Kriechen und Relaxation. 1.1 Kriechen. Werkstoffe und Fertigung II, FS 2016 Prof. Dr. K. Wegener. Seminarübung 10 Kriechen, Wärmebehandlung

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Transkript:

1 Theorie: Kriechen und Relaxation Neben der Kenntnis der Spannungs-Dehnungsbeziehungen bei niedrigen Temperaturen sind besonders die Vorgänge, die bei erhöhter Temperatur ablaufen, interessant. Metalle erfahren eine Verfestigungswirkung durch plastische Verformung. Wird die Temperatur erhöht, setzen Erholungs- und Rekristallisationsvorgänge ein, welche der Verfestigung laufend entgegenwirken. 1.1 Kriechen Ab bestimmten Temperaturen werden die durch Verformung entstehenden Versetzungen von Erholungsvorgängen laufend kompensiert. Die bleibende Verformung wächst bei Belastung unbegrenzt. Dieser Vorgang wird Kriechen genannt. Neben einer permanenten Formänderung führt Kriechen zwangsläufig nach Erreichen einer bestimmten Dehnung zum Bruch. Deswegen ist ein dauerhafter Gebrauch von Werkstoffen zur Aufnahme mechanischer Beanspruchung bei höheren Temperaturen grundsätzlich nicht möglich. Kriechen setzt bei Metallen ab Temperaturen von ca. 0.3 bis 0.4 T S ein. Die totale Verformung beträgt: ε ges = ε el + ε pl + ε cr mit ε cr = ε cr t Die zeitliche Ableitung ε cr der Kriechverformung wird Kriechgeschwindigkeit oder Kriechrate genannt. Wird die Probenverlängerung bei konstanter Spannung gegenüber der Zeit aufgetragen, resultiert eine Kriechkurve (dargestellt in Abb. 1.1). Diese Kurve kann in drei Teile unterteilt werden, von denen besonders der stationäre Teil für den Ingenieur interessant ist. Die Kriechverformung Abbildung 1.1: Kriechkurve mit den drei charakteristischen Bereichen Abbildung 1.2: Umwandlung von elastischer Dehnung in Kriechdehnung 1

verhält sich proportional zur Zeit und die Kriechrate nimmt gleichzeitig ihren kleinsten Wert an. Dieser Abschnitt überdeckt deshalb den grössten Teil der Lebensdauer des Bauteils. Die Erholungs- und Rekristallisationsvorgänge kompensieren in diesem Bereich die Verfestigung durch Versetzungen vollständig. Die Temperaturabhängigkeit der stationären Kriechrate lässt sich mit der Arrheniusfunktion beschreiben: ( ) Q ε S = A σ n exp = B σ n RT mit B = A exp ( ) Q RT Die Eigenschaften des Kriechens werden bei der Warmumformung gezielt genutzt. Die Temperaturen werden so hoch gewählt, dass die Verfestigung während der Umformung bereits durch Erholung abgebaut wird. Dies ist der wesentliche Unterschied zur Kaltumformung. Die Grundvorgänge sind das Versetzungskriechen, das Diffusionskriechen und das diffusionsunterstützte Korngrenzengleiten. 1.2 Spannungsrelaxation Im Gegensatz zum Kriechversuch (konstante Last) wird beim Relaxationsversuch die Dehnung konstant gehalten. Dieser Prozess bewirkt, dass Bauteile, die zu Beginn ihres Einsatzes bis zu einer bestimmten elastischen Dehnung vorgespannt worden sind, ihre Vorspannung mit der Zeit verlieren. Die Spannung sinkt (relaxiert), da die elastische Dehnung mit der Zeit in plastische Dehnung umgewandelt wird (Abb. 1.2). Aus diesem Grund müssen beispielsweise Schrauben, die Turbinengehäuse zusammenhalten, regelmässig nachgezogen werden. Die verbleibende Spannung σ nach einer Zeit t kann, bei bekannter Anfangsspannung σ i, wie folgt abgeschätzt werden: 1 σ n 1 1 σ n 1 i A, n und Q sind werkstoffabhängige Konstanten. = (n 1) B E t mit B = A exp ( ) Q RT Die Relaxationszeit ist die Zeit, in der die Anfangsspannung auf ihren halben Wert fällt: t R = 2 n 1 1 (n 1) B E σ n 1 i Die Spannungsrelaxation ist der massgebliche Vorgang beim Spannungsarmglühen. Bauteile, die aus vorgängigen Bearbeitungsschritten (Kaltumformen) innere Spannungen enthalten, werden so lange auf erhöhten Temperaturen belassen, bis die elastischen Verformungen und damit die Eigenspannungen durch Kriechen abgebaut sind. 2

1.3 Schadensakkumulation Während Kriechversuche bei konstanten Bedingungen stattfinden, sind die Bedingungen für ein Bauteil im Betrieb selten konstant. Um dies zu berücksichtigen, wird die Lebensdauer eines Bauteils in Phasen unterschiedlicher Belastungshorizonte eingeteilt, das sogenannte Belastungskollektiv. Es wird angenommen, dass die Reihenfolge der Belastungen keine Rolle spielt. Jedem Belastungshorizont kann eine Kriechbruchdehnung ε cb,i zugeordnet werden. Dies ist die Bruchdehnung, welche das Bauteil aushalten würde, wenn es sein ganzes Leben unter den Bedingungen des i-ten Belastungshorizontes verbracht hätte. Der Schädigungsparameter D cr lässt sich berechnen: Die Lebensdauer ist bei D = 1 erreicht. 1.4 Kriechfeste Stoffe D i = ε n cr,i ε D cr = cr,i ε cb,i ε i=1 cb,i Hoher Schmelzpunkt Phasengemisch mit feinverteilter Phase (Ausscheidungen), temperaturbeständiges Gefüge, Hindernisse mit hoher Temperaturbeständigkeit und Festigkeit (Behinderung der Versetzungsbewegung) Kleine Stapelfehlerenergie (wenig Energie benötigt, um Fehler zu produzieren; dies führt zu mehr Stapelfehler, welche Versetzungsbewegung behindern) Grobkorn (wenige Korngrenzen reduzieren Korngrenzengleiten) Werkstoffe, die auf gute Standzeiten im Kriechversuch optimiert sind, werden als warmfest bezeichnet. Verzunderung ist die durch Sauerstoff verursachte Korrosion von Metallen. Ein Stahl ist hitzebeständig, falls er nicht oder wenig verzundert. Die Kombination aus hitzebeständig und warmfest wird hochwarmfest genannt. 3

2 Theorie: Wärmebehandlung Der Wärmebehandlung von Eisenwerkstoffen kommt eine sehr grosse technische und wirtschaftliche Bedeutung zu, da sich bestimmte gewünschte Gebrauchseigenschaften durch zielgerichtete Beeinflussung bzw. Änderung des Gefüges erzielen lassen. Unter Wärmebehandlung werden Vorgänge zusammengefasst, bei denen ein Werkstück im festen Zustand einer oder mehreren Zeit-Temperatur-Folgen unterworfen wird. Es werden grundsätzlich zwei verschiedene Arten von Wärmebehandlungen unterschieden: Wärmebehandlung im Gleichgewicht: Zeitabhängige Effekte der Phasenumwandlung werden nicht ausgenutzt. Umwandlungen erfolgen bei geringer Unterkühlung, und somit bei langsamen Abkühlgeschwindigkeiten (schon teilweise aus dem Fe 3 C-Diagramm bekannt). Wärmebehandlung im Ungleichgewicht: Zeitabhängige Effekte werden ausgenutzt und die Abkühlgeschwindigkeit ist dementsprechend hoch. 2.1 Wärmebehandlung im Gleichgewicht (Glühen) Glühen bezeichnet das Erwärmen und Halten bei einer bestimmten Temperatur mit anschliessendem, meist langsamen Abkühlen. Nachfolgend sind die Glühtemperaturen verschiedener Glühverfahren dargestellt (Abb. 2.1). Abbildung 2.1: Glühtemperaturen verschiedener Glühverfahren 4

Rekristallisationsglühen: (500 650 C, ohne Phasenumwandlung) Wirkung: Zweck: Gefügeneubildung ohne Phasenumwandlung (Rekristallisation) Aufhebung der Kaltverfestigung (ermöglicht erneute Kaltverformung) Spannungsarmglühen: (550 650 C, ohne Phasenumwandlung) Wirkung: Zweck: Tipp: Temporäre Herabsetzung der Fliessgrenze (durch Erhöhung der Temperatur) ermöglicht Kriechbewegung, durch die Eigenspannungen abgebaut werden, Verzug des Bauteils Abbau von Eigenspannungen ohne Änderung der vorhandenen Eigenschaften Berechnung über Spannungsrelaxation Weichglühen: (dicht um A c1 pendeln, ohne/mit Phasenumwandlung) Wirkung: Zweck: Umwandlung des Korngrenzen- und Lamellarzementits in kugelförmigen Zementit Weicher Zustand, bessere Zerspanbarkeit, Feinschneidbarkeit, eignet sich für spätere Härtung Normalglühen: (wenig oberhalb A c3 bzw. A c1, mit Phasenumwandlung) Wirkung: Zweck: Phasenumwandlung mit anschliessender Gefügeneubildung Bildung von Feinkorn, Abbau von Eigenspannungen, bessere Zerspanbarkeit, Beseitigung von Widmannstättenschem Gefüge (spröde) Diffusionsglühen: (1000 1200 C, mit Phasenumwandlung) Wirkung: Zweck: Phasenumwandlung, Diffusionssteigerung, Gefügeneubildung Beseitigung von Seigerungen, Auflösung von Schalenzementit 2.2 Wärmebehandlung im Ungleichgewicht (Härten, Anlassen, Vergüten) Die Abkühlgeschwindigkeit legt die Höhe der Austenitunterkühlung und diese wiederum die Umwandlungstemperatur fest. Diese Temperatur bestimmt, ob die Umwandlung über Diffusionsmechanismen geschieht oder nicht. Zu den diffusionsgesteuerten Umwandlungen gehören diejenigen in der Perlitstufe, zu den diffusionslosen diejenigen der Martensitstufe. (Bainit ist die Bezeichnung für eine Zwischenstufe.) Ziel ist es, eine Steigerung der Festigkeit und der Härte des Werkstoffs zu erreichen. Als Folge des wachsenden Korngrenzenanteils wird bei beiden Vorgängen eine Härtesteigerung erreicht. 5

2.2.1 Martensit Als Martensitumwandlung wird jede diffusionsfreie Phasenumwandlung bezeichnet. Hohe Abkühlgeschwindigkeiten unterkühlen den Austenit auf so tiefe Temperaturen, dass Diffusion nicht mehr möglich ist. Die Umwandlung geschieht anschliessend spontan durch eine Modifikation des Kristallgitters. Die Streckgrenzenänderung bei einem martensitisch umgewandelten Gefüge setzt sich aus der Mischkristallhärtung (gelöster Kohlenstoff), der Versetzungshärtung und dem Korngrenzenanteil (extreme Kornfeinung) zusammen: σ SMartensit = σ 0 + σ M + σ V + σ KG Die Martensitstarttemperatur kann durch elastische Spannungen und plastische Dehnungen erhöht werden. Das heisst, es wird weniger Unterkühlung benötigt, bis sich Martensit zu bilden beginnt. Untere kritische Abkühlungsgeschwindigkeit: Minimale Abkühlungsgeschwindigkeit, bei der etwas Martensit (1 %) entsteht. Obere kritische Abkühlungsgeschwindigkeit: Abkühlungsgeschwindigkeit, bei der erstmals einheitliches martensitisches Gefüge (100 %) auftritt. 2.2.2 Härten Durch Bildung von Martensit werden die Festigkeit und die Härte des Stahls gesteigert. Der Werkstoff muss in das Austenitgebiet erwärmt und dort gehalten werden, bis die gesamte Austenitisierung abgeschlossen ist. Danach muss die Abkühlung so schnell erfolgen, dass die Martensitstarttemperatur erreicht wird, bevor diffusionsbedingt Ferrit, Perlit oder Bainit entstehen. Da mit zunehmender Werkstückdicke die Abkühlgeschwindigkeit im Inneren sinkt, ist die Durchhärtbarkeit eines Bauteils beschränkt. 2.2.3 Anlassen Anlassen bezeichnet das Erwärmen eines gehärteten Stahles auf Temperaturen unterhalb der eutektoiden Umwandlung. Einem Härtevorgang wird in der Regel ein Anlassvorgang nachgeschaltet. Durch diesen Vorgang sinkt die erreichte Härte wieder ein wenig, dafür steigt die Zähigkeit an. 6

2.2.4 Vergüten Vergüten ist eine Wärmebehandlung des Stahls zur Erzielung eines Optimums aus hoher Zähigkeit bei hoher Zugfestigkeit. Hier muss ein Kompromiss gemacht werden. Ein Beispiel ist das Anlassvergüten, bei dem erst gehärtet und anschliessend angelassen wird. 7

3 Wahr oder Falsch? a) Eine Spannung, die direkt zum Versagen führt, überschreitet eine statische Festigkeit. b) Ein harmonisches Lastspiel wird durch zwei der vier Grössen Oberspannung, Unterspannung, Mittelspannung oder Ausschlagsspannung charakterisiert. c) Die Wechselfestigkeit bezeichnet diejenige Festigkeit mit gleich grosser Zug- und Druckamplitude, die dauerhaft ertragen werden kann. d) Ein Dauerfestigkeitsschaubild könnte aus unendlich vielen Wöhler-Diagrammen, bei unterschiedlichen Lastspielen im Dauerfestigkeitsbereich, konstruiert werden. e) Die Schadenslinie nach French darf nicht überschritten werden, wenn das Bauteil keine eingeschränkte Dauerfestigkeit aufweisen soll. f) Ein Dauerfestigkeitsschaubild, welches nicht zentrisch symmetrisch aufgebaut ist, beschreibt Materialien, die auf Zug und Druck unterschiedlich reagieren. g) Bei der Berechnung der Gestaltwechselfestigkeit berücksichtigt der Grössenfaktor b 0, dass grössere Bauteile aufgrund der höheren Wahrscheinlichkeit für Schwachstellen (Inhomogenitäten, Poren, Mikrorisse, bewegliche Versetzungen) wechselnde Spannungen schlechter ertragen als kleinere Bauteile. h) Hochtrainieren bezeichnet den Vorgang bei dem die Belastung auf ein Bauteil stufenweise erhöht wird. Es resultiert eine erhöhte Ausschlagsspannung im Kurzzeitfestigkeitsbereich. i) Duktile und porenfreie Werkstoffe mit fehlerfreien Oberflächenschichten, welche unter Zugspannungen stehen, sind geeignet, um wechselnde Beanspruchungen zu ertragen. 8

4 Aufgaben für die Übungstunde 4.1 Spannungsrelaxation Zwei Stahlschrauben A und B (n = 5), die das Gehäuse einer thermischen Kraftwerksturbine zusammenhalten, wurden vor Inbetriebnahme der Turbine unterschiedlich stark vorgespannt. Fällt die Vorspannung der Schrauben durch Relaxation auf einen Wert, der nur noch x-mal den Anfangswert beträgt (x = 0.6), müssen die Schrauben erneut vorgespannt werden. Für Schraube A ist dies bereits nach t A = 2 Jahren der Fall, für Schraube B erst nach t B = 4 Jahren. a) Welche Schraube wurde mehr vorgespannt? b) Um wie viel mehr? 4.2 Kriechen Turbinenschaufeln in einem Düsentriebwerk dürfen sich während des Betriebs um höchstens 1% durch Kriechen verlängern. In einem bestimmten Triebwerkstyp ist dies bei einer Betriebstemperatur von 1150 C nach 3 200 Betriebsstunden der Fall. Bei 1050 C können 8 500 Betriebsstunden erreicht werden. In einem anderen Triebwerk werden die gleichen Schaufeln verwendet. Die Betriebstemperatur beträgt 1120 C und es dürfen maximal 0.9% Kriechdehnung erreicht werden. Wieviele Betriebsstunden sind damit möglich? 4.3 Martensitbildung Gegeben ist der Verlauf der Martensit-Start-Temperatur und der Martensit-Finish-Temperatur in Stählen in Abhängigkeit des Kohlenstoffgehalts (siehe Abb. 4.1). Die beiden Stähle A (0.35 % C) und B (0.77 % C) werden aus dem Austenitgebiet schnell auf Raumtemperatur abgeschreckt (keine Bainit-, Perlit- oder Ferritbildung). a) Erwarten Sie bei den Stählen A und B, dass Restaustenit im Gefüge auftritt? b) Falls beim beschreibenen Vorgehen in einem Stahl Restaustenit auftritt, wie kann man diesen eliminieren? Abbildung 4.1: Verlauf von M f und M s 9

5 Hausaufgaben 5.1 Schadensakkumulation Eine Turbinenschaufel unterliegt bei der Temperatur T 1 = 650 C einer Spannung von σ 1 = 45 MPa. σ (MPa) T( C) a) Wie gross ist die Kriechrate? b) Wie gross ist seine Kriechdehnung ε 1 nach einer Betriebszeit von t 1 = 500 h? c) Wie lange können Sie die Turbine nach der Betriebszeit t 1 noch betreiben, bevor die Schaufeln ersetzt werden müssen? (ε zul = 0.01) 49 48 47 46 45 623 622 621 620 619 d) Dank neuen Berechnungsmodellen konnten Sie die Belastung besser berechnen. Die Schaufeln werden jeweils mit einem 2 s dauernden Zyklus periodisch belastet. Die Belastung über einen Zyklus finden Sie in Abb. 5.1. Wie viel früher müssen Sie die Schaufeln ersetzen als mit konstanter Belastung? 44 618 43 0.5 1 1.5 2 2.5 Abbildung 5.1: Belastungszyklus t(s) A = 3.6 10 5 [(mm 2 /N) 5 /s] n = 5 Q = 220 kj/mol R = 8.314 J/(mol K) 5.2 Weichglühen a) Welchen Zweck hat das Weichglühen? b) Auf welche Temperatur wird erwärmt? c) Skizzieren Sie schematisch den Temperatur-Zeit Verlauf für das Weichglühen bei unter- bzw. übereutektoiden Stählen. 10

5.3 Spannungsarmglühen Ein Bauteil aus Stahl ist mit Eigenspannungen in der Grössenordnung von 400 N/mm 2 behaftet,welche durch Spannungsarmglühen (t 1 = 1 h) auf ein Viertel reduziert werden sollen. Wie lange dauert der Vorgang wenn die Glühtemperatur von T 1 = 640 C auf T 2 = 580 C gesenkt wird? Sie können annehmen, dass die Fliessgrenze bei T 1 höher liegt als 400 N/mm 2, die Spannungen werden durch Relaxation (Kriechen) abgebaut.(q = 82 kj/mol, R = 8.314 J/(mol K)). 5.4 Anlassvergüten a) Was ist das Ziel der Wärmebehandlung Anlassvergüten? b) Wie wird sie durchgeführt, was bewirken die einzelnen Prozessschritte? c) Erklären Sie die Wirkung von Legierungselementen. 5.5 Wärmebehandlung Die Gefügestruktur zeigt sich wie in Abb. 5.2 a) Bei welcher Wärmebehandlung ist vermutlich diese Korngrössenverteilung entstanden? b) Können Sie Rückschlüsse auf den vor der Wärmebehandlung durchgeführten Prozessschritt ziehen? Begründen Sie Ihre Aussage. c) Tragen Sie über dem Gefüge den geschätzten Festigkeitsverlauf (Streckgrenze) auf. d) Durch welches Wärmebehandlungsverfahren kann man ein feinkörniges Gefüge erhalten? Abbildung 5.2: Gefügestruktur e) Ist dann die Korngrösse einheitlich? f) Beschreiben Sie das Verfahren und die zugehörigen Vorteile. 11