Freie und Hansestadt Hamburg Erster Bürgermeister Senatsempfang zum 175. Jubiläum des Vereins für Hamburgische Geschichte 9. April 2014 Sehr geehrter Herr Prof. Nicolaysen, sehr geehrter Herr Professor Berghahn, sehr geehrter Herr Erster Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft, sehr geehrte Vertreter des Konsularischen Korps, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Beginn der vergangenen Woche ist in der Diele des Hamburger Rathauses, wie so oft, eine sehenswerte Ausstellung durch die nächste, genauso sehenswerte abgelöst worden. In diesem Fall: sehr aktuelle Fotos vom Maidan in Kiew, und anderen Orten der Ukraine, die vielleicht früher oder später historische Fotos sein werden, durch eine Ausstellung des Vereins für Hamburgische Geschichte zu seiner eigenen Geschichte. Die Reihenfolge der Ausstellungen war ursprünglich nicht geplant, aber sie regt zum Innehalten und Nachdenken an. Erstens darüber, welche Macht die Bilder in unserer Wahrnehmung haben. Und heute werden sie immer schneller durch neue Bilder abgelöst, bei angeblich kürzerer Aufmerksamkeitsspanne heutiger Mediennutzer. Zu der gibt es aber unterschiedliche Theorien und heute reden wir über eine Spanne von 175 Jahren. es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Sie aus Anlass des 175. Jubiläums des Vereins für Hamburgische Geschichte im Namen des Senats willkommen zu heißen. Von Hamburger Bürgern genau heute vor 175 Jahren gegründet, ist er heute einer der größten Geschichtsvereine von und für Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Er ist eine hanseatische Institution und wir verdanken ihm viele Kenntnisse und Einsichten.
- 2 - Nicht zuletzt die, dass Geschichtsschreibung keine exakte Wissenschaft ist, auch gar nicht sein kann. Auch das zeigt ja die Ausstellung unten in der Diele: Wie heftig der Streit um die Deutungshoheit über die Geschichte Hamburgs schon war, als man dieses Wort noch gar nicht benutzte, und welch bittere Folgen das in den Jahren nach 1933 auch für den Verein selbst, und nicht wenige seiner Mitglieder hatte. Aber trotzdem ist die Beschäftigung mit der Geschichte dieser großartigen Stadtrepublik das ist Hamburg ja in langen Perioden gewesen, und das ist Hamburg längst wieder ist die Beschäftigung mit ihrer Geschichte so unerlässlich wie ergiebig. Und, um das etwas abgenutzte Wort noch einmal zu benutzen: so spannend! Das muss den vielen heutigen aktiven Mitgliedern des Vereins für Hamburgische Geschichte niemand erzählen. Aber was nicht jeder weiß, zumindest in der breiten Öffentlichkeit nicht, wird uns nachher Prof. Dr. Berghahn näher bringen: Wie enorm frühzeitig man sich anderswo, aus der Ferne, mit der Geschichte Hamburgs befasst hat und wie facettenreich die zahlreichen Werke europäischer und US-amerikanischer Autorinnen und Autoren über Hamburg sind. 175 Jahre Hamburgische Geschichte, das sind 175 Jahre europäischer Geschichte, und das ist eine Geschichte von trügerischen Kontinuitäten und dramatischen Brüchen gewesen. Der Verein für Hamburgische Geschichte ist - wie viele Einrichtungen in unserer Stadt ein Produkt bürgerschaftlichen Engagements. Damit steht er in bester hanseatischer Tradition. Was in vielen Flächenländern Aufgabe von staatlich eingesetzten historischen Kommissionen ist, wird hier privat und ehrenamtlich geleistet. Diese Staatsferne hat es dem Verein in jüngerer Zeit auch ermöglicht, sich in aktuelle Debatten in der Stadt einzumischen, zum Beispiel als es um den Erhalt des Altonaer Museums ging, oder um die letztlich verhinderte Umbenennung der Dammtorstraße in Opernboulevard am Dammtor. Lange Zeit war der Verein, gegründet mit Unterstützung der Patriotischen
- 3 - Gesellschaft, für die stadt- und regionalgeschichtliche Forschung in Hamburg nahezu allein zuständig. Die Universität Hamburg wurde bekanntlich erst 1919 gegründet. Der Verein für Hamburgische Geschichte hat zahlreiche wichtige Publikationen initiiert und selbst herausgebracht, so schon im 19. Jahrhundert ein achtbändiges Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart der damaligen, es war 1883. Ein Meilenstein der Hamburg-Forschung war knapp hundert Jahre später auch Franklin Kopitzschs Standardwerk: Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona. Joist Grolles Werk Hamburg und seine Historiker folgte 1997 mit den drei Beispielen will ich es bewenden lassen. Die Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte erscheint seit 1841. Das Museum für Hamburgische Geschichte ist aus ihm hervorgegangen, heute eines der größten stadtgeschichtlichen Museen Deutschlands. Aber das, meine Damen und Herren, wissen viele von Ihnen, die selbst im Verein mitarbeiten, viel detaillierter. Dass er sich während der NS-Zeit im Rahmen der Gleichschaltung sagen wir es so: nicht länger bitten ließ als so viele andere Institutionen und ganze Wissenschaftszweige auch, sondern dass er selbst im Sinne des Regimes tätig wurde, das hat der Verein für hamburgische Geschichte nach Gründung der Bundesrepublik spät, aber dann entschlossen selbst zum Thema gemacht und offensiv publiziert; dafür gebührt ihm Respekt. Auch jetzt setzen Vereinsmitglieder die Recherchen, zum Beispiel zum Schicksal der eigenen, in den 1930er Jahren ausgeschlossenen Mitglieder fort. Die Ausstellung unten in der Diele sagt mehr dazu. Aber aus meinen Eingangsworten schulde ich Ihnen noch das Zweitens ; es ging um das Nachdenken über die beiden Ausstellungen. Während sich die Bilder immer schneller ablösen, schwinden die Entfernungen zwischen den Orten. Sie tun das nicht nur virtuell, indem wir über die Medien mit ihren heutigen technischen Möglichkeiten oft schon in Echtzeit mit den Brennpunkten in aller Welt verbunden sind, lange bevor wir wissen, ob das, was sich dort tut, historisch ist oder einmal sein wird. Die Entfernungen werden auch real kürzer, inzwischen sogar innerhalb Europas. In die Dominikanische Republik flogen Hamburger Urlauber schon, als eine Reise nach
- 4 - Prag noch weit und mühsam schien, und es auch war, bevor der Eiserne Vorhang verschwand. Nicht von selbst verschwand, sondern als Resultat intensiver Verhandlungen, unverdrossenen miteinander Redens, welches begann, als Volkes Wille nach Teilhabe an dem, was Europa zu bieten hat, nirgends mehr überhört werden konnte. heute ist uns Prag als nur ein Beispiel nahe, und viele nutzen es, auch Hamburger Bürgerinnen und Bürger, auch Hamburger Unternehmen, auch der Hamburger Hafen. Für den wir ja längst andere Bezeichnungen haben als das nostalgische Tor zur Welt, der aber immer noch eine herausragend wichtige Schnittstelle ist, für Hamburg und für Prag, und andere flussauf- und abwärts. Eine Drehscheibe, um die herum sich die dynamischen und die statischen, die schönen und die wertschöpfenden, die Strom verbrauchenden und die Strom erzeugenden Bestandteile und Artefakte Hamburgs herumgruppieren, dieser Stadt am Strom, die Platz für Alsterschwäne und High Tech hat. Anders als in früheren Phasen der vergangenen 175 Jahre, aber gerade jetzt nach Kräften und mit Erfolg bemüht, den Anforderungen einer Ankunftsstadt für eins komma acht, komma neun und mehr Hamburgerinnen und Hamburger vieler unterschiedlicher Zuwanderungsgeschichten gerecht zu werden. Für ihr weiteres Wachsen Vorsorge zu treffen, darum geht es, und und dem traditionellen hanseatischen Bürgerstolz Betätigungsfelder offen zu halten, und neue zu eröffnen. Anders als früher in der Hamburgischen Geschichte, die schon länger als 175 Jahre den Welthandel kennt, und die Industrie oder zumindest deren Anfänge, aber erst seit gut hundert Jahren eine Müllabfuhr und erst seit gut 65 Jahren wieder eine demokratisch gewählte Stadtregierung. Hamburg hat sich seine Eigenständigkeit, die gedankliche und die reale, immer zu bewahren versucht, so gut es möglich war. Ich sagte eben, Hamburgs Geschichte sei eine Geschichte von trügerischen Kontinuitäten und dramatischen Brüchen gewesen. Wenn sich etwas aus der
- 5 - Geschichte lernen lässt, und wenn die Forschung dazu beitragen kann, dann vielleicht dies: dass wir einen klareren Blick auf die Kontinuitäten, die Brüche und die Möglichkeiten gewinnen, eingebettet in ein demokratisch verfasstes Europa vernünftig zu handeln. Sie alle haben, als Sie hier im Rathaus eintrafen, den Baulärm gleich nebenan gehört. Ich höre ihn heute symbolisch: dafür, dass Hamburg baut, um wachsen zu können; und für den öffentlichen, oft nützlichen Lärm, vor dem sich die Geschichtsforschung in keinen Elfenbeinturm zurückziehen kann. Ich hoffe, dass der Verein für Hamburgische Geschichte auch in Zukunft aufmerksam hinhört und Laut gibt. Vielen Dank!