Vorsicht Hochspannung!



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Transkript:

SERIE Vorsicht Hochspannung! Risikomanagement in Energiemärkten (Teil I) Stromhandel in Deutschland und Besonderheiten des Energiemarktes Die folgende Serie vermittelt unter Berücksichtigung des Risikomanagement- Aspekts einen Überblick über den Stromhandel und die Modellierung von Preisen in Energiemärkten. Autor Stefan Trück ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Statistik, Ökonometrie und mathematische Finanzwirtschaft der Universität Karlsruhe und Lehrbeauftragter an der BA Karlsruhe. Er beschäftigt u. a. sich mit der Modellierung von Kreditrisiken, Operational Risk und Risikomanagement in Energiemärkten. Der erste Teil gibt zunächst eine kurze Einführung über den Stromhandel in Deutschland. Hierbei stehen vor allem die Entwicklung des Strommarktes in der letzten Dekade sowie die entstandene Strombörse EEX in Leipzig bzw. die dort gehandelten Produkte im Vordergrund. Darüber hinaus werden die Zusammenhänge und Einflussfaktoren beim Preisbildungsprozess für Strom dargestellt, sowie Besonderheiten der Strompreise wie etwa Saisonalitäten, hohe Volatilitäten etc. verdeutlicht. Im zweiten Teil der Serie (erscheint in der RISKNEWS 04/2004) werden dann Möglichkeiten der Modellierung von Strompreisen vorgestellt. Hier geht es vor allem um die Berücksichtigung von Saisonalitäten, der Mean-Reversion-Eigenschaft und die Modellierung von Preissprüngen. Ein dritter Teil (erscheint in der RISKNEWS 05/2004) erläutert schließlich verfeinerte Methoden der Modellierung sowie Ansätze des Risikomanagements in Energiemärkten. Handelsgegenstände sind in der Regel lagerbar und werden nicht verbraucht. Sieht man von der normalerweise recht unökonomischen Speichermöglichkeit in Batterien oder Ähnlichem ab, so ist die Speicherbarkeit der Ware Strom dagegen nur indirekt über die Lagerung der notwendigen Brennstoffe (z. B. Erdgas, Kohle) oder durch die Speicherung der potenziellen Energie von Wasser (Pumpspeicheranlagen) gewährleistet. Auf Grund dieser sehr eingeschränkten Speichermöglichkeiten gibt es beim Stromhandel normalerweise keine oder nur sehr geringe Möglichkeiten für eine zeitliche Arbitrage. Um den Handel mit Strom zu ermöglichen, bezieht man ihn daher auf einen Zeitraum (z. B. eine konstante Leistung von 10 MW im Zeitraum von 15.00-16.00 Uhr eines bestimmten Tages). Bei den meisten börsengehandelten Gütern ist eine räumliche Arbitrage zu geringen oder gar keinen Kosten möglich. Bei Strom wiederum wird die räumliche Austauschbarkeit durch die Netzgebundenheit, die Leitungsverluste und die begrenzten Netzkapazitäten beschränkt. Zudem hat Strom die Eigenschaft, sich im vorhandenen Netz automatisch auszubreiten. Die Versorgung wird dadurch gewährleistet, dass der an Entnahmepunkten nachgefragte Strom dem Netz Autor Dr. Rafal Weron ist Assistant Professor am Institut für Mathematik der Technischen Universität Breslau. Seine Forschungsgebiete sind Finanzmathematik und stochastische Modelle im Risikomanagement. Er ist als Berater für verschiedene Banken und Energiegesellschaften tätig. Der folgende Beitrag entstand unter Mitarbeit von Matthias Dilthey im Rahmen dessen Diplomarbeit am Lehrstuhl für Statistik, Ökonometrie und mathematische Finanzwirtschaft der Universität Karlsruhe. RISKNEWS 03/04 65

66 RISKNEWS 03/04 an Einspeisepunkten stets in gleicher Menge wieder zugeführt wird. Letztendlich muss die Elektrizität bei Nachfrage stets in vollem Umfang zur Verfügung stehen, damit es nicht zu Ausfällen in der Stromversorgung kommt. Erzeugung und Verbrauch, Entnahme aus dem Netz und Einspeisung müssen in jeder Sekunde übereinstimmen. Dies hat zur Folge, dass auch die Preise für Strom sehr stark von der nachgefragten Menge abhängen und nachfrageabhängige Muster aufweisen. Weiterhin müssen Reservekapazitäten vorgehalten werden, die zusätzliche Kosten verursachen. Insgesamt lässt sich sagen, dass Strom unter den an Börsen gehandelten Assets aufgrund der lediglich unökonomischen Speichermöglichkeiten, Besonderheiten der Versorgung und vor allem der Notwendigkeit, Produktion und Nachfrage perfekt aufeinander abzustimmen, eine absolute Sonderrolle einnimmt. Man unterscheidet beim Handel die drei Formen Spot-, Termin- und Regelmarkt (auch Regelenergiemarkt, Ausgleichsmarkt oder Real Time Market), wobei auf letzterem üblicherweise nur die Stromerzeuger und die Netzbetreiber vertreten sind. Die Erzeuger bieten den Netzbetreibern verschiedene Reservekapazitäten zum Ausgleich kurzfristiger Ungleichgewichte nach Ablauf der Handelsperiode des Spotmarktes an. Strombörsen In anderen, bereits früher liberalisierten Strommärkten haben sich Strombörsen schon seit längerem etabliert und als entscheidend für die Verstärkung des Wettbewerbs erwiesen. So besteht die skandinavische Strombörse Nordpool bereits seit Anfang der neunziger Jahre. In Deutschland hingegen nahm aufgrund der erst Ende der neunziger Jahre stattfindenden Deregulierung der Strommärkte die Leipzig Power Exchange (LPX) als erste deutsche Strombörse am 13. Juni 2000 den regulären Handel auf. Es folgte am 8. August 2000 in Frankfurt am Main die European Energy Exchange (EEX). Aufgrund der geringen Handelsumsätze gaben schließlich im Oktober 2001 die Trägergesellschaften der beiden deutschen Strombörsen ihre schon lang erwartete Fusion zur EEX in Leipzig bekannt. An beiden Börsen wurde zum damaligen Zeitpunkt zusammengenommen nur ein Handelsvolumen von ca. sechs bis sieben Prozent des deutschen Stromverbrauchs erreicht. An der EEX wird börsentäglich gehandelt, d. h. Börsentage sind die Wochentage Montag bis Freitag mit Ausnahme der gesetzlichen bundeseinheitlichen Feiertage. Spotmarkt Der Handel am Spotmarkt der EEX wird einen Tag vor der physischen Erfüllung ausgeführt. Der Spotmarkt wird daher oft auch als Day- Ahead-Market bezeichnet. Der EEX Spotmarkt bietet zwei unterschiedliche Handelsformen an, den geschlossenen Auktionshandel (für Stundenkontrakte und Blockkontrakte der Stundenauktion) sowie den fortlaufenden Handel mit offener Eröffnungs- und Schlussauktion (für so genannte Baseload- und Peakload-Kontrakte). Die Stundenauktion findet börsentäglich zur Mittagszeit statt. Gehandelt werden Stromverträge für die 24 Stunden des jeweils nächsten Tages, und zwar sowohl für einzelne Stunden als auch für verschiedene aus mehreren Einzelstunden zusammengefasste Stunden-Blöcke, wie etwa Baseload (0.00-24.00 Uhr), Peakload (08.00-20.00 Uhr), EEX-Rush-Hour (16.00-20.00 Uhr), EEX-Night (0.00-06.00 Uhr), Off-Peak 1 (0.00-08.00 Uhr) oder Off-Peak 2 (20.00-24.00 Uhr). Kleinste handelbare Einheit sind Kontrakte mit einer konstanten Leistung von 0,1 MW in einer Stunde, höhere Volumina können in 0,1 MW- Schritten gewählt werden. Bis 12.00 Uhr werden die Kauf- und Verkaufsgebote im EDV-System der EEX gesammelt. Um 12.00 Uhr beginnt dann die Preis- und Volumenkalkulation für den Folgetag (Weiterführende Informationen zu den Handelsusancen finden sich unter www.eex.de). Die Preise für die Einzelstunden und die Stundenblöcke des nächsten Tages werden nach der Preisfeststellung ebenso wie der Tagesindex Phelix (Physical Electricity Index) von der EEX berechnet und veröffentlicht. Der Phelix wird als Phelix Base und Phelix Peak berechnet. Der Phelix Base ist der stundengewichtete Durchschnittspreis pro Tag für die Stunde 1 24 (00.00-24.00 Uhr), der Phelix Peak ist der stundengewichtete Durchschnittspreis (nur Montag- Freitag) für die Stunde 9-20 (08.00-20.00 Uhr). Die Handelsphase des kontinuierlichen (Block-) Handels findet börsentäglich von 08.00 bis ca. 12.00 Uhr MEZ (bzw. MESZ) statt. Diese Handelsform wird von der EEX nur für die Kontrakte Baseload, Peakload und Weekend Baseload (00.00-24.00 Uhr für Samstag und Sonntag) angeboten. Die kleinste handelbare Einheit beträgt im kontinuierlichen Handel sowie während der angeschlossenen Eröffnungs- und Schlussauktion

SERIE 1 MW für jede Lieferstunde des betreffenden Kontrakts. Vor Beginn des fortlaufenden Handels wird von 08.00 Uhr MEZ bis ca. 08.01 Uhr MEZ eine Eröffnungsauktion bzw. nach der Phase des fortlaufenden Handels von 11.55 Uhr MEZ bis ca. 12.00 Uhr MEZ eine Schlussauktion durchgeführt. Auch für die Blockprodukte des kontinuierlichen Handels werden Stromindizes berechnet. Aufgrund der Tatsache, dass der Handel hier fortlaufend stattfindet, erfolgt die Indexberechnung allerdings als volumengewichteter Durchschnittspreis. Terminmarkt Neben dem Spotmarkt hat an der Leipziger EEX der Terminmarkt in den letzten Jahren entscheidend an Bedeutung gewonnen und inzwischen entfällt der größte Teil des gehandelten Umsatzes auf diese Marktsequenz. So wurden im Jahr 2003 von den 391 TWH Gesamtumsatz nur 49 TWH auf dem Spotmarkt, dafür aber 342 TWH auf dem Terminmarkt erzielt. Am Terminmarkt der EEX werden verschiedene standardisierte Stromfutures gehandelt. Die Standardisierung betrifft dabei Volumen, Lieferort bzw. Lieferdauer, Qualität sowie die finanzielle und physische Abwicklung. Käufer und Verkäufer kommen zum aktuellen Datum überein, eine bestimmte Menge Strom (entsprechend den Kontraktspezifikationen) zu einem in der Zukunft liegenden Zeitraum (Lieferzeitraum) zum vereinbarten Preis abzunehmen oder zu liefern bzw. entsprechende Geldzahlungen zu leisten. Im Gegensatz zu Forwards findet bei Futures ein täglicher Gewinn- und Verlustausgleich statt, außerdem besteht die Verpflichtung zur Hinterlegung von Sicherheiten. An der EEX werden Monats-, Quartals- und Jahresfutures gehandelt. Handelbar sind dabei der aktuelle sowie die nächsten sechs Kalendermonate, die jeweils nächsten sieben Kalenderquartale und die jeweils nächsten drei Kalenderjahre. Wie am Spotmarkt unterscheidet man auch hier die bereits vorgestellten Lasttypen Grundlast (Baseload) und Spitzenlast (Peakload). Die Quartals- und Jahreskontrakte werden durch Kaskadierung erfüllt. Dies bedeutet, dass länger laufende Kontrakte am letzten Handelstag automatisch in Kontrakte mit der nächstkürzeren Laufzeit zerfallen. Aus einem Jahreskontrakt entstehen so zum Beispiel zwei Handelstage vor Beginn der Lieferperiode drei Monatskontrakte (für Januar, Februar und März) sowie drei Quartalskontrakte (für das zweite, dritte und vierte Quartal). In ihrer Summe sind diese einzelnen Kontrakte dem Kontraktvolumen des Jahreskontraktes gleichwertig. Die Monatskontrakte wiederum werden finanziell erfüllt. Während des Lieferzeitraumes erfolgt keine physische Lieferung, sondern es findet ein täglicher Barausgleich statt. Als Schlussabrechnungspreis wird dann der tagesgewichtete Durchschnitt (arithmetisches Monatsmittel) des beschriebenen Phelix Base bzw. Phelix Peak Index für den entsprechenden Liefermonat herangezogen. Zu diesem Preis wäre der Strombezug für den entsprechenden Monat und Lasttyp am Auktionsmarkt der EEX möglich gewesen. Die Handelsteilnehmer können allerdings die finanzielle Erfüllung ihrer Futures-Positionen auch mit der physischen Lieferung der vertraglich festgelegten Strommenge für den Lieferzeitraum am Spotmarkt der EEX verbinden. Vorraussetzung dafür sind die Zulassung zum Spot- und Terminmarkt der EEX und die Einrichtung eines oder mehrerer Lieferkonten für die physische Erfüllung. Bilateraler außerbörslicher Handel (OTC-Geschäft) Trotz der Bedeutung, die die EEX in den letzten Jahren gewonnen hat, wurden am Spotmarkt in 2003 mit 49 TWH letztendlich nur etwa 10 Prozent des deutschen Stromverbrauchs gehandelt. Neben der Strombörse EEX spielt also auch der bilaterale außerbörsliche Handel eine entscheidende Rolle. Diese Handelsform wird häufig auch als Over-the-Counter-Markt (OTC) bezeichnet. Die Preisfestsetzung erfolgt beim OTC-Handel in Vertragsverhandlungen zwischen den Transaktionspartnern. Beim klassischen OTC-Geschäft sind die gehandelten Produkte in der Regel nicht standardisiert. So ist es für die Marktteilnehmer möglich, Produkte zu handeln, die exakt ihren individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechen, andererseits aber ist es fraglich, ob überhaupt ein Handelspartner für die individuellen Produkte gefunden werden kann. Zusätzlich existiert beim bilateralen außerbörslichen Handel für beide Seiten das so genannte Erfüllungsrisiko. Der Käufer trägt das Risiko, dass der Verkäufer die Ware nicht liefert, der Verkäufer trägt umgekehrt das Risiko, dass der Käufer den vereinbarten Kaufpreis nicht bezahlt. Beim Börsenhandel wird dieses Risiko durch das Clearing für beide Seiten eliminiert. Der OTC-Handel findet entweder bilateral (meist am Telefon) als so genannter Direkthandel, über Telefonbroker oder über Internet-Handelsplätze statt. Die Transaktionskosten des OTC-Handels, insbesondere auf den Internet-Plattformen, sind im Allgemeinen wesentlich geringer als die beim Börsenhandel. Die gehandelten Mengen müssen RISKNEWS 03/04 67

allerdings immer physikalisch geliefert werden, es gibt hier kein rein finanzielles Settlement. Die Internet-Plattformen übernehmen auch keine teuren Clearing-Funktionen. Die Kunden bezahlen die niedrigeren Gebühren also durchaus mit der Inkaufnahme eines höheren Risikos. Das Verhalten der Spotpreise auf Energiemärkten Price (Euro) Abb. 1: EEX Tagesdurchschnittspreise 180 160 140 120 100 80 60 40 20 Abbildung 2 zeigt beispielhaft die saisonalen Effekte auf die stündlichen Spotpreise in der Zeit vom 1. bis zum 14. August 2002. Das gefundene Muster kann durch den in Echtzeit stattfindenden Ausgleich von Angebot und Nachfrage und durch den direkten Einfluss der zyklischen Nachfrage auf die Gleichgewichtspreise erklärt werden. Da die Aktivität der meisten Firmenkunden um ca. 8 Uhr beginnt, führt die damit verbundene Zunahme der Nachfrage zu steigenden Preisen. Die ab 20 Uhr sinkende Aktivität führt in der Nacht zu fallenden Preisen. Die dritte und vierte, ebenso wie die zehnte und elfte in der Abbildung gezeigte Spitze sind niedriger als die anderen. Es handelt sich hierbei um die stündlichen Preise der ersten beiden Samstage und Sonntage des Augusts 2002, die aufgrund der geringeren Nachfrage nach Strom an Wochenenden niedriger sind als an Werktagen. Häufig zeigen die Spotpreise neben einem Stundenund Tagesmuster auch ein jährliches saisonales Muster. Die Preise erreichen ihre Spitze während der kalten Winterzeit im Dezember bzw. Januar. Die Erklärung für dieses Jahres-Muster ist wiederum das zyklische Verhalten der Nachfrage und die höheren Kosten der Bereitstellung zusätzlicher Energie. Auf Möglichkeiten zur Desaisonalisierung von Strompreisen, um diese stochastische Komponente besser modellieren zu können, wird im nächsten Teil der Serie näher eingegangen. 68 RISKNEWS 03/04 0 0 100 200 300 400 500 600 700 800 Days (01.01.2002-31.03.2004) Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Tagesdurchschnittspreise (Base Load) für Elektrizität an der EEX in Deutschland während des Zeitraumes vom 1. Januar 2002 bis zum 31. März 2003. Die Daten der Spotpreise erstrecken sich also über 27 Monate. Obwohl hier nur Tagesdurchschnittspreise und nicht die eigentlich gehandelten stündlichen Spotpreise benutzt werden, zeigt diese Zeitreihe doch einige der bekannten Eigenschaften von Strom-Spotpreisen, wie etwa sehr hohe Volatilitäten und gelegentliche Spikes. Saisonabhängigkeit: Entsprechend der in Echtzeit zu berücksichtigenden und auszugleichenden Anforderungen der Elektrizität und der daraus resultierenden starken Abhängigkeit von der zyklischen Nachfrage sind die Preise für Elektrizität ebenfalls zyklisch. In den Tages-, Monatsund Jahreskursen können verschiedene saisonale Muster des Verhaltens der Elektrizitätspreise gefunden werden. Price (Euro) Abb. 2: EEX Stundenpreis im August 2002 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 0 50 100 150 200 250 300 Hours (01.08.2002-14.08.2002) Volatilität: Eine weitere Besonderheit der Spotpreise an Strombörsen ist ihre ungewöhnlich hohe Volatilität. Die bei Elektrizitätspreisen zu beobachtende Volatilität ist beispiellos auf den Waren- und Finanzmärkten, was auch die Abbildungen 1 bzw. 2 verdeutlichen. Die hohe Volatilität kann vor allem auf die eingangs erwähnten Eigenschaften der Energiemärkte (also Speicherungs- und Übertragungsprobleme) sowie

SERIE die Notwendigkeit der Ausbalancierung der Märkte in Echtzeit zurückgeführt werden. Temporäre Angebots- und Nachfrageungleichgewichte können nur schwer kurzfristig korrigiert werden, so dass die Preisbewegungen in Elektrizitätsmärkten extremer sind als in anderen Gütermärkten. Eine weitere Eigenschaft der Spotpreise hinsichtlich der Volatilität ist die hohe Korrelation zwischen Standardabweichung der Preise und dem Durchschnittspreis selbst. Die Volatilität der Preise scheint also vom Preisniveau abzuhängen. Daher weisen Elektrizitätspreise in on-peak-stunden eine höhere Volatilität auf als in off-peak-stunden. Das Vorhandensein von sehr hoher Volatilität und Volatility Clustering also temporären Phasen mit hoher Volatilität wird im Allgemeinen mit GARCH- Modellen oder auch so genannten Regime Switching Modellen berücksichtigt. Auch diese Fragen werden in den weiteren Teile der Serie noch intensiv diskutiert. Mean Reversion: Die stündlichen und täglichen Preise neigen dazu, nach einer zeitweiligen Verschiebung des Preisniveaus nach oben bzw. nach unten wieder auf ein 'mittleres' Preisniveau zurückzukehren. Eine Möglichkeit, dieses Verhalten zu beschreiben, ist die Annahme, dass die Preise um ein langfristiges arithmetisches Mittel pendeln. Diese Eigenschaft wird Mean Reversion genannt und kann sowohl auf den meisten Elektrizitätsmärkten, als auch auf den meisten Märkten für Energierohstoffe [siehe etwa Jaillet et al 1998] beobachtet werden. Das Mean- Reversion-Verhalten von Strompreisen stellt einen weiteren Gegensatz zu den Finanzmärkten dar, wo lediglich die Zinsrate in schwacher Form ein mean-reverting Verhalten aufweist. In Elektrizitätsmärkten ist die Rate der Reversion jedoch oft sehr hoch und lässt sich wiederum durch den nötigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage erklären. Bei einer Nachfragesteigerung treten Kraftwerke mit höheren Grenzkosten auf der Anbieterseite in den Markt ein und treiben die Preise in die Höhe. Sobald die Nachfrage auf ihr normales Niveau zurückkehrt, werden Anlagen mit höheren Grenzkosten abgeschaltet und die Preise fallen wieder. In empirischen Studien wurde der Nachweis für die mean-reverting Eigenschaft der Elektrizitätspreise zum Beispiel von Johnson und Barz (1999) oder Weron et al. (2004) erbracht. Aufgrund der besseren Anpassung an die Spotpreise hat daher auch eine große Anzahl der in der Literatur bisher vorgeschlagenen Modelle einen mean-reverting Term, beispielsweise die Modelle von Lucia und Schwartz (2002) oder Bhanot (2000). Spikes: Ein weiteres Charakteristikum der Elektrizitätspreise sind auftretende Preissprünge oder kurze Preisspitzen - so genannte Spikes. Sie sind z. B. die Folge des Erreichens von Kapazitätsgrenzen aufgrund des Ausfalls eines Kraftwerks oder einer schlagartigen, unerwarteten und grundsätzlichen Nachfrageänderung. Dann kann es passieren, dass die Nachfrage an die Grenze der möglichen Kapazitäten geht. Als Folge hiervon ergeben sich dann Preisspikes, wie sie z. B. in Abbildung 1 zu sehen sind. Ist die Störung behoben oder sinkt die Nachfrage wieder auf ein vorhersehbares Niveau, kehren die Preise schnell wieder zu ihrem vorherigen Level zurück. Umgekehrt fallen in Zeiten schwacher Nachfrage die Elektrizitätspreise. Trotz der laufenden Kosten und Beschränkungen der Hersteller, die sich nicht an das neue Nachfrageniveau anpassen können, kann es zu negativen Preisspitzen kommen. Die Modellierung solcher Preissprünge oder auch Spikes erfolgt in der Theorie z. B. mit einer zusätzlichen Jump Diffusion Komponente [z. B. Escribano et al 2002] oder den bereits erwähnten Regime Switching Modellen [de Jong et al. 2002 bzw. Bierbrauer et al. 2004]. Nach der Darstellung der grundlegenden Charakteristika des Stromhandels erfolgt im zweiten Teil der Serie (erscheint in der RISKNEWS August/September 2004) insbesondere eine weiterführende Darstellung der Methoden zur De- Saisonalisierung von Strompreisen bzw. Modellierung des Preisverhaltens. Quellenverzeichnis und weiterführende Literaturhinweise: Bierbrauer, M.; Trück, S.; Weron, R.: Modelling electricity prices with regime switching models, accepted for Publication in Springer Lecture Notes in Computer Sciences, 06/2004. / Bhanot, K.: Behavior of power prices: implications for the valuation and hedging of financial contracts, in: Journal of Risk 2000 / Clewlow, L.; Strickland, C.: Energy Derivatives: Pricing and Risk Management, 2000 / de Jong, C.; Huisman, R.: Option formulas for mean-reverting power prices with spikes 2002 / Escribano, A.; Pena, J.; Villaplana, P.: Modelling electricity prices international evidence 2002 / Jaillet, P.; Ronn, E.; Tompaidis, S.: Modelling Energy Prices and Pricing and Hedging Derivatives Securities 1998 / Johnson, B.; Barz, G.: Selecting stochastic processes for modelling electricity prices, Energy Modeling and the Management of Uncertainty, 1999 / Pilipovic, D.: Energy Risk-Valuing and Managing Energy Derivatives, 1998 / Schwartz, E.; Lucia, J.: Electricity prices and power derivatives Evidence from the nordic power exchange, in: Review of Derivatives Research 2002 / Trück, S.; Deidersen, J.: Energy Price Dynamics Quantitative Studies and Stochastic Processes, in: Technical Report at Institute of Statistics and Mathematical Economics, University of Karlsruhe 12/2002 / Wengler, J.: Managing Energy Risk a nontechnical guide to markets and trading, 2001 / Weron, R.: Energy Price Risk Management, Physica A 285/2000 / Weron, R.; Bierbrauer, M.; Trück, S.: Modelling electricity prices jump diffusion and regime switching, in: Physica A 336/2004. RISKNEWS 03/04 69