Religiöse Minderheiten in der Türkei und in Deutschland - am Beispiel der katholischen Kirche in der Türkei

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Transkript:

Religiöse Minderheiten in der Türkei und in Deutschland - am Beispiel der katholischen Kirche in der Türkei Peter Wehr Zunächst danke ich für die Einladung zu diesem Workshop nach Ankara, um über die Katholische Kirche in der Türkei zu sprechen. Ich selbst bin seitens der Katholischen Kirche Deutschlands entsandt und seit knapp drei Jahren in Istanbul als Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Paul tätig. Die Römisch-Katholische Kirche in der Türkei zählt ca. 15.000 bis 20.000 Mitglieder. Eine genaue statistische Erhebung über die Anzahl der Katholiken in der Türkei liegt nicht vor. Das gilt auch für meine Gemeinde in Istanbul. Bei den meisten katholischen Christen in der 207

Religiöse Minderheiten in der Türkei und in Deutschland - am Beispiel der katholischen Kirche in der Türkei Türkei handelt es sich um Menschen, die nicht türkischer Herkunft sind. Viele Katholiken sind in die Türkei entsandte Personen und arbeiten in den Bereichen der diplomatischen Dienste, Wirtschaft, Schulen und Kultur. Diese kehren nach einigen Jahren in ihre Heimat zurück oder gehen dann in ein anderes Land. Auch ist die Zahl der deutschen Dauerresidenten in Antalya und Alanya in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Anders ist die Situation der vor allem deutschsprachigen Frauen, die in die Türkei geheiratet haben, der größtenteils philippinis chen Hausangestellten oder der afrikanischen Studenten und Flüchtlinge. Sie alle stehen in verschiedenartigen Beziehungen zur Türkei auf G rund der Länge und Art des Aufenthaltes, ihrer finanziellen Situation, aber auch ihrer Rückbindung zum Heimatland. Fast alle katholischen Priester und Ordensleute, die in der Türkei tätig sind, kamen als Entsandte ihrer Ordensgemeinschaften, die in der Türkei ihre Werke in den vergangenen Jahrhunderten aufgebaut haben, aus Westeuropa. Ebenso die drei lateinischen Bischöfe, der Apostolische Vikar von Istanbul (zuständig für Istanbul und Ankara), der Erzbischof von Izmir mit seiner weit zurückreichenden Geschichte und einigen Hundert Katholiken mit französisch- und italienischsprachigem Hintergrund, sowie der Apostolische Vikar von Anatolien mit Sitz in İskenderun. Die katholische Bischofskonferenz der Türkei umfasst 7 Mitglieder: drei lateinische sowie vier unierte Mitglieder. 208

Peter Wehr Neben den römisch-katholischen Christen des lateinischen Ritus, gibt es in der Türkei katholisch-orientalische Christen. Es sind die Armenisch-Katholischen, die Syrisch-Katholischen und die Chaldäisch-Katholischen Christen. Die Bischofskonferenz ist für den türkischen Staat in juristischer Hinsicht nicht existent. Der Apostolische Nuntius in Ankara wird seitens der Türkei als Vertreter des Heiligen Stuhls gewertet, nicht aber als ein kirchlich-religiöser Vertreter der Katholischen Kirche gesehen. Als eine der nicht anerkannten christlichen Minderheiten in der Türkei bewegt sich die Katholische Kirche in juristischer Hinsicht in einem nicht geordneten Raum. Denn einerseits ist sie faktisch da, wird toleriert, andererseits hat sie keine Möglichkeit sich gemäß ihre m Selbstverständnis zu org a n i s i e ren und auf ihren verschiedensten Ebenen Rechtspersönlichkeit anzunehmen. Verdeutlichen lässt sich die Situation für die Katholiken in der Türkei anhand eines Memorandum an die Botschafter der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Die Frage der Religionsfreiheit und die Anerkennung von nichtmuslimischen Minderheiten seitens des Vatikanischen Staatssekretariates vom 21.9.2002. Da heißt es: Vor diesem Hintergrund wendet sich der Heilige Stuhl im Hinblick auf die nächste Überprüfung der Kandidatur der Türkei erneut an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Es erscheint außerordentlich wünschenswert, dass diese Nation, die sich in ein Europa integ r i e ren will, das die kulturelle und religiöse Vielfalt achtet, mit Nachdruck dazu eingeladen wird, ihre Rechtsformen dadurch zu voll- 209

Religiöse Minderheiten in der Türkei und in Deutschland - am Beispiel der katholischen Kirche in der Türkei enden, dass sie alle religiösen Minderheiten, die auf ihrem Boden vertreten sind, ausdrücklich anerkennt und ihnen den Rechtsstatus zuerkennt, den sie legitimer Weise beanspruchen können. In einem Memorandum des Außenministeriums der Republik Türkei an das Staatssekretariat des Vatikans vom 20.12.2002 wird festgestellt: Die nicht-muslimischen Minderheiten der Armenier, Griechen und Juden, die innerhalb der monarchistisch-theokratischen Struktur des Osmanischen Reiches als Nationen organisiert waren, genießen die in den Artikeln 35 bis 45 des Friedensvertrages von Lausanne enthalten Garantien. Weiter wird in dem Memorandum ausgeführt: Die Anerkennung eines Rechtsstatus einer Gemeinschaft oder einer religiösen Gruppe wie der Gläubigen der Katholischen Kirche ist unvereinbar mit dem in der Verfassung verankerten Prinzip des laizistischen Staates, das nach den Festlegungen der selben Verfassung nicht geändert werden kann und gegen das auch nicht die Verfassungswidrigkeit v o rgebracht werden kann. Die Türkei hat keine vertragliche Verpflichtung gegenüber der Katholischen Kirche oder irgendeiner anderen Gemeinschaft, die die Anerkennung eines Rechtsstatus vorsehen würde.... Da das Laizismusprinzip der Republik Türkei nicht erlaubt, irgendeiner Religionsgemeinschaft einen Rechtsstatus zuzuerkennen, ist es auch nicht möglich den Gebetsstätten wie Moscheen, K i rchen oder Synagogen Rechtspersönlichkeit nach Maßgabe des Zivilgesetzbuches oder des Ve reinsgesetzes zuzuerkennen. Es ist weder gerechtfertigt, noch angemessen von der Türkei, dere n Bevölkerung zu 99% dem islamischen Glauben angehört, zu erwarten, dass sie der katholischen Kirche Rechte zugesteht, die die islamischen Institutionen nicht genießen. 210

Peter Wehr In einem Schreiben vom Juni 2004 weisen die katholischen Bischöfe der Türkei darauf hin: Laizismus bedingt die Trennung von Staat und Kirche, aber in keinem Land der Europäischen Union hat dies die Nichtanerkennung religiöser Einrichtungen als juristische Personen bzw. die Nichtanerkennung ihrer erworbenen Rechte zur Folge. Die schwierige Situation für die Katholische Kirche in der Türkei lässt sich auch an der deutschsprachigen Gemeinde St. Paul in Istanbul verdeutlichen: Diese Gemeinde eröffnete 1964 ein Gemeindezentrum in Istanbul. Nach Prüfung aller Gegebenheiten bediente man sich einer juristischen Hilfskonstruktion und gründete eine Aktiengesellschaft. Der Aufenthalt der aus Deutschland entsandten Pfarrer war nur möglich im Rahmen eines konsularischen Status. Ein im Jahr 2003 erlassenes Gesetz in der Türkei macht es nun möglich, dass ich offiziell als Priester für deutschsprachige Katholiken in Istanbul tätig bin. Für die Genehmigung meines Aufenthaltes und für die Ve r l ä n g e ru n g e n bedurfte es Noten der Deutschen Botschaft in Ankara, die an das Außenministerium der Türkei gerichtet wurden. Bemerkenswert ist die Einschränkung meiner Tätigkeit dahingehend, dass sie sich ausdrücklich auf deutsche Staatsangehörige beschränkt. 211