Wissensstand der Eltern über die Möglichkeiten der Kariesprophylaxe



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Transkript:

ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE J. Winter, T. Schneller Wissensstand der Eltern über die Möglichkeiten der Kariesprophylaxe In erster Linie sind die Eltern für die gesunde Gebissentwicklung ihrer Kinder verantwortlich. Nur wenn sie selbst wissen, welche Prozesse sich im kindlichen Gebiss abspielen und welche Maßnahmen zur Prävention von Zahnschäden zu ergreifen sind, können sie dieser Verantwortung gerecht werden. Im Landkreis Leer wurde an 243 Eltern von 6- bis 7-jährigen Kindern ein selbst entwickelter Fragebogen zum Mundgesundheitswissen ausgegeben. 165 ausgefüllten Erhebungsbögen konnte im Rahmen der jährlichen Reihenuntersuchung durch den jugendzahnärztlichen Dienst ein Mundbefund des Kindes zugeordnet werden. 50 Kinder (30,3 %) gehörten zur Gruppe der naturgesunden und 45 (27,3 %) zu den Kariesrisikokindern nach DAJ-Kriterien [5]. In beiden Gruppen zeigten sich deutliche Wissensdefizite der Eltern bezüglich der Gesunderhaltung der Zähne, der richtigen Anzahl der Milchzähne sowie des Durchbruchorts der Sechsjahrmolaren. Der durchschnittliche Kariessanierungsgrad der ersten Dentition muss mit unter 50 % als unzureichend bezeichnet werden. Jedes achte untersuchte Kind hatte Zahnschäden bzw. Füllungen an den bleibenden Zähnen. Ziel muss es sein, den Eltern einen Leitfaden für die Gesunderhaltung der Zähne ihres Kindes entwicklungsund risikoentsprechend an die Hand zu geben. Schlüsselwörter: Mundgesundheitswissen; Mundgesundheitsverhalten; Kariessanierungsgrad; Sechsjahrmolar; Migranten Parents are primarily responsible for the healthy development of their children s teeth. They can fulfill this responsibility only if they are acquainted with the processes that take place in primary dentition and with measures for prevention of dental decay. In Leer, a city in the northwest of Germany, 243 parents of 6 to 7-years-old children were given a self-developed questionnaire that took oral health knowledge into consideration. 165 completed questionnaires could be attributed to a correspondent dental evidence for the children s oral status, obtained by the youth dental care office within the annual mass examination. 50 children (30.3 %) belonged to the group of the naturally healthy and 45 (27.3 %) were classified as susceptible to caries according to the DAJ-criteria [5]. There were considerable deficiencies in parental knowledge about the preservation of healthy dentition, the correct number of primary teeth, as well as the cutting place of the 6-year-molars. The average degree of caries rehabilitation in the primary dentition with less than 50 % must be described as insufficient. One out of eight children had tooth damage or filling in the permanent dentition. Our goal is to provide parents with a guideline for the preservation of their children s dental health, adapted both to individual development and risk. Keywords: oral health knowledge; oral health behaviour; degree of caries rehabilitation; first permanent molars; migrants DOI 10.3238/OPKZH.2010.0018 18 Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1

1 Einführung Während die Kariesprävalenz in Deutschland bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts anstieg, wurde erstmalig zu Beginn der achtziger Jahre über einen Kariesrückgang bei Kindern und Jugendlichen berichtet. Mit dem Kariesrückgang ging eine Polarisierung einher, die sich zwischen der Dritten und der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie verstärkte [14, 15]. 10,2 % der untersuchten 12-Jährigen vereinigten 61,1 % der Gesamtkarieserfahrung ihrer Altersgruppe auf sich [15]. Neben der Polarisierung fiel auf, dass der deutlich positive Trend bei der Kariesdynamik nur im bleibenden Gebiss zu beobachten war. So stellte die aktuelle epidemiologische Begleituntersuchung zur Gruppenprophylaxe für einige deutsche Bundesländer sogar eine Zunahme des Kariesbefalls im Milchgebiss sowie insgesamt eine unzureichende Sanierung der ersten Dentition fest [18]. Bei den Schulanfängern war 2004 die Hälfte der kariösen Zähne nicht mit einer Füllung versorgt. Vor dem Hintergrund der unzureichenden Kariessanierung stellt sich die Frage, ob Eltern wissen, dass die erste Dentition wichtig für eine gesunde Entwicklung der bleibenden Zähne ist. Die Eltern sind in erster Linie für die gesunde Gebissentwicklung ihrer Kinder verantwortlich und nicht etwa der Nachwuchs selbst. Deshalb muss nicht nur den Kindern Wissen rund um die Gesunderhaltung der Zähne vermittelt werden, sondern es bedarf auch einer Überprüfung der Kenntnisse der Eltern. Zahlreiche deutsche Studien belegen, dass einige Eltern unzureichend über die Kariesprävention informiert sind. Während 95 % der befragten Mütter von Kleinkindern die Wichtigkeit der Mundhygiene zur Gesunderhaltung der Zähne bestätigten, wussten annähernd 13 % nicht, dass kariöse Milchzähne behandelt werden müssen [1]. Schenk und Knopf [20] und Hetzer [9] konnten in ihren Studien nachweisen, dass die befragten Eltern über ein kariesprotektives Wissen verfügen. Dieses Wissen spiegelte sich jedoch nicht bei allen Erziehungsberechtigten auch im Verhalten wider [9, 20]. Pavkovic [16] wies bei Migranteneltern von Kleinkindern ein Informationsdefizit über die kariesfördernden Faktoren und über die heutigen Möglichkeiten der Prophylaxe nach. Auch Strippel [23] stellte bei Müttern mit Migrationshintergrund ein geringeres Wissen über Kariesentstehung und -prophylaxe fest als bei Müttern deutscher Herkunft. Es wurde deutlich, dass mitunter Eltern ihrem Kind die Zahnpflege der ersten Dentition viel zu früh eigenverantwortlich überlassen. Dabei sind die Kinder auf Grund ihrer motorischen und kog-nitiven Entwicklung noch nicht in der Lage, die Zähne ohne jegliche elterliche Unterstützung adäquat zu pflegen. Etwa im sechsten Lebensjahr kommt mit dem Durchbruch der Sechsjahrmolaren eine neue motorische Herausforderung bei der täglichen Zahnreinigung auf die Kinder zu. Um diese Herausforderungen erfolgreich, im Sinne einer Gesunderhaltung der Milchzähne und der durchbrechenden Zuwachszähne zu meistern, bedarf es der elterlichen Hilfestellung bis ins Grundschulalter hinein [24, 8]. Allerdings werden die Erziehungsberechtigten ihrem Kind nur Hilfestellungen geben können, wenn sie sich der Problematik bei der Zahnreinigung der durchbrechenden Zuwachszähne und der Wichtigkeit der Milchzähne bewusst sind. Nur wenn die Eltern übergreifende Zusammenhänge wahrnehmen und auch wirklich verstehen und die spezifischen Beziehungen zwischen dem Mundgesundheitsverhalten und der Kariesentstehung erkennen, können sie ihrer Verantwortung für die gesunde Gebissentwicklung ihrer Kinder gerecht werden. Ein einfaches Schlagwortwissen wie täglich zweimal Zähne putzen reicht dazu nicht aus. 2 Fragestellung Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Studie der elterliche Wissensstand und Verständnisgrad zum Thema Gesunderhaltung der Milchzähne und der Sechsjahrmolaren analysiert und zum Mundgesundheitszustand der untersuchten Kinder in Beziehung gesetzt werden. Es soll geklärt werden, ob die befragten Eltern die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Fluorideinwirkung und Zahnpflege auf die Kariesentstehung/-verhütung kennen. Weiter soll untersucht werden, ob sich der Wissensstand der Eltern beim Thema Kariesprävention im Mundgesundheitsverhalten der Kinder widerspiegelt und ob ein Zusammenhang zwischen dem Kenntnisstand der Eltern und dem Zahnstatus ihrer Kinder besteht. Darüber hinaus soll analysiert werden, ob ein Zusammenhang zwischen dem elterlichen Kenntnisstand zum Thema Kariesprophylaxe und deren Sozialund Migrationsstatus besteht. 3 Material und Methode 3.1 Stichprobe Im Rahmen der jährlichen Reihenuntersuchung wurde im Landkreis Leer in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt der Mundgesundheitszustand von allen Erstklässlern untersucht. Vorab wurde an ausgewählten Schulen eine Befragung der Eltern zum Mundgesundheitswissen durchgeführt. Da Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten sowie Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in die Stichprobe gezielt einbezogen werden sollten, wurde eine Förderschule (Schule 1), zwei Schulen, deren Schülerschaft überwiegend dem mittleren bis hohen Sozialstatus (Schule 2 und 5) sowie zwei Schulen, deren Schülerschaft hauptsächlich dem mittleren bis niedrigen Sozialstatus zuzuordnen war (Schule 3 und 4), für die Datenerhebung ausgewählt. In die Stichprobe wurden drei Grundschulen aus der Stadt Leer (Schule 3, 4 und 5) einbezogen. 3.2 Fragebogen und Elterninformation Die im Erhebungsbogen enthaltenen soziodemographischen und die Fragen zu den Ernährungs- und Zahnpflegegewohnheiten wurden auf der Grundlage des sozialwissenschaftlichen Erhebungsbogens für die Jugendlichenstichprobe in der Dritten Deutschen Mundgesundheitsstudie [14] und des standardisierten Elterninterviews aus dem Projekt Zahngesundheit bei Dresdner Klein- und Vorschulkindern [9] entwickelt. Die Wissensfragen zum Thema Zahngesundheit und Sechsjahrmolar wurden zunächst nach eigenen Vorstellungen zusammengestellt und nach Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 19

Beispielberufe für die soziale Fremdeinschätzung Schicht 1 : Oberschicht Schicht 2: Obere Mittelschicht Schicht 3: Mittlere Mittelschicht Schicht 4: Untere Mittelschicht Schicht 5: Unterschicht Abteilungschef, Architekt, Arzt, Chemiker, Diplomat, Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Studienrat, Universitätsprofessor Apotheker, Beamter (höherer Dienst), Betriebswirt, Hauptbuchhalter, Redakteur, Volksschullehrer, Verwaltungsleiter, Wirtschaftsprüfer Arzthelferin, Feinmechaniker, Krankenschwester, Kaufmännischer Angestellter, Laborantin, Maschinenmeister, Sekretärin, Technischer Angestellter Briefträger, Bürohilfe, Busfahrer, Friseuse, Gastwirt, Krankenpfleger, Kellner, Schlossergeselle, Vorarbeiterin Fließbandarbeiter, Gärtner, Hafenarbeiter, Handlanger, Ladenhilfe, Landarbeiter, Müllwerker, Straßenreiniger, Textilarbeiter, Zeitungsbote Tabelle 1 Sozialschichteinteilung nach Kleining und Moore [10]. Table 1 Social class distribution by Kleining and Moore [10]. zwei Pretests in Zusammenarbeit mit den Zahnärztinnen des Jugendzahnärztlichen Dienstes der Region Hannover und den zahnärztlichen Mitarbeitern des Landkreises Leer überarbeitet. Der Bogen setzt sich aus 30 Items zu den Themen soziodemographisches Umfeld des Kindes, Ernährungs- und Zahnpflegegewohnheiten des Kindes, elterlicher Wissensstand über die Milchzähne und die Sechsjahrmolaren sowie deren Gesunderhaltung zusammen. Jedes teilnehmende Kind erhielt als Dankeschön ein Zahnpflegeset und eine Elterninformation. Diese Elterninformation wurde speziell für diese Studie entwickelt und konnte neben deutsch auch in russischer und in türkischer Sprache ausgehändigt werden. 3.3 Zahnärztliche Untersuchung Die zahnärztliche Untersuchung wurde durch die Mitarbeiter des Jugendzahnärztlichen Dienstes des Landkreises Leer im Rahmen der jährlichen Reihenuntersuchung in den Schulen durchgeführt. Die zahnärztliche Untersuchung erfolgte mit Spiegel, Sonde und der üblichen OP-Leuchte. Auf eine gezielte Sondierung der Zahnoberflächen wurde verzichtet, da dadurch das Risiko einer mechanischen Schädigung bei Initialläsionen besteht [7], während sich die Kariesdiagnostik nicht verbessert [12]. Im Frontzahnbereich wurden jeweils vier Flächen und im Seitenzahnbereich jeweils fünf Flächen nach kariösen und initial kariösen Läsionen sowie Füllungen befundet. Der Sanierungsgrad wurde durch das Verhältnis von gefüllten und extrahierten Zähnen zu dem dmft-/dmft-gesamtwert berechnet. 3.4 Auswertung Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit Hilfe von Microsoft Excel und SPSS. Es wurden Mittelwertberechnungen und Signifikanzanalysen in Form von Chi 2 Tests nach Pearson und T-Tests durchgeführt. Zur Bestimmung der sozialen Schichtzugehörigkeit wurde zum einen das Modell von Kleining und Moore [10] (Tab. 1) herangezogen und zum anderen fand der Ausbildungsstand/das Schulbildungsniveau der Eltern Berücksichtigung. Für die Bewertung des Mundgesundheitsverhaltens der Kinder und des elterlichen Wissensstandes über die Gesunderhaltung der ersten Dentition und der Sechsjahrmolaren wurden die Antworten aus dem Fragebogen zu einem Verhaltens- und Wissensindex zusammengefasst (Tab. 2). 4 Ergebnisse Insgesamt wurden 243 Fragebögen ausgegeben; 167 kamen ausgefüllt zurück. 165 Bögen konnte der jeweilige Mundbefund eines Kindes zugeordnet werden. Dies entsprach einer Auswertungsquote von 67,9 %. Der Anteil der befragten Eltern mit Migrationshintergrund umfasste etwa 20 %. Bei 50 Schülern (30,3 %) wurde im Mundbefund ein naturgesundes Gebiss erhoben. 15 Kinder (9,1 %) wiesen zum Zeitpunkt der Reihenuntersuchung ein vollständig saniertes Gebiss auf und 45 Schüler (27,3 %) waren zu den Kariesrisikokindern nach DAJ-Kriterien [5] zu zählen. Tabelle 3 zeigt die mittleren dmft- und DMFT-Werte an den einzelnen Schulen. Annähernd 20 % der durchgebrochenen Sechsjahrmolaren waren versiegelt. Allerdings waren 73 (12,5 %) der ersten bleibenden Molaren bereits im Sinne einer erweiterten Fissurenversiegelung oder Füllungstherapie behandlungsbedürftig. Der durchschnittliche Kariessanierungsgrad aller untersuchten Milchzähne von unter 50 % ist als unzureichend zu bezeichnen. Innerhalb der Stadt Leer zeigte sich eine große Schwankungsbreite beim Sanierungsgrad der Milchzähne (Abb. 1). Jedes achte untersuchte Kind hatte bereits Karieserfahrung an den bleibenden Zähnen. In der Gesamtauswertung konnten 15,1 % der befragten Eltern der Oberschicht/oberen Mittelschicht, 42,4 % der Mittelschicht und 40,6 % der unteren Mittelschicht/Unterschicht zugeordnet werden (Abb. 2). Wie sich die 50 Kinder mit naturgesundem Gebiss und die 45 Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko auf die sozialen Schichten verteilen, ist Tabelle 4 zu entnehmen. Diese Kin- 20 Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1

Verhaltensindex Zahnpflegebeginn: Mit Durchbruch des ersten Zahnes Pflegefrequenz: Zweimal pro Tag und mehr Pflegekontrolle durch die Eltern Nachputzen der kindlichen Zähne durch die Eltern Anzahl der Zwischenmahlzeiten: Zwei pro Tag und weniger Inhalt der Zwischenmahlzeiten: kariogen 1, nicht kariogen Inhalt der Getränkezufuhr: kariogen 1, nicht kariogen Anwendung von Fluoriden Regelmäßiger Zahnarztbesuch Mittelwert Mittelwert Mundgesundheitsverhalten 0 3,9 schlecht 4,0 6,9 mittelmäßig 7,0 9,0 gut Wissensindex Kennzeichnung zahnfreundlicher Süßigkeiten bekannt Anzahl der Milchzähne bekannt Korrekte Benennung bereits vorhandener Zähne der 2. Dentition Durchtrittsort des Sechsjahrmolaren bekannt Bekannte Säulen der Kariesprophylaxe Ausgewogene Ernährung Gute Mundhygiene Anwendung von Fluoriden Fissurenversiegelung Zahnbürste gelangt nicht bis auf den Boden der Fissur bekannt Wissensstand der Eltern 0 3 schlecht 4 6 mittelmäßig 7 9 gut Tabelle 2 Bewertungsgrundlage zum Verhaltensindex und zum Wissensindex. Table 2 Basis of assessment for the behaviour and knowledge index. Anzahl der Schüler Anzahl der vorhandenen Zähne der 1. Dentition 2. Dentition Mittelwert und Standardabweichnung dmft DMFT Schule 1 (Förderschule) 12 98 153 5,1 (± 3,7) 1,3 (± 1,6) Grundschule 2 26 341 255 2,8 (± 2,4) 0,3 (± 0,9) Grundschule 3 49 708 352 4,7 (± 3,8) 0,3 (± 0,9) Grundschule 4 23 343 175 3,0 (± 3,2) 0,3 (± 0,9) Grundschule 5 55 790 447 1,8 (± 2,6) 0,1 (± 0,5) Tabelle 3 Mittelwert dmft/dmft an den untersuchten Schulen. Table 3 Mean value dmft/dmft of the investigated schools. Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 21

Abbildung 1 Graphische Darstellung der Sanierungsgrade der ersten und zweiten Dentition an den einzelnen Schulen. n = Anzahl der untersuchten Schüler Figure 1 Graphic representation of the degree of rehabilitation in the primary and permanent dentition at the different schools. n = number of examined students Abbildung 2 Graphische Darstellung der sozialen Schicht von allen teilnehmenden 165 Eltern. Figure 2 Graphic representation of the social class distribution of the 165 parents who took part in the study. der wiesen durchschnittlich einen niedrigeren Sozialstatus auf als die Kinder ohne Karieserfahrung (p < 0,01). Kinder mit Migrationshintergrund waren nur tendenziell häufiger als Kinder ohne Migrationshintergrund in der Kariesrisikogruppe anzutreffen (Tab. 5). Das Ernährungsverhalten der Kinder hängt vom Kenntnisstand der Eltern über gesunde Ernährung ab. Es konnte kein signifikanter Unterschied beim Inhalt der Zwischenmahlzeiten in Abhängigkeit von der Karieserfahrung der Kinder festgestellt werden (p = 0,94), da unabhängig von der vorhandenen Karieserfahrung deutlich über die Hälfte der Kinder überwiegend kariogene Zwischenmahlzeiten zu sich nahmen. Die Schüler, die überwiegend zahnfreundliche Getränke zu sich nahmen, hatten zwar niedrigere dmft-, d(t)-, DMFT- und D(T)-Werte als die Kinder, die überwiegend kariogene und Zahnhartsubstanz schädigende Flüssigkeiten tranken. Allerdings ergaben sich auch hier im t-test keine signifikanten Unterschiede (p > 0,05) bei der mittleren Kariesprävalenz. Neben der Nahrungszusammensetzung ist die Häufigkeit der Nahrungszufuhr ein entscheidender ätiologischer Faktor bei der Kariesentstehung. Da nicht der Gesamtkohlenhydratgehalt oder Zuckergehalt der Nahrung, sondern die häufige Zufuhr leicht metabolisierbarer Kohlenhydrate bei gleichzeitigem Vorhandensein von Plaque zu einem erhöhten Kariesrisiko führen, wurde von den Eltern die Anzahl der Zwischenmahlzeiten pro Tag erfragt. Auch bei dieser Auswertung ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Kindern mit und ohne Karieserfahrung (Tab. 6). Anhand der Häufigkeit des Zähneputzens pro Tag sowie der Putzkontrolle durch die Eltern konnte gezeigt werden, dass den Erziehungsberechtigten die Bedeutung einer guten Mundhygiene bewusst war. So gaben über 80 % der Eltern von Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko und von den naturgesunden Kindern eine Pflegefrequenz von mindestens zweimal pro Tag sowie eine elterliche Pflegekontrolle an. Annähernd die Hälfte aller befragten Eltern nahm, wie es die DGZMK empfiehlt, mit Durchbruch des ersten Zahnes bei ihrem Kind die Zahnpflege auf [6]. Auffällig war, dass in der Gruppe 22 Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1

Kinder mit naturgesundem Gebiss n = 50 Kariesrisikokinder n = 45 Signifikanzen Chi 2 Test nach Pearson Untere Mittelschicht / Unterschicht 11 (22,0%) 27 (60,0%) Mittelschicht 24 (48,0%) 14 (31,1%) < 0,01 Obere Mittelschicht / Oberschicht 14 (28,0%) 3 (6,7%) Keine Sozialschichtzuordnung möglich 1 (2,0%) 1 (2,2%) Tabelle 4 Sozialschicht und Kariesrisiko. Table 4 Social class and risk of caries development. Kinder mit Migrationshintergrund Kinder ohne Migrationshintergrund Signifikanzen Chi 2 Test nach Pearson Kariesrisikokinder n = 45 11 34 > 0,05 Kinder mit naturgesundem Gebiss n = 50 5 45 (p = 0,06) Tabelle 5 Migrationshintergrund und Kariesrisiko. Table 5 Migration background and risk of caries development. Anzahl der Zwischenmahlzeiten Anzahl der keine Angabe 0 2 pro Tag 3 5 pro Tag Signifikanzen Chi 2 Test nach Pearson Kinder ohne manifeste Karies * (n insgesamt = 76) Kinder mit manifester Karies (n=89) naturgesunden Kinder (n=50) Kariesrisikokinder (n=45) 3 (3,9%) 4 (4,5%) 2 (4,0%) 1 (2,2%) 40 (52,6%) 41 (46,1%) 29 (58,0%) 19 (42,2%) 33 (43,4%) 44 (49,4%) 19 (38,0%) 25 (55,5%) > 0,05 > 0,05 Schüler insgesamt (n = 165) 7 (4,2%) 81 (49,1%) 77 (46,7%) Tabelle 6 Anzahl der Zwischenmahlzeiten. * Naturgesunde Kinder (n=50) + Kinder mit vollständig saniertem Gebiss (n=21) + Kinder mit ausschließlich initial kariösen Läsionen (n=5) Table 6 Number of snacks. * Children with natural healthy teeth (n=50) + children without caries lesions but with restorations (n=21) + children with initial signs of caries (n=5) der Erziehungsberechtigten mit Migrationshintergrund deutlich später mit der täglichen Mundhygiene begonnen wurde als bei den deutschen Kindern (30,5 Monate/17,8 Monate; p < 0,001). Außerdem reinigten die Kinder ohne Migrationshintergrund signifikant häufiger pro Tag ihre Zähne als die Kinder mit Migrationshintergrund (p = 0,004). Während rund 80 % aller befragten Eltern fluoridhaltige Zahnpaste kannten, wurde sie von weniger als zwei Drittel wissentlich angewendet. Etwa 50 % der Erziehungsberechtigten verwendeten fluoridhaltiges Speisesalz und etwa ein Viertel der Kinder nahm laut Angabe ihrer Eltern die zahnärztliche Fluoridlackapplikation in Anspruch. Allerdings nutzten die Schüler aus der unteren Mittelschicht/Unterschicht wissentlich die fluoridhaltige Zahnpaste nur zu etwa 40 % und fluoridiertes Speisesalz zu 30 % (Abb. 3). 27,3 % der Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 23

Abbildung 3 Fluoridnutzung. Figure 3 Use of fluorides. Abbildung 4 Kenntnisstand der Eltern in Abhängigkeit von der Sozialschicht. Figure 4 Parental knowledge in dependence from social class. Kinder mit Migrationshintergrund nutzten nach Angaben ihrer Eltern gar keine Fluoride. Beim Mundgesundheitsverhalten als Spiegel des Kenntnisstandes zum Thema Kariesprophylaxe zeigte sich, dass Kinder mit Migrationshintergrund ein signifikant schlechteres Gesundheitsverhalten gegenüber den eigenen Zähnen aufwiesen als die Kinder ohne Migrationshintergrund (p = 0,04). Mit zunehmender Sozialschichtzugehörigkeit verbesserte sich das Mundgesundheitsverhalten und mit zunehmender Verbesserung des Gesundheitsverhaltens sanken die dmftund die DMFT-Werte. Während ein Drittel der Eltern beim Thema Kariesprophylaxe gut informiert war, wies jeder fünfte befragte Erziehungsberechtigte einen schlechten Wissensstand auf. Rund 60 % aller 165 teilnehmenden Eltern wussten nicht, dass der Sechsjahrmolar hinter dem letzten Milchbackenzahn durchbricht. 20 % waren der Ansicht, dass der erste bleibende Molar den Platz des letzten Milchmolaren einnimmt. Je höher die Sozialschicht, umso höher war der prozentuale Anteil der Eltern, die den Durchtrittsort des Sechsjahrmolaren kannten (p < 0,01). Mit zunehmendem Kariessanierungsgrad der Kinder stieg der prozentuale Anteil der Eltern, die den Durchtrittsort des ersten bleibenden Molaren benennen konnten. Allerdings waren diese Unterschiede nicht signifikant (p > 0,05). Insgesamt konnten deutliche Wissensdefizite der Eltern bezüglich der Gesunderhaltung der Zähne, der richtigen Anzahl der Milchzähne sowie des Durchbruchs-orts der Sechsjahrmolaren festgestellt werden. In der Gruppe der Eltern mit Migrationshintergrund konnten prozentual weniger Erziehungsberechtigte mit ihrem Wissen über zahngesunde Süßigkeiten, Anzahl der Milchzähne und Durchtrittsort der Sechsjahrmolaren überzeugen. Andererseits konnte aufgezeigt werden, dass das elterliche Wissen einerseits proportional zur Sozialschicht und andererseits zum Kariessanierungsgrad des Kindes stieg (Abb. 4 und 5). Annähernd der Hälfte der Eltern mit Migrationshintergrund musste ein schlechter Wissensstand beim Thema Gesunderhaltung der ersten Dentition und des Sechsjahrmolaren bescheinigt werden. Allerdings nutzte gerade diese Grup- 24 Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1

Abbildung 5 Kenntnisstand der Eltern in Abhängigkeit vom Kariessanierungsgrad. Figure 5 Parental knowledge in dependence from degree of caries rehabilitation. pe den Hauszahnarzt als Informationsquelle beim Thema Kariesprophylaxe nur in unzureichendem Maße. Auffällig war auch, dass Eltern, die mindestens ein älteres Kind als den untersuchten Nachwuchs hatten, keinen besseren Kenntnisstand beim Thema Gesunderhaltung der ersten Dentition und des Sechsjahrmolaren aufwiesen, als die Erziehungsberechtigten ohne ältere Kinder (p > 0,05). 5 Diskussion Im Jahr 2000 und 2004 waren immer noch fast die Hälfte aller kariösen Milchzähne nicht mit einer intakten Füllung versorgt [17, 18, 19]. Bei den 165 an dieser Studie teilnehmenden Kindern wurde ebenfalls ein unzureichender Sanierungsgrad der ersten Dentition von unter 50 % ermittelt. Auffällig waren die unterschiedlichen Milchzahnsanierungsgrade an den drei untersuchten Schulen in der Stadt Leer. Ob dies an unterschiedlichen Gepflogenheiten der im Einzugsbereich der jeweiligen Schule tätigen Zahnärzte liegt, liegt nahe, konnte aber in dieser Studie nicht hinterfragt werden. Der hohe Kariessanierungsgrad der ersten Dentition an der einen Schule in der Stadt Leer lässt sich vermutlich mit dem gehobenen sozialen Umfeld und mit dem guten Bildungsstand und dem damit verbundenen Gesundheitsbewusstsein der befragten Eltern erklären. Vielleicht auch mit einem höheren Anteil an privat versicherten Patienten. Splieth et al. [21] haben im Zusammenhang mit unterschiedlichen Milchzahnsanierungsgraden niedergelassene Zahnärzte vor 2004 befragt, welche Schwierigkeiten sie bei der zahnärztlichen Behandlung von Milchzähnen sehen. Die Angst der Kinder und die schlechte Vergütung für Füllungen (die Honorierung wurde 2004 verbessert) wurden damals als Hindernisse bei der zahnärztlichen Behandlung empfunden. Während in der ehemaligen DDR Kinderzahnheilkunde an allen zahnmedizinischen Fakultäten in Theorie und Praxis gelehrt wurde, gab es in Westdeutschland vor 1990 nur zwei Universitäten, die überhaupt eine Abteilung Kinderzahnheilkunde eingerichtet hatten. Vor 1990 beinhaltete die zahnärztliche Ausbildung in Westdeutschland keine Kurse oder Prüfungen in dem Fach Kinderzahnheilkunde. Vor diesem Hintergrund ist als Ursache für die unzureichende Milchzahnsanierung auch eine unzureichende universitäre Ausbildung der Zahnärzte zu diskutieren, die vor 1990 in Westdeutschland ihr Examen gemacht haben [21]. Ein deutlich späterer Zahnpflegebeginn bei Kindern mit Migrationshintergrund ist keine Seltenheit. So räumte Pavkovic in den Familien mit Migrationshintergrund einen Zahnpflegebeginn erst mit Schuleintritt ein [16]. In der vorliegenden Studie wurde unter den Kindern mit Migrationshintergrund häufig nicht erst im Schulalter, sondern im Kindergartenalter die Zahnpflege aufgenommen. An dieser im Vergleich zu Pavkovic [16] positiven Entwicklung hat sicherlich der jugendzahnärztliche Dienst im Landkreis Leer seinen Anteil. Zwei Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund wurden bereits im Rahmen der Reihenuntersuchung in den Kindergärten erfasst und spielerisch an die Notwendigkeit der täglichen Zahnpflege herangeführt. Der Wissensstand der Eltern im Landkreis Leer über die Anzahl der Milchzähne war mangelhaft, da nur ein Drittel der Erziehungsberechtigten die richtige Antwort kannte. Nur geringfügig besser war die Kenntnis beim Durchbruchsort der Sechsjahrmolaren. Dabei muss gerade dem Sechsjahrmolaren, der keinen Milchzahn als Vorgänger hat, die nötige Aufmerksamkeit geschenkt werden, um ihn vor einem Kariesbefall in der Phase der posteruptiven Schmelzreifung zu schützen. Carvalho et al. stellten bei fehlendem Antagonistenkontakt aufgrund mangelnder mechanischer Selbstreinigung durch den Gegenzahn eine signifikant erhöhte Plaqueakkumulation fest [3]. Da die besagte Selbstreinigung gering ausfällt, ist es umso wichtiger, dass die spezielle quere Pflegetechnik zur Reinigung der Okklusalflächen angewendet wird. In den meisten Informationsbroschüren über eine effektive Mundhygiene bei Kindern findet sich kein Hinweis auf diese spezielle quere Pflegetechnik. Aus dem Jahr 2006 stammen die Hinweise von Splieth et al. [22] und der Universität Zürich [2], die sich mit dem Thema Bürsttechnik für durchbrechende Zäh- Deutscher Ärzte-Verlag, Köln Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 32 (2010) 1 25

ne auseinandergesetzt haben. In beiden Fällen richten sich die Hinweise aber an Zahnärzte und Schulzahnpflegehelferinnen und nicht an Eltern von Kindern mit durchbrechenden Molaren. In der vorliegenden Studie bestätigen sich die von Collatz [4] und der im Kinder- und Jugendsurvey (KiGGS) der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [20] dargestellten Zusammenhänge: Je niedriger der soziale Status, umso risikoträchtiger die Lebenssituation, umso geringer fällt die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen aus. Im Landkreis Leer nahmen mit steigendem Sozialstatus die Kariesprävalenz in der ersten sowie in der zweiten Dentition ab, die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen wie die Fluoridlackapplikation zu und Wissensdefizite wurden geringer. Mit zunehmendem Kariessanierungsgrad verbesserte sich interessanterweise der Wissensstand der Eltern über die Gesunderhaltung der Milchzähne und des Sechsjahrmolaren. Dieses Ergebnis könnte darauf hindeuten, dass mit der Diagnose Karies eine Bewusstwerdung der Eltern verbunden ist, dass die bisherige Mundpflege nicht ausreichte. Während der Kariestherapie können die behandelnden Hauszahnärzte auch die Chance genutzt haben, entsprechende Informationen und ggf. Fertigkeiten an die Eltern weiterzugeben. Insgesamt wurde nach Ermittlung der Wissensdefizite auf dem Gebiet der Gesunderhaltung der Milchzähne und des Sechsjahrmolaren der geringe allgemeine Kenntnisstand auf diesem Gebiet deutlich. Ziel muss es daher sein, durch gezielte Aufklärung den Eltern einen Leitfaden für die Gesunderhaltung der Zähne ihres Kindes an die Hand zu geben, um das elterliche Verständnis der Zusammenhänge zu erweitern. Nur wenn Erziehungsberechtigte selbst wissen, welche Prozesse sich im kindlichen Gebiss abspielen und welche Maßnahmen zur Prävention von Zahnschäden zu ergreifen sind, können sie ihre Kinder adäquat bei einer gesunden Gebissentwicklung unterstützen. In einer Studie im Kanton Bern [11] konnte gezeigt werden, dass Kenntnisse, die im Laufe der jährlichen Prophylaxeimpulse öfter von den Schulzahnpflegehelferinnen repetiert wurden, deutlich besser von den Schülern reproduziert wurden, als Wissensgebiete, die nur selten angesprochen wurden. Angesichts der aufgezeigten Wissens- und Verständnisdefizite ist es auch heute noch erforderlich, alle Eltern zeitnah und vorausschauend dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechend zu informieren. Nicht vergessen werden darf, das die Wissensvermittlung allein keine ausreichende Bedingung für ein gutes Zahnpflegeverhalten darstellt [13, 25]. Zunächst muss bei den Patienten eine Bereitschaft zur Aufnahme dieses Wissens geschaffen werden [25]. Wenn zur Zeit nur bei Familien der oberen Sozial- und Bildungsschichten dieses Interesse vorausgesetzt werden kann, ist es für die anderen Familien notwendig, sie vorausschauend auf wissenschaftlich bekannte Risiken und mögliche Fehlentwicklungen hinzuweisen und zu beraten. Spätestens bei frühzeitig festgestellten Zahnschäden (Entkalkungen,...) ist die Chance der Betroffenheit zu nutzen, um Eltern und Kinder zu motivieren, zukünftig das Richtige und Notwendige zu tun. Dies ist dem heutigen Erkenntnisstand entsprechend eine ethische Verpflichtung. Leider scheint dies heute in überflüssig vielen Fällen noch nicht wirksam genug zu geschehen. Danksagung Bedanken möchten wir uns bei Dr. Christian Marga (Leiter des Gesundheitsamts), der die Studie im Landkreis Leer ermöglicht hat sowie bei Dr. Heidrun Schoel und Dr. Heinz Gerdes und ihrem Team Antke Peters und Inga Wegmann, die die Datenerhebung tatkräftig unterstützt haben. Ebenso danken wir allen beteiligten Kindern und ihren Eltern. Nicht zuletzt sei der Firma Gaba GmbH gedankt, die Geschenke für die teilnehmenden Kinder zur Verfügung gestellt hatte. Literaturverzeichnis 1. Borutta A, Kneist S, Chemnitus P, Hufnagl S: Veränderungen im Ernährungsverhalten und in der Mundgesundheit von Vorschulkindern. Oralprophylaxe Kinderzahnheilkd 27, 100 104 (2005) 2. Bulletin für Schulzahnpflegehelferinnen: Bürsttechnik für durchbrechende 2. bleibende Molaren (7er). Universität Zürich 90, 3 (2006) 3. Carvalho JC, Ekstrand KR, Thylstrup A: Dental plaque and caries on occlusal surface of first permant molars in relation to stage of eruption. J Dent Res 68, 773 779 (1989) 4. Collatz J: Migration und Krankheit Ausgangslage, Versorgungsbarrieren und Chancen kultursensibler Prophylaxe. In Schneller T, Salman R, Goepel C (Hrsg): Handbuch Oralprophylaxe und Mundgesundheit bei Migranten. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege, Bonn 2001, 66 76 5. DAJ-Grundsätze zur Definition von Kindern mit hohem Kariesrisiko. 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