Dagmar Starke Daten für Taten gesundheitliche Bedarfe ermitteln und interpretieren
Von der Medizinalstatistik zur Gesundheitsberichterstattung Medizinalstatistik Auflistung von Geburten und Sterbefällen Morbiditätsstatistik Mortalitätsstatistik Heilpersonal Krankenhäuser 2
Zäsur 2. Weltkrieg Der 2. Weltkrieg stellte eine Zäsur der Epidemiologie und Sozialmedizin dar. In Deutschland waren epidemiologische Studien, wie die Sozialmedizin insgesamt, lange Zeit diskreditiert: die Sozialmedizin war im Nationalsozialismus zur Rassenhygiene mutiert und hat im erheblichen Umfang zur Vernichtung von Menschen beigetragen ( Sozialhygiene ). Erst mit Gründung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin 1965 und der Errichtung der ersten Lehrstühle in Heidelberg und Hannover begann sich das Fach und die Kerndisziplin Epidemiologie wieder zu etablieren. Mit bevölkerungsbezogenen Studien konnte die Sozialmedizin in Deutschland erst in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder Fuß fassen (Kuhn, Wildner 2006; Swart 2008) 3
Auf neuen Wegen WHO Gesunde Städte SVR 4
Die modernen GBE entsteht durch eine Diskussion um Kosten und Steuerung des Gesundheitswesens die Renaissance von Public Health und Bewegungen wie Gesunde Städte/ Regionen und den Wunsch nach Überwindung der alten Medizinalstatistik 5
Definition: Gesundheitsberichterstattung Lagebeschreibung und Ermittlung von vordringlichen Handlungsbedarfen nutzt gesundheitsbezogene Daten und Informationen bewertet diese hinsichtlich ihrer Aussagekraft analysiert sie mit wissenschaftlichen Methoden stellt sie verdichtet und adressatenorientiert dar ist auf Wiederholbarkeit und Vergleichbarkeit angelegt. 6
Funktionen von Gesundheitsberichterstattung Information Koordination Legitimation Transparenz im Gesundheitswesen Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen Allokation Politikberatung 7
GBE soll darf muss GBE soll durch geeignete Themenwahl, Darstellungsformen und Vermarktungsstrategien die Öffentlichkeit für die Belange der Gesundheit sensibilisieren und so deren Gewicht im politischen Zusammenspiel erhöhen. GBE darf zu diesem Zweck durchaus Kontroversen initiieren und durch Inhalt und Darstellungsform Betroffenheit erzeugen. GBE muss muss ein Teil der Unternehmensphilosophie im Bereich öffentliche Gesundheit sein/werden. 8
GBE ist interdisziplinär kostet Geld und Zeit erhöht mittelfristig die Kompetenzen eines Gesundheitsamtes und das Ansehen dient der Planung von Aktivitäten des Gesundheitsamtes oder verschiedener Akteur*innen im Gesundheitswesen benötigt ein gutes Projekt- und Zeitmanagement 9
Die Situation der GBE in Deutschland Diversifizität vorhandener Daten und deren Aufbereitung Unterschiede in den personellen und finanziellen Ressourcen Heterogenität in der Qualifizierung der GBLer*innen politische Wahr nehmung der GBE 10
Meldewesen Screening Surveillance Schuleingangsuntersuchung Amtsärztliche Gutachten Labor ÖGD Gutachten SPDi Schwangerschaftskonfliktberatung Todesbescheinigungen Gutachten KJGD HIV-Tests Betreuungswesen Zahnärztlicher Dienst 11
GBE in Bund, Ländern und Kommunen 12
GBE Bund Verantwortung BMG Aufgabe Beschreibung des Gesundheitswesens Beschreibung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung Ausgewählte Themen Rahmenbedingungen Gesundheitliche Lage, einzelne wichtige Erkrankungen Kosten und Finanzierung, Leistungen und Inanspruchnahme 13
GBE Bund: Zweck = Grundlage für politische Entscheidungen Informations- und Datenbasis Transparenz im Gesundheitswesen Erfolgskontrolle durchgefu hrter Maßnahmen Entwicklung und Evaluation von Gesundheitszielen 14
GBE Bund: Durchführung RKI Koordinierung und inhaltliche Bearbeitung Aktualisierung der GBE Statistische Bundesamt Informations- und Dokumentationszentrum Gesundheitsdaten Sammlung, Aufbereitung, Verknüpfung und Aktualisierung erforderlicher Daten 15
GBE in Ländern und Kommunen GBE Land ist in Gesundheitsdienst-Gesetzen verankert zuständig sind in der Regel die Landesgesundheitsämter GBE Kommunen Unterstützung durch Landesebene zuständig sind die unteren Gesundheitsbehörden. 16
(modifiziert nach Kuhn, Ziese 2012) Land Periodizität Parlamentspflicht Planungsbezug Rechtsquelle BW 6 ÖGDG BY Art. 10 GDVG B (jährlich) (informiert) 1 (3), 5, 6 GDG BB 1 (2), 15, 16 BbgG-DG HB (alle 4 Jahre) 2 (1), 9-12 ÖGDG HH (alle 5 Jahre) 4, 5 HmbGDG HE 13 HGöGD MV ( regelmäßig ) 1 (2), 24 ÖGDG M-V Nds 8 NGöGD NRW ( regelmäßig ) 1, 6 (1), 7 (2), 21, 24 (3), 25, 27 ÖGDG RP ( regelmäßig, i.d.r. alle 5 J) 1 (1), 5 (1), 10 ÖGdG SL 1 (1), 6 ÖGDG SN Nur Rahmenvorschrift zur Datenerfassung und -auswertung 1 (1) Punkt 2 SächsGDG ST ( regelmäßig, mind. alle 2 J) 1 (1), 11, 12 GDG LSA SH (einmal pro Legislaturperiode) 6 GDG TH Nur Rahmenvorschrift zur Datenerfassung und -auswertung 1(1) ÖGD-Verordnung 17
Weitere Rahmenbedingungen Ausgangssituation Bevölkerungsstand, z.b. Alter, Bevölkerungsanteil mit Zuwanderungsgeschichte, Anteil Erwerbslose Versorgungsstruktur, Gesundheitseinrichtungen Kommunalpolitische Schwerpunkte Gesunde Stadt, Umwelt, Kindergesundheit Parteipolitische Interessen Situation alter Menschen, Situation von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte Gesundheitswirtschaft Theoretische Konzepte 18
Daten, Datenquellen und Datenhalter 19
Datenhalter Statistisches Bundesamt Statistische Landesämter Gesetzliche Krankenkassen Kassen(zahn)ärztliche (Bundes-)Vereinigung(en) Landesärztekammer, Bundesärztekammer Deutsche gesetzliche Unfallversicherung Deutsche Rentenversicherung Robert Koch-Institut Paul Ehrlich-Institut 20
Statistisches Bundesamt/ Robert Koch-Institut www.gbe-bund.de www.destatis.de www.rki.de Statistische Landesämter www.regionalstatistik.de Daten Datenquellen Datenhalter Oberste Landesgesundheitsbehörden: Indikatorensatz für die GBE der Länder Bertelsmannstiftung: Wegweiser Kommune Dritte Fassung, 2003 21
Integrierte GBE 22
Dahlgren & Whitehead 1991 23
Kennzeichen integrierter Gesundheitsberichterstattung 1. Integration auf der methodisch-inhaltlichen Ebene (Zusammenführung von Daten, Interpretation der Ergebnisse aus verschiedenen Perspektiven) 2. Integration unterschiedlicher Akteure bei der Berichterstellung (ressortübergreifende Zusammenarbeit, Einbindung von Entscheidungsträgern aus Politik und Verwaltung) (Süß 2007) 24
Stand der integrierten GBE Bei Verwendung des AOLG-Indikatorensatzes wird häufig mind. Stufe 3 erreicht Themengebiet 2: wirtschaftliche und soziale Lage Bei differenzierter Betrachtung der Bevölkerung ist ebenfalls Stufe 2 bis Stufe 3 möglich. 25
Die Population kennen: Beispiel Jugend- /Altenquotient ST 24,0 Jugendquotient (in %) Altenquotient (in %) NDS NRW HE SH NDS NRW HE SH 2013 32,0 31,0 30,5 31,7 35,6 33,8 30,5 31,7 2020 29,9 29,6 29,5 29,5 38,9 36,6 35,7 40,9 2030 31,8 31,9 31,5 31,3 52,4 49,0 47,3 54,0 2040 31,6 31,7 31,2 31,1 62,1 57,4 55,7 64,5 2050 30,4 30,1 30,1 30,1 63,2 59,0 58,8 66,9 HH 29,9 2060 32,1 31,4 31,4 31,8 66,0 63,8 63,9 69,4 BB 34,3 BB 79,4 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2015 Bevölkerungsentwicklung in den Bundesländern bis 2060. Ergebnisse der 13. koord. Bevölkerungsvorausberechnung. 26
Kleinräumige Betrachtung nach Schulen Legende: MW (Mittelwert), SD (Standardabweichung), Min (Minimum), Max (Maximum), 25. (25. Perzentile), 75. (75. Perzentile) Quelle: 2. Integrierte Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung 2010. Gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen. Hrsg: Landeshauptstadt Düsseldorf, Der Oberbürgermeister 27
Gesundheit hält sich nicht an Stadtgrenzen (Muscheid, Straßmann 2011) 28
Gute Praxis Gesundheitsberichterstattung 29
Starke, Tempel, Butler, Starker, Zühlke, Borrmann (2017) 30
Akademie für öffentliches Gesundheitswesen Kanzlerstraße 4 D 40472 Düsseldorf Tel.: +49 (0) 211 31096-10 Fax: +49 (0) 211 31096-69 Web: www.akademie-oegw.de 31