Besitz als Straftat* Von Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, Regensburg ZIS 11/2007



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Besitz als Straftat* Von Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder, Regensburg I. Einführung Bei meinen Forschungen über den Besitz als Straftat machte mich Tomasz Kaczmarek darauf aufmerksam, daß die dogmatische Eigenständigkeit des Besitzes in der polnischen Strafrechtswissenschaft schon frühzeitig vertreten worden sei. 1 Dies war nicht nur ein Hinweis auf die beachtliche Originalität der polnischen Strafrechtsdogmatik, sondern hat mich in meiner Auffassung des Besitzes als eigenständiger Form des strafbaren Verhaltens bestärkt. Aus diesem Grunde widme ich Tomasz Kaczmarek den folgenden Beitrag. Einige neuere Strafgesetze haben den Blick auf eine Form von Straftaten gelenkt, die bei näherem Zusehen erhebliche Probleme aufwirft: die Straftaten des Besitzes von Gegenständen. Derartige Strafvorschriften sind häufiger als man glaubt. Dabei wird nicht immer das Wort besitzen verwendet. Der Gesetzgeber gebraucht auch die Worte vorrätig halten, aufbewahren, lagern u.ä. Unter Strafe gestellt ist der Besitz von Sprengstoffen, von Schußwaffen, von Drogen, von Kinderpornographie und vielen anderen Gegenständen. Im deutschen Recht gibt es mehr als hundert Vorschriften, die den Besitz von Gegenständen unter Strafe stellen. 2 Das deutsche Strafgesetzbuch sieht darüber hinaus bei der bedingten Aussetzung der Strafverbüßung, der bedingten Aussetzung des Strafrestes und der Sicherungsmaßnahme der Führungsaufsicht die Weisung vor, bestimmte Gegenstände, die dem Verurteilten Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen ( 56c Abs. 2 Nr. 4, 57 Abs. 3, 68b Abs. 1 Nr. 5 StGB). Bei einem gröblichen oder beharrlichen Verstoß gegen diese Weisung erfolgt ein Widerruf der Aussetzung der Strafe oder des Strafrestes ( 56f Abs. 1, 57 Abs. 3 StGB) oder bei Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht eine Bestrafung ( 145a StGB). II. Geschichte, internationales Recht Die Unterstrafestellung des Besitzes von Gegenständen ist allerdings nicht erst eine Erfindung des modernen, auf die Vorverlagerung der Strafbarkeit erpichten, Gesetzgebers und auch nicht nur des deutschen Gesetzgebers. Gerade unentwickelten Rechten mußte es sich aufdrängen, an die offensichtliche Gefährlichkeit von Gegenständen anzuknüpfen. So bedrohte das römische Gesetz gegen die Banditen und die * Geringfügig geänderte Fassung des ursprünglich in der Festschrift für Kaczmarek veröffentlichten Beitrages (in: Giezka [Hrsg.], Przestępstwo kara polityka kryminalna. Problemy tworzenia i funkcionowania prawa, Księga jubileuszowa z okazji 70. rocznicy urodzin Profesora Tomasza Kaczmarka, 2006, S. 557). 1 Andrejew, Ustawowe znamiona przestępstwa (Die gesetzlichen Merkmale der Straftat), 1959, S. 101 f.; ders., Polskie prawo karne w zarysie (Das polnische Strafrecht im Überblick), 3. Aufl. 1973, S. 104; Wolter, Nauka o przestępstwie, 1973, S. 56. 2 Eckstein, Besitz als Straftat, 2001, S. 23. Giftmischer von 81 v. Chr. das Haben von Gift mit der Todesstrafe; ob eine Tötungsabsicht nachgewiesen werden musste, ist unklar 3. Dagegen zeigte sich in der Aufklärungszeit trotz der umfangreichen Policey -Gesetzgebung eine auffallende Zurückhaltung gegenüber Besitzstraftatbeständen. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794/98 mit seinen zahlreichen Verhütungsvorschriften war nur die Übergabe von gefährlichen Gegenständen an unbefugte Personen unter Strafe gestellt, so von Gift (II 20 697) und Schießpulver ( 700). Als Ende des 19. Jahrhunderts eine Welle anarchistischer Sprengstoffattentate gegen die damaligen Staatsoberhäupter ausbrach, ergingen überall in Europa einschlägige Anarchisten- und Sprengstoffgesetze. Das deutsche Gesetz gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9.6.1884 stellte dabei u.a. den Besitz von Sprengstoff ohne polizeiliche Genehmigung unter Strafe ( 8, 9). Auch andere Gesetze stellten auf die fehlende Erlaubnis ab, wie z.b. das Gesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30.6.1900. Hierbei wurde jedoch hinter einem scheinbaren Verstoß gegen die Genehmigungspflicht in Wahrheit ein Verbot des Besitzes versteckt. 4 Auch die internationalen Verträge und Richtlinien sind mit einer Strafbarkeit des Besitzes schnell bei der Hand. Schon das internationale Opiumabkommen von 1925 enthielt die Verpflichtung, jeden Besitz von Betäubungsmitteln durch unbefugte Personen zu untersagen (Art. 7). 5 Mit Empfehlung N R (91) 11 vom 9.11.1991 empfahl das Ministerkomitee des Europarats eine Prüfung der Einführung der Bestrafung des Besitzes kinderpornographischen Materials. Der Rahmenbeschluß des Rates der Europäischen Union vom 28.5.2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln verlangt die Unterstrafestellung des Besitzes von gestohlenen oder in anderer Weise widerrechtlich angeeigneten ge- oder verfälschten Zahlungsinstrumenten zum Zwecke betrügerischer Verwendung (Art. 2) und des Besitzes von Gerätschaften, Gegenständen, Computerprogrammen und anderen Mitteln, die ihrer Beschaffenheit nach zur Begehung von Fälschung oder Verfälschung eines Zahlungsinstruments zum Zwecke betrügerischer Verwendung besonders geeignet sind, und von Computerprogrammen mit dem Zweck der Vermögensschädigung durch unrechtmäßige Ausführung oder Veranlassung einer Übertragung von Geld (Art. 4). Auch das Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union definiert die Hehlerei u.a. als Besitz von Vermögenswerten, die durch die von ihm vorgesehenen Straftaten erlangt wurden (Art. 7 Abs. 2). 3 Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899, S. 636. 4 Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, 1970, S. 315 f. 5 S. jetzt Art. 3 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen vom 20.12.1988. 444 ZIS 11/2007

Besitz als Straftat III. Forschungsstand Die Straftatbestände, die den Besitz von Gegenständen unter Strafe stellen, werden in der deutschen Strafrechtswissenschaft zunehmend als besondere Gruppe erkannt und problematisiert. Für sie hat sich inzwischen die Bezeichnung Besitzdelikte herausgebildet. Anläßlich der Kriminalisierung des Besitzes von Kinderpornographie in Deutschland im Jahre 1993 wies ich darauf hin, daß eine allgemeine Untersuchung der Strafwürdigkeit des Besitzes von Gegenständen und ihrer dogmatischen Natur noch ausstehe. 6 Eine erste Untersuchung der Problematik der Strafbarkeit des Besitzes im Rahmen des Rechtsgüterschutzes unternahm 1994 Cornelius Nestler. 7 1996 erörterte Otto Lagodny die Besitzdelikte eingehend in seiner Schrift Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte und beurteilte sie als verfassungswidrig. 8 1999 bezeichnete sie Eberhard Struensee in der Festschrift für Grünwald als legislatorischen Fehltritt, da sie kein Verhalten beschrieben. 9 Im Jahre 2001 schließlich hat ihnen auf meine Anregung hin mein Assistent Ken Eckstein seine eingehende Dissertation Besitz als Straftat gewidmet. 10 In Lehrbüchern zum englischen und anglo-amerikanischen Strafrecht gibt es seit längerem besondere Abschnitte über die Besitzdelikte. 11 Dort gibt es sogar den sog. constructive possession als bloße Kontrollmöglichkeit. Die diesbezüglichen Ausführungen in der anglo-amerikanischen Literatur kommen allerdings über die Formulierung einiger Bedenken gegen die Tatbestände kaum hinaus. IV. Doppelte Vorverlagerung In der Pönalisierung des Besitzes liegt gegenüber den klassischen Verletzungs- und Erfolgsdelikten eine doppelte Ausweitung und Vorverlagerung. Eine erste Ausweitung liegt in der Strafbarkeit der bloßen Verwendung gefährlicher Gegenstände ohne Rücksicht auf ihren Erfolg, wie z.b. der unerlaubten Anwendung von Sprengstoffen und Schußwaffen. Die zweite Ausweitung liegt darin, daß schon der bloße Besitz von bestimmten Gegenständen unter Strafe gestellt wird. Dogmatisch gesehen können die Besitzdelikte damit allenfalls Gefährdungsdelikte sein, und zwar, da die Gefahr nicht ausdrücklich nachgewiesen zu werden braucht, abstrakte Gefährdungsdelikte. V. Kriminalpolitische Begründung Mit der Kriminalisierung des Besitzes verfolgt der Gesetzgeber unterschiedliche Ziele oder anders ausgedrückt in dem Besitz von Gegenständen sieht der Gesetzgeber unterschiedliche Gefahren. 6 NJW 1993, 2581 ff. (2582). 7 Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a.m. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, S. 65 ff. 8 Ebd., S. 318 ff. 9 Ebd., S. 713 ff. 10 S. Fn. 2. 11 S. z.b. Ashworth, Principles of Criminal Law, 4. Aufl. 2003, Kap. 4 3b; LaFave, ebd., 5.1.e. 1. Reine Besitzdelikte Manche Gegenstände sind schon für sich selbst gefährlich, z.b. Gegenstände, die explodieren oder sich entzünden können, oder Krankheitserreger. Andere Gegenstände bieten die Gefahr einer schadensverursachenden Verwendung durch den Besitzer oder dritte Personen oder provozieren geradezu dazu. Dies gilt vor allem für den Besitz von Schußwaffen. Dabei kommen nicht nur Kinder oder sonst schuldunfähige Personen, z.b. Amokläufer, in Betracht, sondern auch eigenverantwortlich handelnde Personen. Im deutschen Recht ist seit 1972 auch der Besitz von Drogen strafbar ( 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG). Diese Strafbestimmung erfaßt sogar den Besitz zum Eigenkonsum. Als Rechtsgut wird hier von einigen die allgemeine Gesundheit, die Volksgesundheit angesehen, da sich der Konsument in Abhängigkeit von den Drogen begebe und damit das allgemeine Gesundheitswesen belaste. Dieser Gesichtspunkt erscheint allerdings sehr fragwürdig, denn den Eigenkonsum selbst hat das Gesetz straflos gelassen. Besser erscheint der Gesichtspunkt der Gefahr der Weitergabe, die angesichts der zunehmenden Vermischung von Konsumenten- und Dealertätigkeit besonders nahe liegt. 12 2. Besitz mit Verwendungsabsicht Manche Besitzdelikte machen die Absicht der Verwendung der im Besitz befindlichen Gegenstände zum Tatbestandsmerkmal, verlangen also eine überschießende Innentendenz. Insbesondere bei dem Besitz gefährlicher Schriften verlangt das deutsche Recht die Absicht der Verbreitung (z.b. 86 Abs. 1, 86a Abs. 1 Nr. 2, 130 Abs. 1 Nr. 1d, Abs. 4, 131 Abs. 1 Nr. 4, 184 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Nr. 3). Auch die Absichtsdelikte sind abstrakte Gefährdungsdelikte. 13 Mit der Absicht wird die vom Gesetzgeber befürchtete Gefahr ausdrücklich benannt. Die Absicht, einen Gegenstand zu verwenden, erfaßt übrigens nicht den Fall, daß andere die Gegenstände verwenden sollen, z.b. Schriften verbreiten sollen. Damit ermöglicht sie eine Umgehung der Strafbarkeit durch Arbeitsteilung. Früher hatte man keine Bedenken, dieses Verhalten auch unter das Merkmal der Absicht der Verwendung zu bringen. Inzwischen hat der deutsche Gesetzgeber die entsprechenden Vorschriften präzisiert und gebraucht die Formulierung um zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen (z.b. 130 Abs. 1 Nr. 1d, Abs. 4, 131 Abs. 1 Nr. 4, 184 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Nr. 3) 14. 3. Besitz als Vorbereitung Der deutsche Strafgesetzgeber hat noch eine weitere Form der Strafbarkeit des Besitzes eingeführt. Nach 310 StGB wird bestraft, wer zur Vorbereitung eines Explosions- oder 12 Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil, Bd. 2, 8. Aufl. 1999, 56 Rn. 6; BVerfGE 90, 145 (187). 13 Schroeder (Fn. 4), S. 311. 14 Hierzu Schroeder, in: Eser/Schittenhelm/Schumann (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 333 ff. (335 f.); ders., JZ 2002, 412 f. Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 445

Friedrich-Christian Schroeder Strahlungsverbrechens radioaktive Stoffe, Sprengstoffe oder sonstige zur Ausführung der Tat erforderliche Vorrichtungen verwahrt (ähnlich 316c Abs. 4 für Flugzeug- und Schiffsentführungen). Auch die Formulierung zur bedeutet in der Absicht. Zugleich wird hier der Besitz von Gegenständen zu einem Stadium der Deliktsverwirklichung, nämlich der Vorbereitung, bzw. wird umgekehrt das gefährlich weite Deliktsstadium der Vorbereitung durch eine Konkretisierung, nämlich den Besitz von zur Tat erforderlichen Gegenständen, eingeengt. Eine ähnliche Form der Strafbarkeit des Besitzes findet sich bei den Geldfälschungsdelikten. Hier heißt es: Wer eine Fälschung von Geld oder Wertzeichen vorbereitet, indem er Platten, Formen, Computerprogramme u.ä. oder zur Herstellung von Geld oder Wertzeichen bestimmtes Papier verwahrt ( 149, 152a Abs. 5, 275 StGB). Durch diesen Tatbestand wird nicht wie man nach dem Wortlaut meinen könnte die Verwahrung der genannten Gegenstände zur Vorbereitung erklärt, sondern auch hier ist darüber hinaus eine Vorbereitung erforderlich, 15 so daß der Tatbestand ebenfalls auf eine Verwahrung zur Vorbereitung hinausläuft. Die bloße Verwahrung derartiger Gegenstände ohne Vorbereitung ist eine Ordnungswidrigkeit ( 127 OWiG). Auch das Vorbereitungsdelikt ist ein Absichtsdelikt, da dem Täter nachgewiesen werden muß, daß er ein bestimmtes Delikt plant. 16 Diese Ausführungen zeigen die enge Verbindung der Strafbarkeit des Besitzes mit dem Deliktsstadium der Vorbereitung. Allerdings erscheint es nicht richtig, wenn Günther Jakobs umgekehrt jede Besitzstrafbarkeit zur Vorbereitung eines eigenen Delikts oder zur Teilnahme an einem fremden, noch im Vorbereitungsstadium stehenden Delikt erklärt. 17 Denn die Vorbereitung verlangt die Absicht der späteren Begehung eines Delikts. Der Besitz wird aber zum Teil für strafbar erklärt, weil die Gefahr einer Selbstentzündung oder sonstigen Selbstauslösung des Schadens (z.b. Krankheitserreger) oder nur die Gefahr der späteren Begehung eigener oder fremder Straftaten besteht. Außerdem besteht die Gefahr der Begehung von Straftaten durch Kinder oder sonst schuldunfähige Personen. Diese Gefahr hat sich beim Besitz von Schußwaffen oft genug realisiert. Allerdings erscheint es fraglich, wieso die Vorbereitung als eine Handlung durch das bloße Verwahren, also einen bloßen Besitz, vorgenommen werden kann. Hierauf ist später noch zurückzukommen. 4. Besitz als Herstellungsanreiz 1993 wurde in der Bundesrepublik Deutschland im Anschluß an die erwähnte Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats der Besitz von Kinderpornographie unter Strafe gestellt. Dieses Gesetz war überaus umstritten, denn nach klassischer Betrachtungsweise enthielt die Pornographie nur die Gefahr der Hervorrufung einer negativen oder sogar aggressiven Einstellung zur Sexualität beim Konsumenten und war daher nur das Verbreiten von Pornographie strafbar. Der bloße Besitz kann solche Einstellungen aber nicht verbreiten. Ich habe jedoch vor dem zuständigen Ausschuß des Deutschen Bundestages dargelegt, daß bei Kinderpornographie nicht so sehr Massenprodukte verbreitet werden als Privatvideos mit kleiner Auflage. Damit fördert jeder Erwerb und Besitz von Kinderpornographie die Herstellung entsprechender Aufnahmen. Eine entsprechende Strafdrohung schützt daher die für die Aufnahmen verwendeten kindlichen Darsteller. 18 5. Beweiserleichterung Nun liegt in der Benutzung der Kinder zur Herstellung pornographischer Filme ein sexueller Mißbrauch der Kinder, und hierfür gibt es entsprechende Strafvorschriften. Von der Polizei wurde jedoch geltend gemacht, daß auf den Filmen und Videos die beteiligten Personen oft nicht erkennbar seien. Zu der Bekämpfung brauche man daher Strafvorschriften gegen den bloßen Besitz von Kinderpornographie. Hierin zeigt sich eine weitere Funktion der Vorschriften gegen den Besitz von Gegenständen. Er liegt in der Erleichterung des Beweises. Entsprechend der Funktion des Tatbestandes zum Schutz der für die Aufnahmen benutzten Kinder wurde der Tatbestand auf kinderpornographische Darstellungen beschränkt, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben ( 184 Abs. 4, 5 StGB). Die technische Perfektionierung des Herstellungsund Druckwesens führte jedoch bald dazu, daß die Täter behaupteten, es handle sich um eine bloße Computersimulation. Um diesen Einwand abzuschneiden, wurden auch wirklichkeitsnahe Darstellungen einbezogen. Auch hier zeigt sich wieder die Funktion der Besitzstraftatbestände als Beweiserleichterung. Allgemein dient die Pönalisierung des Besitzes dazu, den Nachweis des Erwerbs der Gegenstände zu ersparen 19 und den Einwand der Verjährung des Besitzerwerbs auszuschalten. 20 VI. Rechtliche Einwände gegen die Vorverlagerung der Strafbarkeit Die Besitzdelikte wurden wegen ihrer Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes angegriffen. Nach Lagodny nähern sie sich der unzulässigen Anknüpfung am bloßen bösen Gedanken. 21 Sie fallen unter die generelle Kritik an den abstrakten Gefährdungsdelikten, die wegen der dadurch bedingten Aufweichung und Auflösung des Rechtsgüterschutzes vielfach angegriffen werden, vor allem von der Frankfurter Schule. Indessen kann auf die abstrakten Gefährdungsdelikte nicht völlig verzichtet werden, und auch die Kritik läßt abstrakte Gefährdungsdelikte mit in ihrem Unrechtsgehalt sichtbaren Gefährdungen, die menschliche Interessen flagrant bedro- 15 Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl. 2001, 149 Rn. 7. 16 Schroeder (Fn. 4), S. 300. 17 Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 6. Abschnitt Rn. 86a. Ihm folgend Nestler (Fn. 7), S. 67. 18 Schroeder, ZRP 1990, 299 und NJW 1993, 2581. 19 S. z.b. BT-Drs. VI/1877, S. 9; VI/3566, S. 8. 20 BT-Drs. VI/3566, S. 2. 21 (Fn. 8), S. 318. 446 ZIS 11/2007

Besitz als Straftat hen, zu. 22 Nach Jakobs fällt hierunter vor allem die Produktion und Aufbewahrung von Prototypen von Deliktsmitteln. 23 Wir hatten festgestellt, daß der Gesetzgeber mit den Besitzdelikten deutlich vorhandene Gefahren verhindern will. Bei den Gegenständen, die von sich aus gefährlich sind (z.b. selbstentzündliche Gegenstände) oder in der Hand Dritter gefährlich werden können (z.b. Waffen), könnte allerdings eine sachgemäße Aufbewahrung die befürchteten Schäden ausschließen oder jedenfalls weitestgehend verhindern. Die Unterstrafestellung schon des Besitzes verstößt daher gegen das Übermaßverbot. Übrigens wird die erforderliche Sorgfalt bei der Aufbewahrung bereits durch die bestehenden Strafvorschriften gegen fahrlässige Tötung und Körperverletzung gesichert. Denn die Verhaltensnorm beim fahrlässigen Erfolgsdelikt ist die Pflicht zur Aufwendung von Sorgfalt zur Erkennung von Gefahren und zur Vermeidung der Schäden. 24 Infolge dieser Außerachtlassung der Verhaltensnorm der fahrlässigen Erfolgsdelikte und der Fixierung auf den erforderlichen Erfolg wird die Schutzwirkung der fahrlässigen Erfolgsdelikte bisher weitgehend verkannt. Völlig verfehlt erscheint in diesem Zusammenhang das Argument, daß der Gesetzgeber doch nicht erst auf den Eintritt des Erfolges warten könne. Denn um die Strafbarkeit zu vermeiden, muß der Bürger bereits die erforderliche Sorgfalt aufwenden. Eine Unterstrafestellung der bloßen Gefährdung erscheint nur dann angebracht, wenn die Gefahr des Erfolges so groß ist, daß dessen Ausbleiben nur als Zufall erscheint. Bei gefährlichen Gegenständen ist der Eintritt eines Schadens durch Selbstentzündung oder durch mißbräuchliche Benutzung von Seiten Dritter aber bisher die Ausnahme. Am wenigsten Kritik dürften die Besitzdelikte hervorrufen, die zusätzlich zu dem Besitz eine Absicht der Verwendung des Gegenstandes oder wie oben dargelegt der Ermöglichung seiner Verwendung verlangen. Diese Delikte sind gegenüber den Delikten, die den Besitz ohne jeden Zusatz unter Strafe stellen, den reinen Besitzdelikten, eingeschränkt. Die Absicht muß im Prozeß festgestellt werden. Allerdings wird kein Verdächtiger zugeben, daß er die Absicht hat, eine Straftat zu begehen. Diese Absicht wird daher im Strafverfahren regelmäßig aus äußeren Indizien geschlossen, und als solches Indiz dient wiederum der Besitz. Damit verschafft das Absichtsmerkmal dem Verdächtigen nur die Möglichkeit, durch den Hinweis auf einen anderen Zweck die Indizwirkung des Besitzes zu widerlegen. 25 Hierher gehören auch die oben erwähnten Besitz-Vorbereitungsdelikte; allerdings muß die Strafbarkeit der bloßen Vorbereitung von Straftaten auf schwerste Delikte beschränkt bleiben. 26 22 Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1994, S. 20. 23 ZStW 97 (1985), 751 ff. (770); ebenso ders. (Fn. 17), 6. Abschnitt Rn. 86a. 24 Schroeder, in: Jähnke/Laufhütte/Odersky (Hrsg.), Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. 1994, 16 Rn. 127. 25 Schroeder (Fn. 4), S. 297 ff. 26 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 207 ff. (334 f.). Bemerkenswerterweise hat nun Günther Jakobs in seinem vielbeachteten Referat auf der Strafrechtslehrertagung in Frankfurt a.m. 1985 die Auffassung vertreten, daß eine Heranziehung des Planungszusammenhangs des Täters zur Strafbegründung in den Internbereich eindringe und damit das Tatprinzip verletze und rechtsstaatlich nicht korrekt sei. 27 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Wie dargelegt, bedeutet das Absichtserfordernis bei Straftatbeständen keineswegs immer, daß die Absicht zur Strafbegründung herangezogen wird. Vielmehr gibt das Absichtserfordernis neben der abstrakten Gefährlichkeit des objektiven Verhaltens dem Täter nur die Möglichkeit, durch den Hinweis auf einen anderen Zweck die Indizwirkung des Besitzes zu widerlegen. Allerdings sind die Ausführungen von Jakobs hier nicht völlig klar; teilweise erweckt er den Eindruck, daß er sich nur gegen die Benutzung des Absichtsmerkmals zur Hochstufung in der Strafdrohung wendet. 28 Besonders lebhafte Einwände werden gegen die Strafbarkeit des Besitzes von Kinderpornographie erhoben. Wir hatten gesehen, daß diese vornehmlich mit der Weckung des Bedarfs für weitere, kinderschädigende Aufnahmen durch die Abnahme der Produkte begründet wird. Hiergegen hat Herbert Jäger geltend gemacht, daß damit die neuartige Rechtsfigur einer Art rückwirkender Anstiftung konstruiert werde. 29 Diesem Einwand kann nicht gefolgt werden. Dem Gesetzgeber geht es nicht um die Verantwortung für die bereits begangenen Taten, sondern um die Veranlassung weiterer kinderschädigender Taten. Gewichtiger erscheint der Hinweis Theodor Lenckners auf das Verantwortungsprinzip, das Prinzip der Selbstverantwortung, wonach jeder sein Verhalten grundsätzlich nur darauf einzurichten habe, daß er selbst Rechtsgüter nicht gefährde oder verletze, nicht aber darauf, daß andere dies nicht tun. 30 Indessen ist dieses Prinzip keineswegs anerkannt und wenn, dann mit einer Reihe von Einschränkungen. 31 Auch daß manche Besitzdelikte nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers dazu dienen, den Nachweis des Erwerbs zu ersparen, entzieht den Besitzdelikten nicht ihre Legitimation. Denn beim Besitz von Schußwaffen liegt die Gefährlichkeit in dem Besitz und nicht in dem vorausgegangenen Erwerb. Auch noch so gefährliche Gegenstände müssen jedenfalls bis zu ihrer Vernichtung irgendwo aufbewahrt werden; 27 ZStW 97 (1985), 751 ff. (769 ff.); ebenso ders. (Fn. 17), 6. Abschnitt Rn. 86a. 28 ZStW 97 (1985), 772 (773). 29 In: Albrecht u.a. (Hrsg.), Festschrift für Horst Schüler- Springorum zum 65. Geburtstag, 1993, S. 229 ff. (233). 30 In: Arzt u.a. (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag 22. Juni 1992, 1992, S. 135 ff. (137 f.). Ihm folgend Schittenhelm, in: ders./eser/schumann (Fn. 14), S. 519 ff. (525 f.); Altenhain, Das Anschlußdelikt, 2002, S. 241 ff. 31 Siehe besonders Schmoller, in: ders. (Hrsg.), Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, 1996, S. 223 ff. Siehe auch Lenckner, selbst in: Schönke/Schröder (Fn. 15), Vorbem. 13 ff. Rn. 101/101a. Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 447

Friedrich-Christian Schroeder viele gefährliche Gegenstände, z.b. Sprengstoffe, müssen unter bestimmten Bedingungen angewendet und hierfür aufbewahrt werden. Damit ergibt sich für viele Besitztatbestände das Erfordernis einer Ausnahme für nützliche Zwecke oder einer Beschränkung der Strafbarkeit auf den ungenehmigten Besitz. Durch die Beschränkung auf einen Besitz ohne Genehmigung werden die entsprechenden Strafvorschriften nicht zu bloßen Ungehorsamstatbeständen, da der Gesetzgeber davon ausgeht, daß beim Fehlen einer Genehmigung die Voraussetzungen für eine Genehmigung nicht vorliegen. 32 Derartige Tatbestände werfen zahlreiche strafrechtliche Probleme auf, insbesondere das Problem der irrtümlichen Annahme der Genehmigung und das Problem einer mit Rechtsmängeln behafteten Genehmigung. Auf diese Probleme kann an dieser Stelle nur hingewiesen werden. Erwähnt werden soll, daß der deutsche Gesetzgeber für das Umweltstrafrecht eine durch Drohung, Bestechung oder Kollision erwirkte oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichene Genehmigung als ungültig ansieht ( 330d Nr. 5 StGB). VII. Straftheoretische und dogmatische Probleme der Besitzdelikte Die Strafbarkeit des Besitzes wirft aber auch schwierige grundsätzliche straftheoretische und strafrechtsdogmatische Probleme auf. Besitz ist nach allgemeiner Auffassung ein willentlich begründeter Zustand der Herrschaft einer Person über eine Sache. 1. Fahrlässige Besitzdelikte Eine erste Schwierigkeit ergibt sich daraus, daß sich schon frühzeitig die Auffassung entwickelte, die entsprechenden Straftaten seien auch bei Fahrlässigkeit strafbar, 33 und in der Folgezeit der fahrlässige Besitz auch ausdrücklich für strafbar erklärt wurde. 34 Man wird hieraus nicht schließen dürfen, daß der Begriff des Besitzes im Strafrecht auf ein subjektives Merkmal verzichtet. Vielmehr dürfte sich die Möglichkeit der Fahrlässigkeit auf die speziellen Eigenschaften der Gegenstände, deren Besitz verboten ist, beschränken. 35 Daß manche Fahrlässigkeitstatbestände hinsichtlich einzelner Tatbestandsmerkmale Vorsatz verlangen, ist anerkannt. 36 2. Besitz als Zustand Ein weiteres schwerwiegendes Problem liegt darin, daß allgemein als Voraussetzung einer Bestrafung eine menschliche Handlung angesehen wird. Dieses Erfordernis ist auch in zahlreichen Strafgesetzbüchern enthalten. Allerdings ist der Begriff der Handlung als Grundvoraussetzung der Strafbarkeit seit längerem erheblich aufgeweicht worden. Schon im Jahre 1904 wies Gustav Radbruch nach, 32 Schroeder (Fn. 4), S. 313 f. 33 Eckstein (Fn. 2), S. 37 f. 34 Eckstein (Fn. 2), S. 36 f. 35 Eckstein (Fn. 2), S. 100 f., 108 f. Siehe auch LaFave (Fn. 11), S. 212. 36 Schroeder (Fn. 24), 15 Rn. 2. daß die Unterlassung sich nicht als Handlung begreifen lasse. 37 Der sog. soziale Handlungsbegriff erweiterte den Begriff der Handlung auf jedes sozialerhebliche menschliche Verhalten. 38 Roxin schließlich hat die Handlung als Persönlichkeitsäußerung definiert, d.h. als alles, was sich einem Menschen als seelisch-geistiges Aktionszentrum zuordnen läßt. 39 Aber auch diese Ausweitungen des Begriffs der Handlung sind nicht in der Lage, den Besitz als Zustand der Herrschaft zu erfassen. Der deutsche Gesetzgeber hat daher versucht, den Besitz auf Handlungen und Unterlassungen zurückzuführen. 40 Schon die Aufteilung in ein Handeln bei der Besitzbegründung und ein Unterlassen bei der Aufrechterhaltung des Besitzes ist falsch. Auch die Begründung des Besitzes kann nämlich durch Unterlassen (z.b. fehlende Gegenwehr gegen eine Aufdrängung des Besitzes), die Aufrechterhaltung des Besitzes durch ein Tun (Gegenwehr gegen eine Besitzentziehung) erfolgen. Im übrigen ist bei den Besitzdelikten häufig neben dem Besitz die Begründung des Besitzes, das Sichverschaffen des Besitzes ausdrücklich unter Strafe gestellt. 41 Ferner soll die Strafbarkeit des Besitzes nach dem Willen des Gesetzgebers gerade dazu dienen, den oft schwierigen Nachweis des Erwerbs des Besitzes unnötig zu machen 42 und den Einwand der Verjährung des Besitzerwerbs auszuschalten 43. Auch bei einer Auffassung des Besitzes als Unterlassen der Aufgabe des Besitzes müßte dem Täter die Möglichkeit einer solchen Aufgabe nachgewiesen werden. 44 Im übrigen erscheint es zweifelhaft, ob die Pflicht, den Besitz aufzugeben, durch das Wort besitzen genügend bestimmt umschrieben ist. 45 Vor allem aber trifft die Umdeutung in Handlungen und Unterlassungen nicht das Wesen des Besitzes, und zwar weder nach seinem Wortsinn 46 noch nach dem Grund seiner Strafbarkeit als Quelle von Gefahren. Diese Gefahren beste- 37 Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, S. 141 f. 38 Jescheck, Festschrift für Eb. Schmidt, 1961, S. 151; Jescheck/Weigend, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, 23. 39 Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1, 3. Aufl. 1997, 8 Rn. 44. 40 BT-Drs. 6/1877, S. 9. 41 Siehe auch Lagodny (Fn. 26), S. 325 f. 42 Struensee, in: Samson u.a. (Hrsg.), Festschrift für Gerald Grünwald, 1999, S. 713 ff. (717). 43 Steindorf, in: Erbs-Kohlhaas, Waffengesetz, Kommentar, 1.-5. Aufl., 36. Ergänzungslieferung, Stand: 2000, 53 Rn. 10a; BT-Drs. VI/3566, S. 2. 44 Struensee (Fn. 42), S. 720. Unzutr. Lagodny (Fn. 26), S. 327, nach welchem dem Täter auch hier der ungesetzliche Erwerb nachgewiesen werden müßte. Dagegen auch Eckstein (Fn. 2), S. 169. 45 Lagodny (Fn. 26), S. 327; Struensee (Fn. 42), S. 720. 46 Struensee (Fn. 42), S. 719. 448 ZIS 11/2007

Besitz als Straftat hen nicht in dem Erwerb von Gegenständen und der Unterlassung ihrer Weggabe, sondern in dem Besitz als Zustand. Unbefriedigend ist daher auch die Definition des amerikanischen Musterstrafgesetzbuches ( 2.01): (4) Possession is an act, within the meaning of this Section, if the possessor knowingly procured or received the thing possessed or was aware of his control thereof for a sufficient period to have been able to terminate his possession. Schließlich ergeben sich bei der Konstruktion des Besitzes als aktive Begründung oder Unterlassung der Weggabe von Gegenständen auch gewisse Strafbarkeitslücken. 47 Nehmen wir folgenden Fall: Der im Ausland weilende A erhält von seinem Nachbarn die Mitteilung, daß auf seinem Grundstück ein Packet mit Rauschgift deponiert worden sei. Es gibt niemanden, der das Rauschgift von dem Grundstück entfernen könnte. A beschließt, das Rauschgift zu behalten. Hier liegt weder eine Handlung noch eine Unterlassung vor. Damit scheitern die Versuche, den Besitz als Handlung oder Unterlassung zu deuten, und der Besitz bleibt auch im Strafrecht ein Zustand. Es fragt sich, ob ein solcher Tatbestand mit den Grundsätzen des Strafrechts vereinbar ist. Wie dargelegt, beruht das Strafrecht weitgehend auf der mehr oder weniger stillschweigenden Voraussetzung, daß nur Handlungen strafbar sind. Das deutsche Strafrecht spricht allerdings seit 1975 vornehmlich von der Tat ( 1 ff. StGB). 48 Auch das Grundgesetz legt fest, daß eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (Art. 103 Abs. 2). Lagodny hält die Besitzdelikte für verfassungswidrig, weil Art. 103 Abs. 2 GG ein menschliches Verhalten voraussetze und die Pönalisierung einer Sachbeziehung von keinem der anerkannten Strafzwecke gedeckt sei, so daß eine Ungeeignetheit und damit eine Verfassungswidrigkeit vorliege. 49 Hingegen hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, daß Art. 103 Abs. 2 GG nur den Grundsatz nulla poena sine lege, also das Erfordernis einer vorher angedrohten Strafbarkeit, enthalte, nicht aber eine Aussage über die Qualität des Verhaltens, an das eine Strafe geknüpft werden kann. 50 Entscheidend ist allerdings, daß dem rechtsstaatlichen Prinzip der Schuld genüge getan wird. Dieses Prinzip wird mit der überkommenen Lehre überwiegend als Anders- Handeln-Können, als Möglichkeit des Anders-Handelns verstanden. 51 Nach dem Gesagten reicht die Möglichkeit der Besitzaufgabe für die Vereinbarkeit mit dem Schuldstrafrecht nicht aus, da die Strafbarkeit des Besitzes in einigen wenigen Fällen bereits vor dieser Möglichkeit eintritt. Auch in diesen Fällen ist aber Vorsatz oder Fahrlässigkeit hinsichtlich des Besitzes erforderlich. Damit ist die Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz gegeben. 52 3. Unmöglichkeit der Besitzaufgabe ohne Selbstbelastung? Lagodny hat das Problem aufgeworfen, daß dem Besitzenden unter Umständen gar keine legale Möglichkeit bleibt, sich des Besitzes zu entledigen. Zur Entledigung in Frage kommen nur das Zerstören, das Wegwerfen oder das Abliefern der verbotenen Gegenstände. Handelt es sich um fremde Gegenstände, so macht sich der Besitzende bei der Zerstörung wegen Sachbeschädigung strafbar. Das Wegwerfen läuft Gefahr, die Gegenstände in Verkehr zu bringen und damit eine andere Alternative der einschlägigen Strafvorschriften zu erfüllen. Mit dem Abliefern schließlich muß der Täter entgegen dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare sich selbst belasten. 53 Indessen verhindert die sofortige Vornahme dieser Verhaltensweisen nach Erkennung des Gelangens in den eigenen Herrschaftsbereich die Entstehung von Besitz und damit eine Strafbarkeit 54 VIII. Andere Strafvorschriften ohne Handlung oder Unterlassung Die Erkenntnis, daß beim Besitz die bloße Aufrechterhaltung eines Zustands unter Strafe gestellt wird, wirft schließlich noch die Frage auf, ob es nicht auch andere Strafvorschriften gibt, die auf ein Handeln oder Unterlassen verzichten. Lampe hat auf den Tatbestand der Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung nach 129 StGB hingewiesen und in diesem Zusammenhang von Statusdelikten gesprochen. 55 Nur schwer als Handeln oder Unterlassen lassen sich auch folgende Tatbestände begreifen: das Sichbereithalten, Handlungen zu begehen ( 87 Abs. 1 Nr. 1 StGB), das Lager Unterhalten ( 87 Abs. 1 Nr. 4 StGB), das die Verbindung Aufrechterhalten ( 87 Abs. 1 Nr. 6 StGB), das Beziehungen zu einer Regierung oder einer Person Unterhalten ( 100 Abs. 1, 181a StGB), einen gefährlichen Hund Halten ( 143 StGB), ein Glückspiel Halten ( 284 Abs. 1 StGB), eine kerntechnische Anlage Innehaben ( 327 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Es fällt auf, daß hierbei häufig das Wort halten, sei es allein oder in Zusammensetzungen, verwendet wird. Ulfrid Neumann hat auf einem Deutsch- Griechischen Symposium im Jahre 1999 darauf hingewiesen, daß die deutsche Strafrechtsdogmatik jahrzehntelang von normtheoretischen Modellen dominiert gewesen sei und dabei die Deutung der Straftat als Verletzung einer Verhaltensnorm eine entscheidende Rolle gespielt habe. Dieses fragwürdige Modell verliere durch die technische und gesellschaftliche Entwicklung an Kredit. In einer zunehmend arbeitsteiligen Gesellschaft verschöben sich die Gewichte weg von der normverletzenden Handlung und deren Folgen hin zur Verantwortlichkeit für bestimmte Sachbereiche. 56 47 Eckstein (Fn. 2), S. 223. 48 Allerdings bestimmt 8 wiederum, daß die Tat entweder als Handeln oder Unterlassen aufzufassen ist. 49 Vgl. Fn. 26, S. 323 (327). Zust. Struensee (Fn. 42), S. 715. 50 BVerfG NJW 1994, 2412 und 1995, 248. 51 BGHSt. 2, 194 (200); Jescheck/Weigend (Fn. 38), 37 I. 2. ff. 52 Eckstein (Fn. 2), S. 239 f. 53 Vgl. Fn. 8, S. 328 ff. 54 Eckstein (Fn. 2), S. 250 ff. 55 Besprechung des Buches von Eckstein, ZStW 113 (2001), 885 ff. (896). 56 In: Prittwitz/Manoledakis (Hrsg.), Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende, 2000, S. 119 ff. (126). Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 449