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Bsw 37222/04 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer II, Beschwerdesache Altinay gg. die Türkei, Urteil vom 9.7.2013, Bsw. 37222/04. Art. 14 EMRK, Art. 2 1. Prot. EMRK - Erschwerter Uni-Zugang für Absolventen eines bestimmten Schultyps. Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig). Keine Verletzung von Art. 14 ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK hinsichtlich des Zugangs zum Studium der Kommunikationswissenschaften (5:2 Stimmen). Verletzung von Art. 14 EMRK ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK hinsichtlich der fehlenden Vorhersehbarkeit der Änderungen der Zugangsregelungen zur Hochschule (einstimmig). Entschädigung nach Art. 41 EMRK: 5.000, für immateriellen Schaden (einstimmig). B e g r ü n d u n g : Sachverhalt: Der Bf. wurde 1981 geboren und trat 1995 in eine berufsbildende Schule für Kommunikation ein. Laut eigenen Angaben hatte er die Absicht, nach Erhalt des Abiturs an der Universität Kommunikationswissenschaften zu studieren und danach den Beruf des Journalisten zu ergreifen. Damals konnten sich die Abgänger der berufsbildenden Schule, nachdem sie mit den Abgängern allgemeinbildender Schulen gleichberechtigt in ein Auswahlverfahren getreten waren, dem vierjährigen Studium der Kommunikationswissenschaften zuwenden. Die Abgänger dieser Studienrichtung waren

2 Bsw 37222/04 allgemein dazu bestimmt, verantwortungsvolle Positionen in der Medienbranche zu besetzen. Am 30.7.1998, als der Bf. sein letztes Jahr in der berufsbegleitenden Schule begann, sendete der Hochschulrat (Yüksek Ögretim Kurulu) ein auf das Gesetz Nr. 2547 gestütztes Rundschreiben aus. Durch dieses wurde ein neues System installiert, das die Aufnahmeregelungen für die Universität und insbesondere das nationale Aufnahmeverfahren für den Hochschulzugang (Ögrenci Seçme Sinavi = ÖSS) änderte. Was das Aufnahmeverfahren für die Fakultäten der Kommunikationswissenschaften betraf, setzte sich die Endnote zu 79?% aus den Noten, die man bei der Aufnahmeprüfung erhielt, und zu 21?% aus dem Mittelwert der an der Schule erhaltenen Noten zusammen. Das neue System wendete auf den Mittelwert der an der Schule erhaltenen Noten einen Koeffizienten von 0,5 für Abgänger der allgemeinbildenden Schulen an, die Kenntnisse in jenen Bereichen erworben hatten, die nach dem Rundschreiben mit den an den Fakultäten für Kommunikationswissenschaften unterrichteten Gegenständen übereinstimmten. Auf die Abgänger von berufsbildenden Schulen für Kommunikation, die Kenntnisse in Bereichen erworben hatten, die nicht den an den genannten Fakultäten unterrichteten entsprachen, wurde ein Koeffizient von 0,2 angewandt. Da der Bf. in dem neuen System einen Nachteil für Absolventen der berufsbildenden Schulen sah, verlangte er die Genehmigung, die berufsbildende Schule verlassen zu dürfen, um einen Abschluss an einer allgemeinbildenden Schule anstreben zu können. Das Bildungsministerium wies seinen Antrag jedoch zurück, da die Gesetze den Übertritt von Schülern einer berufsbildenden oder technischen Schule in eine allgemeinbildende Schule nicht vorsehen würden.

3 Bsw 37222/04 Am 6.6.1999 legte der Bf. nach Erhalt seines Schulabschlusses die nationale Aufnahmeprüfung für den Hochschulzugang ab. Am 6.9.1999 erhielt er die Ergebnisse, die es ihm nicht erlaubten, an einer Fakultät für Kommunikationswissenschaften aufgenommen zu werden. Er kalkulierte, dass ohne Anwendung des Koeffizienten von 0,2 auf das Mittel seiner Schulnoten und daher ohne die Änderungen durch das neue System, die Punktezahl, die er im Aufnahmeverfahren erreicht hatte, ausreichend gewesen wäre, um ihn zu berechtigen, sich an einer Fakultät für Kommunikationswissenschaften seiner Wahl einzuschreiben. Am 20.9.1999 brachte der Bf. eine Anfechtungsklage beim Staatsrat ein. Er verwies dabei auf den Grundsatz der Gleichheit zwischen den Inhabern der verschiedenen Schulabschlüsse und rügte die Unvorhersehbarkeit der Änderungen, die durch die Reform während seines Jahres in der Abschlussklasse der Schule vollzogen wurden, ebenso wie das Fehlen einer Übergangsperiode oder Rückwirkungsklausel. Am 1.5.2001 wies die achte Kammer des Staatsrats die Anfechtung des Bf. zurück. Sie legte vor allem dar, dass die seit dem Schuljahr 1998/99 eingeführte Änderung hinsichtlich des Zugangs zur Universität jenen Schülern einen Vorteil verschaffen würde, die sich zu einer universitären Weiterbildung in einem an ihre Schulausbildung anknüpfenden Bereich entschlossen. Zum Fehlen einer Übergangsperiode hielt die Kammer fest, dass dies darauf abzielte, die Schüler gleichberechtigt zu behandeln und das Niveau der Hochschulausbildung rasch zu verbessern. Das Bildungsministerium hätte den betroffenen Schülern zudem als Übergangsmaßnahme die Möglichkeit gewährt, im Laufe des Jahres in eine Schule einzutreten, die ihren Zielen besser

4 Bsw 37222/04 entsprach. Mit Urteil vom 20.11.2003 bestätigte das Plenum des Staatsrats die Entscheidung der Kammer. Ab Beginn des Schuljahres 2000/01 sah der Hochschulrat die Möglichkeit vor, unter bestimmten Voraussetzungen von einer berufsbildenden an eine allgemeinbildende Schule überzutreten, nachdem er anerkannt hatte, dass das Fehlen von Übergangsmaßnahmen Nachteile für die Schüler der berufsbildenden Schulen mit sich brachte. Rechtsausführungen: Der Bf. behauptet eine doppelte Verletzung von Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK (Recht auf Bildung). Einerseits hätte er, obwohl er bei den nationalen Aufnahmetests für die Universität gleichwertige Noten erhalten habe wie Abgänger allgemeinbildender Schulen, nicht wie diese an einer Fakultät für Kommunikationswissenschaften aufgenommen werden können. Zweitens sei das fragliche System auf unvorhersehbare Weise für das Aufnahmeverfahren 1999 eingeführt worden und habe es keine Übergangsmaßnahmen gegeben. Zur behaupteten Verletzung von Art. 14 EMRK ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK Die Beschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet und auch aus keinem anderen Grund unzulässig. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig). Zur Ungleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zum Studium der Kommunikationswissenschaften Zum Vorliegen einer Ungleichbehandlung bemerkt der GH, dass die Ergebnisse des Bf. bei den Aufnahmetests denen jener Kandidaten gleichkamen, die allgemeinbildende Schulen abgeschlossen hatten und am Ende

5 Bsw 37222/04 des Aufnahmeverfahrens dazu berechtigt waren, an einer Fakultät für Kommunikationswissenschaften aufgenommen zu werden. Es war die Anwendung des für die aus einer berufsbildenden Schule kommenden Kandidaten vorgesehenen Koeffizienten auf den an der Schule erhaltenen Notendurchschnitt, der sein Scheitern beim Aufnahmeverfahren zur Folge hatte. Daher konnte der Bf., obwohl er bei den Aufnahmetests ausreichende Noten erhalten hatte, aufgrund der Ungleichbehandlung seiner Schulnoten wegen des von ihm besuchten Schultyps nicht an einer Fakultät für Kommunikationswissenschaften aufgenommen werden. Folglich wurde der Bf. durch das Gewichtungssystem für die von den Kandidaten in der Schule erreichten Resultate bei der Ausübung seines durch Art. 2 1. Prot. EMRK garantierten Rechts auf Hochschulzugang ungleich behandelt. Zur Frage, ob diese Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgte, befindet der GH, dass die Mitgliedstaaten bei der Regelung des Zugangs zu Hochschulen über einen beträchtlichen Ermessensspielraum verfügen, was die von den Kandidaten geforderten Fähigkeiten anbelangt, um jene auszuwählen, die in der Lage sind, ein Hochschulstudium erfolgreich zu bestreiten. Dennoch darf ein Auswahlverfahren nicht den Wesensgehalt des Rechts auf Bildung verkennen und damit Art. 2 1. Prot. EMRK verletzen oder die Kandidaten unter Bedingungen bewerten, welche den Kriterien der Gleichheit und Gerechtigkeit zuwiderlaufen, und so zu einer Verletzung von Art. 14 EMRK ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK führen. Im vorliegenden Fall hat der Hochschulrat, als er das Zugangssystem zur Hochschule geändert hat, befunden,

6 Bsw 37222/04 dass der an den berufsbildenden Schulen in Grundlagenfächern (wie Mathematik, technische und Sozialwissenschaften) erteilte Unterricht an den Erfordernissen der Hochschule gemessen von einem niedrigeren Niveau war als der Unterricht an den allgemeinbildenden Schulen. Daher müssten die in den letztgenannten Schulen erhaltenen Noten mit einem höheren Koeffizienten versehen werden als jene, die in berufsbildenden Schulen erlangt wurden, um eine Verbesserung des Niveaus der Universitätsstudien sicherzustellen. Im Übrigen hat der Staatsrat festgestellt, dass das neue Auswahlsystem für den Zugang zur Universität die Anforderungen berücksichtigte, die durch die Veränderungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen an die Qualifikationen der Studierenden gestellt wurden, und dass es dem Erfordernis der Garantie eines höheren Niveaus der Hochschule entgegenkam. Dennoch gibt es in den europäischen Ländern eine Tendenz zur Vergrößerung der Bandbreite der Zugangswege zur Universität. Dies geschieht durch die Ausweitung der Zulassung zur Universität, die klassisch nach dem Schulabschluss am Ende der Oberstufe erfolgt, auch auf anderem Weg wie insbesondere durch die Anerkennung einer»hochwertigen Berufsausbildung«als geeignete Vorbereitung für die Hochschule. Im vorliegenden Fall unterstreicht der GH, dass in berufsbildenden Schulen der Unterricht in Grundlagenfächern wie Mathematik, technischen Wissenschaften (Physik, Chemie, Biologie) oder Sozialwissenschaften (Philosophie, Literatur, Geschichte, Geografie) fortlaufend abgenommen hatte, bis er schließlich aus dem Lehrplan der beiden letzten Jahrgänge verschwand.

7 Bsw 37222/04 Eine so verkürzte Schulausbildung wird es schwer haben, das Ziel einer»hochwertigen Berufsausbildung«zu erfüllen. Der GH gestattet es daher, dass der betroffene Staat solange bis die Berufsausbildung das von der Hochschule geforderte Niveau erreicht die Oberstufenform der Schulanstalten für den Zugang zur Universität berücksichtigen kann. Der GH erinnert daran, dass die Festlegung und Ausgestaltung des Studienplans grundsätzlich den Vertragsstaaten obliegt. Angesichts des Vorgesagten befindet der GH, dass das Auswahlsystem, das den den Schülern der allgemeinbildenden Schulen gewährten Unterricht aufwertet, das legitime Ziel einer Verbesserung des Niveaus der Universitätsstudien verfolgt. Zur Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung beobachtet der GH zunächst, dass der Gewichtungskoeffizient im Aufnahmeverfahren für die Universität auf die Kandidaten entsprechend der Richtung, die sie bei Beginn der Schulausbildung eingeschlagen hatten, Anwendung fand. Dieser Koeffizient betrug 0,5 für die Abgänger der allgemeinbildenden Schulen und 0,2 für jene der berufsbildenden Schulen. Die Abgänger der letztgenannten Schulen bestreiten die nationalen Aufnahmetests auf einer gleichberechtigten Basis mit den Kandidaten aus den allgemeinbildenden Schulen. Ihre Testergebnisse werden in gleicher Weise bewertet. Auf ihren in der Schule erhaltenen Notendurchschnitt wird ein niedrigerer Koeffizient angewendet als auf jenen der Kandidaten aus einer allgemeinbildenden Schule. Die Schüler sind bei Schuleintritt frei, sich entweder in eine allgemeinbildende Schule einzuschreiben oder in eine berufsbildende Schule, wo der Unterricht auf einen speziellen Bereich beschränkt ist.

8 Bsw 37222/04 Angesichts dieser Feststellungen kommt der GH zu dem Ergebnis, dass die gegenständliche Ungleichbehandlung ausreichend verhältnismäßig zum angestrebten Ziel der Verbesserung des Niveaus der Hochschulstudien ist. Keine Verletzung von Art. 14 ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK (5:2 Stimmen; gemeinsames abweichendes Sondervotum der Richter Vucinic und Pinto de Albuquerque). Zur Ungleichbehandlung des Bf. im Vergleich zu anderen Abgängern seines Schultyps in den Jahren vor oder nach seiner Abschlussklasse Zum Vorliegen einer Ungleichbehandlung betont der GH, dass zu dem Zeitpunkt, als sich der Bf. entschieden hatte, in eine berufsbildende Schule für Kommunikation einzutreten, auf alle Kandidaten für das universitäre Aufnahmeverfahren, egal ob sie Inhaber eines allgemeinen oder eines berufsbildenden Abschlusses waren, ein Koeffizient von 0,5 auf den Durchschnitt ihrer Resultate an der Schule angewendet wurde. Dieser Koeffizient wurde auf 0,2 heruntergesetzt, während der Bf. sein letztes Jahr an der Schule begann. Der Bf. hat darum ersucht, die Schule wechseln zu dürfen, um eine allgemeinbildende Schule zu besuchen, doch wurde ihm dies verweigert. Ein Jahr später, während der Bf. die Schule abgeschlossen hatte, richtete der Hochschulrat die Möglichkeit ein, unter bestimmten Bedingungen von einer berufsbildenden an eine allgemeinbildende Schule zu wechseln, da er erkannt hatte, dass das Fehlen von Übergangsmaßnahmen nachteilige Folgen für die Schüler berufsbildender Schulen hatte. Der Bf. hat daher einerseits nicht von der Anwendung des Koeffizienten von 0,5 auf seinen schulischen Notendurchschnitt profitiert wie die Schüler der Vorjahre,

9 Bsw 37222/04 und andererseits wurde ihm auch nicht erlaubt, an eine allgemeinbildende Schule zu wechseln, wo auf die Abgänger ein entsprechender Koeffizient angewendet wurde, obwohl ab dem folgenden Jahr ein solcher Übergang vorgesehen war. In Abwesenheit von Übergangsmaßnahmen erfolgte gegenüber dem Bf. daher eine Ungleichbehandlung bei der Ausübung seines Rechts auf Universitätszugang im Vergleich zu den Abgängern in den Jahren vor und nach ihm. Zur Frage, ob diese Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgte, stellte der Staatsrat fest, dass das Fehlen von Übergangsmaßnahmen auf eine gleichberechtigte Behandlung der Kandidaten für eine Universität und eine rasche Verbesserung des Niveaus der Universitätsstudien abzielte. Für den vorliegenden Fall gesteht der GH zu, dass die sofortige Anwendung der neuen Bestimmungen eine rasche Verbesserung der Qualität der Hochschulausbildung zum Ziel hatte. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Ungleichbehandlung ist zunächst zu beobachten, dass der Bf., der seit seiner Anmeldung an der Schule eine Karriere als Journalist angestrebt hat, sich dazu entschieden hat, eine berufsbildende Schule für Kommunikation zu besuchen. Diese Einrichtung ließ seinen Schülern, insbesondere in den letzten beiden Schuljahren, einen Lehrplan zuteil werden, der Unterricht über verschiedene Aspekte des Journalismus umfasste und große Ähnlichkeiten mit dem Lehrplan des ersten Jahres an den Fakultäten für Kommunikationswissenschaft hatte. Außerdem wurden die in den berufsbildenden Schulen erhaltenen Durchschnittsnoten bis zum Eintritt des Bf. in die Abschlussklasse mit einem Gewichtungskoeffizienten von 0,5 für das Aufnahmeverfahren

10 Bsw 37222/04 an die Fakultäten für Kommunikationswissenschaften versehen. Der GH leitet daraus ab, dass der Bf. gutgläubig ist, wenn er behauptet, dass er entschieden hat, eine berufsbildende Schule für Kommunikation zu besuchen, um dann ein Universitätsstudium für Kommunikation zu verfolgen und schließlich einem Beruf als Journalist nachzugehen. Die Änderung der Regeln für den Universitätszugang, die zur konkreten Folge hatte, dass die Ausbildung im Rahmen der berufsbildenden Schulen für Kommunikation abgewertet wurde, hat den Bf. in der Tat der Möglichkeit beraubt, an eine Fakultät für Kommunikationswissenschaften aufgenommen zu werden. So erhielt er keinen Zugang zur Universität, obwohl er die Schule erfolgreich abgeschlossen und bei den nationalen Aufnahmetests für den Zugang zur Universität gleich viele Punkte erhalten hatte wie Kandidaten, die aus einer allgemeinbildenden Schule kamen und angenommen wurden. Obwohl die Änderung der Regelungen unerwartet erfolgte, kam der Bf. nicht in den Genuss ausgleichender Maßnahmen. Einerseits wurde ihm der Wechsel in eine allgemeinbildende Schule verweigert. Die Möglichkeit eines solchen Wechsels wurde zwar gesetzlich als Ausgleichsmaßnahme vorgesehen, doch geschah dies erst ab dem Schuljahr nach Anwendung der neuen Regelungen. Andererseits wurde der Lehrplan für die Abschlussklasse des Bf. an der berufsbildenden Schule nicht an das neu geforderte Niveau für den Zugang zu einer Fakultät der Kommunikationswissenschaften angepasst. Der Lehrplan wurde nicht durch Mathematikunterricht oder

11 Bsw 37222/04 Unterricht in technischen Wissenschaften oder sozialen Wissenschaften ergänzt alles Gegenstände, hinsichtlich welcher die neuen Regelungen für den Universitätszugang Kenntnisse erforderten. Angesichts der Schlussfolgerungen im Bezug auf die fehlende Vorhersehbarkeit der Änderungen der Zugangsregelungen zur Hochschule für den Bf. und hinsichtlich des Fehlens jeder ausgleichenden Maßnahme für seinen Fall hat die gegenständliche Ungleichbehandlung das Recht des Bf. auf Zugang zur Hochschule gemindert und war nicht ausreichend verhältnismäßig zum verfolgten Ziel. Sie stand daher nicht im Einklang mit der Konvention. Verletzung von Art. 14 EMRK ivm. Art. 2 1. Prot. EMRK (einstimmig). Entschädigung nach Art. 41 EMRK 5.000, für immateriellen Schaden (einstimmig). Vom GH zitierte Judikatur: Lukach/RUS v. 16.11.1999 (ZE) Leyla Sahin/TR v. 10.11.2005 (GK) = NL 2005, 285 = EuGRZ 2006, 28 = ÖJZ 2006, 424 Hinweis: Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 9.7.2013, Bsw. 37222/04 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2013, 250) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-format): www.menschenrechte.ac.at/orig/13_4/altinay.pdf

12 Bsw 37222/04 Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.