Knollenblätterpilz-Vergiftungen unter Flüchtlingen im Herbst 2015

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Transkript:

BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Knollenblätterpilz-Vergiftungen unter Flüchtlingen im Herbst 2015 Herbert Desel UBA RKI BfR Fortbildung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst 2016-04-06 2016-04-08 6. April 2016

Fachgruppe Vergiftungs- und Produktdokumentation am BfR Meldungen zu als gefährlich eingestuften Gemischen, Bioziden und Wasch-/Reinigungsmitteln der Industrie und Weiterleitung an 8 deutsche Giftinformationszentren CLP-VO (EG 1272/2008), Art. 45 ChemG 16e (1) WRMG 10 Meldungen zu Vergiftungen von Ärztinnen und Ärzten sowie von Giftinformationszentren (GIZ) ChemG 16e (2) ChemG 16e (3)

Neue Erwartungen an BfR und GIZ Schnelles Erkennen/Bestätigen/Entkräften akuter, zunächst verdeckter Vergiftungsgefahren National Europäische Union: Beurteilung grenzüberschreitender Bedrohungslagen (Entschließung 1082/2013/EU): nationale Meldeverpflichtung, (auch) bei chemischen Bedrohungen Weltgesundheitsorganisation: Internationale Gesundheitsvorschriften: nationale Meldeverpflichtung, (auch) bei chemischen Bedrohungen

Neue Erwartungen an BfR und GIZ Schnelles Erkennen/Bestätigen/Entkräften akuter, zunächst verdeckter Vergiftungsgefahren Beispiele für Ereignisse (Massenvergiftungen) Imprägniersprays (Pneumonie, 1990er Jahre) Magic Nano-Versiegelungsspray (Pneumonie, 2006) Ciguatera-kontaminierter Speisefisch (Kälte-Allodynie, 2012 und 2015) Risikobewertung unter Beteiligung des BfR EPIDEMIE VON KNOLLENBLÄTTERPILZ- VERGIFTUNGEN BEI ASYLSUCHENDEN

Vergiftung durch Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) Amatoxinsyndrom (α-amanitin) Störung der Proteinsynthese (Transkription) durch RNA-Polymerasen-Hemmung lebertoxische Wirkung typisch ist eine mehrstündige symptomarme Latenzzeit Antidot Silibinin verfügbar höchstes Risiko für lebensbedrohliche Pilzvergiftungen in Europa In fast jeder Saison Todesfälle in Deutschland

Vorlauf GIZ-Nord, Göttingen: Massenvergiftungsverdachtsfall 21. August 2015 Massenanfall von Verletzten (MANV): notfallmedizinischer Einsatz im Grenzdurchgangslager Friedland Zwei (neu eingereiste) Asylsuchende entwickelten Bauchschmerzen nach Verspeisen eines Gerichtes aus selbst gesammelten Pilzen In unklarer Expositionssituation (Sprachbarriere bei Anamnese) schien zunächst mit einer Pilz- Massenvergiftung mit bis zu 450 Patienten zu rechnen zu sein, was zur MANV-Aktivierung führte.... Letztlich doch nur zwei Fälle mit leichten Symptomen.

Index-Fallserie 5 Syrer stellten sich in Notaufnahme einer norddeutschen Klinik vor: Abendmahlzeit aus selbst gesammelten Pilzen (keine Reste) seit 3 Uhr Übelkeit, Erbrechen, Darmkrämpfe Behandlung mit Silibinin bei ansteigenden Leberfunktionsparametern Verlegung in Universitätsklinik Weiterbehandlung, z. T. Lebertransplanatation Vorstellung 2 weiterer symptomatischer Patienten derselben Gruppe am Tag 3 mit manifestem Leberschaden (Labor)

Presseinformation Med. Hochschule H 16.09.2015

Risiko-Management 16.09.15

Meldewege Knollenblätterpilz-Vergiftung unter Flüchtlingen Sept. 2015 Alle EU EFSA Focal Points Public Health England (ECHEMNET Expert Group) EU Early Warning and Response System (EWRS), 18.9. New York Times 17.9. American College of Medical Toxicology Mailing List (19.9.) BMG BfR EFSA Focal Point, Mitteil. 17.9. BfR FG 32 RKI-Ebola-Meldestelle, Mitteil. 17.9. RKI Rufbereitschaft Mitteil. 17.9. BVL (RASFF) Gem. Melde- und Lage-Zentrum (GMLZ) BAMF GIZ-Nord, Mitteil., 18.9.: 450 Verdachtsfälle + 4 Nds. Landesgesundheitsamt Mitteil. 17.9. Med. Hochschule Hannover Presseerklärung 16.9.: 30 Vergiftungsfälle Seuchenref. d. Länder alle Giftinformationszentren in Deutschland, 18.9. GGIZ-Erfurt., 18.9.: 5 Verdachtsfälle GIZ-Berlin., 18.9.: 15 Fälle GIZ-Freiburg., 18.9.: 2 Fälle

GIZ-Umfrage des BfR zu Knollenblätterpilzvergiftungen Mindestens 43 Vergiftungsfälle unter Asylsuchenden 26 Fälle von Giftinformationszentren beraten und registriert 3 Todesfälle 6 Lebertransplantationen alle Fälle in Norddeutschland Informationsaustausch 16. 19. September nach dem 25.09. nur noch 4 Fälle Meldungen durch Giftinformationszentren Datum Zentrum Personen 21.08.2015 Göttingen 2 25.08.2015 Göttingen 2 31.08.2015 Mainz 1 09.09.2015 Berlin 2 14.09.2015 Erfurt 5 15.09.2015 Berlin 1 16.09.2015 Berlin 1 17.09.2015 Berlin 1 25.09.2015 Berlin 7 Freiburg 2* 28.09.2015 Mainz 1 09.10.2015 Berlin 2 23.10.2015 Berlin 1 *wurden ebenfalls von Berlin beraten

In den Zusammenhang gestellt... Knollenblätterpilze werden regelmäßig mit Speisepilzen verwechselt und können tödliche Vergiftungen verursachen. Knollenblätterpilz-Vergiftungen sind in jedem Herbst eine Herausforderung für die Notfallmedizin und die Giftinformationszentren. Neu nach Deutschland Eingereiste stellen eine besondere Risikogruppe dar. Durch einen schnellen Austausch von Informationen, auch über die Landesgrenzen hinweg, kann zur Vermeidung weiterer Vergiftungen beigetragen werden.

BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Danke für Ihre Aufmerksamkeit Herbert Desel Bundesinstitut für Risikobewertung Max-Dohrn-Str. 8-10 10589 Berlin Tel. 0 30-184 12-0 Fax 0 30-184 12-47 41 herbert.desel@bfr.bund.de www.bfr.bund.de

Kohlenmonoxidvergiftungen bei Flüchtlingen durch Innenraumgrillen Medienberichte über 2 Ereignisse ein Ereignis mit ca. 6 Vergifteten in Westdeutschland 1 Todesfall in Norddeutschland GIZ-Umfrage des BfR: keine Fälle in GIZn in Berlin, Mainz, Erfurt, Homburg, Bonn und Freiburg München: ein schwerer Fall Offenbar (noch) kein Massenphänomen