Offene Forschungsfragen zum Konzept der individuellen Alterungsrückstellung in der Privaten Krankenversicherung Stephan Rosenbrock Institut für Versicherungsbetriebslehre rosenbrock@econ.uni-hamburg.de http://www.uni-hamburg.de/hzv
0. Motivation Ziel der Übertragung von Alterungsrückstellungen: Wettbewerb um Bestandskunden Aus versicherungsmathematischer Sicht unproblematisch: Mitgabe der rechnerischen Alterungsrückstellung (RAR), Kalkulation ohne Stornowahrscheinlichkeiten Problem bei Mitgabe der RAR: Risikoselektion 2
0. Motivation Ausgleichsmechanismen zur Vermeidung von Risikoselektion Ausgabenausgleich Aktuell in der Diskussion (Poolausgleich) Vollständige Produktharmonisierung ( Basistarif ) Risikoausgleich einmalig zum Wechselzeitpunkt Bestimmung eines Neutralitätsbeitrags N, der die Abwanderung eines Versicherten unter Mitgabe der RAR kompensiert Kalkulatorisch separate Verwaltung von N aufgrund der Ausbuchung der RAR Individuelle Alterungsrückstellung: IAR = RAR + N (Neutralisierungsansatz klassischer Ansatz: IAR = LBW - PBW) 3
0. Motivation Haltlose Einwände gegen das Konzept der IAR Selektionseffekte Neutralisierungsansatz! Einheitstarife, Abkehr vom Geschäftsmodell der PKV Streitfälle aufgrund von Interessengegensätzen zwischen abgebenden und aufnehmenden Versicherern Negative IAR? Neutralisierungsansatz Offene Forschungsfragen: Bestimmung von N Verifizierbarkeit Vorläufige Annahme: Fragen der Bestimmbarkeit und Verifizierbarkeit seien gelöst. Wie sieht dann das Konzept der IAR in seinen Grundzügen aus? 4
Agenda 1. Die Grundzüge des Konzepts der individuellen Alterungsrückstellung: Der Neutralisierungsansatz 2. Zur Bestimmung des Neutralitätsbeitrags 3. Das Verifizierbarkeitsproblem 4. Fazit 5
1. Der Neutralisierungsansatz Abgebender Versicherer: Zuweisung einer IAR Aufnehmender Versicherer: Zuweisung einer Prämie in Abhängigkeit von der Höhe der transferierten IAR 6
1. Der Neutralisierungsansatz Abgebender Versicherer Idee des Neutralisierungsansatzes: Bestimmung eines Neutralitätsbeitrags N so, dass sich verbleibendes Kollektiv bei Abwanderung des Risikos und Ausbuchung der RAR neutral stellt Die Höhe des Neutralitätsbeitrags N und damit der IAR (= RAR + N) ist abhängig vom Risikostatus des potentiellen Wechslers Mittleres Risiko: N = 0, IAR = RAR Hohes Risiko: N > 0, IAR > RAR Niedriges Risiko: N < 0, IAR < RAR 7
1. Der Neutralisierungsansatz Aufnehmender Versicherer Idee des Neutralisierungsansatzes: Integration des Wechslers in das Kollektiv so, dass aufnehmender Bestand hinsichtlich der Zuwanderung indifferent ist Bezug: Prämienanpassungen Rechnungsgrundlagen Eigene Rechnungsgrundlagen für den Wechsler? Tarifierung des Wechslers unabhängig vom Risikostatus und Ausgleich durch Ansatz eines Neutralitätsbeitrags N zur Kompensation der Homogenisierung des Risikos 8
1. Der Neutralisierungsansatz Aufnehmender Versicherer Die Höhe des Neutralitätsbeitrags N ist abhängig vom Risikostatus des potentiellen Wechslers Mittleres Risiko: N = 0 Hohes Risiko: N > 0 Niedriges Risiko: N < 0 Speisung von N aus der mitgebrachten IAR Der Rest (RAR = IAR N) kann dem Wechsler prämienmindernd angerechnet werden 9
1. Der Neutralisierungsansatz Beispiel: Wechsel eines Versicherten von Unternehmen A zu Unternehmen B Unternehmen A RAR(A) = 30.000 N(A) = 12.000 IAR(A) = RAR(A) + N(A) = 30.000 + 12.000 = 42.000 Unternehmen B N(B) = 2.000 RAR(B) = IAR(A) N(B) = 42.000-2.000 = 40.000 Prämie(B) = (LBW 40.000 )/RBW 10
1. Der Neutralisierungsansatz Negative IAR? Status Quo: N-Ansatz kommt beim Neuzugang nicht zur Anwendung N-Ansatz bei niedrigem Risiko nach kurzer Bestandszugehörigkeit, Beispiel: RAR = 1.000, N = -5.000, IAR = RAR + N = -4.000 < 0 Lösung: Anwendung des N-Ansatzes auch beim Neuzugang Beachte: Neuzugang ist Spezialfall eines Wechslers: IAR(A) = 0 N(B) = -5.000 RAR(B) = IAR(A) N(B) = 0 - (-5.000 ) = 5.000 Prämie(B) = (LBW 5.000 )/RBW 11
Zwischenfazit I Konzept der IAR / Neutralisierungsansatz Per definitionem keine Selektionseffekte Wettbewerb unter Beibehaltung der Tarifvielfalt Zu bestimmende Größen: N(A) IAR(A) N(B) RAR(B) Prämie(B) Kalkül bei abgebenden und aufnehmenden Versicherern identisch: Über N findet jeweils eine Homogenisierung der Risiken statt 12
Agenda 1. Die Grundzüge des Konzepts der individuellen Alterungsrückstellung: Der Neutralisierungsansatz 2. Zur Bestimmung des Neutralitätsbeitrags 3. Das Verifizierbarkeitsproblem 4. Fazit 13
2. Zur Bestimmung des Neutralitätsbeitrags Modell basiert direkt auf Tarifkalkulation der PKV, wie sie z.b. in Milbrodt (2005) dargestellt ist Zur Bestimmung von N werden benötigt: Gesundheitsausgabenprognose g Inflationsprognose r Zinsprognose z 14
2. Zur Bestimmung des Neutralitätsbeitrags (Gesamt-)Neutralitätsbeitrag N: laut Sterbetafel xmax x N ( t ): = p n ( t ) ix, 0 s x ix, s s= 0 Periodenbezogene Neutralitätsbeiträge für s=0,1,,x MAX -x: 1 + r ( t ) n t g t K t xt, s ix, s = it, s x s 0 0 ( ): ( ( ) 1) 0 + ( ) 1 + zt ( t ) 0 s Gesundheits Quotient aus Inflations und Zins prognose Überlebenswahr scheinlichkeiten ausgaben prognose periodenbezogene Neutralitätsbeiträge Rechnungsgrundlage Kopfschaden für x+ s jährige zum Zeitpunkt t 0 15
Zwischenfazit II Zentral: Gesundheitsausgabenprognose g Ermessensspielräume bei der Bewertung von Gesundheitszuständen Unterschiedliche Einschätzungen in Bezug auf g 16
Agenda 1. Die Grundzüge des Konzepts der individuellen Alterungsrückstellung: Der Neutralisierungsansatz 2. Zur Bestimmung des Neutralitätsbeitrags 3. Das Verifizierbarkeitsproblem 4. Fazit 17
3. Das Verifizierbarkeitsproblem Prognose der Gesundheitsausgaben nicht gerichtsfest verifizierbar Verifizierbarkeitsproblem Problematisch, sofern Anreize bestehen, die IAR bzw. N nicht nach bestem Wissen zu bestimmen Anreizproblem 18
3. Das Verifizierbarkeitsproblem Das Anreizproblem Potentiell aufnehmende Versicherer: Anreizsituation wie beim Neuzugang Abgebender Versicherer Stellt sein Kollektiv bei Zuweisung einer nach bestem Wissen und Gewissen bestimmten IAR (faire IAR) neutral Weist er einen geringeren Wert als die faire IAR zu, erzielt er bei Wechsel des Versicherten de facto einen Stornogewinn Systematisch geringere Zuweisung ist risikolose Strategie 19
3. Das Verifizierbarkeitsproblem Lösung des Verifizierbarkeits- oder des Anreizproblems? Zur Lösung des Verifizierbarkeitsproblems Schiedsrichterverfahren / Einsatz unabhängiger Gutachter zur Fixierung von g Algorithmen zur Fixierung von g Lösbarkeit des Verifizierbarkeitsproblems fraglich 20
3. Das Verifizierbarkeitsproblem Die Summenregel zur Lösung des Anreizproblems Verpflichtung zur Aufteilung eines fixen Gesamtbetrages auf alle Versicherten an einem jährlichen Stichtag Als zu verteilender Betrag bietet sich die im Tarif vorliegende rechnerische Alterungsrückstellung an!( SR)!( SR) RAR = IAR = [ RAR + N] N = 0 VN VN VN VN Versicherte bekommen zum Stichtag eine Mitteilung über die Höhe der ihnen zugewiesenen IAR 21
3. Das Verifizierbarkeitsproblem Besteht ein allgemeiner Anreiz, zu wenig Alterungsrückstellung aufzubauen? Wie kann dieses Anreizproblem ggf. gelöst werden? Regulierung der Profile Regulierung der Kopfschadensteigerungen Reputationsmechanismus 22
4. Fazit Konzept der IAR Wettbewerb um Bestandskunden in einem System mit Kapitaldeckung Beibehaltung der Tarifvielfalt und der Kalkulation nach dem individuellen Äquivalenzprinzip Speziell: Neutralisierungsansatz zur Bestimmung der IAR Grundlage: Tarifkalkulation der PKV Oberstes Gebot: Vermeidung von Risikoselektion N Zentrale Forschungsfragen: Gesundheitsausgabenprognose Bestimmung und Verifizierbarkeit Motivation: Konzept der IAR / Neutralisierungsansatz äußerst attraktiv im Hinblick auf Ausgestaltung der PKV 23