Zukunft Milcherzeugung Zusammenfassung der Studie 1 Zukunft der Milcherzeugung in Deutschland Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Durchgeführt von: Dr. Andrea Fink-Keßler Büro für Agrar- und Regionalentwicklung (BAR) Tischbeinstraße 112 34121 Kassel Tel.: +49 (0)561-27224 afk@agrar-regional-buero.de in Zusammenarbeit mit: Dr. Karin Jürgens (Projektleitung), Büro für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL), Heiligenstädter Str. 2, 37130 Gleichen-Bremke, Tel. 05592/ 927567, kj@agrarsoziologie.de und Ottmar Ilchmann, Milcherzeuger aus 26817 Rhauderfehn Kassel, März 2015
Zukunft Milcherzeugung Zusammenfassung der Studie 2 Zusammenfassung Die seit 1984 bestehende Milchquotenregelung der Europäischen Union wird zum April 2015 auslaufen und dies ist der vorläufig letzte Schritt zur 2003 bereits begonnen Liberalisierung des europäischen Milchmarktes. Durch Senkung der Interventionspreise und Ausweitung der Milchquote, sind seit 2008 fast alle Elemente, die auch die Zukunft der Milcherzeugung Deutschlands (wie Europas) nach dem Quotenaustieg bestimmen werden, vorhanden. Sie haben die Koordinaten künftiger Produktion verändert: die Durchlässigkeit gegenüber den starken Preisbewegungen des Weltmilchmarktes und die verstärkte Abhängigkeit der EU- Binnenmarktpreise von globalen Nachfrage- und Angebotsentwicklungen. Die Milchkrisen (2008/09 und 2012) und ein verschärfter Wettbewerb sowie struktureller Wandel auf Erzeuger- wie auf Verarbeiterebene als auch zwischen den Regionen sind die Folgen. Deutschland gehört zu den Wachstumsregionen Europas. Aufgrund der starken Beteiligung Deutschland am europäischen Intrahandel und der länderübergreifenden Fusionen großer europäischer Milchkonzerne, kann eigentlich nicht mehr von nationalen Milchmärkten gesprochen werden. Die künftige Trennungslinie verläuft zwischen europäisch-internationalen Milchmärkten und regionalen Milchmärkten. Deutschland gehört zu den wichtigsten europäischen Exportländern und wird daher von den Mitkonkurrenten um die (v.a. asiatischen) Märkte der Schwellenländer als eines der aggressiven Anbieter gesehen. Die Risiken der globalen Märkte (geringe Veränderungen in Angebot oder Nachfrage bringen die Preise so schnell nach oben wie nach unten) werden sich verstärken und die lukrativen Märkte bleiben auch in Zukunft aufgrund starker Mitkonkurrenten (Neuseeland, Australien) unsicher. Volatile Märkte und Preiskrisen werden weiterhin den Milchmarkt bestimmen. Die vergangenen Krisen haben gezeigt, dass Milcherzeuger aller Betriebsgrößenklassen, regionsabhängig, Einkommensverluste zwischen 15 und 48 Prozent hinnehmen mussten. Die Betriebe bluteten aus, konnten Investitionen nicht mehr vornehmen, verzehrten Eigenkapital und ausnahmslos alle hätte ohne die Betriebsprämie und weiteren Zuschüsse der zweiten Säule oftmals sie ihre laufenden Kosten nicht mehr bezahlen können. Dies betraf auch und in besonderem Maße die Großbetriebe in den neuen Bundesländern. Starker Rückgang der Milchbetriebe Seit 2001 haben in Deutschland 42 Prozent der Milchviehbetriebe das Melken eingestellt. Viele der verbliebenen Betriebe versuchen durch weitere Kostensenkungen ein Einkommen aus der Milch zu erwirtschaften. Sie haben ihre Herden deutlich aufgestockt, so dass heute jede fünfte Kuh in einem Betrieb mit mehr
Zukunft Milcherzeugung Zusammenfassung der Studie 3 Büro für Agrar- und Regionalentwicklung als 200 Kühen steht. Ausgedehnt wurden die Milchmengen als Folge höherer Milchleistungen pro Kuh (plus 20 Prozent). Als Folge der höheren Arbeitskosten liegen die Einkommen in den Betrieben der südlichen, traditionellen Milchschwerpunkte Bayern und Baden- Württembergs unter denen des Nordens und entsprechend rückläufig ist dort die Milcherzeugung. Viele der verbliebenen 76.500 Betriebe sind gewachsen, auch, um die real sinkenden Einkommen durch Mehrproduktion und Kostensenkungen auszugleichen. Sie haben große Anstrengungen unternommen, investiert, sich spezialisiert, auch um ihre Verantwortung gegenüber Tier und Umwelt gerecht zu werden. Dennoch blieben die Einkommen der Milchviehhalter im gesellschaftlichen Vergleich weit unten und auch innerhalb der Landwirtschaft unterhalb der Einkommen, die sich aus dem Ackerbau erzielen lassen würden. Die Preiseinbrüche der beiden Milchkrisen 2008/2009 und 2012 hat viele Betriebe regelrecht ausbluten lassen. Ohne Betriebsprämie und weitere Zuschüsse wären viele Betriebe illiquide geworden in der Krise. Die Handlungsspielräume der Betriebe sind insbesondere angesichts volatiler Preise sehr sehr eng gesetzt. Die pagatorischen Kosten, also diejenigen, die für die Erzeugung eines Liters Milch aufzuwendende Betriebskosten, sind kaum noch zu senken. Gespart werden kann nur noch an der Bezahlung der eigenen Arbeit. Eine nachhaltige Entwicklung sieht anders aus. Wie sieht die Zukunft ohne Quote aus? Mit dem Wegfall der Quote werden die zwei beherrschenden Trends in der Milchviehhaltung weiter voranschreiten und vermutlich weiter befeuert: Immer mehr Betriebe müssen aufgeben und an ihre Stelle treten vermehrt größere Betriebseinheiten, die wieder zusätzliche Probleme bei Umweltschutz und Tierwohl schaffen. Wenn man nur die Entwicklung der letzten Jahre linear und damit konservativ fortschreibt, werden bis zum Jahr 2020 weitere 20 Prozent der Betriebe aufgegeben und dann nur noch knapp 61.900 Betriebe in der Produktion verbleiben. Betroffen vom Höfesterben wären besonders die südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg. Die Milch würde sich weiter in die nördlichen Wachstumsregionen verlagern und die Herdengrößen dürften weiter steigen. Statt jeder 5. Kuh wird in Zukunft jede 3. Kuh in einer Herde über 200 Tieren stehen Regional wie betrieblich stößt diese Entwicklung aber an Grenzen: - Die Pachtpreise für Land zum Futtermittelanbau werden weiter steigen und Familienbauernhöfe noch weiter unter Druck setzen.
- Die Umweltbelastung durch Nitrat aus der Gülle wird in den Landstrichen mit hochkonzentrierter Tierhaltung weiter zunehmen und noch mehr Brunnen zur Trinkwassergewinnung speziell in Niedersachsen werden nicht mehr die Grenzwerte einhalten können. - Je größer die Betreibe, desto weniger sehen die Kühe noch die Weide. - Mit dem Milchpreis verfällt auch der Kälberpreis und so werden künftig wohl auch die ethischen Ansprüchen der Gesellschaft selbst (Tierwohl, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Qualität der Milch) zum begrenzenden Faktor. Was sollte politisch getan werden? Nicht zuletzt aus diesen Gründen (und auch, um die gesellschaftlich noch vorhandene Akzeptanz der modernen Milcherzeugung zu erhalten) ist es notwendig, dass keine weiteren staatlichen Förderungen in den quantitativen Ausbau der Milcherzeugung fließen und die künftige Ausgestaltung der Direktzahlungen ist vor diesem Hintergrund zu überprüfen. Politischer und öffentlicher Unterstützung bedürfen vielmehr resiliente, das heißt Krisen gegenüber widerstandsfähige Betriebsstrategien: wie weniger- Kraftfutter und Milch-mehr-Einkommen -Strategien oder die Besetzung von Qualitätsmärkte (z.b. Bio-, Heu- Weidemilch) oder die Erhöhung betrieblicher Wertschöpfung (z.b. Hofkäsereien und -molkereien, Lieferdienste). Und es bedarf einer Vielfalt an Betrieben, da nur an den Rändern sich Innovationskraft entfalten kann und diese sich der Sektor Milch angesichts aktueller wie künftiger Herausforderungen (z.b. Klimawandel, Wandel der Gesellschaft) unbedingt erhalten muss. Eine Verbesserung der Position der Milchlieferanten durch Hilfen zur besseren Vertragsfindung und insbesondere durch eine politische wie gesellschaftliche Unterstützung ihrer Bemühungen um Bündelung der Angebotsmilch und durch aktuelle Marktinformationen sind dringend notwendig. Da die staatliche Mengenregulierung künftig entfällt, wird sich die Position der Milchverarbeiter gegenüber den Milcherzeugern weiter verstärken. Ohne eine gleichzeitige Stärkung der Verhandlungsposition der Milcherzeuger hingegen, werden die Preisrisiken der Märkte weiterhin und fast ausschließlich über die Erzeuger abgewälzt werden. Ihnen wird zu weiteren Kostensenkungen geraten, die sich dann, gesellschaftlich gesehen negativ auswirken auf Umwelt und Tierwohl. Mehrerlöse aufgrund guter Lieferverträge wären jedoch eine wirksamere Einkommenstrategie für alle Betriebe. Das EU-Milchpaket hat bereits einen ersten Schritt zur Verbesserung ihrer Verhandlungsposition getan, der freie Milchmarkt aber bleibt Mythos, wenn die Erzeuger weiterhin in die Position des Preisnehmers gedrängt bleiben. Daher benötigen die Milcherzeuger gesellschaftliche und politische Un-
Zukunft Milcherzeugung Zusammenfassung der Studie 5 Büro für Agrar- und Regionalentwicklung terstützung in einer an die neuen Marktbedingungen hin angepassten Ausgestaltung ihrer Geschäftsbeziehungen. Nicht zuletzt und nur auf europäischer Ebene realisierbar sind die vorhandenen Instrument der Milchpolitik auf ihre Krisentauglichkeit hin zu überprüfen. Das Sicherheitsnetz aus Direktzahlungen, Zuschüssen und Interventionspreisniveau reicht nicht aus, um Krisen schneller und wirksamer als bisher aufzufangen. Auch werden die gesellschaftlichen Mittel werden nicht ausreichen, um über Zuschüsse diejenigen Einkommensverluste auszugleichen, die durch künftige Milchkrisen entstehen werden. Marktpolitisch sollte daher über die Implementierung von Kriseninstrumenten überprüft werden wie sie u.a. das vom European Milk Board vorgelegte Milchmarkt-Krisenmanagement vorsieht.