Wald-Naturschutzgebiet oder Naturwaldzelle - ein neuartiger Naturschutzkonflikt? Hans Böttcher

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Transkript:

EGGE-WESER 1985/02 Band 3 / Heft 2 062-067 Wald-Naturschutzgebiet oder Naturwaldzelle - ein neuartiger Naturschutzkonflikt? Hans Böttcher Aus dem Lehrgebiet Vegetationskunde der Universität-GH- Paderborn, Abt. Höxter Seit 1970 wurden in Nordrhein-Westfalen, wie in anderen Bundesländern auch, Naturwaldzellen eingerichtet. In ihnen sollen natürliche und naturnahe Waldgesellschaften sich ungestört entwickeln können. "In Naturwaldzellen wird der Waldbestand sich selbst überlassen. Bewirtschaftungsmaßnahmen sind nicht erlaubt; anfallendes Holz darf nicht entnommen werden. Die Forstbehörde kann Bekämpfungsmaßnahmen zulassen oder anordnen, wenn Forstschädlinge oder Naturereignisse angrenzende Wälder erheblich gefährden." ( 49 LFoG NW 1980.) Die Einrichtung solcher Naturwaldzellen (in Niedersachsen und einigen anderen Ländern Naturwaldreservate genannt) wurde schon 1934 von HESMER vorgeschlagen und später z.b. von LOHRMANN & BUCHWALD (1956) aufgegriffen. Als wichtigste Ziele der Einrichtung von Naturwaldreservaten werden von SEIBERT & HAGEN (1974) genannt: Schutz natürlicher Waldbestände als Teil einer natürlichen Umwelt für kommende Generationen, Erhaltung der wichtigsten natürlichen Waldgesellschaften als Biotope bestimmter, an sie gebundener Pflanzen- und Tierarten, Bereitstellung von Waldbeständen für die wissenschaftliche Forschung. Angestrebt wird ein System von Reservaten, das alle wichtigen Waldtypen in genügend großen Beständen und möglichst mehrfach an verschiedenen Stellen umfaßt (vgl. z.b. TRAUTMANN 1971). Am 1.1.1976 waren in der Bundesrepublik 348 Naturwaldreservate mit rund 9780 ha Fläche ausgewiesen, in Nordrhein-Westfalen waren es 40 Naturwaldzellen mit 600 ha Fläche (TRAUTMANN 1976). Inzwischen hat sich diese Fläche in Nordrhein-Westfalen auf ca. 800 ha erhöht (UBER 1982). Drei Naturwaldzellen liegen im Bereich des Staatl. Forstamtes Bad Driburg im Kreis Höxter, und zwar auf dem Mühlenberg südwestlich von Beverungen. (Näheres, auch zur Geschichte der Flächen, bei UBER 1982.) Hierbei überschneidet sich die Naturwaldzelle Nr. 32 zum großen Teil mit dem 1939 eingerichteten Naturschutzgebiet "Mühlenberg". Und genau in dieser Tatsache liegt die Gefahr eines schwerwiegenden Naturschutzkonflikts! Der Mühlenberg bei Beverungen gehört zu der langen Reihe von steil abfallenden Muschelkalk-Bergen, die die Talflanke der Weser entlang ihres Laufes an der Ostgrenze des Kreises Höxter bilden. Bewirkt wurde diese 62 so deutlich in Erscheinung tretende Muschelkalkstufe dadurch, daß der Muschelkalk nicht bis zur Talsohle reicht, sondern in den unteren Hangpartien unterlagert wird vom Oberen Buntsandstein, dem Röt. Dieser wird einerseits als leicht verwitterbares Gestein von der Weser stärker angegriffen und übersteilt, andererseits kann er wegen seiner tonigen Beschaffenheit bei lang andauernden Regenfällen so viel Wasser aufnehmen, daß er ins Fließen gerät. Dadurch kam es im Laufe der Zeit immer wieder zu Abbrüchen ganzer Muschelkalkpakete, die ihrer Grundlage beraubt waren, und als Folge zur Bildung von Steilwänden, wie sie besonders schön am Ziegenberg bei Höxter als "Rabenklippen" ausgebildet sind. Ein solcher Bergsturz ereignete sich übrigens vor knapp dreißig Jahren am Schickeberg im mittleren Werragebiet in ganz der gleichen geologischen Situation (vgl. WINTERHOFF & HÖLLERMANN 1968). Dort, wo die Steilhänge nicht nach Osten, sondern mehr nach Süden ausgerichtet sind - das sind von Süd nach Nord vor allem der Mühlenberg, der Ziegenberg, der Räuschenberg nördlich Höxter und der

Kiekenstein bei Stahle - entwickelten sich wärmebedürftige Waldgesellschaften: verschiedene Ausbildungen des Orchideen- Buchenwaldes, den LOHMEYER (1953) von hier beschrieben hat, und an den extremsten Stellen der Eichen-Eisbeeren-Wald (Lithospermo - Quercetum petraeae Br.-Bl. 1932). Die steile Ausrichtung nach Süden und das physiologisch warm wirkende Kalkgestein, auf der anderen Seite die durch die gleichen Faktoren bewirkte relative Trockenheit der Standorte ermöglichten die Ausbildung dieser Gesellschaften, deren Hauptareal weiter im Süden liegt und die im Weser-Leine-Bergland die Nordgrenze ihrer Verbreitung erreichen (vgl. BÖTTCHER, BAUER & EICHNER 1981). Wesentlich dazu beigetragen hat aber auch der Einfluß des Menschen in Form der Waldweide und der Nieder- oder Mittelwaldwirtschaft. Erst die dadurch erfolgte Auflichtung des Waldes ermöglichte die Ausbreitung lichtbedürftiger Pflanzen, die in der Krautschicht neben wärmebedürftigen Arten durchaus vorherrschen. Gleichzeitig wurde durch die geförderte Bodenerosion die Austrocknungsgefahr der Standorte gesteigert und damit die Buche (Fagus sylvatica in ihrer Konkurrenzkraft geschwächt, ein typisches Merkmal der genannten Waldgesellschaften. Am Mühlenberg führte das Vorkommen des Eichen-Elsbeeren-Waldes mit einem bemerkenswerten Anteil der Wildobstarten Sorbus torminalis, Malus sylvestris und wahrscheinlich auch Pyrus pyraster in der Baumschicht und großen Beständen von Lithospermum purpurocaeruleum in der Krautschicht zur Ausweisung des Naturschutzgebietes. Heute kann dieser Waldbestand nicht mehr als Lithospermo - Quercetum angesprochen werden. Selbst die Zuordnung zum Steinsamen-Orchideen- Buchenwald (Carici-Fagetum ssu. Lohmeyer 1953 lithospermetosum ) (BRÖSKAMP 1984) bereitet Schwierigkeiten,da die für das Weser- Leine-Bergland typischen Kenn- und Trennarten des Orchideen- Buchenwaldes praktisch völlig fehlen, wohl aus Lichtmangel. Die Weiterentwicklung zu einem Perlgras-Buchenwald (Melico-Fagetum Lohm. in Seib. 1954), in dem sich aufgrund seines Beharrungsvermögens 63 Lithospermum purpurocaeruleum noch längere Zeit halten wird, ist abzusehen. Seit Aufhören der Niederwaldwirtschaft konnte die Buche einen stärkeren Kronenschluß erreichen,der diesen Vegetationswandel bewirkte. Das gute Wachstum von Esche (Fraxinus excelsior) und Berg- Ahorn (Acer pseudo-platanus) in einer etwa dreißig Jahre alten Aufforstung auf einem Teil der Fläche zeigt deutlich, daß die natürlichen Standortsverhältnisse nicht so extrem sind wie ursprünglich angenommen. Die in ihrer Konkurrenzkraft erstarkende Buche gefährdet den Bestand an Wild-Apfel und Elsbeere durch Unterdrückung. Ähnlich ergeht es der Eibe (Taxus baccata) in einer anderen Naturwaldzelle am Mühlenberg: die älteren Exemplare sterben aus Lichtmangel zunehmend ab. Auf den durch die Umstellung von Niederwald- zur Hochwaldwirtschaft bedingten Rückgang von Taxus baccata in den Buchenwäldern hat bereits WILLERDING (1968) hingewiesen. In richtiger Anwendung dieser Erkenntnis wurden die Eiben am Ziegenberg vor etwa zehn Jahren freigestellt, wenn auch vielleicht teilweise etwas zu radikal. Am Ziegenberg ist fast der gesamte Südosthang als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Hier wächst großflächig der Blaugras-Orchideen-Buchenwald Carici-Fagetum ssu. Lohmeyer 1953 seslerietosum) (ROHDE 1983). Auch dieser Waldtyp beherbergt, abgesehen von den etwa 150stattlichen Eiben, in seiner Krautschicht zahlreiche lichtbedürftige Arten,besonders das Blaugras (Sesleria varia). Ausgehend von seinen Wuchsorten auf Felsbändern, Bermen und Steinschutthalden im Bereich der Rabenklippen konnte sich das Blaugras in den durch Waldweide und Niederwaldwirtschaft aufgelichteten Buchenwald des Ziegenberges ausbreiten. Heute zeigt es, wie auch die anderen lichtbedürftigen Arten, eine deutliche Rückgangstendenz. Wir haben deshalb für das NSG "Ziegenberg"wenigstens für Teilflächen die Wiederaufnahme der Niederwaldwirtschaft vorgeschlagen (BÖTTCHER & ROHDE 1984). Mit Sicherheit würde die im Rahmen der Erarbeitung eines Pflegeplanes für das Naturschutzgebiet ins Gespräch gebrachte Ausweisung einer Naturwaldzelle in diesem Bereich wegen der dann völlig unterbleibenden Durchforstungen den Rückgang der lichtbedürftigen Arten beschleunigen. Das würde letztlich auch die Veränderung des Blaugras-Orchideen-

Buchenwaldes zu einer anderen Waldgesellschaft zur Folge haben. Auch der Burgberg bei Bevern (Kr.Holzminden) gilt als Wuchsgebiet von Orchideen-Buchenwäldern. Er wird im Rahmen der zur Zeit laufenden Aktion zur "Ausweisung von Waldnaturschutzgebieten in Niedersächsischen Landesforsten" als Naturwaldreservat vorgeschlagen (KRÜGER 1984). Eine genaue vegetationskundliche Untersuchung in diesem Sommer (STUBE 1985)hat gezeigt, daß am eigentlichen Burgberg keine Orchideen-Buchenwälder vorkommen. (Sie sind auf die Gipfelregion des Kleinen Eberstein im Osten des Burgberges beschränkt.) Das offensichtlich reliktische Auftreten bestimmter Pflanzenarten macht es aber wahrscheinlich, daß in der Vergangenheit am Südhang des Burgberges solche Wälder wuchsen. 64 Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich wende mich nicht gegen die Idee der Naturwaldreservate. Die Notwendigkeit der Ausweisung solcher Totalreservate steht aus ökologischen wie wissenschaftlichen Gründen außer Frage! Soweit es sich aber bei den in Naturwaldreservaten erfaßten Waldgesellschaften um anthropogene Gesellschaften handelt - und das ist, wie wir heute beim Nachlassen des menschlichen Einflusses immer deutlicher erkennen müssen, im Weser-Leine-Bergland bei vielen Orchideen-Buchenwäldern und allen Eichen-Elsbeeren-Wäldern der Fall, übrigens auch bei vielen Eichen- Hainbuchen-Wäldern - ist eine mehr oder weniger starke Veränderung in relativ kurzer Zeit mit Sicherheit vorauszusehen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus kann das für die Sukzessionsforschung ein interessanter Aspekt sein. In vielen Fällen wird diese natürliche Vegetationsveränderung aber den Vorstellungen bei der Ausweisung der Reservate zuwiderlaufen. Hierin liegt der eingangs angesprochene Naturschutzkonflikt. Dabei ist dieser Konflikt im Grundsatz nicht neu. Der Naturschutz hat in seiner Anfangszeit viele Naturschutzgebiete mit anthropogenen Vegetationsformen eingerichtet, ohne zu bedenken, daß die Erhaltung solcher menschlich bedingter Vegetationsformen zwingend die Fortdauer der menschlichen Eingriffe verlangt. Als Folge veränderten sich manche Naturschutzgebiete innerhalb weniger Jahrzehnte so stark, daß der ursprüngliche Naturschutzzweck verloren ging und die Gebiete aus dem Naturschutzkataster gestrichen werden mußten. Man sollte diese Erfahrungen beherzigen und bei der Ausweisung von Naturwaldreservaten nicht den gleichen Fehler begehen. Die Gefahr ist groß! Nach TRAUTMANN (1976) waren ein Viertel der bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesenen Naturwaldreservate gleichzeitig Naturschutzgebiete. Und wenn KRÜGER (1984: 3) beklagt: "Nur 0,3 % der Landesforsten [in Niedersachsen] werden von Naturwaldreservaten eingenommen(... ), von denen erst 9 Reservate auch als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind" (Sperrung von mir), wird das Mißverständnis deutlich. Als Folgerung aus den angeführten Gedankengängen müssen für die herangezogenen Beispielsflächen folgende Forderungen erhoben werden: Am Mühlenberg bei Beverungen muß das Naturschutzgebiet wieder aus der Naturwaldzeile herausgenommen werden. Am Ziegenberg bei Höxter darf im Bereich des Naturschutzgebietes keine Naturwaldzeile eingerichtet werden. In beiden Fällen würden mit Sicherheit die vom Standpunkt des Naturschutzes interessanten Waldgesellschaften mit einer Vielzahl seltener Pflanzen- (und Tier-)arten in absehbarer Zeit der natürlichen Sukzession zum Opfer fallen. Vielmehr müssen für beide Gebiete Pflegepläne aufgestellt werden, die solche forstwirtschaftlichen Maßnahmen vorsehen, die den Fortbestand dieser Waldgesellschaften sicherstellen. Für die Waldgesellschaften des Burgberges bei Bevern stellt dagegen die Ausweisung eines Naturwaldreservates unter diesen Gesichtspunkten vermutlich keine Gefährdung dar, da die dagegen empfindlichen Orchideen-Buchenwälder 65

in diesem Bereich ohnehin nicht mehr vorkommen. Der Kleine Eberstein, wo der Orchideen-Buchenwald in seiner typischen Untergesellschaft (Carici-Fagetum ssu. Lohmeyer 1953 typicum) wächst, macht von seinen Standortverhältnissen her einen so extremen Eindruck, daß anzunehmen ist, daß sich der Orchideen-Buchenwald hier wohl auf lange Zeit auch ohne menschliche Eingriffe halten wird. In geeigneten Gebieten sollten nebeneinander Naturwaldreservate völlig ohne Eingriffe und Naturschutzgebiete mit bestimmten Pflegeauflagen eingerichtet werden, um die Auswirkungen auf anthropogene Waldgesellschaften verfolgen zu können. Hierfür würden sich z.b. Bereiche des nördlichen Ith in Niedersachsen anbieten, die auch in der schon erwähnten Aktion (KRÜGER 1984) vorgeschlagen werden. Dieses Gebiet wurde von KIRSCH, KRÜGER & SUTORIS (1978/79) vegetationskundlich untersucht. Danach müßte es möglich sein, quer über den Nord-Süd verlaufenden Kamm zwei genügend breite Transekte zu legen, die jeweils die hauptsächlichen Waldgesellschaften des Gebietes enthalten. Allerdings sind im nördlichen Ith die in diesem Zusammenhang besonders interessanten Orchideen-Buchenwälder gegenüber den weiter südlich im Weser-Leine-Bergland vorkommenden Beständen bereits floristisch verarmt. Literatur BÖTTCHER, H., BAUER, Ingeborg & EICHNER, Heidrun (1981): Die Buchen- Waldgesellschaften des Fagion sylvaticae im südlichen Niedersachsen. - In: Dierschke, H.(red.): Syntaxonomie. Ber.internat. Sympos.IVV Rinteln 1980: 547-577. Vaduz.(J.Cramer). BÖTTCHER, H. & ROHDE, Ulrike (1984): Die Vegetation des Naturschutzgebietes "Ziegenberg" bei Höxter. - Barsinghausen- Barrigsen. (Unveröff. Gutachten). 27 S. BRÖSKAMP, H.-M. (1984): Die Vegetationsverhältnisse des Naturschutzgebietes "Mühlenberg" bei Beverungen (Kreis Höxter). - DiplArb. Studiengang Landespflege Univ.Paderborn, Abt.Höxter. Höxter. (Unveröff.). 57 S. HESMER, H. (1934): Naturwaldzellen. - Der dtsch. Forstwirt 6. Berlin.(Zitiert nach: SEIBERT & HAGEN 1974). KIRSCH, Roswitha, KRÜGER, W. & SUTORIS, M. (1978/79): Vegetationskartierung der Waldgesellschaften des nördlichen Ith als Grundlage der Einschätzung landespflegerischer Probleme und Maßnahmen. - Projektarb. FB Landespflege Univ.Hannover. (Unveröff.).129 S. KRÜGER, W. (Bearb.)(1984): Konzept für die Ausweisung von Waldnaturschutzgebieten in niedersächsischen Landesforsten,im Rahmen der Verdoppelung der Naturschutzgebiete. -Hannover. (Nieders. LVA - Naturschutz, Landschaftspflege, Vogelschutz). (Unveröff.). 66 LFoG NW (1980): Landesforstgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesforstgesetz -LFoG-) vom 29. Juli 1969, i.d.f. der Bek. vom 24. April 1980 und der Änderungsgesetze vom 26. Juni 1984 und vom 6. November 1984. - Recht u. Natur, Erg.-Lfg. 2/85: 1560 11-37. LOHMEYER, W. (1953): Beitrag zur Kenntnis der Pflanzengesellschaften in der Umgebung von Höxter a.d. Weser. - Mitt. flor.-soz. Arbeitsgem.N. F. 4: 59-76. Stolzenau/Weser. LOHRMANN, R. & BUCHWALD, K. (1957): Waldschutzgebiete, ihre Einrichtung, Verwaltung und wissenschaftliche Auswertung. - Verh.dtsch. Beauftragter f.natursch. u.landschaftspfl. 10: 84-119. Bad Godesberg. ROHDE, Ulrike(1983): Die Pflanzengesellschaften des Naturschutzgebietes "Ziegenberg" bei Höxter. -DiplArb.Studiengang Landespflege Univ. Paderborn, Abt.Höxter. Höxter. (Unveröff.).126 S. SEIBERT,P. & HAGEN, J. (1974): Zur Auswahl von Waldreservaten in Bayern. -Forstw. Cbl. 93(5): 274-284. Hamburg, München. STÜBE, Martina (1985): Die Waldvegetation des Burgberges bei Bevern (Kr.Holzminden)und ihre Bedeutung für den Naturschutz. -DiplArb.

Studiengang Landespflege Univ.Paderborn, Abt.Höxter. Höxter. (Unveröff.). TRAUTMANN, W. (1971): Zur Einrichtung von Waldschutzgebieten in Nordrhein-Westfalen. - SchrR. Landschaftspfl.Natursch. 6: 203-208. Bonn-Bad Godesberg. TRAUTMANN, W. (1976): Stand der Auswahl und Einrichtung von Naturwaldreservaten in der Bundesrepublik Deutschland. -Natur u. Landsch. 51(3): 67-72. Stuttgart. UBER, E.-H. (1982): Naturwaldzeilen im Kreis Höxter. - Jb.Kreis Höxter 1982: 55-63. Höxter. WILLERDING, U. (1968): Beiträge zur Geschichte der Eibe (Taxus baccata L.). -Presse-Archiv 3:96-155. Göttingen. WINTERHOFF, W. & HÖLLERMANN,P. (1968): Morphologie,Flora und Vegetation des Bergsturzes am Schickeberg (Nordhessen). - Nachr.Akad.Wiss.Göttingen, II. Math.-phys.Kl. 1968(7): 109-170. Göttingen. Anschrift des Verfassers: Prof.Hans Böttcher Universität-GH- Paderborn, Abt. Höxter An der Wilhelmshöhe44 D-3470 Höxter 67