Zufall und Notwendigkeit was die Evolu<on antreibt

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-Generation sehen alle gleich aus (Uniformitätsregel). In der F 2. -Generation treten unterschiedliche Phänotypen auf (Spaltungsregel).

Transkript:

Zufall und Notwendigkeit was die Evolu<on antreibt Karl- Friedrich Fischbach Vortrag in Emmendingen am 27.10.2014 20 Uhr

Zeitleiste der Erdgeschichte (in Milliarden Jahren) 1 Milliarde Jahre <-> 1m 1 Million Jahre <-> 1mm 1000 Jahre <-> 1µm Die menschliche Kulturgeschichte Primaten Säuger Erste Fische Tiere mit harten Schalen? Einzeller Entstehung der Erde

Charles Robert Darwin (1809-1882)

Darwins Abstammungslehre Kernaussagen: 1. Alle Lebewesen inklusive des Menschen sind miteinander verwandt und haben sich aus gemeinsamen Vorfahren entwickelt. 2. Triebfeder der Evolu<on ist die Selek<on der am Besten angepassten Varianten (Survival of the fi<est).

Darwinfinken auf den Galapagos- Inseln Eine Unterfamilie der Ammern 4 Ga<ungen, 14 Arten Die Vorfahren wurden vor etwa 10 Millionen Jahren von Südamerika auf die galapagos Inseln verdri]et. Dort fand wegen fehlender Konkurrenz eine typische AdapEve RadiaEon sta_.

Fischsaurier

Schimpansen und Menschen haben mehr als 99% ihrer Gene gemeinsam Aus Gould&Gould Bewusstsein bei Tieren, Spektrum Akademischer Verlag, 1994

frühe Entwicklungsstadien von Embryonen der Wirbeltiere zeigen die Verwandtschaft auch morphologisch Ernst Häckel 1834-1919 Fisch Schildkröte Salamander Vogel Igel Rind Kaninchen Mensch

Aber verwandt sind wir auch mit den Fliegen!

Lebenszyklus von Drosophila

vor etwa 550 Millionen Jahren Stammbaum des Cytochrom c (Lindner, 1983)

etwa 13700 Gene etwa 24000 Gene

(Fast) alle Gene der Fliege sind (mehrfach) im menschlichen Genom vorhanden wenige Gene des Menschen haben keine Entsprechung in der Fliege Gene des Menschen etwa 24000 Gene der Fliege etwa 13700 alle diese Gene haben Entsprechungen in der Fliege wenige Gene der Fliege haben keine Entsprechung im Menschen

Das Komplexauge von Drosophila In ein Nebenauge mutierte Antenne durch die Fehlexpression des eyeless-gens

Ektopisches Antennenauge durch Expression des Small eye Gens der Maus in Drosophila Small eye = Pax 6 (Vertebratenortholog von eyeless )

Fazit bis hierhin Die Evolu<on und damit die Verwandtscha] allen Lebendigen auf unserer Erde wird von Biologen heute nicht mehr in Frage gestellt. Wie aber funk<oniert die Evolu<on? Was treibt die Evolu<on der Organismen an?

Darwin fehlten viele Informationen, über die wir heute verfügen. Er erkannte die Variabilität in Tierpopulationen, aber er wusste nichts über den Ursprung dieser Variabilität. Darwin wusste nichts von Mendels Vererbungsregeln. Darwin wusste nichts über die chemische Natur der Erbsubstanz (DNA). Auch Darwin schloss deshalb wie die meisten seiner Zeitgenossen die Vererbung erworbener Eigenschaften nicht aus.

Die Erbinformation ist im Schriftmolekül der DNA (DNS) enthalten Das DNA-Alphabet hat vier Buchstaben (Basen) Watson und Crick, 1953: Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass die speziellen Paarungen, die wir als gegeben voraussetzen, unmittelbar auf einen möglichen Vervielfältigungsmechanismus für die genetische Erbsubstanz schließen lassen.

Das zentrale Dogma der Molekularbiologie Transkription Translation DNA RNA Protein (Eiweiß) (A,T,G,C) (A,U,G,C) (20 Aminosäuren) 4 Buchstaben 4 Buchstaben 20 Buchstaben

Der genetische Code ist linear Die Wörter haben drei Buchstaben (Basen, es gibt 4 davon) Mutationen sind Veränderungen im DNA-Text

Mutationen haben Ursachen 1. Chemische Instabilität von Basen 2. Chemische Mutagene, z. B. 3. Strahlung

Mutationen sind zufällig, ihre Ursachen stehen mit ihrer Wirkung in keinem Zusammenhang (Fluktuationstest nach Luria und Delbrück, 1943) Agarplatte mit Antibiotikum Lamarckismus: Mutation als Reaktion auf das Antibiotikum (relativ geringe Fluktuation der Ergebnisse) Darwinismus: Mutation ereignet sich zufällig auch in Abwesenheit des Antibiotikums (große Fluktuation)

Darwinismus Survival of the fittest. Das Konzept survival of the fittest kann auf grundlegende Prinzipien der chemischen Reaktionskinetik zurück geführt werden. (Manfred Eigen) Fittest muss nicht heißen der stärkste, brutalste, rücksichtsloseste, schnellste, größte, schwerste usw., sondern kann genau so für den sich effizient bewegenden, konfliktvermeidenden, kooperativen, reaktiven, vorausschauenden, einfühlsamen usw. stehen.

Das Konzept survival of the fittest beruht auf ganz grundlegenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten k 1 k X 2 Bestand hat etwas nur, wenn k 1 > k 2 Das gilt für die Anzahl der Katholiken in München genauso wie für die Anzahl der Schneehasen in Südamerika oder den Wasserspiegel in der Badewanne.

Selektion durch Verdrängung / Konkurrenz: Artensterben hauptsächlich als ungewollter Nebeneffekt der Ausbreitung der Monokultur Mensch

Was in einer Population selektiert wird sind Allele (mutierte Genvarianten) Das mutierte Gen X (Allel) setzt sich in einer Population durch, indem es seinen Trägern nützlich ist (oder nicht) und sich durch deren Erfolg vermehrt (oder nicht). Ein Allel muss aber nicht seinem direkten Träger nutzen, es kann sich auch vermehren, wenn sein Träger andere Träger des Allels unterstützt. Das führt zu dem Konzept der inclusive fitness.

Richard Dawkins: Das egoistische Gen Das Gen oder besser, das Allel ist erfolgreich", indem es seinen Trägern nützlich ist und sich durch deren Erfolg selbst vermehrt. Ein Allel muss aber nicht seinem direkten Träger nutzen, es kann sich auch vermehren, wenn sein Träger andere Träger unterstützt. Das führt zu dem Konzept der inclusive fitness.

inclusive fitness Was zählt, ist die Allelfrequenz in einer Population. Ein Allel X erhöht seine Häufigkeit, wenn es seinen Trägern insgesamt hilft mehr Nachkommen durchzubringen, d. h. seine Häufigkeit in der Population kann auch zunehmen, wenn es seinen Träger dazu animiert, anderen Trägern des Allels zu helfen. inclusive fitness berücksichtigt in diesem Sinne die Gesamtbilanz eines Allels und ermöglicht so die Entstehung von altruistischem Verhalten in der Evolution.

R = Verwandtschaftsgrad Eltern Kinder R = 0,5 1 = 0,5 Enkel R = 0,5 2 = 0,25 n Generationen R = 0,5 n

Verwandtschaft besteht nicht nur in direkter Linie r Geschwister = 0,5 r Vettern = 0,125

William D. Hamilton 1 August 1936 7 March 2000 Hamiltons Regel: C < R x B C = Kosten für den Helfer R = Verwandtschaftsgrad B = Gewinn für den Helfer. Kosten und Gewinn werden in "Nachkommen" gerechnet.

Beispiele für die Wirksamkeit dieses Konzepts der inclusive fitness bei sozialen Insekten

Arbeiterbienen sind zu ihren Schwestern näher verwandt als sie zu ihren eigenen Kindern wären unbefruchtetes Ei Königin (2n) X Drohne (1n) befruchtetes Ei Drohne (1n) Arbeiterin (2n) Deshalb ist es für Arbeiterinnen effektiv, der Königin zu helfen viele Schwestern zu produzieren.

Inclusive fitness erklärt das altruistische Verhalten sozialer Insekten

... nur von Insekten?

Aber wie wird, z. B. in Vertebraten, der Verwandtschaftsgrad gemessen?

Verwandtschaftsbeziehungen werden über das Gehirn definiert und basieren auf Erfahrung: Hier Prägung bei Vögeln

Das ermöglicht Adoptionen im Tierreich

Der Verwandtschaftsgrad ist die gefühlte Familiennähe und hirngesteuert

Evolutionsstrategie und Bionik Bionik Technische Nutzung von Resultaten der biologischen Evolution. Evolutionsstrategie Anwendung der "Optimierungsmethode" der Biologie bei der Optimierung technischer Systeme.

Nachahmung der biologischen Evolution! Evolutionary programming ( Lawrence Fogel, David Fogel )! Genetic Algorithms ( Holland, Goldberg )! Evolutionsstrategie ( Rechenberg, Schwefel )! Genetic Programming ( Koza, Banzhaf )

Zusammenfassung: Was die Evolution antreibt Evolution beruht auf dem Wechselspiel von zufälligen Mutationen und Selektion Zufälligkeit bedeutet hier nicht, dass die Mutationen keine Ursache haben, sondern die Zufälligkeit besteht in dem Faktum, dass ihre Auswirkungen an ihrer Entstehung nicht beteiligt sind. Die Evolutionsstrategie als bionisches Optimierungsverfahren ist vielseitig in technischen Systemen einsetzbar.

Ein Blick in die Zukunft: Intelligent Design durch synthetische Biologie?

21.5.2010

Craig Venter und Hamilton Smith

Bleiben wir neugierig auf die ZukunM. Langweilig wird sie nicht.