Alltags- und Freizeitlärm Umweltrecht, Nachbarrecht oder kantonales Polizeirecht? VUR-Herbsttagung vom 27. November 2008 Rudolf Muggli, Bern
Inhaltsverzeichnis Einleitung Begriff des Alltagslärms Die Rechtsgrundlagen für Alltagslärm öffentliches Recht / Privatrecht Die Rechtsmittel bei Alltagslärm öffentliches Recht / Privatrecht Schlussbemerkungen 2
Einleitung Lärmschutz ist eine komplexe Aufgabe... weil Lärm nicht einfach nur schädlich ist, sondern oft auch Zweck der Sache ist und Lebensfreude bedeutet: z.b. Open Air Konzert Thema «Veranstaltungslärm» «Die Forderung nach einem Null-Risiko hätte jedoch zur Folge, dass ein grosser Teil sämtlicher menschlicher Aktivitäten verboten werden müsste, was unverhältnismässig wäre.» BGE Liestal 126 II 300 S. 312 3
Einleitung Technischer Lärm: einfacher zu handhaben dank BGW aber: das empirische Fundament für die BGW ist manchmal recht dünn Alltagslärm: schwierigere Beurteilung > die subjektiv-kulturelle, oft auch lokal geprägte Komponente wird meist sehr deutlich 4
Was ist Alltagslärm? Alltagslärm = untechnischer Lärm BGE Würenlos 133 II 292 E. 3.2 S. 296 Wohn- und Nachbarschaftslärm Lärm von Gaststätten Lärm von Kinderspielplätzen, Jugendzentren und Sportanlagen Tierlärm (Froschteich) usw. keine Legaldefinition, eher Kasuistik 5
Die Beurteilungsgrundlagen im öffentlichen Recht Wenn einer Anlage oder einem diesen gleichgestellten Objekt nach USG 7,7 zugehörig Beurteilung nach USG und LSV Beurteilung direkt gestützt auf das Gesetz, da ungeeignet für Belastungsgrenzwerte URP 1994 419 Wenn dies nicht möglich ist: kein USG-Lärm Beurteilung nach kantonalem Polizeirecht 6
Die Beurteilungsgrundlagen im Privatrecht Es braucht eine rechtliche Beziehung aus Privatrecht z.b. aus Sachenrecht Nachbareigenschaft Die Immission muss nicht unbedingt von einer Benutzungshandlung ausgehen, die innerhalb der grundbuchlichen Grenzen des Ausgangsgrundstücks stattfindet; es genügt, dass sie als Folge einer bestimmten Benutzung oder Bewirtschaftung des Ausgangsgrundstücks erscheint = BGE 120 II 15 S. 17 z.b. aus Vertrag z.b. Mietvertrag 7
Die Beurteilungsgrundlagen im Privatrecht: Nachbarrecht gesetzliche Eigentumsbeschränkung: Verpflichtung zu nachbarlicher Rücksichtnahme: ZGB 684 Verbot «übermässiger Einwirkungen» Würdigung der individuell-konkreten Interessenlage nach objektiven Gesichtspunkten Wichtig: Lage und Beschaffenheit der Grundstücke und Ortsgebrauch Einfluss des öffentlichen Rechts Massstäbe des USG/LSV fliessen ein BGE 132 III 49 S. 52 Landiwiese Zürich 8
Die Beurteilungsgrundlagen im Privatrecht: Vertragsrecht z.b. Mietrecht: Anspruch gegenüber dem Vermieter, dass die Mietsache gebrauchstauglich sei Durchsetzung der Hausordnung durch den Vermieter Einfluss des öffentlichen Rechts im Vertragsrecht? Baupolizei > Innenlärm nach LSV 32 > SIA 181 öffentlichrechtlich durchsetzbar BGE 122 II 65 für den Käufer einer Stockwerkeigentumseinheit 9
Die Rechtsmittel des öff. Rechts Einfacher Fall: Wenn mit einer ortsfesten Anlage verknüpft Dominanz des Baubewilligungs- bzw. Planerlassund des Baupolizeiverfahrens Bau- und Betriebsvorschriften (Art. 12 Abs. 1 USG) Beispiel: Froschteich VGE-ZH in URP 2000 245 Komplexerer Fall: Wenn diese Anknüpfung fehlt... Suche nach einem geeigneten Verfahren... 10
Die Rechtsmittel des öff. Rechts Beispiel: Open Air Konzert Die Gemeinde veranstaltet zu ihrem Jubiläum für die Dorfjugend ein Open Air-Konzert auf einer gemeindeeigenen Wiese Dauer: Freitag mittag bis Sonntag morgen 2 Uhr Anknüpfungspunkte: Anlage nach USG 7,7 Baubewilligung, Veranstaltungsbewilligung? Bewilligung des gesteigerten Gemeingebrauchs? Gastgewerbebewilligung (Alkoholausschank)? 11
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Die Rechtsmittel des öff. Rechts Beispiel: Open Air Konzert, Ergebnis Der Regierungsrat tritt auf eine Gemeindebeschwerde der Anwohnenden nicht ein, mit der die Gemeinderatsbeschlüsse angefochten worden waren geeignetes Anfechtungsobjekt wäre die Gastwirtschaftsbewilligung gewesen Wären privatrechtliche Rechtsmittel nützlicher gewesen? (einstweilige Verfügung des Zivilrichters?) 13
Die Rechtsmittel des öff. Rechts Beispiel: Public Viewing auf dem Stadthaus-Platz in Unterseen BE während der Euro 08 USG anwendbar? ist sicher eine Anlage... Prozessualer Anknüpfungspunkt? Bewilligung des Gemeinderates zur Benutzung des öffentlichen Raumes für das Aufstellen der Leinwand und die übrigen Einrichtungen? Gastwirtschaftsbewilligung? 14 14
Die Rechtsmittel des öff. Rechts Beispiel: Banntagsschiessen in Basel-Land USG anwendbar? Gewehre sind Geräte im Sinne von USG 7,7 Glück gehabt - es gibt ein Anfechtungsobjekt in Form von Weisungen des Stadtrates von Liestal Verordnung des Regierungsrates über das Schiessen am Banntag 15 15
Die Rechtsmittel des Privatrechts Traditionelle Mittel des Vertragsrechts... Klage auf Vertragserfüllung bzw. auf Schadenersatz Traditionelle Mittel des Sachenrechts (ZGB 679) Unterlassungsklage BGE 132 III 49 Landiwiese Zürich, BGE 126 III 223 Hotelbetrieb in Obwalden = URP 2000 629 Schadenersatzklage, Feststellungsklage BGE 119 II 411 Gassenzimmer 16
Schlusswort I Vielfältiges Lärmschutzrecht: öffentliches Recht und Privatrecht bestehen nebeneinander zunehmende gegenseitige Verflechtungen Vielfältiges Instrumentarium öffentliches Recht steht im Vordergrund billiger und in der Regel schneller als Privatrecht: Untersuchungsgrundsatz USG/LRV: Vorteile gegenüber Polizeirecht insbesondere: Vorsorgeprinzip 17
Schlusswort II Kantonales/kommunales Polizeirecht hat seine Bedeutung gerade im Freizeit- und Alltagslärmbereich, wo BGW fehlen bei Anlagen: als unselbständiges kantonales Ausführungsrecht zum USG BGE Bubikon 126 II 366 = URP 2000 795 bei Nicht-USG-Lärm: als selbständiges kantonales Umweltrecht Polizeireglement kann Massstäbe für die Beurteilung von Alltagslärm liefern 18
Rechtsgrundlagen für Alltagslärm Anlagen, Geräte, Maschinen... (USG 7,7) Anderes USG/LSV Kantonales / Kommunales Polizeirecht Vertrags- und Nachbarrecht 19
Rechtsgrundlagen für Alltagslärm Lärmquelle Einwirkungsort Rechtsgrundlage einer Anlage zurechenbarer Alltagslärm Innenlärm LSV 32 > SIA 181 Aussenlärm (Ermittlungsort: LSV 39) USG, LSV Alltagslärm unabhängig von einer Anlage überall kantonales Recht jede Immission, auch Lärm Nachbargrundstück ZGB 684 20