Zur Wechselbeziehung zwischen Sprachgebrauch und Spracheinstellungen in Österreich

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36. Österreichische Linguistiktagung Wien, 5. - 8. Dezember 2008 1 Zur Wechselbeziehung zwischen Sprachgebrauch und Spracheinstellungen in Österreich Barbara Soukup Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Wien Im Forschungsbereich der ursprünglich in den USA begründeten und vornehmlich auf Basis der Arbeit von William Labov entwickelten sogenannten Varietätenlinguistik oder variationist sociolinguistics ist seit einigen Jahren deutlich der Trend zu einer Fokussierung auf sogenannte 'speaker design approaches' festzustellen. Traditionelle soziolinguistische Konzeptionen der sprachlichen Variation haben diese vornehmlich dargestellt als ein Korrelat von Faktoren wie Gesprächsthema, soziale und regionale Herkunft, Geschlecht, Publikum, GesprächspartnerInnen, soziale Domäne oder Aufmerksamkeit (Labov's berühmte attention to speech). Im Unterschied dazu sind die speaker design approaches stark dem Konstruktivismus verschrieben, und betrachten sprachliche Variation unter dem Aspekt ihrer engen dialogischen Wechselbeziehung mit dem gesellschaftlichen Gefüge. Genauer gesagt wird der Gebrauch von verschiedenen Varietäten und Sprechstilen nicht mehr ausschließlich als ein Reaktionsphänomen gesehen, also als bedingt durch eine mehr oder weniger automatisierte Reaktion auf situative und individuelle Gegebenheiten, sondern als proaktives Phänomen auf der Basis einer strategischen und zielorientierten Interaktionsgestaltung durch die beteiligten Personen. Das heißt, es wird analysiert, wie Sprecher und Sprecherinnen bestimmte Varietäten und Stile 'rhetorisch' einsetzen, um einander gegenseitig zu beeinflussen und damit bestimmte interaktive Effekte und Ergebnisse zu erzielen. Solche Ergebnisse sind dann zum Beispiel die Konstruktion einer sozialen Rolle oder Identität, einer zwischenmenschlichen Beziehung, oder einer sozialen Situation. Um diese innovative theoretische Perspektive, die zum Beispiel in der Arbeit von Nikolas Coupland in Wales, Penelope Eckert in Stanford, und Natalie Schilling-Estes in Georgetown zum Ausdruck kommt, zu veranschaulichen, möchte ich Ihnen heute eine Studie präsentieren, in der ich die rhetorische, also strategische und zielorientierte, Verwendung von österreichischem Dialekt in ORF-Fernsehdiskussionen, nämlich in der ehemaligen Sendung 'Offen gesagt', untersucht habe. Gleich vorweg, ich beschränke meine Aussagen hierbei vorwiegend auf den mittelbairischösterreichischen Dialekt.

2 Allgemein gesprochen gibt es in Fernseh-Expertendiskussionen ja zumindest latent die Erwartung, dass Hochsprache gesprochen wird. Und in der Sendung Offen gesagt ist auch zumindest eine 'gehobene Umgangssprache' die dominante Varietät. Nun kommt es aber auch immer wieder vor, dass Gesprächsteilnehmerinnen und teilnehmer für längere Passagen in den Dialekt wechseln. Mich hat nun interessiert, ob hier gewisse Muster zu finden sind, also in welchem Zusammenhang solche Wechsel stattfinden, und ob sich dabei aus interaktionsanalytischer Perspektive rhetorische Strategien abzeichnen. Meine Studie umfasst daher eine Diskursanalyse, die sich in die Tradition des amerikanischen Interactional Sociolinguistics nach Gumperz, Tannen, und Schiffrin einreiht, und deren Ziel es war, interaktive Muster in der Dialektverwendung in Diskussionen der Sendung 'Offen gesagt' zu eruieren. Für diese Diskursanalyse habe ich insgesamt 34 Ausgaben der Sendung gesichtet, davon 8 transkribiert, und 1 dann im Detail analysiert, mit anschließender Rückführung der Ergebnisse auf die 7 anderen transkribierten. Ich muss hier natürlich gleich auf ein Problem eingehen, dass sich Ihnen sicher schon aufgedrängt hat, nämlich, dass die Differenzierung von Hochsprache und Dialekt in Österreich aus linguistischer Perspektive aufgrund gängiger Zwischen- und Mischformen in der Alltagssprache bzw. einer systemischen Überschneidung gar nicht so einfach ist. Für die Zwecke meiner Studie habe ich mich hier an Sylvia Moosmüller gehalten, die aus der Perspektive der natürlichen Phonetik eine Liste von Kriterien zur Unterscheidung von Hochsprache und Dialekt erstellt hat. Diese Liste beinhaltet unter anderem Features wie dialektale Input-switches, also Formen, deren Unterschiedlichkeit auf verschiedene historische Entwicklungen zurückzuführen ist, z.b. 'guat' im Vergleich zu 'gut', sowie Formen der ge-reduktion z.b. in 'glegt' statt 'gelegt', und der l-vokalisierung, z.b. in 'Schui' statt 'Schule'. Als weitere Maßnahme habe ich im Rahmen eines Perzeptionsexperiments 42 Informantinnen und Informanten aus Oberösterreich, Niederösterreich und Wien Ausschnitte aus der Sendung 'Offen gesagt' vorgespielt und sie gebeten, in einem ganz in Hochsprache gehaltenen Transkript jene Wörter anzuzeichnen, die ihrer Meinung nach im Dialekt gesprochen sind. Die angezeichneten Wörter habe ich danach auf in der Literatur beschriebene Dialektfeatures untersucht. Das Ergebnis hat gezeigt, dass die Informantinnen und Informanten tatsächlich zu einem hohen Prozentsatz dialektale input-switches als solche perzipieren, sowie sie auch ge- Reduktionen, l-vokalisierungen, morphosyntaktische Features wie z.b. die tun-periphrase, und lexikalische Besonderheiten wie z.b. das Wort 'hatschen' stark als dialektal einschätzen.

3 Um nun also zu meiner Diskursanalyse zurückzukehren, hier habe ich nun das Transkript einer Sendung von Offen gesagt im Detail auf die gelisteten und von meinen Informantinnen und Informanten mehrheitlich als dialektal eingeschätzten Features untersucht. Das Transkript der analysierten Sendung beinhaltet insgesamt 11,928 Wörter, von denen 957 nach meinen erwähnten Kriterien als dialektal einzustufen sind, das sind um die 8 Prozent. Als nächsten Schritt habe ich im Interesse der Machbarkeit entschieden, mich in der Analyse auf jene Stellen zu konzentrieren, in denen drei oder mehr Wörter hintereinander ein solches Feature aufweisen. Die Idee dahinter war, dass ich mich ja schließlich für Sprachwechsel von Hochsprache in den Dialekt interssiere, und dass es durchaus wahrscheinlicher und vor allem belegbarer ist, dass ein solcher Wechsel stattgefunden hat, wenn er für einige Zeit aufrecht erhalten wird und sich nicht nur auf ein Wort beschränkt, welches dann vielleicht schwer zuzuordnen ist. Insgesamt sind in der transkribierten Sendung 43 Passagen zu finden, in denen drei oder mehr Wörter hintereinander dialektale Features aufweisen. Diese 43 Passagen habe ich dann im Detail betrachtet, und dabei festgestellt, dass sich 2 Muster deutlich abzeichnen. Einerseits fallen 7 dieser Passagen interessanterweise in Zitate von direkter Rede. Andererseits finden sich 11 Passagen innerhalb kurzer Zwischenrufe und eingeschobener Kommentare. Die übrigen Passagen waren nicht systematisch zu kategorisieren, also beschränke ich meine Diskussion auf diese zwei gefundenen Muster. Zur Illustration zeige ich Ihnen gleich einmal eine dieser Passagen mit direktem Zitat. Hier geht es um den Präsidentschaftswahlkampf 2004. Ein österreichischer Journalist, den ich S1 nenne, beschreibt hier aus seiner Sicht die Reaktion der ehemaligen Außenministerin und Präsidentschaftskandidatin Ferrero-Waldner in Bezug auf die Verhaftung der Volxtheaterkarawane nach den Krawallen um den G8 Gipfel in Genua. Man sollte dazu wissen, dass der Journalist selber den Kandidaten Fischer unterstützt hat. Die von mir identifizierte Dialektsequenz ist in diesem Exzerpt rot hervorgehoben.

4 Exzerpt 1: S1: Das ist sozusagen ein echter Megafettnapf [...] Da geht's nämlich um nicht mehr um nicht weniger als dass dort ein paar linke Theaterleute im Zuge dieser Veranstaltung festgenommen wurden, österreichische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, und dass die Frau Außenminister nichts anderes zu tun hatte als zu sagen, najo, und zwar öffentlich, nachzulesen auf der Homepage des Außenministeriums, der Text steht fest, najo, des san kane Guatn, gegen die liegen eh sozusagen Anzeigen vor, im Innenministerium, und denen wird scho recht g'schehn. Das war ihre Reaktion zum Schutz Österreichischer Staatsbürger die im Ausland verhaftet werden [...] Ich glaube, es ist relativ eindeutig, dass dieses direkte Zitat hier zum Nachteil der Außenministerin gereichen soll. Der Effekt ist eine negative, antagonistische Einstellung von S1 gegenüber der Ministerin und ihrer Haltung zu den Theaterleuten so wie er sie darstellt. Das ist einerseits inhaltlich zu belegen, weil er vorher schon das Wort Megafettnapf verwendet, um die Reaktion der Ministerin zu qualifizieren. Andererseit argumentiere ich aber auch, dass die Verwendung von Dialekt hier im Zitat diese negative Einstellung stark unterstreicht, und quasi eine interne Evaluierung des Zitierten vornimmt. Dieser Effekt wird auch dadurch verstärkt, dass es geradezu absurd ist, zu behaupten, die Ministerin hätte etwas öffentlich im Dialekt gesagt, geschweige denn auf einer Homepage publiziert. Demnach ist also die Dialektverwendung hier keine getreue Widergabe des Gesagten, sonder meiner Meinung nach vielmehr ein rhetorischer Schachzug, um die Gegnerin in schlechtem Licht darzustellen. Ich werde darauf noch zurückkommen, aber zunächst zeige ich Ihnen nun ein Beispiel eines dialektalen Zwischenrufes. Diese Passage erfolgt an einer Stelle, an der der erste Sprecher (hier allerdings als S2 bezeichnet) seinen Entwurf der Rolle des Bundespräsidenten schildert. Dabei ist ihm offensichtlich wichtig, dass ein Präsident volksnah sein soll. Der zweite Sprecher schiebt daraufhin einen kurzen Kommentar ein. Es ist hier noch anzumerken, dass die beiden Sprecher unterschiedlichen politischen Lagern zuzuordnen sind. Die Drei-Wort- Dialektsequenz ist wieder rot hervorgehoben.

5 Exzerpt 2: S2: [...] die Österreicher wollen auch einen Bundespräsidenten, eine Bundespräsidentin, zum Angreifen. Eine, die quasi angreifbar is, nicht abgehoben irgendwo da oben nebulos äh herumschwimmt, vielleicht in irgendwöchen Gesetzesmaterien, exzellent si ausken- Beispiel Jonas. Der war a Mensch zum Angreifen, jo, einen Bundespräsidenten zum Angreifen S3: I waß net wem i ongreifn mecht Ich glaube, es ist wieder sehr eindeutig, dass der Kommentar bzw. Zwischenruf hier ein eher feindseliger ist, der das vorher Gesagte ins Lächerliche zieht. Dies ist inhaltlich evident; der Effekt wird aber wiederum auch durch die Dialektverwendung verstärkt. Insgesamt wirkt der Kommentar sehr ironisch und bringt durchaus wieder eine negative, antagonistische Haltung gegenüber dem vorangehenden Sprecher zum Ausdruck. Ich habe Ihnen also jetzt zwei Passagen vorgeführt, in denen ein Wechsel in den Dialekt für negative rhetorische Zwecke eingesetzt wird. Das Interessante ist nun, dass sich die Beobachtung solcher negativer Effekte auf alle 8 Folgen von 'Offen gesagt', die ich transkribiert habe, extrapolieren lässt. So zeigt also eine quantitative Analyse, dass direkte Zitate, die Antagonismus zum Ausdruck bringen, signifikant mehr Dialektwörter beinhalten als andere. Das Gleiche gilt für kurze Zwischenrufe. Das heißt in anderen Worten, dass die Sprecherinnen und Sprecher in den von mir analysierten Diskussionssendungen Dialekt gezielt dann einsetzen, wenn sie jemand anderen für negative Zwecke zitieren oder kommentieren. Die Frage stellt sich nun natürlich, warum sich Dialekt so offensichtlich als rhetorisches Stilmittel für negative interaktionelle Zwecke eignet. Eine Antwort liegt wohl darin, dass Dialekt in unserer österreichischen Gesellschaft ja zumeist nicht gerade hohes Ansehen genießt. Es besteht hier nun meiner Meinung nach eine dialogische Wechselbeziehung zwischen einerseits, der sozialen Bedeutung und gängigen Stereotypen, die mit Dialekt verbunden sind, und andererseits dem Einsatz von Dialekt als rhetorisches Stilmittel. Diese beiden Phänomene scheinen einander reziprok zu bedingen.

Mittelwert 6 Um diesen Zusammenhang belegen zu können, habe ich im Rahmen meiner Studie des Weiteren eine großangelegte Erhebung von Spracheinstellungen unter 242 Universitäts- und Fachhochschulstudierenden in Oberösterreich durchgeführt. Diese Erhebung hatte die Form einer sogenannten verbal guise study, in der ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern verschiedene Sprechproben, je einen Sprecher und eine Sprecherin in Hochsprache und im Linzer Dialekt, vorgespielt habe mit der Bitte um Bewertung in einem Fragebogen anhand einer 5-Punkte Skala mit insgesamt 22 gegensätzlichen Adjektivpaaren so wie z.b. gebildetungebildet, höflich-unhöflich usw. 5.0 Spracheinstellungserhebung (OÖ, N=242) 4.5 4.0 3.5 3.0 DcM DcF StM StF 2.5 2.0 1.5 Der Graph, den ich Ihnen hier zeige, präsentiert die auffälligsten Ergebnisse. Der männliche Dialektsprecher ist hier in blau, die Sprecherin in rot. Man sieht hier bereits sehr deutlich eine starke Korrelation zwischen den Dialektsprechern, sie wurden also insgesamt sehr ähnlich beurteilt. Es gibt hier ausserdem 3 gröbere Muster zunächst Adjektive, bei denen die Dialektsprecher signifikant positiver abschneiden als die Hochsprachesprecher. Das sind hier natürlich, Sinn für Humor, locker, emotional, ehrlich, und sympathisch. Das sind also positive Eigenschaften, die mit dem Dialektgebrauch offensichtlich verbunden werden. Dann gibt es jene Gruppe von Eigenschaften, in denen die Dialektsprecher auch höhere Werte erzielen, die sozial aber negativ belegt sind, so wie derb, grob, und aggressiv. Und zuletzt ist hier noch die Gruppe von Eigenschaften, in denen die Werte der Hochsprachesprecher die der Dialektsprecher signifikant übertreffen, und zwar in Bezug auf gebildet, intelligent, ernst, und höflich.

Es ergibt sich in Summe und in Zusammenfassung nun folgendes Einstellungsprofil für die Befragten: 7 Dialekt klingt für sie natürlicher, lockerer, emotionaler, ehrlicher, sympathischer, und humorvoller als Hochsprache, aber andererseits auch derber, grober, aggressiver, ungebildeter, unintelligenter, weniger ernst, und unhöflicher. Das ist also das durchschnittliche Profil der sozialen Stereotypen das ich erhoben habe, und es ist statistisch sehr robust, das heißt, es gibt kaum einen Einfluss z.b. vom Geschlecht der Befragten. Und ich behaupte nun, dass österreichische Sprecher und Sprecherinnen um diese allgemein verbreiteten und wohl durch Sozialisierung angeeigneten und weitergegebenen Stereotypen wissen, und sich diese deshalb zunutze machen, indem sie Dialekt einsetzen, der ja dann wie wir gesehen haben bestimmte Reaktionen und Assoziationen durch seine Verwendung hervorruft. Hier sind natürlich die negativen Assoziationen mit dabei, so wie Derbheit, Aggressivität und Dummheit. Und wenn man diese jetzt inhaltlich entsprechend aktiviert, kann man, wie wir gesehen haben, deutliche rhetorische Effekte erzielen, so wie eben eine Verstärkung einer antagonistischen Grundeinstellung gegenüber einer anderen Person, die man zitiert oder kommentiert. Im Falle der Außenministerin heißt das, dass die Tatsache, dass der Journalist sie im Dialekt sprechen lässt, ein negatives Licht auf sie wirft, denn wenn man so spricht klingt man ja auch dumm und grob. Und im Falle des Zwischenrufs würde ich sagen, dass der Dialekt einerseits die Unernsthaftigkeit des Kommentars unterstreicht, aber auch gleichzeitig das Objekt des Kommentars, also den vorherigen Sprecher, auf den nun in dieser derben Sprache reagiert wird, der Lächerlichkeit preisgibt. Der Mechanismus, der solcher rhetorischen Verwendung von Varietäten zugrunde liegt, also diese dialogische Beziehung zwischen Sprachverwendung und sozialer Bedeutung, ist von theoretischer Seite schon oft erörtert worden,

8 Sprachgebrauch in der Interaktion Gumperz' 'Kontextualisierung' Bakhtins 'Dialogik' Kristevas 'Intertextualität' Beckers 'Languaging' Soziale Bedeutung der Sprache (stereotypische Assoziationen) und findet sich unter anderem in Gumperz' Konzept der Kontextualisierung, also der Notion dass sprachliche Cues bestimmte Aspekte des Kontexts indizieren, z.b. soziale Stereotypen, welche damit für die Interpretation des Gesagten relevant gemacht werden. Ähnliches findet sich auch in Bakhtins Dialogik-Begriff, der die Wechselseitige Beziehung und Bedingung der Sprecher und Hörerrolle erläutert, sowie in Kristevas Begriff der Intertextualität, und Beckers Konzept des Languaging, das der Intertextualität sehr verwandt ist. Für weitere Diskussion sei hier auf die entsprechende Literatur verwiesen. Für mich bleibt nun noch festzuhalten, dass ich hoffe, dargelegt zu haben, dass die soziolinguistische Situation in Österreich ein sehr interessantes und vielversprechendes Forschungsfeld gerade für den speaker design approach in der Dialektologie bietet, aber auch dass, umgekehrt, diese methodische Perspektive, natürlich aufbauend auf und ausgehend von bereits existierender Forschung im österreichischen Kontext, Einiges zur Erläuterung der soziolinguistischen Prozesse und Gegebenheiten hier bei uns beitragen kann. Vielen Dank.