Squeeze-out. Rudolf Tschäni



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awr Übersicht Referat

Transkript:

Squeeze-out Rudolf Tschäni Inhalt I. Börsenrechtlicher Squeeze-out (Kraftloserklärung)...40 1. Voraussetzungen der Kraftloserklärung...40 a) Anwendbarkeit der börsengesetzlichen Bestimmungen...40 b) Öffentliches Kaufangebot...41 c) Schwellenwert...42 d) Frist von drei Monaten...44 2. Gegenstand der Kraftloserklärung...45 3. Verfahren...47 4. Rechtsfolgen...47 5. Steuerfolgen...49 6. Praktische Aspekte...50 II. Fusionsrechtlicher Squeeze-out (Abfindungsfusion)...51 1. Einführung...51 2. Verfahren (Kurzdarstellung)...52 a) Gründung einer Fusions-AG...52 b) Fusionsvertrag...54 c) Fusionsbericht...56 d) Prüfungsbericht...56 e) Einsichtsrecht der Aktionäre...56 f) Information und Konsultation der Arbeitnehmer...57 g) Fusionsbeschlüsse...58 h) Eintragung ins Handelsregister...58 i) Rechtswirksamkeit...58 j) Gläubigerschutz...59 k) Überprüfungsklage...59 3. Steuerfolgen...60 4. Praktische Aspekte...61 5. Sonderfragen...62 a) Art und Höhe der Abfindung...62 b) Mehrheitserfordernisse für den Fusionsbeschluss...67 c) Interessenkonflikt der beteiligten Verwaltungsräte...68 d) Verfahrensmässige Besonderheiten der Abfindungsfusion...70 III. Dekotierung...71 1. Einleitung...71 2. Verfahren...71 37

Rudolf Tschäni IV. Gegenüberstellung Kraftloserklärung/Abfindungsfusion Alternativen?...74 1. Gegenüberstellung Kraftloserklärung/Abfindungsfusion...74 2. Alternativen?...76 V. Schlussfolgerungen...77 Gegenstand der vorliegenden Betrachtungen sind Squeeze-out Verfahren, welche im Anschluss an ein erfolgreiches öffentliches Kaufangebot für eine Publikumsgesellschaft 1 zur Verfügung stehen. Praktisch jeder Anbieter will im Vorfeld einer Übernahme wissen, wie zu gewährleisten ist, dass er die Zielgesellschaft komplett in seine Organisation integrieren kann. Zwar ist es richtig, dass der Anbieter rechtlich betrachtet die Kontrolle über die Zielgesellschaft bereits ausüben kann, wenn er mehr als die Hälfte der Stimmrechte an der Zielgesellschaft erlangt, weil er dann in der Lage ist, die Verwaltungsräte zu wählen 2. Faktisch betrachtet, könnte der Anbieter die Zielgesellschaft gar mit einer tieferen Beteiligung kontrollieren, weil an den Generalversammlungen erfahrungsgemäss deutlich unter 50 Prozent der Aktienstimmen vertreten sind. Gewisse wichtige Beschlüsse setzen voraus, dass mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen und die absolute Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte zustimmen 3. Deshalb wird in öffentlichen Kaufangeboten als Bedingung regelmässig vorgesehen, dass dem Anbieter bis zum Ende der Angebotsfrist (unter Einbezug der vom Anbieter zu diesem Zeitpunkt bereits gehaltenen Aktien) mindestens 66 Prozent der Stimmrechte ange- 1 2 3 Als Publikumsgesellschaft wird eine schweizerische Gesellschaft verstanden, deren Beteiligungspapiere mindestens teilweise an einer Börse in der Schweiz kotiert sind (Zielgesellschaften). S. Art. 22 Abs. 1 BEHG. S. Art. 703 OR, wonach die Generalversammlung ihre Beschlüsse mit der absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen fasst bzw. vollzieht, es sei denn, dass Gesetz oder Statuten es anders bestimmen. Für Verwaltungsratswahlen ist gesetzlich kein besonderes Mehrheitsquorum vorausgesetzt (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR). Strengere statutarische Quoren als im Gesetz für die Wahl des Verwaltungsrates vorgesehen dürften sehr selten sein. Art. 704 OR. 38

Squeeze-out dient werden. Eine solche Bedingung ist bei freiwilligen Angeboten nach ständiger Praxis der Übernahmekommission ( UEK ) zulässig 4. Trotz einer Zweidrittelmehrheit bestehen aber nicht unerhebliche Schranken, die Zielgesellschaft voll in die Gruppe des Anbieters zu integrieren. Einerseits gilt das allgemeine Prinzip, wonach eine Gesellschaft in ihrem eigenen Interesse zu führen ist 5. Sodann hat der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft die Aktionäre im Prinzip gleich zu behandeln 6. Deshalb kann der Verwaltungsrat die Leitung der Gesellschaft nicht einfach auf das übergeordnete Konzerninteresse ausrichten. Zudem besteht eine nicht unerhebliche Zahl von Minderheitsrechten, welche den Einbezug der Gesellschaft in die Planung der Gruppe des Anbieters empfindlich stören kann 7. Vor diesem Hintergrund möchte der Anbieter das Angebot so strukturieren, dass er die Zielgesellschaft am Schluss vollumfänglich beherrscht, d.h. dass er 100 Prozent der Stimmrechte hält. Am einfachsten wäre es natürlich, das Zustandekommen des Angebotes davon abhängig zu machen, dass alle Aktionäre ihre Aktien andienen. Dies ist jedoch unrealistisch, weil es kaum je möglich sein wird, mit dem Angebot 4 5 6 7 TSCHÄNI RUDOLF/IFFLAND JACQUES/DIEM HANS-JAKOB, Öffentliche Kaufangebote, Zürich/Basel/Genf 2007, 128 ff., besonders Rz 265. Anders ist es bei Pflichtangeboten, wo das Erreichen einer Mindestbeteiligung als Bedingung unzulässig wäre (Art. 36 BEHV-FINMA). Art. 717 Abs. 1 OR. Art. 717 Abs. 2 OR. Unter den Vermögensrechten der Minderheitsaktionäre ist namentlich auf das Bezugsrecht hinzuweisen (Art. 652b OR). Störend für den Mehrheitsaktionär können auch die Mitgliedschafts- und Informationsrechte werden sowie im Konfliktfall gewisse Schutzrechte, wozu namentlich das Recht auf Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen (Art. 706 OR) und das Recht zur Verantwortlichkeitsklage gegen die geschäftsführenden Organe (Art. 752 ff. OR) zu zählen sind. Diese Rechte stehen den Minderheitsaktionären individuell und unabhängig von ihrer Beteiligung zu. Gewisse weitere Rechte setzen voraus, dass der betreffende Aktionär (oder die Aktionäre zusammen) 10 Prozent der Stimmrechte auf sich vereinigen. Hierzu sind vor allem das Recht zur Einberufung einer Generalversammlung (Art. 699 Abs. 3 OR), das Recht zur Traktandierung von Verhandlungsgegenständen (Art. 699 Abs. 3 OR analog) und das Recht zur Einsetzung eines Sonderprüfers (Art. 697b Abs. 1 OR) zu zählen. Gewisse Rechte sind sodann alternativ an den Betrag des Nennwertes gekoppelt (Recht zur Einberufung einer Generalversammlung, zur Traktandierung [Art. 699 Abs. 3 OR] sowie das Recht zur Einsetzung eines Sonderprüfers [Art. 697b Abs. 1 OR]). 39

Rudolf Tschäni alle Aktionäre zu erreichen bzw. alle Aktien angedient zu erhalten. Hält der Anbieter mehr als 98 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft, so steht ihm aber das börsenrechtliche Kraftloserklärungsverfahren (Squeeze-out Verfahren) 8 zur Verfügung. Hat er 90 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft oder mehr erworben, so steht ihm die Möglichkeit einer sog. Abfindungsfusion (fusionsrechtlicher Squeeze-out) offen 9. Mit beiden Verfahren kann der Anbieter die Minderheitsaktionäre eliminieren. Eine Bedingung, wonach der Anbieter 90 Prozent oder gar 98 Prozent der Stimmrechte erlangen muss, damit das Angebot zu Stande kommt, wird gemäss Praxis der UEK normalerweise jedoch als unzulässig betrachtet 10. Somit sieht sich der Anbieter in der Situation, dass er ein Angebot vollziehen muss, wenn er mehr als zwei Drittel, aber weniger als 100 Prozent der Stimmrechte erlangt. Erreicht der Anbieter einen Stimmrechtsanteil zwischen 66 Prozent und weniger als 90 Prozent, so besteht zudem kein griffiges Institut, womit man die verbliebenen Aktionäre aus der Zielgesellschaft hinausdrücken könnte. Diesfalls wird sich der Anbieter alternative Wege überlegen müssen, damit er die Gesellschaft unabhängig von Minderheiten führen kann 11. I. Börsenrechtlicher Squeeze-out (Kraftloserklärung) 1. Voraussetzungen der Kraftloserklärung a) Anwendbarkeit der börsengesetzlichen Bestimmungen Damit Art. 33 BEHG anwendbar ist, muss eine Zielgesellschaft im Sinne von Art. 22 BEHG gegeben sein, d.h. eine schweizerische Gesellschaft, deren Beteiligungspapiere mindestens teilweise an einer Börse in der Schweiz kotiert sind. Für die Kraftloserklärung wird man voraussetzen müssen, dass die Zielgesellschaft ihren statutarischen Sitz in der Schweiz 8 9 10 11 Art. 33 BEHG; vgl. hinten, Ziff. I. Art. 8 i.v.m. Art. 18 Abs. 5 FusG; vgl. hinten, Ziff. II. TSCHÄNI/IFFLAND/DIEM (FN 4), 129 ff. Rz 266. Darauf wird hinten, Ziff. IV., eingegangen. 40

Squeeze-out hat 12. Zwar sind Art. 22 ff. BEHG, also das Recht der öffentlichen Kaufangebote, in besonderen Fällen auch auf Zielgesellschaften anwendbar, die ihren statutarischen Sitz nicht in der Schweiz haben 13. Wegen der gesellschaftsrechtlichen Natur der Rechtsfolgen von Art. 33 Abs. 2 BEHG die Gesellschaft gibt die für kraftlos erklärten Beteiligungspapiere neu aus muss jedoch der statutarische Sitz in der Schweiz liegen. Anders könnte es höchstens sein, wenn das ausländische Recht die uneingeschränkte Anwendbarkeit des schweizerischen Übernahmerechts auch für die Kraftloserklärung akzeptieren würde 14. Was die Voraussetzung der Kotierung angeht, so reicht es nach überwiegender Auffassung und auch Praxis aus, wenn Beteiligungspapiere der Gesellschaft zum Zeitpunkt des öffentlichen Kaufangebots an einer Schweizer Börse kotiert waren; die Kotierung zum späteren Zeitpunkt der Klageeinreichung oder des Urteils der Kraftloserklärung wird nicht als erforderlich betrachtet 15. Sodann stand das Kraftloserklärungsverfahren in Fällen gar zur Verfügung, in denen die UEK die Regeln über öffentliche Kaufangebote als anwendbar erklärte, obschon sich das Angebot nicht auf kotierte Titel bezog 16. b) Öffentliches Kaufangebot Dem Kraftloserklärungsverfahren muss ein öffentliches Kaufangebot im Sinne von Art. 22 ff. BEHG vorangegangen sein. Dies folgt bereits aus dem Text von Art. 33 Abs. 1 BEHG. Ob es sich dabei um ein freiwilliges Angebot 12 13 14 15 16 RAMPINI CORRADO/REITER MATTHEW, Basler Kommentar, Börsengesetz, Basel 2007, Art. 33 N 7. TSCHÄNI RUDOLF/IFFLAND JACQUES/DIEM HANS-JAKOB, Basler Kommentar, Börsengesetz, Basel 2007, Art. 22 N 6. Gl.M. mit ausführlicher Begründung SCHENKER URS, Schweizerisches Übernahmerecht, Bern 2009, 397. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 8 und neu SCHENKER (FN 14), 398, mit Nachweisen. Allerdings wird in der praktischen Abwicklung von vorsichtigen Beratern verschiedentlich trotzdem darauf geachtet, dass die Kotierung bis zum Schluss des Kraftloserklärungsverfahrens aufrecht erhalten bleibt. S. dazu Ziff. III.2. unten. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 9; BÜCHI RAFFAEL, Bemerkungen zum Urteil des Kantonsgerichts Zug vom 6. Januar 2005 i.s. Carlton Holding AG c. Clair Holding AG, AJP 4/2005, 496 ff. 41

Rudolf Tschäni oder ein Pflichtangebot handelt, spielt keine Rolle, ebenso wenig ob das Angebot ein Bar- oder ein Tauschangebot war. c) Schwellenwert Das Kraftloserklärungsverfahren steht nur zur Verfügung, wenn der Anbieter nach Ablauf der Angebotsfrist über mehr als 98% der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt. Bezugsgrösse sind demnach die Stimmrechte. Hat die Zielgesellschaft nicht Einheitsaktien, sondern verschiedene Arten von Beteiligungspapieren (z.b. Partizipationsscheine oder Stimmrechtsaktien) ausstehend, so sind die Stimmrechte entscheidend. Es ist mit anderen Worten nicht notwendig, dass der Anbieter 98 Prozent des Kapitals hält. Nicht von Belang sind weiter nicht ausgeübte Optionen, weil sie keine Stimmrechte vermitteln 17. Ist es für die Berechnung der Schwelle von 98 Prozent eindeutig, dass (im Nenner) das im Handelsregister eingetragene Aktienkapital entscheidend ist 18, so haben sich einige Fragen daraus ergeben, wie der Zähler zu berechnen ist. Neben den direkt gehaltenen Aktien werden auch die Aktien berücksichtigt, deren Stimmrechte ruhen oder die der Anbieter im Zeitpunkt des Gesuchs um Kraftloserklärung indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten hält 19. Nach herrschender Auffassung werden demnach die eigenen Aktien der Zielgesellschaft als vom Anbieter gehaltene Beteiligungspapiere gezählt 20. Allerdings hat die UEK ihre frühere Mitteilung Nr. 3, welche vom 21. Juli 1997 datiert, am 3. April 2009 ersatzlos zurückgezogen. Darin war festgehalten, dass die von der Zielgesellschaft selbst gehaltenen Beteiligungspapiere grundsätzlich dem Anbieter zugerechnet werden. Aus diesem Rückzug lässt sich m.e. aber keine geänderte Auffassung der UEK ableiten. 17 18 19 20 S. hierzu RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 10 f. Mit der Folge, dass aus bedingtem Kapital ausgegebene, aber noch nicht eingetragene Aktien nicht mitgezählt werden. Art. 54 BEHV-FINMA. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 13. Man kann sich die Frage stellen, ob dem Anbieter nicht mit Stimmrecht oder überhaupt nicht eingetragene Aktien anzurechnen sind. Die Frage ist theoretischer Natur, weil sich der Anbieter in den Bedingungen des öffentlichen Kaufangebots regelmässig vorbehält, dass die statutarische 42

Squeeze-out Die Mitteilung Nr. 3 war ohnehin in dem Sinne überschiessend, als die Bestimmung der Schwelle von 98 Prozent nicht Sache der UEK ist. Die Beurteilung hierüber fällt in die Kompetenz des Zivilrichters. Der andere Teil der Mitteilung Nr. 3 betraf ein übergangsrechtliches Thema 21, welches nicht mehr aktuell ist. Dies war der Anlass dafür, dass die UEK ihre Mitteilung Nr. 3 aufgehoben hat. Somit sind eigene Aktien der Zielgesellschaft weiterhin dem Anbieter zuzurechnen. Was den für die Berechnung des Schwellenwerts massgebenden Zeitpunkt anbetrifft, so gilt nach herrschender Lehrmeinung 22, und nicht unbedingt im Einklang mit dem Gesetzestext 23, jedenfalls kein früherer Zeitpunkt als derjenige der Klageeinreichung. Das bedeutet, dass der Anbieter auch nach Ablauf der Angebotsfrist Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft erwerben kann, um die erforderliche Schwelle von 98 Prozent zu erreichen. Bei diesen Käufen ist allerdings die Best Price Rule zu beachten, welche auch noch sechs Monate nach Ablauf der Nachfrist gilt 24. Ebenso zu beachten sind die Konsequenzen aus der am 9. Februar 2009 von der UEK verabschiedeten Mitteilung Nr. 4. Danach muss bei freiwilligen Tauschangeboten eine Baralternative angeboten werden, wenn der Anbieter ausserhalb des Angebots Titel in bar erwirbt. Laut UEK muss die Baralternative auch dann angeboten werden, wenn Barkäufe zwar nach Ablauf der Nachfrist, aber noch während der Wirkungszeit der Best Price Rule erfolgen. Verbleibt die Frage, ob allenfalls die nach Einleitung des Kraftloserklärungsverfahrens erworbenen Beteiligungspapiere noch berücksichtigt werden können. Diese Frage wird sich praktisch betrachtet aber selten stellen, wird der Anbieter die Klage regelmässig doch erst dann einreichen, wenn er die 21 22 23 24 Vinkulierung aufgehoben und er mit den angedienten Aktien im Register als stimmberechtigt eingetragen wird. Betroffen war Art. 54 BEHG, wonach binnen sechs Monaten nach Inkrafttreten des BEHG eine Kraftloserklärung verlangen konnte, wer bei Inkrafttreten des Gesetzes aufgrund eines früheren Angebotes über mehr als 98 Prozent der Stimmrechte verfügte. Eine Übersicht über die bestehenden Lehrmeinungen zur Frage des Stichtags s. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 15, mit Nachweisen. Art. 33 BEHG spricht davon, dass der Anbieter nach Ablauf der Angebotsfrist über mehr als 98 Prozent der Stimmrechte verfügen müsse. Art. 10 UEV. 43

Rudolf Tschäni notwendige Schwelle erreicht hat 25, es sei denn, die dreimonatige Frist droht abzulaufen und der Anbieter ist sich gewiss, dass er die noch notwendigen Titel im Laufe des Kraftloserklärungsverfahrens erwerben kann. Indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten gehaltene Aktien sind dem Anbieter gemäss dem einschlägigen Verordnungstext im Zeitpunkt des Gesuchs um Kraftloserklärung zuzurechnen 26. Für diese Sachverhalte ist gemäss Verordnungstext also auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung abzustellen. Umgekehrt lässt sich dem Text der Verordnung an sich entnehmen, dass Gruppenbildung bzw. indirektes Halten bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt wird. So könnte sich laut Text also der Anbieter mit weiteren Aktionären zusammen tun, um nach Ablauf der Angebotsfrist das Erfordernis der Stimmrechte von 98 Prozent zu erfüllen 27. d) Frist von drei Monaten Der Anbieter muss das Gesuch um Kraftloserklärung innert einer Frist von drei Monaten stellen 28. Nach herrschender Lehre beginnt der Fristenlauf erst nach Ablauf der Nachfrist 29, auch wenn das Gesetz bloss vom Ablauf der 25 26 27 28 29 Nach einer stark vertretenen Auffassung in der Literatur wird auf den Urteilszeitpunkt abgestellt (SCHÄRER HEINZ/ZEITER HARALD, Going Private Transaktionen, in: TSCHÄNI RUDOLF [Hrsg.], Mergers & Acquisitions V, Zürich/Basel/Genf 2003, 43). Demnach wären Zukäufe während des Verfahrens dem Anbieter hinzuzuzählen, andererseits würde es nicht genügen, wenn der Anbieter die notwendige Schwelle bloss bei Einleitung des Verfahrens erreicht hat, danach aber darunter fällt. Das könnte etwa geschehen, wenn in der fraglichen Zeit bedingtes Kapital im Handelsregister eingetragen wird, die daraus ausgegebenen Aktien aber nicht dem Anbieter gehören. A.M. SCHENKER (FN 14) 400 FN 1771, wonach die Schwelle bei Einleitung der Klage erfüllt sein muss. Art. 54 lit. b BEHV. Im Schrifttum werden hierzu allerdings Vorbehalte geäussert (s. RAMPINI/REITER [FN 12], Art. 33 N 13, mit Nachweis). Gemäss GOTSCHEV GEORG G./STAUB CHRISTIAN, Der Ausschluss von Minderheitsaktionären nach Art. 33 Börsengesetz und durch Squeeze-out-Merger gemäss Fusionsgesetz, GesKR 4/2006, 274, fällt eine Gruppenbildung nach Ablauf der Angebotsfrist trotz des Textes nicht unter Art. 54 lit. b BEHV. Art. 33 Abs. 1 BEHG. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 16; SCHÄRER/ZEITER (FN 25), 43. Bezüglich Nachfrist s. Art. 14 Abs. 5 UEV. 44

Squeeze-out Angebotsfrist spricht 30. Als wahrgenommen hat die Frist zu gelten, wenn die Klage eingeleitet worden ist 31. Ein Problem, die Frist einzuhalten, kann sich ergeben, wenn (bspw. wegen ausstehender kartellrechtlicher Zustimmung) das Angebot nicht gleich nach Ablauf der Angebots- bzw. Nachfrist vollzogen werden kann. Ein solcher Aufschub wird nach bisheriger Praxis der UEK für eine Dauer von bis zu vier Monaten gewährt 32. Vom Zweck der Kraftloserklärung her betrachtet, sollte diesfalls die dreimonatige Frist erst ab Vollzugsdatum laufen. Der vorsichtige Anbieter wird allerdings die Klage bereits früher mit dem Gesuch um Sistierung bis zum Vollzug des Angebots einleiten. 2. Gegenstand der Kraftloserklärung Gemäss Gesetzeswortlaut erfasst die Kraftloserklärung die restlichen Beteiligungspapiere 33. Der Begriff Beteiligungspapiere findet sich im BEHG nicht umfassend definiert 34, dagegen in Art. 2 UEV, wonach Aktien, Partizipationsscheine und Genussscheine als Beteiligungspapiere qualifizieren. Die Verordnungsbestimmung ist mit diesem Wortlaut seit dem 1. Januar 2009 in Kraft. Früher wurden Wandelrechte und Erwerbsrechte auf Beteiligungspapiere (Optionsrechte) ebenfalls als Beteiligungspapiere definiert 35. Daraus wurde unter anderem abgeleitet, dass auch diese Rechte von der Kraftloserklärung erfasst sind 36. Eine gesetzgeberisch beabsichtigte Änderung mit der Wirkung, dass Wandel- und Optionsrechte nun nicht mehr kraftlos erklärt werden könnten, lässt sich jedoch nicht erkennen. Die neue Definition in Art. 2 UEV ist eine Folge der Anpassungen, wie sie sich durch das neue Offenlegungsrecht ergeben haben. Zudem wird in der Definition des Begriffs Beteiligungspapiere in Art. 2 lit. e BEHG nebst Aktien sowie Partizipa- 30 31 32 33 34 35 36 Art. 33 Abs. 1 BEHG. Hierfür ist auf die Grundsätze von Art. 135 und 139 OR zu verweisen, deren Anwendung sich hier gebietet. TSCHÄNI/IFFLAND/DIEM (FN 4), 163 Rz 350. Art. 33 Abs. 1 BEHG. S. immerhin Art. 2 lit. e BEHG. Art. 2 UEV-UEK. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 17 sowie die (mittlerweile aufgehobene) Mitteilung Nr. 3 der UEK. 45

Rudolf Tschäni tions- und Genussscheinen noch von anderen Beteiligungspapieren gesprochen. M.E. sind Wandel- und Optionsrechte daher immer noch von der Kraftloserklärung erfasst. Dies entspricht auch dem Zweck von Art. 33 BEHG, in Konzerngesellschaften klare Eigentumsverhältnisse zu schaffen und Konflikte mit (kleinen) Minderheiten zu vermeiden 37. Nach herrschender Auffassung brauchen die restlichen Beteiligungspapiere nicht kotiert zu sein 38. Zum Teil wird gefordert 39, dass der Anbieter ebenfalls eine bestimmte Anzahl an den stimmrechtslosen, restlichen Beteiligungspapieren innehaben müsse, damit diese Kategorien von Beteiligungspapieren kraftlos erklärt werden können. Diese Auffassung ist im Prinzip abzulehnen, denn sie findet weder im Wortlaut noch im Zweck von Art. 33 BEHG eine Stütze 40. Vom Gesagten zu unterscheiden ist die Frage, ob sich das Angebot auch auf die stimmrechtslosen Titelkategorien zu erstrecken habe, damit die Kraftloserklärung diese ebenfalls erfassen könne. Die Frage ist m.e. zu verneinen 41. Mit der Kraftloserklärung soll eine Bereinigung der Beteiligungsverhältnisse 37 38 39 40 41 Zu weitgehend ist m.e. aber die Auffassung von SCHENKER (FN 14), 402 f., die Kraftloserklärung müsse sich wenn vom Anbieter beansprucht auf alle Beteiligungspapiere beziehen. Es ist nicht einzusehen, warum beispielsweise nicht kotierte Optionen zwingend von der Kraftloserklärung erfasst werden sollten. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 18, mit Nachweisen. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 19, mit Nachweisen. SCHENKER (FN 14), 401 f. beschreibt den Fall, dass bloss die Partizipationsscheine (PS) kotiert sind und dass es diesfalls nicht angeht, dass die PS nach einem unattraktiven Kaufangebot kraftlos erklärt werden, wenn der Anbieter aufgrund nicht kotierter Aktien 98 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft hält. Abhängig von den Umständen könnte ein solcher Fall m.e. als missbräuchlich betrachtet werden. S. im Einzelnen SCHÄRER/ZEITER (FN 25), 59 f. So leitete die Novartis Pharma gegen Speedel Klage auf Kraftloserklärung von Optionen ein, obschon das Angebot selber die Optionen nicht erfasste (Empfehlung 378/02 Speedel Holding AG vom 20. Januar 2009 lit. I.G). Offenbar wurde die Klage gutgeheissen. Allerdings ist zu beachten, dass sich börsenrechtlich ein öffentliches Angebot auf alle Kategorien von kotierten Aktien, Partizipationsscheinen und Genussscheinen der Zielgesellschaft beziehen muss (Art. 9 Abs. 2 UEV). Hingegen braucht das öffentliche Angebot nicht-kotierte Beteiligungspapiere nicht zu erfassen. Weiter wird die Bestimmung des Preises vor Gericht in Frage gestellt werden können, wenn sich das Angebot nicht auf die für kraftlos begehrten Titel bezogen hat und die Höhe des Preises somit nicht direkt durch das Angebot bestimmt ist. 46

Squeeze-out erreicht werden. Diesem Zweck entsprechend geht es nicht an, zusätzliche Voraussetzungen in Art. 33 BEHG hinein zu interpretieren. Es ist aber einzuräumen, dass zu dieser Frage bisher soweit ersichtlich kein gerichtliches Präjudiz vorliegt. 3. Verfahren Der Anbieter muss für die Kraftloserklärung gegen die Gesellschaft Klage erheben, wobei die restlichen Aktionäre dem Verfahren beitreten können 42. Die Klage hat am Sitz der Gesellschaft zu erfolgen 43. Der Richter macht die Klage öffentlich bekannt und weist die restlichen Aktionäre darauf hin, dass sie dem Verfahren beitreten können, wobei hierfür eine Frist von mindestens drei Monaten festgesetzt wird 44. Die Veröffentlichung erfolgt dreimal im Schweizer Handelsamtsblatt oder allenfalls auf andere angemessene Weise 45. Eine Klageanerkennung oder ein Vergleich ist ausgeschlossen 46. Auch die Kraftloserklärung selbst ist im Schweizerischen Handelsamtsblatt oder wiederum nach Ermessen des Richters anderweitig zu veröffentlichen, wobei dies sofort zu geschehen hat 47. Das Gerichtsurteil hat gestaltende Wirkung erga omnes. 4. Rechtsfolgen Mit Rechtskraft der Kraftloserklärung gehen die Inhaber der verbleibenden Beteiligungspapiere ihrer Mitgliedschaft verlustig, erwerben aber umgekehrt einen Anspruch auf Auszahlung des Angebotspreises oder Erfüllung des Tauschangebotes 48. Der Anbieter hat gegenüber der Gesellschaft Anspruch auf neu auszustellende Beteiligungspapiere gegen Bezahlung des Angebots- 42 43 44 45 46 47 48 Art. 33 Abs. 1 BEHG. RAMPINI/REITER (FN 12), Art. 33 N 27. Art. 55 Abs. 1 BEHV. Art. 55 Abs. 2 BEHV. BÖCKLI PETER, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, 852 Rz 237. Art. 55 Abs. 4 BEHV. Art. 33 Abs. 1 BEHG. 47

Rudolf Tschäni preises oder Erfüllung des Tauschangebots. Der Preis sowie das Austauschverhältnis sind nicht Gegenstand der Kognition des Zivilrichters. Der Preis entspricht dem Angebotspreis und das Umtauschverhältnis dem Verhältnis der Tauschofferte. Der Preis kann allerdings zum Prozessgegenstand werden, wenn sich das Angebot nicht auf die Beteiligungspapiere bezogen hat, für die nun die Kraftloserklärung gesucht wird 49. Diesfalls besteht kein Angebotspreis für alle kraftlos zu erklärenden Beteiligungspapiere und der Preis ist in Anlehnung an die Praxis festzulegen, wie sie für das Angebot unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung entwickelt worden ist 50. Die Zielgesellschaft nimmt eine Zwischenstellung zwischen Anbieter und den Inhabern der verbleibenden Beteiligungspapiere ein. Gegenüber dem Anbieter gibt sie neue Beteiligungsrechte aus, welche jener gegen Bezahlung des Kaufpreises bzw. Erfüllung des Tauschangebotes erhält. Den Inhabern der verbleibenden Beteiligungspapiere bezahlt sie den Angebotspreis oder erfüllt das Tauschangebot. Nachdem es sich beim Kraftloserklärungsentscheid des Zivilrichters um ein Gestaltungsurteil handelt, stellen sich die Rechtsfolgen mit Rechtskraft des Urteils ein. Das bedeutet, dass sich der Anspruch des Minderheitsaktionärs bereits dann in einen Anspruch auf Bezahlung des Angebotspreises bzw. Erfüllung des Tauschangebotes wandelt, während der Anbieter mit Rechtskraft bezüglich der verbleibenden Anteile Aktionär wird. Praktisch wird die Abwicklung häufig in der gleichen Art und Weise wahrgenommen wie dies für die Abwicklung des Angebots geschah, d.h. über eine abwickelnde Bank 51. Zinsen sind auf dem Angebotspreis nicht zu berechnen, ebenso wenig Ausgleichszahlungen für Kursverluste. Hingegen sind Veränderungen (z.b. Kapitalerhöhungen, Kapitalrückzahlungen oder Dividenden) zu berücksichtigen 52. M.E. steht es dem Anbieter infolge des Gleichbehandlungsprinzips nicht frei, die Eigentümer der für kraftlos erklärten Beteiligungspapiere anders zu entschädigen als im Angebot selber vorgesehen. Vorbehalten bleiben individuell 49 50 51 52 S. hierzu Ziff. I.2. vorstehend. S. auch die hinten, in FN 165, dargestellte Auffassung von SCHENKER. TSCHÄNI/IFFLAND/DIEM (FN 4), 111 f. Rz 217 ff. S. im Einzelnen SCHÄRER/ZEITER (FN 25), 49 ff. Dies stellt m.e. keinen Verstoss gegen die Best Price Rule dar. 48

Squeeze-out ausgehandelte Abmachungen, für die aber die Best Price Rule zu beachten ist 53. 5. Steuerfolgen Die steuerlichen Folgen einer Kraftloserklärung sind grundsätzlich dieselben, wie wenn die Beteiligungspapiere in das Angebot angedient worden wären. Das bedeutet für die Einkommens- und Gewinnsteuerfolgen der Aktionäre Folgendes: Aktionäre, welche ihre Aktien im Privatvermögen halten, erzielen entweder einen steuerfreien privaten Kapitalgewinn oder einen steuerlich nicht abzugsfähigen Kapitalverlust, ausser ein solcher Aktionär qualifiziert als Wertschriftenhändler. Die Theorie der indirekten Teilliquidation ist auf öffentliche Kaufangebote im Grundsatz nicht anwendbar 54. Aktionäre, die ihre Aktien im Geschäftsvermögen halten (wozu auch gewerbsmässige Wertschriftenhändler zählen), realisieren entweder einen steuerbaren Kapitalgewinn oder einen steuerlich abzugsfähigen Kapitalverlust. Aktionäre ohne steuerliche Ansässigkeit in der Schweiz unterliegen nicht der schweizerischen Einkommens- bzw. Gewinnsteuer, es sei denn, die entsprechenden Aktien seien einer Betriebsstätte oder einem Geschäftsbetrieb in der Schweiz zuzurechnen. Verrechnungssteuer wird auf dem Verkauf der Aktien im Rahmen des Angebots keine erhoben. Diese einkommens- und gewinnsteuerlichen Folgen treten ein, wenn ein Realisationstatbestand gegeben ist, also eine Barabgeltung erfolgt. Anders könnte es bei einem gemischten Angebot oder Tauschangebot sein. Auf die diesbezüglichen steuerlichen Konsequenzen soll hier nicht weiter eingetreten werden. Es genüge der Hinweis, dass die Eigentümer der für kraftlos erklär- 53 54 Art. 10 UEV. S. aber Verfügung 416/03 Jelmoli Holding AG vom 28. Dezember 2009, E. 1.2 Rz 9, wonach der Gleichbehandlungsgrundsatz vorbehältlich Umgehungsfälle nur auf diejenigen Beteiligungspapiere anzuwenden ist, auf die sich das Angebot bezieht. Kreisschreiben Nr. 14 der EStV vom 6. November 2007, Ziff. 4.2, zweiter Absatz. 49

Rudolf Tschäni ten Beteiligungspapiere jedenfalls nicht schlechter gestellt werden, als wenn sie ihre Anteile in das Angebot angedient hätten. Wirtschaftlich und damit auch steuerlich wird das Kraftloserklärungsverfahren wie eine Fortsetzung des öffentlichen Angebots behandelt 55. 6. Praktische Aspekte Der Schwellenwert von 98 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft erscheint sehr hoch, ja praktisch nicht erreichbar. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass der Schwellenwert bei einem freundlichen Angebot, und nicht selten auch bei einem unfreundlichen Angebot, nachdem der Widerstand der Zielgesellschaft gebrochen ist, trotzdem erlangt werden kann. Dies hat mit der Effizienz des hiesigen Bankensystems zu tun. Den Banken gelingt es, die Aktionäre zu kontaktieren und zu einem Entscheid betreffend Andienung zu bewegen. Dazu werden die Banken teilweise auch durch besondere Gebührenmodelle angespornt. Nicht leicht ist es allerdings, die notwendige Schwelle zu erreichen, wenn die Zielgesellschaft über eine grosse Anzahl von Heimverwahrern verfügt oder Sekundärkotierungen in anderen Ländern bzw. ADR-Programme in den USA aufweist. So wird trotzdem jeder Anbieter die Frage stellen, wie er die uneingeschränkte Kontrolle über die Zielgesellschaft erreichen kann, auch wenn er am Schluss der Nachfrist nicht mehr als 98 Prozent der Stimmrechte hält. Rechtspolitisch bleibt für Kraftloserklärungen unverändert zu fordern, dass der Schwellenwert auf mindestens 95 Prozent der Stimmrechte herabzusetzen ist, welcher auch in anderen Rechtsordnungen vorherrscht 56. Gemäss Art. 23 Abs. 1 lit. a UEV hat der Angebotsprospekt Angaben über die grundsätzlichen Absichten des Anbieters betreffend die Zielgesellschaft zu enthalten. Demgemäss hält der Anbieter im Prospekt üblicherweise fest, dass er beabsichtigt, die Kraftloserklärung der verbleibenden Aktien im Sinne von Art. 33 BEHG zu beantragen, wenn er nach dem Vollzug des Kaufangebotes über mehr als 98 Prozent der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt. Dies dient einerseits der Information bzw. Transparenz, und hat ande- 55 56 GRETER MARCO, Steuerliche Folgen der Kraftloserklärung gemäss Art. 33 Börsengesetz, SZW 1998, 82 ff., 83. BÖCKLI (FN 46), 853 Rz 240; für rechtsvergleichende Hinweise s. GOTSCHEV/ STAUB (FN 27), 266 ff. 50

Squeeze-out rerseits den Effekt, die Aktionäre dazu zu bewegen, ihre Titel innerhalb der Nachfrist doch noch anzudienen, anstatt sie später im Rahmen des Kraftloserklärungsverfahrens gegen Bezahlung bzw. Tausch hinzugeben. II. Fusionsrechtlicher Squeeze-out (Abfindungsfusion) 1. Einführung Vor Inkrafttreten des Fusionsgesetzes am 1. Juli 2004 bestand der Grundsatz, dass bei einer Fusion die Aktionäre der übernommenen Gesellschaft durch Aktien der übernehmenden Gesellschaft abzufinden waren (Grundsatz der mitgliedschaftlichen Kontinuität) 57. Dieser Grundsatz gilt unter dem Fusionsgesetz nicht mehr. So können die an der Fusion beteiligten Gesellschaften im Fusionsvertrag vorsehen, dass nur eine Abfindung ausgerichtet werden soll, das Recht auf Anteile an der übernehmenden Gesellschaft also nicht besteht 58. Allerdings setzt der diesbezügliche Fusionsbeschluss voraus, dass mindestens 90 Prozent der stimmberechtigten Gesellschafterinnen und Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft zustimmen 59. Aufgrund dessen ergibt sich für Anbieter seit mehr als fünf Jahren die Möglichkeit, sich der verbleibenden Minderheit zu entledigen, wenn zwar nicht mehr als 98 Prozent der Stimmrechte, aber doch mindestens 90 Prozent der Stimmrechte erlangt worden sind. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Kraftloserklärung und des fusionsrechtlichen Squeeze-outs sind unterschiedlich, doch besteht kein Zweifel am Grundsatz der Alternativität, d.h. der Anbieter kann das fusionsrechtliche Squeeze-out-Verfahren durchlaufen, wenn er die notwendige Schwelle für das börsenrechtliche Squeeze-out nicht erlangt hat 60. Theoretisch könnte er gar das fusionsrechtliche Squeeze-out-Verfahren einschlagen, wenn er mehr als 98 Prozent der Stimmrechte inne hält. Nachdem jedoch, wie zu zeigen 57 58 59 60 TSCHÄNI RUDOLF, M&A-Transaktionen nach Schweizer Recht, Zürch/Basel/Genf 2003, 232 Rz 20 f. sowie Rz 68 ff. Art. 8 Abs. 2 FusG. Art. 18 Abs. 5 FusG. MAUERHOFER MARK, Squeeze-out Merger, Bern 2009, 120 ff. 51

Rudolf Tschäni sein wird, das Verfahren des börsenrechtlichen Squeeze-out einfacher und weniger konfliktanfällig ist, wird dies eine theoretische Möglichkeit bleiben, es sei denn, der Anbieter habe die Dreimonatsfrist verpasst und möchte nicht noch einmal ein öffentliches Kaufangebot unterbreiten. Squeeze-out-Fusionen im Anschluss an ein öffentliches Kaufangebot sind relativ selten 61. Dem steht eine grosse Anzahl von börsenrechtlichen Squeeze-outs gegenüber. Dies zeigt rein faktisch, dass das börsenrechtliche Kraftloserklärungsverfahren bevorzugt wird und in sehr vielen Fällen die Schwelle von 98 Prozent der Stimmrechte überschritten werden konnte. 2. Verfahren (Kurzdarstellung) a) Gründung einer Fusions-AG Handelt es sich um einen ausländischen Anbieter, so wird dieser eine Schweizer Gesellschaft gründen (Fusions-AG), in welche die Zielgesellschaft hineinfusioniert wird. Hat der ausländische Anbieter die Zielgesellschaft selber direkt (und nicht über eine Tochtergesellschaft) erworben, so stellt der Fusionsvorgang eine Schwesterfusion dar. Hiervon wird in der nachfolgenden Darstellung auch ausgegangen. 61 S. etwa Absorption der Gornergrat Bahn AG durch die Matterhorn Gotthard Bahn- Tours AG gemäss Fusionsvertrag vom 9. September 2005 mit vorangehendem Kauf- und Umtauschangebot der BVZ Holding AG an die Aktionäre der Gornergrat Bahn AG (Empfehlung 0244/01 Gornergrat Bahn AG vom 28. Juni 2005); Absorption der Generali (Schweiz) Holding durch die Albula Verwaltungs- und Beteiligungs AG gemäss Fusionsvertrag vom 29. Juni 2006 (Empfehlung 0274/01 Generali (Schweiz) Holding vom 6. April 2006); Absorption der Agie Charmilles Holding AG durch die Rhenum Metall AG gemäss Fusionsvertrag vom 15. Dezember 2006 (Empfehlung 0288/01 Agie Charmilles Holding AG vom 29. August 2006); Absorption der Model Holding AG durch die Camares AG gemäss Fusionsvertrag vom 16. März 2007 (mit vorangehendem, freiwilligem, nicht dem BEHG unterstehendem Kaufangebot der Camares AG an die Aktionäre der Model AG, publiziert im SHAB vom 22. Februar 2007); Absorption der Eichhof Getränke Holding AG durch die Eichhof Getränke AG gemäss Fusionsvertrag vom 24. Oktober 2008 (Empfehlung 0365/01 Eichhof Getränke Holding AG vom 5. Mai 2008); Absorption der Ciba Holding AG durch die BASF Specialty Chemicals Holding GmbH gemäss Fusionsvertrag vom 15. Mai 2009 (Verfügung 0382/02 Ciba Holding AG vom 11. März 2009). 52

Squeeze-out Zwar könnte erwogen werden, dass die Schweizer Zielgesellschaft von einer ausländischen Gesellschaft im Sinne einer internationalen Fusion absorbiert wird. Eine solche Emigrationsabsorption wäre zulässig, wenn die schweizerische Gesellschaft nachweist, dass (i) mit der Fusion ihre Aktiven und Passiven auf die ausländische Gesellschaft übergehen und (ii) die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte in der ausländischen Gesellschaft angemessen gewahrt werden 62. Dabei hat die Schweizer Gesellschaft alle Vorschriften des schweizerischen Rechts zu erfüllen, die für die übertragende Gesellschaft gelten 63, und die Gläubiger sind unter Hinweis auf die bevorstehende Fusion in der Schweiz öffentlich zur Anmeldung ihrer Ansprüche aufzufordern 64. Im Übrigen würde die Fusion dem Recht der übernehmenden Gesellschaft unterstehen 65. Solche Emigrationsfusionen sind schon für sich selber selten zu beobachtende Vorgänge 66. Dementsprechend ist die Rechtssicherheit begrenzt, und die Kombination dieser Art Fusion mit dem bisher ebenfalls wenig getesteten fusionsrechtlichen Squeeze-out ist nicht zu empfehlen. Anderseits ist nicht zu übersehen, dass gerade die Fusion in die Anbietergesellschaft, welche nicht selten ihrerseits eine kotierte Gesellschaft im Ausland ist, eine elegante Art von Squeeze-out darstellen würde. Allerdings würde die Zielgesellschaft dadurch ihre eigene Inkorporation in der Schweiz verlieren, was sowohl organisatorisch als auch steuerlich in der Regel nicht erwünscht ist. Selbst für rein nationale Übernahmeangebote, bei denen zum Schluss der Schweizer Anbieter über 90 Prozent oder mehr der Stimmrechte verfügt, empfiehlt sich unter Umständen die Gründung einer separaten Fusions-AG. 62 63 64 65 66 Art. 163e Abs. 1 IPRG. M.E. muss die angemessene Wahrung der Rechte auch im Falle einer Abfindungsfusion im Prinzip als eingehalten betrachtet werden können. Es ist nicht vorausgesetzt, dass die Aktionäre der Schweizer Gesellschaft Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft werden. Anders zu entscheiden würde bedeuten, dass internationale Abfindungsfusionen ins Ausland nicht zulässig sind, was offensichtlich nicht die Absicht des Gesetzgebers war. Hingegen müsste bspw. sichergestellt sein, dass der Minderheitsaktionär angemessen abgefunden wird. Art. 163b Abs. 1 IPRG. Art. 163b Abs. 1 IPRG, wobei Art. 46 FusG sinngemäss Anwendung findet. Art. 163b Abs. 4 IPRG. Die folgenden lassen sich bspw. nennen: Brawal GmbH durch Brawal Aktiengesellschaft (Liechentstein) (2006), Kaupthing Asset Management SA durch Kaupthing Bank Luxemburg S.A. (2008) oder U.S. Robotics (Schweiz) GmbH durch U.S. Robotics Americas LLC (USA) (2008). 53

Rudolf Tschäni Allenfalls stellt sich die Frage, warum nicht von Anfang an eine Fusion mit der Zielgesellschaft gesucht worden ist, bzw. die Nachteile einer Fusion, also namentlich die Übernahme sämtlicher Passiven uno actu, in Kauf genommen worden sind 67. Nachdem die Fusions-AG mit dem Zweck gegründet wird, von der Zielgesellschaft durch Universalsukzession die Aktiven und Passiven zu übernehmen und die Zielgesellschaft in jenem Zeitpunkt als nahestehend zu betrachten ist, fragt sich, ob für die Gründung die Sachübernahmevorschriften 68 einzuhalten sind. Dies ist m.e. zu verneinen, weil für die Fusion ausreichende Schutzvorschriften bestehen, namentlich für die Gläubiger. Das Fusionsgesetz sieht denn auch vor, dass für Kapitalerhöhungen im Rahmen der Absorptionsfusion die Sacheinlagevorschriften nicht anwendbar sind 69. Darin spiegelt sich der Gedanke, dass die Schutzvorschriften des FusG ausreichend sind und es der Schutzvorschriften für besondere Gründungs- bzw. Kapitalerhöhungsarten nicht bedarf. b) Fusionsvertrag Der Fusionsvertrag muss von den Verwaltungsräten der beiden Aktiengesellschaften schriftlich abgeschlossen werden 70. Der Inhalt des Fusionsvertrages hat den Anforderungen von Art. 13 Abs. 1 FusG zu genügen. Zu nennen ist namentlich die Höhe der Abfindung, welche den Minderheitsaktionären aus- 67 68 69 70 Zu Vor- und Nachteilen einer nationalen Fusion im Unterschied zu einem nationalen öffentlichen Kaufangebot s. TSCHÄNI RUDOLF, Fusionen versus öffentliche Tauschangebote bei Publikumsgesellschaften, in: VOGT NEDIM P./STUPP ERIC/DUBS DIETER (Hrsg.), Unternehmen Transaktion Recht, Liber Amicorum für Rolf Watter, Zürich/St. Gallen 2008, 429 ff. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Fall Swiss Prime Site/Jelmoli (Verfügung 416/01 Jelmoli Holding AG vom 13. Juli 2009). Swiss Prime Site (SPS) stellte das Angebot unter die Bedingung, dass SPS mehr als 66,67 Prozent der ausgegebenen Aktien von Jelmoli hält. Es wurde in Aussicht gestellt, dass Jelmoli danach in SPS hineinfusioniert werde. Für dieses Vorgehen sprachen offenbar taktische Überlegungen (Raschheit und Unnötigkeit, zuerst die Zustimmung des Verwaltungsrates der Jelmoli einzuholen bzw. mit diesem den Fusionsvertrag zu verhandeln). Tatsächlich lehnte der Verwaltungsrat der Jelmoli das Angebot zunächst ab, worauf das Angebot nachgebessert wurde. Art. 628 Abs. 2 OR. Art. 9 Abs. 2 FusG. S. auch Art. 10 FusG. Art. 12 Abs. 1 und 2 FusG. 54

Squeeze-out gerichtet wird 71. Der Fusionsvertrag steht unter der Bedingung, dass die Generalversammlungen der beiden Gesellschaften zustimmen 72. Parteien des Fusionsvertrages sind selbstverständlich die fusionierenden Gesellschaften. Besteht die Abfindung in einer Leistung der Muttergesellschaft, so fragt sich, ob die Muttergesellschaft ebenfalls Partei zu sein hat. In den bisherigen Sqeeze-out-Fusionen 73 war in einem Fall (Matterhorn/Gornergrat) die Muttergesellschaft Partei des Fusionsvertrags, in den anderen Fällen nicht. Die Abfindung wurde in allen Fällen von der Muttergesellschaft geleistet, was auf steuerliche Beweggründe zurückzuführen ist 74. Nachdem die Muttergesellschaft für sich selbst jeweils keinen Anspruch auf die Abfindung erhoben hat und gewisse Handelsregisterämter hierfür gar einen ausdrücklichen Verzicht wünschen 75, lässt sich durchaus dafür eintreten, die Muttergesellschaft müsse ebenfalls Vertragspartei sein. Zwingend ist dies m.e. jedoch nicht, weil die für die Fusion notwendigen Verpflichtungen durch die fusionierenden Parteien allein vorgesehen werden können 76. Dem Fusionsvertrag liegt die Fusionsbilanz bei. Dabei wird auf die Jahresabschlüsse der beiden Gesellschaften abgestellt, es sei denn, der Bilanzstichtag liege bei Abschluss des Fusionsvertrages mehr als sechs Monate zurück oder es seien seit Abschluss der letzten Bilanz wichtige Änderungen in der Vermögenslage der an der Fusion beteiligten Gesellschaften eingetreten. Kann man sich nicht auf die Jahresbilanzen abstützen, so müssen die Gesellschaften eine Zwischenbilanz erstellen 77. Die Zwischenbilanz muss revidiert sein. Muss eine Zwischenbilanz errichtet und revidiert werden, so hat dies bedeutende Auswirkungen auf den zeitlichen Ablauf. 71 72 73 74 75 76 77 Art. 13 Abs. 1 lit. f FusG. Art. 12 Abs. 2 FusG. S. die in FN 61 aufgezählten Fälle. S. hinten, unter Ziff. II.3. M.E. ist dies nicht notwendig, weil nur die Minderheitsaktionäre einen Abfindungsanspruch haben. BÖCKLI (FN 46), 407 Rz 201c. Art. 11 Abs. 1 FusG. Wie BÖCKLI (FN 46), 360 Rz 83 richtig festhält, kommt den Fusionsbilanzen für die Bewertung kaum eigene Bedeutung zu. Deshalb besteht auch keine Veranlassung, das Erfordernis der Fusionsbilanz auf die Muttergesellschaft auszuweiten, nur weil diese die Abfindung leistet oder Partei des Fusionsvertrages ist. 55

Rudolf Tschäni c) Fusionsbericht Die Verwaltungsräte der beteiligten Gesellschaften müssen einen schriftlichen Bericht über die Fusion erstellen, welchen sie auch gemeinsam verfassen können 78. Der Fusionsbericht hat, wie vom Gesetz erfordert, verschiedene Punkte zu erläutern und zu begründen 79. Einer dieser Punkte betrifft die Höhe der Abfindung und die Gründe, weshalb an Stelle von Aktien nur eine Abfindung gewährt werden soll 80. Auch der Zweck und die Folgen der Fusion sind zu erläutern und zu begründen 81. d) Prüfungsbericht Der Fusionsvertrag, der Fusionsbericht und die der Fusion zu Grunde liegende Bilanz müssen von einem besonders befähigten Revisor geprüft werden 82. Der Revisor erstellt einen schriftlichen Prüfungsbericht, welcher sich namentlich auch darüber äussert, ob die Abfindung vertretbar 83 und die Bewertungsmethode angemessen ist 84. e) Einsichtsrecht der Aktionäre Die an der Fusion beteiligten Gesellschaften müssen je an ihrem Sitz ihren Aktionären während dreissig Tagen vor der Beschlussfassung Einsicht in 78 79 80 81 82 83 84 Art. 14 Abs. 1 FusG. Keinen Fusionsbericht braucht m.e. die Muttergesellschaft zu liefern, selbst wenn die Abfindung von ihr entrichtet wird. In der fusionsrechtlichen Verantwortung stehen bloss die fusionierenden Gesellschaften bzw. deren Verwaltungsräte. Diese haben in ihrem Bericht allerdings die Bewertung der Aktien der Muttergesellschaft zu kommentieren, sollten solche für die Abfindung vorgesehen sein. Art. 14 Abs. 3 FusG. Art. 14 Abs. 3 lit. d FusG. Art. 14 Abs. 3 lit. a FusG. Art. 15 Abs. 1 FusG. Art. 15 Abs. 4 lit. b FusG. Sollte die Abfindung in Aktien der Muttergesellschaft bestehen, so hat sich der Revisor naturgemäss auch zur Bewertung dieser Aktien zu äussern. Art. 15 lit. c FusG. S. auch Art. 15 lit. d FusG. 56

Squeeze-out gewisse Unterlagen geben 85. Dazu gehören der Fusionsvertrag, der Fusionsbericht, der Prüfungsbericht sowie die Jahresrechnungen und Jahresberichte der letzten drei Geschäftsjahre sowie gegebenenfalls die Zwischenbilanzen. Die Aktionäre müssen in geeigneter Form auf ihr Einsichtsrecht hingewiesen werden 86. Sie können zudem Kopien der Unterlagen verlangen, welche ihnen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden müssen 87. f) Information und Konsultation der Arbeitnehmer Die Arbeitnehmer der an der Fusion beteiligten Gesellschaften also auch der übernehmenden Gesellschaft sind vor dem Vollzug der Fusion rechtzeitig über den Grund der Fusion sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Fusion für die Arbeitnehmer zu informieren 88. Sind Massnahmen beabsichtigt, welche die Arbeitnehmer betreffen, sind die Arbeitnehmer vor der Generalversammlung der Gesellschaften zu konsultieren 89. Sodann haben die Verwaltungsräte die Generalversammlung anlässlich der Beschlussfassung über die Fusion über das Ergebnis der Konsultation zu informieren 90. Wird das Informations- und Konsultationsrecht nicht beachtet, können die Arbeitnehmer vom Gericht verlangen, dass es die Eintragung der Fusion in das Handelsregister untersagt 91. Diese drakonische Folge gilt es zu vermeiden. Exakte Fristen für die Informations- und Konsultationspflicht sind im FusG nicht vorgesehen, doch wird man sich in einer Abfindungsfu- 85 86 87 88 89 90 91 Art. 16 Abs. 1 FusG. Art. 16 Abs. 4 FusG. Besteht die Abfindung in Aktien der Muttergesellschaft, welche auch von dieser zu liefern sind, so empfiehlt es sich, auch Einsicht in deren Jahresberichte und Jahresrechnungen zu geben. Art. 16 Abs. 3 FusG. Art. 28 Abs. 1 FusG i.v.m. Art. 333a OR. Wenn die Abfindung in Aktien der Muttergesellschaft besteht, welche auch von dieser geliefert werden, würde es m.e. zu weit führen, die Informations- und Konsultationsrechte auf die Arbeitnehmer der Muttergesellschaft auszudehnen, denn in diesem Fall wird ja von den Aktionären der Muttergesellschaft auch kein Fusionsbeschluss vorausgesetzt. Ausserdem findet die Universalsukzession zwischen den fusionierenden Gesellschaften statt und nicht mit der Muttergesellschaft. Art. 28 Abs. 1 erster Satz FusG i.v.m. Art. 333a OR. Art. 28 Abs. 2 FusG. Art. 28 Abs. 3 FusG. 57

Rudolf Tschäni sion praktisch am dreissigtägigen Einsichtsrecht der Aktionäre orientieren bzw. den Informations- und Konsultationsprozess dann in Gang setzen, auch wenn es zulässig wäre, dies erst später zu tun. g) Fusionsbeschlüsse Die Fusion bedarf der Zustimmung der beiden Gesellschaften durch entsprechende Generalversammlungsbeschlüsse, welche öffentlich beurkundet werden müssen 92. Im Falle einer Abfindungsfusion bedarf der Fusionsbeschluss der übertragenden Gesellschaft der Zustimmung von mindestens 90 Prozent der stimmberechtigten Aktionäre 93, derjenige der übernehmenden Gesellschaft der Zustimmung von mindestens zwei Drittel der an der Generalversammlung vertretenen Stimmen und der absoluten Mehrheit des von ihnen vertretenen Aktiennennwerts 94. h) Eintragung ins Handelsregister Nachdem die Fusionsbeschlüsse gefasst sind, haben die Verwaltungsräte dem Handelsregisteramt die Fusion zur Eintragung anzumelden 95. Die übertragene Gesellschaft wird mit der Eintragung der Fusion im Handelsregister gelöscht 96. i) Rechtswirksamkeit Die Fusion wird mit der Eintragung ins Handelsregister rechtswirksam, d.h. alle Aktiven und Passiven der übertragenen Gesellschaft gehen von Gesetzes 92 93 94 95 96 Art. 18 Abs. 1 und 20 Abs. 1 FusG. Art. 18 Abs. 5 FusG. Ein Fusionsbeschluss der Muttergesellschaft ist selbst dann nicht notwendig, wenn diese ihre Aktien als Abfindung liefert. Allenfalls muss die Muttergesellschaft aber das Aktienkapital erhöhen, um die notwendigen Aktien zur Verfügung stellen zu können. Art. 18 Abs. 1 lit. a FusG. Art. 21 Abs. 1 FusG. Art. 21 Abs. 3 FusG. Eintragungen bei der Muttergesellschaft haben keine zu erfolgen, es sei denn, diese erhöhe ihr Kapital, um die Abfindung abwickeln zu können. 58

Squeeze-out wegen auf die übernehmende Gesellschaft über (Prinzip der Universalsukzession) 97. j) Gläubigerschutz Die übernehmende Gesellschaft trifft für Forderungen eine Sicherstellungspflicht, wenn dies von Gläubigern der an der Fusion beteiligten Gesellschaften innerhalb von drei Monaten nach der Rechtswirksamkeit der Fusion verlangt wird 98. Die Gläubiger sind im Schweizerischen Handelsamtsblatt dreimal auf ihr Sicherstellungsrecht hinzuweisen 99. Die Pflicht zur Sicherstellung entfällt, wenn die Gesellschaft nachweist, dass die Erfüllung der Forderung durch die Fusion nicht gefährdet wird 100. Selbstverständlich kann die Gesellschaft die Forderung erfüllen, anstatt eine Sicherheit zu leisten, sofern die anderen Gläubiger dadurch nicht geschädigt werden 101. k) Überprüfungsklage Besonders erwähnt sei im vorliegenden Zusammenhang die Überprüfungsklage 102. Danach kann jeder Aktionär innerhalb von zwei Monaten nach der Veröffentlichung des Fusionsbeschlusses verlangen, dass das Gericht eine angemessene Ausgleichszahlung festsetzt, wenn inter alia die Abfindung nicht angemessen ist 103. Das Urteil hat Wirkung für alle Aktionäre des betei- 97 98 99 100 101 102 103 Art. 22 Abs. 1 FusG. Art. 25 Abs. 1 FusG. Art. 25 Abs. 2 FusG, wobei von einer Publikation abgesehen werden kann, wenn ein besonders befähigter Revisor bestätigt, dass keine Forderungen bekannt oder zu erwarten sind, zu deren Befriedigung das freie Vermögen der beteiligten Gesellschaften nicht ausreicht. Art. 25 Abs. 3 FusG. Art. 25 Abs. 4 FusG. Auf die Muttergesellschaft finden die Gläubigerschutzbestimmungen keine Anwendung, denn diese übernimmt infolge der Fusion keine Passiven. Anders zu urteilen würde eine konsolidierte Betrachtungsweise voraussetzen, welche aber hier im Gesetz nicht vorgesehen ist. Nebst der Überprüfungsklage (auch Ausgleichsklage genannt) gemäss Art. 105 FusG bestehen im FusG auch besondere Klagen für die Anfechtung (Art. 106 und 107 FusG) sowie für die Verantwortlichkeit (Art. 108 FusG). Art. 105 Abs. 1 FusG. 59