Landeshauptstadt Stuttgart Gesundheitsamt Gesundheitsberichterstattung Dezember 2013 Riskanter Alkoholkonsum im Alter Auswertung der Bürgerumfrage 2011 für die Altersgruppe 55 plus 1 Im Rahmen der Stuttgarter Bürgerumfrage 2011 wurden einige Fragen zum Alkoholkonsum gestellt. Ziel war es herauszufinden, wie viele Personen einen riskanten Alkoholkonsum praktizieren, ob es besondere Risikogruppen gibt und die Betroffenen ihren Alkoholkonsum reduzieren möchten. Riskanter Alkoholkonsum Anhand von drei Fragen (siehe Anhang) über die Häufigkeit des Alkoholkonsums und die konsumierte Menge wurden Personen identifiziert, die einen in gesundheitlicher Hinsicht riskanten Alkoholkonsum praktizieren. Die Weltgesundheitsorganisation definierte 1997 für Frauen 20 Gramm und für Männer 40 Gramm reinen Alkohol pro Tag als unteren Grenzwert für einen riskanter Alkoholkonsum. Aufgrund dieser Grenzwerte wurde die Befragung durchgeführt. Da es sehr unterschiedliche Konsumgewohnheiten gibt, wurden die Antworten der drei Fragen mit Punktwerten versehen. Für Personen mit einem riskanten Alkoholkonsum besteht ein erhöhtes Risiko für eine Suchterkrankung und es können negative Folgen oder Schädigungen resultieren wie zum Beispiel Unfälle oder die Entstehung von verschiedenen Krankheiten. Obwohl die Grenzwerte immer noch gültig sind, sprechen sich neuere Empfehlungen für geringere Grenzwerte aus: 10-12 Gramm für Frauen bzw. 20 24 Gramm reinen Alkohol pro Tag für Männer 2. In 0,33 Liter Bier sind etwa 12 Gramm reiner Alkohol enthalten. Riskanter Alkoholkonsum der Stuttgarterinnen und Stuttgarter im Alter von 55 Jahren und älter. Für die Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit 55 Jahren und älter ergibt sich hinsichtlich des riskanten Alkoholkonsums folgendes Bild 3 : Vor dem Eintritt ins Rentenalter praktiziert bei beiden Geschlechtern etwa jeder fünfte Befragte einen riskanten Alkoholkonsum (19 % bei den Männern und 20 % bei den Frauen). Bei Frauen bleibt dieser Anteil in der Altersgruppe 65 bis 74 Jahre gleich und sinkt in der höchsten Altersgruppe von 75 Jahren und älter auf 15 %. Dem gegenüber steigt nach Renteneintritt der Anteil der Männer mit 1 Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse wurde bereits veröffentlicht: Erb J, Wagner P, Hungerland E, Szagun B: Riskanter Alkoholkonsum bei Stuttgarter Erwachsenen - Ergebnisse aus der Stuttgarter Bürgerumfrage 2011. in: Landeshauptstadt Stuttgart, Statistisches Amt (Hrsg.): Statistik und Informationsmanagement, Heft 12/2012: 411-420 2 Singer, M.; Batra, A.; Mann, K. (Hrsg.): Alkohol und Tabak: Grundlagen und Folgeerkrankungen, Stuttgart 2011 (Thieme): 68 3 Stichprobenbeschreibung siehe Anhang
2 riskantem Alkoholkonsum um die Hälfte, nämlich von 19 % auf 31 % und bleibt in der Gruppe der Hochaltrigen im Alter von 75 Jahre und älter bei 28 %, siehe Abbildung 1. 31% 28% 19% Männer Frauen 55-64 Jahre 65-74 Jahre 75 Jahre und älter Abbildung 1: Anteil der Stuttgarter mit riskantem Alkoholkonsum im Alter von 55 Jahren und älter nach Alter und Geschlecht Zeigen Angehörige mit einem höheren Sozialstatus eher gesundheitsförderliche Verhaltensweisen beim Alkoholkonsum? In vielen epidemiologischen Studien zeigt sich ein Zusammenhang zwischen sozioökonomischer und gesundheitlicher Lage: Je geringer Bildung, sozialer Status und Einkommen, umso schlechter die gesundheitliche Situation und umso weniger werden gesundheitsförderliche Verhaltensweisen praktiziert. Auch hinsichtlich des Alkoholkonsums gibt es landläufig die Meinung, dass vor allem Personen aus der unteren sozialen Schicht übermäßig Alkohol konsumieren. Anhand der vorliegenden Daten konnte überprüft werden, ob diese Ansicht stimmt. Das kann nicht bestätigt werden: Mit dem Einkommen steigt bei beiden Geschlechtern auch der Anteil an Personen mit riskantem Alkoholkonsum: Personen, die in Haushalten mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 2.000 Euro und mehr leben, pflegen deutlich häufiger einen riskanten Alkoholkonsum als Personen mit geringerem Haushaltsnettoeinkommen. Bei Frauen ist der Unterschied am deutlichsten: gegenüber Frauen mit einem Haushaltsnettoeinkommen unter 2.000 Euro verdoppelt sich bei Frauen der Anteil mit riskantem Alkoholkonsum bei einem Haushaltsnettoeinkommen über 2.000 Euro. Bei Männern ist das Risiko eines riskanten Alkoholkonsums in der höheren Einkommensgruppe etwa 1,5-fach gegenüber der Einkommensgruppe unter 2.000 Euro, siehe Abbildung 2.
3 29% 26% 19% 13% unter 2.000 Euro 2.000 Euro und mehr Männer Frauen Abbildung 2: Anteil der Stuttgarter mit riskantem Alkoholkonsum im Alter von 55 Jahren und älter nach Geschlecht und Haushaltsnettoeinkommen Nach Bildungsgrad der Befragten ergibt sich ein ähnliches Bild: Bei beiden Geschlechtern ist der Anteil von Personen mit riskantem Alkoholkonsum in der untersten Bildungsgruppe am geringsten: Er beträgt bei den Frauen 14 %, bei den Männern 21 %. Personen mit einer mittleren und hohen Bildung praktizieren häufiger einen riskanten Alkoholkonsum, bei den Männern sind es 30 beziehungsweise 31 %, bei den Frauen 21 beziehungsweise 22 %. Fördert das Zusammenleben mit anderen im Haushalt einen riskanten Alkoholkonsum? Es wurde auch geprüft, inwieweit das Leben als Single oder das Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft mit anderen Auswirkungen auf den riskanten Alkoholkonsum hat. Es zeigt sich, dass in der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahre Männer und Frauen einen fast gleich hohen Anteil an Personen mit riskantem Alkoholkonsum haben, unabhängig davon, ob sie alleine oder mit anderen zusammenleben. In der Gruppe ab 65 Jahren nehmen die Anteile bei den Männern und Frauen, die mit anderen zusammenleben, zu. Die stärkste Zunahme ist bei den Männern zu verzeichnen, die allein leben. Anders bei den Frauen, die allein leben: hier liegt der Anteil mit riskantem Alkoholkonsum in den Altersgruppen mit 65 Jahren und älter unter 10 %, siehe Abbildung 3.
4 4 Männer, mit anderen zusammenlebend Männer, allein lebend Frauen, mit anderen zusammenlebend Frauen, allein lebend 55-64 Jahre 65-74 Jahre 75 Jahre und älter Abbildung 3: Anteil der Stuttgarter mit riskantem Alkoholkonsum im Alter von 55 Jahren und älter nach Alter, Geschlecht und Lebenssituation (allein oder mit anderen zusammenlebend) Die Stuttgarter Ergebnisse im Vergleich zu bundesweiten Daten Im Rahmen des telefonisch durchgeführten bundesweiten Gesundheitssurveys: Gesundheit in Deutschland aktuell 2008/2009 4 des Robert Koch-Instituts Berlin wurde bei einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung nach dem Alkoholkonsum gefragt. Es wurden die gleichen Fragen wie bei der Bürgerumfrage 2011 verwendet und die entsprechenden Klassifizierungen hinsichtlich eines riskanten Alkoholkonsums vorgenommen. Für einen Vergleich stehen allerdings nur Daten für die Altersgruppe 65 Jahre und älter zur Verfügung. Bei den Männern im Alter von 65 Jahre und älter weisen die Stuttgarter einen etwas höheren Anteil an riskanten Alkoholkonsumenten auf als die Bundesbevölkerung. Die Anteile bei den Frauen sind identisch, siehe Abbildung 4. 4 Online-Abfrage: http://www.gbe-bund.de (Stand: 26.11.2013)
5 28% 18% 18% Deutschland Stuttgart Männer Frauen Abbildung 4: Anteile der Stuttgarter und bundesdeutschen Einwohner im Alter von 65 Jahre und älter mit riskantem Alkoholkonsum nach Geschlecht Haben Personen mit riskantem Alkoholkonsum schon einmal daran gedacht, ihren Konsum zu verringern? Über die Konsumgewohnheiten und die Menge des Alkoholkonsums hinaus wollten wir wissen, ob die Befragten schon einmal daran gedacht haben, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Bei den Personen, die einen riskanten Alkoholkonsum praktizieren, stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Etwa 1/3 der Personen im Alter von 55 bis 64 Jahre mit einem riskanten Alkoholkonsum hat schon einmal darüber nachgedacht, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Bei den Männern bleibt dieser Anteil in den höheren Altersgruppen etwa gleich, bei den Frauen geht der Anteil mit zunehmendem Alter deutlich zurück, siehe Abbildung 5.
6 4 36% 36% 32% 31% 18% Männer Frauen 6% 55-64 Jahre 65-74 Jahre 75 Jahre und älter Abbildung 5: Anteil der Personen mit riskantem Alkoholkonsum im Alter von 55 Jahren und älter in Stuttgart, die schon einmal daran gedacht haben, ihren Alkoholkonsum zu verringern nach Alter und Geschlecht Zusammenfassung Jenseits der Altersgrenze 65 Jahre praktizieren Männer häufiger einen riskanten Alkoholkonsum als davor. Bei den Frauen bleibt der Anteil zunächst ähnlich hoch und nimmt bei den Hochaltrigen ab. Entgegen vieler anderer Erkenntnisse in der Epidemiologie, die für gesundheitsförderlich Verhaltensweisen einen Zusammenhang mit Einkommen, Bildung und sozialem Status festgestellt haben, verhält es sich hier umgekehrt: Für beide Geschlechter gilt: Je höher die soziale Stellung (bzw. Einkommen, Bildung) umso häufiger wird ein riskanter Alkoholkonsum praktiziert. Das Zusammenleben mit anderen im Ruhestand scheint einen riskanten Alkoholkonsum bei Frauen zu fördern, bei Männern zu senken: Allein lebende Männer über 65 Jahren praktizieren häufiger einen riskanten Alkoholkonsum als Männer, die mit anderen zusammenleben. Dem gegenüber haben allein lebende Frauen jenseits der 65 den geringsten Anteil an Personen mit riskantem Alkoholkonsum. Insgesamt scheint das Bewusstsein, dass der Alkoholkonsum ein riskantes Maß erreicht hat, nicht besonders verbreitet zu sein. Nur etwa jeder Dritte gibt an, schon einmal daran gedacht zu haben, den Alkoholkonsum zu reduzieren: Von den befragten Männern mit riskantem Alkoholkonsum hat etwa 1/3 schon einmal daran gedacht, den Alkoholkonsum zu verringern. Der Anteil der Frauen mit einem riskanten Alkoholkonsum, die schon einmal daran gedacht haben, den Alkoholkonsum zu verringern, nimmt mit dem Alter ab: In der Altersgruppe 55 bis 64 Jahre ist es ähnlich wie bei den Männern etwa jede dritte, in der Altersgruppe 65 bis 74 jede fünfte und in der Altersgruppe 75 und ältere jede sechzehnte.
7 Hinsichtlich der Angebote der Suchtprävention im Alter können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Präventive Hauptziele sind die Vermeidung eines riskanten und gesundheitsgefährdenden Alkoholkonsums und die Erreichung eines verantwortungsvollen, kritischen, maßvollen und selbstbestimmten Umgangs mit alkoholischen Getränken. Eine völlige Abstinenz sämtlicher Konsumenten zu erreichen erscheint aufgrund der großen gesellschaftlichen Akzeptanz und der kulturellen Integration von Alkohol eher unwahrscheinlich oder gar unrealistisch. Durch Informationsweitergabe und Aufklärung soll deutlich werden, welche Mengen beim Alkoholkonsum bereits gesundheitliche Risiken bergen und wann eine Reduktion des Konsums angezeigt ist. Ein riskantes Konsumverhalten kann zur Alkoholabhängigkeit fuhren, es birgt aber schon vorher erhebliche Risiken und Gefahren für die Gesundheit und das soziale Umfeld des Konsumenten. Damit erweist es sich als richtig, dass es für suchtpräventive Maßnahmen keine Altersgrenzen gibt. Angesichts der Anteile an älteren Menschen, die einen riskanten Alkoholkonsum praktizieren, sollte ein Fokus auf die Zielgruppe der über 50- Jährigen gelegt werden, damit sich verändernde Lebensumstände beim Älterwerden adäquat begleitet werden können. Es sollte geprüft werden, ob soziale Isolation und riskanter Alkoholkonsum eng verknüpft und eine Hilfestellung im Hinblick auf Veränderungen in beiden Bereichen Ziel führend sind. Es erscheint sinnvoll, weitere involvierte Hilfesysteme (z. B. Suchthilfe, Sozialpsychiatrie, Altenhilfe und Pflegedienste) auf diese Zielgruppe auszurichten und dabei niederschwellige Angebote zu schaffen. Angebote der Suchthilfe und Suchtprävention sollten dabei nicht nur auf Einzelpersonen ausgerichtet werden, sondern Paare und Peer Groups einzubeziehen. Hausärzte als wichtige Ansprechpartner für ältere Menschen sollen mehr als bislang als Partner für Präventionsarbeit gewonnen werden. Anhang: Wie viele ältere Menschen haben sich an der Bürgerumfrage 2011 beteiligt? Von den insgesamt 4304 Einwohnern, die sich an der Stuttgarter Bürgerumfrage im Sommer 2011 beteiligten (Teilnahmequote: 50 %), waren 1741 Einwohner 55 Jahre oder älter. Der männliche Anteil betrug 47, und der weibliche 52,. 628 Teilnehmer (36,3 % von 1741) waren zwischen 55 und 64 Jahren alt, 637 zwischen 65 und 74 Jahre (36,8 %) und 465 Teilnehmer 75 Jahre und älter (26,9 %).
8 Wie wurde der Alkoholkonsum erhoben und ein riskanter Alkoholkonsum definiert? Verwendet wurde der so genannte Screening-Test AUDIT-C 5, der international in epidemiologischen Studien Anwendung findet. Dieser kurze Test besteht aus drei Fragen. 1. Alkohol-Maßeinheiten: Zunächst werden die Maßeinheiten für ein alkoholisches Getränk definiert: Ein alkoholisches Getränk entspricht 0,33l Bier oder 0,125l Wein oder 0,1l Sekt oder 0,04l Spirituosen 2. Fragen zum Alkoholkonsum (in Klammern: Punktwert für die Klassifikation) Wie oft trinken Sie Alkohol? nie (0) etwa einmal pro Monat (1) 2-4-mal pro Monat (2) 2-3-mal pro Woche (3) 4 mal oder öfter pro Woche (4) Wenn Sie an einem Tag Alkohol trinken, wie viel alkoholische Getränke trinken Sie dann typischerweise? 1 oder 2 (0) 3 oder 4 (1) 5 oder 6 (2) 7 oder 8 (3) 10 oder mehr (4) Wie oft haben Sie an einem Tag mehr als 5 alkoholische Getränke getrunken? nie (0) seltener als 1-mal pro Monat (1) einmal pro Monat (2) einmal pro Woche (3) täglich oder fast täglich (4) 3. Klassifikation des Riskanten Alkoholkonsums Die Antworten auf die drei Fragen werden jeweils aufsteigend mit 0 bis 4 Punkten gewertet, diese werden zu einem AUDIT-C-Punktewert addiert. Der minimale AUDIT-C-Punktewert ist somit 0 und der maximale 12. Der Alkoholkonsum wird gemäß AUDIT-C mit einem Punktewert von größer oder gleich 4 bei Frauen und größer oder gleich 5 bei Männern als Riskanter Alkoholkonsum gewertet. 5 Bush, K.; Kivlahan, D.; McDonell, M.; Fihn, S.; Bradley, K. (1998): The AUDIT Alcohol Consumption Questions (AUDIT-C). An Effective Brief Screening Test for Problem Drinking. Arch Intern Med. 158: 1789-1795