Sichere Mensch-Roboter-Interaktion Neues aus Arbeitsschutzforschung und Normung



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Transkript:

Sichere Mensch-Roboter-Interaktion Neues aus Arbeitsschutzforschung und Normung Dr. Michael Huelke, IFF-Wissenschaftstage 2011 Magdeburg, 30.06.2011

Protagonisten beim IFA Dr. Michael Schaefer Leiter Fachbereich Unfallverhütung Produktsicherheit Dr. Michael Huelke Leiter Referat Neue Technologien, Mensch und Technik Hans-Jürgen Ottersbach Sachgebietsleiter Mechanische Körperbelastungen Seite 2

Überblick 1. Normen und Anforderungen 2. BG/BGIA-Empfehlungen 3. Aktuelle Projekte 4. Umsetzung in der Normung Seite 3

Normen für Industrieroboter Neuordnung der Normen für Industrieroboter Zurückziehen von Normen (z. B. DIN EN 775) Anforderungen an kollaborierende Roboter verteilt auf EN ISO 10218 Teil 1 und Teil 2 Seite 4

Fazit zu den Anforderungen Die Normen erlauben den neuen Anwendungsbereich Collaborative Robots, bei dem ein bestimmtes Restrisiko für eine Kollision zwischen Mensch und Roboter gegeben ist. Es werden mehrere Szenarien unterschieden. Die derzeitigen Anforderungen sind noch nicht aufeinander abgestimmt und müssen überarbeitet/ergänzt/präzisiert werden. Es fehlen ausreichende und zusammenhängende Anforderungswerte eines Beanspruchungsmodells für den Kollisionsfall. Es fehlen konkrete Grenzwerte für Kollisionskräfte und drücke. Seite 5

Der zuständige Fachausschuss Maschinenbau, Fertigungssysteme, Stahlbau (FA MFS) reagierte Auftrag: Erarbeiten von medizinisch/biomechanischen Anforderungen, die die Norm ergänzen und präzisieren 1. Definition einer Beanspruchungsgrenze des Körpers bei mechanischer Exposition im Kollisionsfall (maximal AIS 1) 2. Verletzungskriterien 3. Körpermodell und Hinweise zum Beginn von Verletzungen (Literaturstudie, Kontrollversuche) 4. Erstellung von BG/BGIA-Empfehlungen mit orientierenden technologischen, medizinisch/biomechanischen, ergonomischen und arbeitsorganisatorischen Anforderungen Seite 6

Voraussetzungen für kollaborierende Roboter Meist kleine, speziell konstruierte sichere Roboter, mit denen Menschen innerhalb eines festgelegten Arbeitsraums direkt zusammenarbeiten. Es sind geeignete technische Schutzmaßnahmen zu implementieren (PL d). Wesentlicher Baustein sind sichere Steuerungen. Sie können alle Bewegungen der Roboter gezielt überwachen. Voraussetzung: Über sichere Sensoren wie z. B. Kameras oder taktile Sensoren erkennt die Robotersteuerung, wo der Mensch sich bewegt. Dennoch verbleibt ein Restrisiko einer Kollision. Technologische, ergonomische, arbeitsorganisatorische, biomechanisch/medizinische Anforderungen sind notwendig. Seite 7

Bedingungen des Fachausschusses (der UVT) Eine Kollision ist ein unerwünschtes Ereignis innerhalb von Arbeitstätigkeiten. Kollisionen sind keine ständigen oder beliebig im Arbeitsprozess auftretenden zu vernachlässigenden Ereignisse. Willentliche, im Sinne der Aufgabe notwendige Kontakte sind nicht gemeint. Nach einer Kollision müssen die Auswirkungen geprüft werden, d. h., das Ereignis kann eine Arbeitsunterbrechung, einen Arbeitsausfall, eine fachliche Behandlung und eine Neubewertung des Arbeitsplatzes zur Folge haben. Seite 8

Körpermodell für Risikoanalyse Mechanische Beanspruchungen führen am Körper zu unterschiedlichen Belastungen. Anwender/Systemintegrator/ verantwortliche Person entscheidet in der Risikoanalyse, welche Körperbereiche betroffen sind. Kollaborationsraum sollte so minimal wie möglich sein; betroffene Körperbereiche können somit gering gehalten werden. Seite 9

Definition von Verletzungskriterien Verletzungskriterien Klemm-/Quetschkraft KQK in [N], einwirkende Kollisionskraft Stoßkraft STK in [N], einwirkende Kollisionskraft Druck/Flächenpressung DFP in [N/cm²], lokale Beanspruchung in der Kollisionsfläche Orientierende Gestaltungsgrößen Kompressionskonstante KK in [N/mm] des individuellen Körperbereiches Minimale Kollisionsfläche, Annahme: gleiche Partialdrücke in der Fläche Seite 10

Beispiel Grenzwerte Seite 11

Seite 12

BG/BGIA-Empfehlungen Webcode d89188 Kollision und Verletzungskriterien Anforderungen Prüfung der Anforderungen Vorgehensweise bei der messtechnischen Erfassung der Verletzungskriterien Beispiel Dokumentation Checkliste und Anwendungshilfen Seite 13

Aktuelle Projekte Validierung der Grenzwerte durch zukünftige Forschung (Indikator: Schmerzschwelle) Erstellung eines Ganzkörper-Schmerzschwellenkatasters mit Probandenkollektiv (Ethikkommission) (in Kooperation mit der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz) Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Schmerzschwellen und dem Beginn von Gewebe-/Strukturschädigung (in Kooperation mit der Universitätsmedizin der JGU Mainz) Entwicklung einer Datenbank für Verletzungsdaten und weitere Recherchen und Auswertung von Untersuchungen zu Quellen mit mechanischen Körperbeanspruchungen (IFA) Seite 14

Laborversuchseinrichtung zur Ermittlung von Schmerzschwellen des Menschen Seite 15

Schmerzschwelle oberhalb Ohr (Kraftsignal) Schmerzschwelle oberhalb des Ohres Aufzeichnung des Kraftsignals Schmerzschwelle bei 185 N Seite 16

Schmerzschwelle oberhalb Ohr (Druckverteilung) Seite 17

Automatisches Druckalgometer zur Reizapplikation Seite 18

Automatisches Druckalgometer zur Reizapplikation Seite 19

Aktuelle Projekte Entwicklung eines biofidelen (mechanisch menschenähnlich) Messsystems Untersuchung und Auswahl von geeigneten Druckmessfolien/-systemen (IFA in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF und dem FA MFS) Bestimmung des Trägheitsflusses bei nachgiebiger Mensch-Roboter- Kollision (in Kooperation mit dem Fraunhofer IFF) Weiterentwicklung der Mess- und Auswertesoftware (IFA) Bau von weiteren optimierten Prototypen für Kooperationspartner (IFA) Umsetzung der Anforderungen in der betrieblichen Praxis (IFA, FA MFS, weitere) Seite 20

Testverfahren Aufgabe eines biofidelen Messgerätes: Simulation: des Kompressionsverhaltens der lokalen Körperregion (Haut) der globalen Körperregion (z. B. Arm, Schulter) der Körperbewegung abhängig vom Trägheitsverhalten entsprechend einer angenommenen Körperhaltung Messung der Gesamtkraft und des Partialdruckes Seite 21

Prüfung der Grenzwerte Bilder: MRK-Systeme GmbH Seite 22

Beispiel eines Stoßes Fmax = 165 N Dauer ~ 70 ms Individual body region lower arm Spherical colliding robot part Impact velocity 380 mm/s Requirements: IMF = 220 N PSP = 50 N/cm² KK1 = 40 N/mm KK2 = 40 N/mm Results: Pmax = 42 N/cm² Fmax = 155 N Pmax = 42 N/cm² KolF = 14,0 cm² Seite 23

Erfahrungen erster Baumusterprüfungen Die Anforderungen sind verständlich und umsetzbar! Der Prototyp eines Prüfgerät hat sich bewährt. Kontrollparameter sind die maximale Geschwindigkeit des Roboters und seine Oberflächengestaltung. Für jede individuelle Applikation eine eigene Risikoanalyse und Überprüfung Es gibt nicht den zertifizierten, sicheren kollaborierenden Roboter. Seite 24

Weitere Standardisierungsaktivitäten ISO/TC 184/SC 2/WG 3 hat vorgeschlagen, eine eigene Technical Specification (TS) für detailliertere Anforderungen an Kollaborationsräume zu erarbeiten. Die EN ISO 10218-2 wurde daraufhin angepasst und verweist für die kollaborierenden Szenarien schon jetzt auf diese ISO/TS. Der vorläufige Titel: ISO/TS 15066 Robots and robotic devices Safety requirements Industrial collaborative workspace Die BG/BGIA-Empfehlungen sind in den Entwurf der TS eingearbeitet und werden derzeit international diskutiert. Detaildiskussionen, z. B. Vorschrift zur Bewertung von Druck- /Kraftsignalen Seite 25

Aktuelle Informationen und Ansprechpartner: Seite 26

Aktuelle Informationen und Ansprechpartner: Seite 27