Die Jury Mitglieder Josefine Raab Dr. Wibke von Bonin Dr. Verena Hein Mario Lombardo Luminita Sabau Hans-Christian Schink Ingo Taubhorn

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Quelle: Kurier.at Adresse:

Transkript:

Die Preisträger Nadja Bournonville Anna Domnick Birte Kaufmann Lioba Keuck Alwin Lay Marian Luft Stephanie Steinkopf Daniel Stubenvoll Christina Werner Die Jury Mitglieder Josefine Raab Dr. Wibke von Bonin Dr. Verena Hein Mario Lombardo Luminita Sabau Hans-Christian Schink Ingo Taubhorn gute aussichten 2013/2014 - neun Preisträger aus 100 Einsendungen und ein erster Blick auf ihre Arbeiten: Nichts ist so, wie es scheint und doch die Wirklichkeit Eine Espressomaschine, die in ihrem eigenen Kaffee ertrinkt, Landschaften die im wahrsten Sinn des Wortes fast vor uns und aus dem Bild entschwinden, Menschen, gegerbt, gebrandmarkt, gezeichnet von ihrem Dasein, als Randgruppe tituliert oder in solch absurden Haltungen ins Motiv inszeniert, dass das Kuckucknest grüßen und uns verblüfft aus der Wäsche schauen lässt, graue Betonbilder von monochromer Schlichtheit und überbordend bunte Collagen von malerischer Schönheit: Im zehnten Jahr seines Bestehens präsentiert "gute aussichten 2013/2014" eine inhaltliche, ästhetische, mediale und formale Bandbreite, wie sie die junge deutsche Fotografie selten geboten hat. Ein Spektrum, überraschend vielfältiger Ideen, Überlegungen und fotografischer Strategien, formaler wie medialer Umsetzungen, die nicht nur den aktuellen Status Quo abbilden, sondern auch als Inspirationsquelle dienen dürfen. Und doch ist es so, dass es in all dieser Vielfalt ein geradezu verblüffend verbindendes Element gibt: Das Nicht-Erfüllen von Erwartungen, das Nicht-Einlösen von Versprechen, das Nicht-Einhalten von Konventionen, das Nicht-Geschehen des Vorhersehbaren, das Nicht-Sein des Geahnten, des Da- Seins zieht sich durch die neun Arbeiten wie ein roter Faden. Hoffnungen werden enttäuscht, physikalische Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt, mediale Grenzen überschritten und Sehgewohnheiten auf den Kopf gestellt. Nichts ist so, wie es scheint. Und doch so, wie es ist. "Denn", schreibt der Autor Rolf Hochhuth in seinem Buch "Eine Liebe in Deutschland", "nur die Gegenwart ist die Wirklichkeit". Diese, unsere Gegenwart ist gezeichnet von unhaltbaren Versprechen und nicht eingehaltenen Vereinbarungen. Fortlaufend, immerzu, stetig. Doch wenn eine Generation junger Fotograf/inn/en den Finger in diese Wunde legt, sie sichtbar, spürbar werden lässt, dann schafft sie damit nicht nur ein verbindendes Element. Sie zwingt uns hinzusehen, zu fragen, zu denken und sie riskiert, dass Begriffe wie Freiheit, Würde, Wahrheit ins Spiel kommen. Werte, die wie wir finden uns und der Gegenwart verdammt gut tun.

Nadja Bournonville A Conversion Act 2012 Ausgangspunkt der Arbeit von Nadja Bournonville ist das Krankheitsbild der Hysterie. Vom altgriechischen hystéra (Gebärmutter) kommend, wurde bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Hysterie als eine ausschließlich weibliche Störung der Psyche betrachtet, deren Sitz man in einer wandernden (weil sexuell unbefriedigten) Gebärmutter vermutete. Sigmund Freuds (1856-1939) Forschungen zu diesem seinerzeit äußerst populären Thema führten zu einer medizinischen Neudefinition der Hysterie, die er als Konversionsstörung (lat. Conversio = Umwendung, Umkehr), als eine Übertragung einer seelischen Störung auf die körperliche Ebene beschrieb. In ihrer fotografischen Arbeit zu A Conversion Act greift Bournonville diesen Gedanken der Umwandlung von seelischen Vorgängen in das Körperliche auf und entwirft zwei einander ergänzende Serien aus jeweils acht Motiven. Für die Medical Machines fertigt die Künstlerin aus Alltagsgegenständen eine Reihe von surreal anmutenden Gerätschaften, die an medizinische Apparaturen früherer Zeiten erinnern. Diese Kleinformate, in denen die aus heutiger Sicht brachialen Behandlungsmethoden seelisch Erkrankter gewissermaßen ad absurdum geführt werden, kontrapunktiert die Künstlerin mit großformatigen, szenographisch angelegten Einzelbildern. In deren bildnerischem Repertoire klingen Ausdrucksformen und Ikonografien sowohl symbolistischer, dadaistischer als auch surrealistischer Kunst an. Der Betrachter sieht sich in anspielungsreiche, unserer greifbaren Wirklichkeit völlig entrückte Bildräume versetzt, die uns in eine assoziativ aufgeladene, magisch wie grotesk anmutende Traumwelt führen. 8 C-Prints, 29 x 22,5 cm, 8 C-Prints zwischen 74 x 59 cm bis 93 x 74,5 cm, hinter Glas gerahmt, 1 Katalog Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Prof. Tina Bara

Anna Domnick Calm II 2013 In ihrer zehnteiligen Serie Calm II setzt sich Anna Domnick mit der Visualisierung einer geistigen wie materiellen Auflösung auseinander. Die intensive Betrachtung von Landschaft, die sie selbst als autobiographisches Moment in ihre künstlerische Arbeit hineinträgt, transformiert sich in Calm II zu einer weitestgehenden Abstraktion des konkreten Motivs. In fünf minimal variierten Landschaftsbildern gibt ein radikal tief liegender Horizont den Blick frei in die Weite des sich darüber wölbenden Himmels. Die Landschaft ist reduziert auf am unteren Bildrand ruhende Farbstreifen, in denen sich Topographie in Form von übereinander gelegten Pigmentierungen äußert. Gepaart werden diese Bilder mit Körperbetrachtungen einer weiblichen Figur zwei Rückenakte angeordnet als Diptychon, zwei Hautbilder und eine sich im Schwarz verlierende Kontur. In den abwechselnden Bildfolgen von Landschaft und Körper visualisiert Anna Domnick den für sie wechselseitigen Prozess, in dem geistige und physische Auflösung einander bedingen. Während sich Landschaft zu einem spirituellen Raum sublimiert, löst sich die Physis im zentralen Bild der Serie mehr und mehr in der Schwärze des Bildgrundes auf. Beide Landschaft wie Körper gerinnen zu einer Vision der Entgrenzung von Körper und Geist. 8 Digitaldrucke hinter Glas gerahmt, 2 Digitaldrucke gerahmt, ohne Glas, auf dem Untergrund montiert, Formate zwischen 12 x 89 cm bis 102 x 73 cm Fachhochschule Bielefeld, Prof. Axel Grünewald, Prof. Dr. Anna Zika

Birte Kaufmann The Travellers 2012 Tinker oder Gypsy Cob sind Bezeichnungen für Pferde der Rasse Irish Cob, deren Züchtung traditionell und noch heute in den Händen der irischen Traveller ruht. Noch vor weniger als 40 Jahren zogen die gescheckten Pferde die Planwagen der Traveller Clans quer durch das Land. Die Pavee, wie die Traveller offiziell genannt werden, sind laut Wikipedia eine als fahrend beschriebene soziokulturelle Gruppe Irlands. Die Landfahrer leben in Familienclans, sprechen eine auf das Gälische zurückgehende eigene Sprache und werden wie alle nomadischen oder halbnomadischen Völker von den jeweiligen Einwohnern und Behörden argwöhnisch beäugt. Kesselflicker (tinker) ist eine auch im deutschen Sprachraum negativ konnotierte Bezeichnung für Landfahrer. Die Sesshaften vermeiden nach Möglichkeit die Berührung mit fahrendem Volk werden den Umherziehenden ohne festen Wohnsitz und den damit außerhalb der Gesellschaft Stehenden doch gerne allerlei kriminelle Machenschaften nachgesagt. In früheren Zeiten lebten auch die irischen Traveller davon, Kessel und allerlei andere Gebrauchsgeschirre zu flicken, Pferde zu beschlagen oder Messer zu schleifen. Diese Arbeitsfelder sind mit dem Einzug moderner Zeiten jedoch nahezu von der Bildfläche verschwunden. Heute kann eine große Zahl der Pavee in Irland und England nach wie vor nicht lesen oder schreiben und lebt, neben der Pferdezucht, von Sozialhilfe. Die Traveller sind eine geschlossene Gesellschaft mit eigenen Regeln und Traditionen. Birte Kaufmann hat sich mit großer Ausdauer Zugang zu einigen, ihrerseits äußerst misstrauischen, Familien verschafft und ihre Fotografien, die zwischen Dokumentation, Narration und Inszenierung schwingen, gewähren einen authentischen Einblick in eine uns verborgene Welt. 10 Fine Art Prints auf Hahnemühle Photorag, Holzdistanzrahmen, Formate zwischen 40 x 60 cm bis 60 x 90 cm, 1 Broschur Ostkreuzschule für Fotografie, Berlin, Thomas Sandberg

Lioba Keuck Couve e Coragem 2012 Kohl und Mut was aus dem Portugiesischen ins Deutsche übersetzt beinahe wie eine sozialistische Arbeitsparole klingt, beschreibt die Lebensrealität von Menschen, die am Rande der Gesellschaft oftmals für ihr schieres Überleben kämpfen. Häufig sind es Emigranten aus ehemaligen Kolonien Portugals (wie z.b. Angola, Mosambik, Brasilien oder den Kapverden), die in trostlos wuchernden Siedlungen in der Peripherie Lissabons wohnen. Auf den sie umgebenden Brachflächen haben sie damit begonnen, den Boden urbar zu machen, um ihre kärglichen Einkünfte mit selbstgezogenem Gemüse aufzubessern. Provisorische Hütten und Zäune umgrenzen kleine, private Areale, die zumeist ohne amtliche Genehmigung errichtet wurden. Vielerorts werden sie solange geduldet, wie kein neuer Eigentümer Ansprüche auf das Land erhebt, oder aber bis die Regierung willkürlich und ohne Voranmeldung Bagger beordert und alles niederreißen lässt, um der illegalen Landnahme wenigstens symbolisch Einhalt zu gebieten. Lioba Keuck hat für Couve e Coragem in den Armutsgürteln der Hauptstadt recherchiert, die Menschen nach ihren Geschichten befragt. In einer Mischung aus Text, Portraits, künstlerischen und eher dokumentarisch anmutenden Fotografien verdichtet sich visuell der Versuch von Menschen, ihren Lebensverhältnissen eine in mehrerer Hinsicht positive Perspektive abzugewinnen: Die Arbeit in und mit der Erde verschafft ihnen nicht nur ein soziales Miteinander und die Aufbesserung ihrer Mahlzeiten, sondern vermittelt Sinn und Bestätigung etwas, das sie in einem Milieu von Arbeitslosigkeit oder bestenfalls schlecht bezahlter Hilfsarbeit selten bis gar nicht erfahren. 5 C-Prints auf Alu-Dibond, je 50 x 75 cm, 8 C-Prints, gerahmt hinter Glas, je 40 x 50 cm, 10 C-Prints, gerahmt hinter Glas, je 30 x 42 cm, 1 Journal Fachhochschule Dortmund, Prof. Dirk Gebhardt, Prof. Mareike Foecking

Alwin Lay Mod. CLASSIC 2010/2013 Von nichts kommt nichts, könnte das Motto von Alwin Lay sein, oder auch: Es passiert nicht immer, was geschehen müsste, aber doch jede Menge. "mod. CLASSIC" ist der Name einer kleinen Siebträger Espressomaschine, die die italienische Firma Gaggia Ende der 1970iger Jahre auf den Markt brachte. Alwin Lay hat sich den Titel geborgt, denn bei ihm wird die Espressomaschine zum Sinnbild seines Schaffens. Eingebaut in eine durchsichtige Vitrine ertrinkt die "mod. CLASSIC" in ihrem eigenen Espresso. Übrig bleibt ein schwarzer Kubus mit kräftig Crema obenauf und ein Büchlein, eine gefakte Bedienungsanleitung der Gaggia, die das "Ertrinken" der Maschine Bild für Bild dokumentiert. Die ursprünglich ebenso ästhetische wie verkäuferische Präsentation der Maschine wird, alleine durch die Produktion des Cafes, ihrer Funktion enthoben und löscht so auch das Bild, das wir von ihr haben. Das Nicht-Erfüllen von Erwartungen, das Nicht-Einlösen tradierter Handlungs- und Betrachtungsmuster ist das Thema von Alwin Lay. Ob installativ, skulptural, fotografisch oder in Videos umgesetzt, immer überrascht er den Betrachter auf eine sinnige, humorvolle Art und Weise, eben ganz "mod. CLASSIC"-mässig. 2 C-Prints gerahmt, 80 x 60 cm und 90 x 70 cm, 1 Lightbox, 80 x 60 cm, 1 Glasvitrine auf Sockel, 130 x 40 x 40 cm, 1 Poster, 70 x 100 cm, 2 Videos je 3 Minuten, 1 Künstlerbuch Kunsthochschule für Medien Köln, Johannes Wohnseifer, Mischa Kuball

Marian Luft Back2Politics 2013 Wenn keine Revolution herrscht, muss man sie eben herstellen, übertitelte Die Zeit einen Artikel zu einer Studie über die Zeitschriftenreihe Kursbuch von Hans Magnus Enzensberger. (Henning Marmulla: Enzensberger Kursbuch. Eine Zeitschrift um 68. Verlag Matthes und Seitz. 2011. Die Zeit Nr. 276 vom 26.11.2011). Was sich als Reminiszenz zu Enzensberger legendärer Rede anlässlich der Pariser Aufstände im Juli 1968 liest, könnte mit einem zwinkernden Auge auch für Marian Luft und seine mehrteilige Serie Back2Politics gelten: In einer Zeit, in der (zumindest in Deutschland) gerade keine Revolution in Sicht ist, muss bzw. kann man, zumindest als Künstler, jederzeit eine anzetteln. Das Politische als Akt der Umschreibung eines Zustandes in einen Anderen so ein ebenso vager wie vieldeutiger Erklärungsansatz des Urhebers lässt uns relativ im Dunklen tappen. Betrachten wir das Werk, so stehen wir vor einer mehrteiligen, aus großformatigen Bildern bestehenden Rauminszenierung, die in allen Teilen inhaltlich wie apparativ dem Computer entspringt. Marian Luft sampelt Inhalte analog zu zeitgenössischer Kunst- und Kulturproduktion und generiert daraus ein gänzlich eigenständiges ästhetisches Produkt. So bedient er sich beispielsweise für Funtasies, einem Digitalprint auf Plexiglas mit programmierten LED Panel, bei den privat eingestellten Bilderströmen des tumblr Netzwerkes. Aus 310 000 Einzelbildern baut er sein Tumblr Transparent, einen multicoloren Flickenteppich aus Bilderschnipseln, die alles oder eben auch nichts erzählen. In dem Monumentalprint The Aethetic of the Political (300x300 cm) sieht sich der Betrachter einer azurblauen Fläche gegenüber, deren Zentrum eine explosionsartig auseinanderstiebende Fläche digitaler Kritzeleien darstellt eine wilde, inkohärente Ansammlung politischer Schmierereien (Marian Luft), deren Nicht-Inhalt durchaus als Analogie auf eine herrschende politische Un-Kultur gelesen werden darf. Untermalt wird das Ganze von einer schrillen Sound-Collage, deren misstönige Polyphonie als kontrapunktischer Klangteppich die hyperrealistisch entleerte Glanzästhetik der Bildflächen entlarvt. 1 Digitalprint auf PVC, 350 x 800 cm, 1 Digitalprint hinter Acrylglas, 300 x 300 cm, 1 Digitalprint hinter Acrylglas mit programmiertem LED Panel, 150 x 200 cm, 1 Digitaldruck auf Satin, 150 x 200 cm, 3 Digitaldrucke auf Butlerfinish und Acrylglas, 40 x 28,7 cm bis 50 x 35,8 cm, 1 Soundinstallation Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Prof. Peter Piller, Dr. Dieter Daniels

Stephanie Steinkopf Manhattan Straße der Jugend 2012 Mitten im Grünen zwei Plattenbauten: was zu DDR-Zeiten begehrte Wohnungsangebote waren, ist nach der Wende gänzlich aus der Mode gekommen. Vielerorts hat man sich mehr oder weniger mutig an stadtplanerische Restrukturierungsmaßnahmen für die berüchtigten Siedlungen herangetraut mancherorts wie beispielsweise in Schwerin mit Erfolg oft wurden die Blöcke aber auch einfach abgerissen. Manhattan nennen die Dorfbewohner mitten in Brandenburg die so unvermittelt in die idyllische Landschaft hineinragenden mehrstöckigen Häuser. Straße der Jugend steht auf dem Schild jener Straße, die direkt an den Wohnblöcken vorbeiführt. 23 Jahre nach der Wende steht ein Gebäude komplett leer, im zweiten Bau sind zwölf von vierzig Wohnungen noch bewohnt. Wer konnte, hat die Behausungen verlassen. Es dauerte eine ganze Weile, bis es Stephanie Steinkopf gelang, Kontakt zu den Menschen aufzunehmen und diese ihr schließlich erlaubten, einzutreten in ihren Alltag. Über vier Jahre hinweg besuchte die Fotografin immer wieder bestimmte Familien und erwarb sich allmählich das Vertrauen der Bewohner. In ihrem fotografischen Essay ist Steinkopf mittendrin in fremden Leben. Eingezwängt in engen, verwohnten Zimmern mit klapprigem Mobiliar, zwischen Sofakissen, Plüschtieren, Plastiktannenbaum, Salami aus der Packung und Bier aus der Dose. Hier essen und schlafen, lieben und hassen, streiten und feiern die Menschen. Der ganz normale Wahnsinn. Noch nicht einmal der Blick aus dem Fenster verschafft wirklich Luft. Steinkopfs Bilder sprechen von nicht eingelösten Hoffnungen, von Agonie, Trostlosigkeit und Sozialhilfe Zustände, die nicht nur weite Teile Ostdeutschlands betreffen, sondern für viele strukturschwache Gegenden gelten und die glanzlose Kehrseite der Wirtschaftsmacht Deutschland in den Fokus rücken. 11 Inkjet-Prints auf Hahnemühle Photorag Pearl 320g, Aludibond, gerahmt ohne Glas, Schattenfuge, 9 Formate 75,2 x 67,2 cm, 2 Formate102,6 x 72,6 cm Ostkreuzschule für Fotografie, Berlin, Prof. Ute Mahler

Daniel Stubenvoll Saubere Arbeit 2013 Daniel Stubenvoll scheut sich nicht nach dem Wesentlichen zu fragen: Woher kommt das Neue und wie entsteht es? Im Keller seiner Hochschule findet er eine zugeflüsterte, vermeintliche Antwort: Alles beginnt mit einem Grundstein der ist das Fundament einer jeden Arbeit und wird von ihm fotografisch ins Bild gesetzt. Die Arbeit muss, da ist Daniel Stubenvoll sich sicher, "sauber" sein, einem Bauwerk gleichen. Also stiftet er elf seiner Kommilitonen unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen dazu an, ein Werk über diesen Grundstein zu machen. Aus diesen Werken kuratiert Stubenvoll, zusammen mit seiner eigenen Grundstein-Fotografie, eine fiktive Ausstellung und ein echtes Künstlerbuch, in dem der Entstehungsprozess, die Grundstein-Werke und die Ausstellung dokumentiert werden. Diese 11 neuen Grundsteine dienen Daniel Stubenvoll dann als Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für seine "Saubere Arbeit". In der er, die Bilder seiner Künstlerkollegen zitierend, seine eigenen Bilder aus und mit den fremden zusammensetzt und fotografiert. So werden wir, Stück für Stück, Zeuge einer Genese, die sich im Verlauf ihrer Werdung mit dem produktiven Scheitern am eigenen Bild und den Stärken der Fotografie auseinandersetzt. 7 Collagen in Holzrahmen, Formate 42 x 48 cm bis 67 x 98,5 cm, 1 Mehrschichten-Druck im Aluminiumrahmen, 30 x 42 cm, 1 Pigment-Druck, 70 x 100 cm, 1 Künstlerbuch Kunsthochschule Kassel, Prof. Bernhard Prinz, Prof. Florian Slotawa

Christina Werner PIPAL 2012/2013 Deutschland und Indien 2011-2012: Unendliche Möglichkeiten, so der Name eines vom Goethe- Institut in Neu-Dehli initiierten Projektes, an dem Christina Werner teilnahm. Aus den unendlichen Möglichkeiten suchte sich die Fotografin das Sabarmati Riverfrontproject in Ahmedabab, einer aufstrebenden Metropole im Bundesstaat Gujarat im Westen Indiens aus. Das Riverfrontproject ist eine infrastrukturelle Maßnahme einer wirtschaftlich expandierenden Region, mit dem Ziel, das Flussufer zu beleben und für die Menschen nutzbar zu machen. Soweit die strukturellen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Werner ihre fotografische Arbeit konzeptionell entwickelt hat. Doch welche visuelle Strategie verfolgen in einem Umfeld, dessen Bilder in unseren Köpfen förmlich zementiert sind: Indien, das Land der extremen sozialen Gegensätze, das Land der Farben und Düfte, der heiligen Kühe und des undurchdringlichen Chaos aus Menschen, Tieren, Rikschas und Autos. Die Bilder des alten englischen Kolonialreiches, der Bollywood-Produktionen, und aller erdenklicher Klischees, mit denen die Tourismusindustrie mit der Exotik eines extravaganten Reiseziels zwischen Tradition und Moderne Reisende lockt. PIPAL beschreitet folgerichtig einen gänzlich entgegen gesetzten Weg: Sechs so genannte Betonbilder, 12 snapshots, eine Herbariumskassette mit Blättern der Pappelfeige (Pipal), eine MDF-Platte, in die mehrere, zu beiden Seiten des Flusses liegende Stadtteile gefräst wurden, bilden ein Raumensemble. Christina Werners Installation beschreibt und ist Promenade in einem: die Betonbilder, die gestrichene Holztafeln zeigen, auf denen später Plakate montiert wurden, referieren sowohl auf den Werkstoff moderner Architektur als auch auf die Farbfeldmalerei. In der Kassette liegen die Blätter des Pipal-Baumes, die Werner auf ihrem Gang an der Promenade entlang gesammelt hat und das rasche Wachstum der Stadt symbolisieren. In den snap-shots vertextet die Künstlerin ihre Eindrücke während ihrer Promenade entlang des Flusses und die MDF-Platte verortet ihren Weg in der Topographie des Geländes. Die gesamte Installation wiederum ist lesbar als Metapher für die kulturgeschichtlich geprägte Entwicklung vom Kolonial- zum Nationalstaat und so schließt sich der inhaltliche Kreis. Mit der klaren Verankerung im Konzeptuellen gelingt es Werner exemplarisch, alle Klippen der erwarteten Bilder zu umschiffen und eine völlig neue Sehweise anzubieten.

6 Pigmentdrucke auf MDF kaschiert, 60,2 x 42,5 cm, 12 Pigmentdrucke, gerahmt, 30 x 45 cm, 1 Herbariumskassette mit 9 Einlageblätter, 1 gefräste MDF-Platte. 90 x 130cm Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Prof. Tina Bara, Prof. Alba D Urbano Summa summarum präsentiert gute aussichten junge deutsche fotografie 2013/2014 : 107 Motive, 2 Kataloge, 2 Künstlerbücher, 2 Journale, 2 Videos, 1 Lightbox, 1 Glasvitrine, 1 Poster, 1 Soundinstallation, 1 Herbarium und 1 MDF-Platte. Josefine Raab & Stefan Becht 04.11.2013