Erwartete Überhangmandate aufgrund der aktuellen Umfragedaten im August 2011: Eine Simulation

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Transkript:

Erwartete Überhangmandate aufgrund der aktuellen Umfragedaten im August 211: Eine Simulation Prof. Dr. Joachim Behnke Lehrstuhl für Politikwissenschaft Zeppelin Universität Friedrichshafen Im Folgenden stelle ich einige Ergebnisse mit Simulationen vor, die auf den derzeitig aktuellen Umfragedaten basieren. Das Ziel der Simulationen besteht darin, eine ungefähre Schätzung der Größenordnung zu erlauben, in denen Überhangmandate nach der derzeitigen Lage bei Beibehaltung der bisherigen Regelung und bei Anwendung des Koalitionsentwurfs für eine Änderung des Wahlgesetzes anfallen würden. Die in der Tabelle wiedergegebene Anzahl ist immer der Mittelwert aus jeweils 4 sogenannten Iterationen, die für jedes der betrachteten Szenarien durchgeführt wurden. Diese 4 Iterationen sind mögliche Wahlergebnisse und berücksichtigen gewisse Unsicherheiten der Umfragewerte sowie eine vorhandene Heterogenität zwischen Ländern und Wahlkreisen. Ansonsten besteht der Kern der Simulation in einer Übertragung des Bundestrends, wie er sich durch die Umfrageergebnisse im Vergleich zum letzten Wahlergebnis widerspiegelt, auf die einzelnen Wahlkreisergebnisse bei der letzten Bundestagswahl. Dieses Simulationsmodelle wurde von mir schon vor der Bundestagswahl 29 eingesetzt (Veröffentlichung hierzu in ZParl Heft 3/29). In einer Veröffentlichung am 27.6.29, also drei Monate vor der Bundestagswahl, auf Spiegel Online schätzte ich die Anzahl der Überhangmandate für die CDU auf 21, die der CSU auf 3, die der SPD auf 2. Das Simulationsmodell kann also als bewährt angenommen werden, auch wenn die Punkttreffer natürlich in erster Linie dem Zufall und einer gehörigen Portion Glück geschuldet sind. Alle Modelle beruhen auf den aktuellen Umfragedaten. Dabei wurden die letzten Ergebnisse von insgesamt 4 Umfrageinstituten gemittelt, wonach sich folgende Ausgangsdaten ergaben: CDU/CSU SPD Grüne FDP Linke Infratest Dimap (19.8.211) 34 27 21 5 7 Forschungsgruppe Wahlen (12.8.211) 34 29 2 4 7 Forsa (17.8.211) 32 26 21 4 9 EMNID (14.8.211) 33 27 21 4 9 Ausgangsdaten für Simulation 33 27 21 4,5 8 Aufgrund der angenommenen Unsicherheit bzgl. der Umfrageergebnisse bzw. der inhomogenen Auswirkung des Bundestrends auf die Wahlkreise schwanken die Ergebnisse der einzelnen Iteration beträchtlich.

Die 22,5 Überhangmandate für die SPD im Modell 2 z.b. sind lediglich der Mittelwert der Schätzungen. Die Verteilung sieht insgesamt folgendermaßen aus: Es sind also auch im Modell 2 Ergebnisse von nur 1 oder sogar 4 oder mehr Überhangmandaten vorstellbar. Wie man sieht, liegt jedoch der größte Teil zwischen 15 und knapp 3 Überhangmandaten. In etwa einem Fünftel der Fälle liegt die Anzahl der Überhangmandate über 29. Dies ist insofern interessant, weil damit die Überhangmandate das Äquivalent an Mandaten einer kleinen zusätzlichen Partei aufweisen. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1997 auch die 5% Hürde als kritischen Wert bezeichnet, ab dem die Überhangmandate (spätestens) als problematisch zu betrachten wären. In Modell 5, das neben Modell 2 das vermutlich realistischste Modell ist, wird die 5% Grenze in mehr als 7% der Fälle überschritten. Bleiben die Überhangmandate also mehr oder weniger unangetastet, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann die 5% Grenze an Überhangmandaten überschritten wird. Auch im radikalsten Modell 6 ist die Streuung um den Mittelwert von 64,2 beträchtlich. Das erreichte Maximum beträgt sogar 1, d.h. jedes dritte Direktmandat würde dann zu einem Überhangmandat. Dieser Fall ist in der Tat sehr extrem, aber selbst er ist zumindest unter gewissen Umständen möglich.

Bei der Interpretation sollte man immer vor allem die realistischeren Fälle in der Mitte betrachten. Die starken Streuungen der Ergebnisse machen aber hinreichend klar, dass es sich hier in keiner Weise um Prognosen handeln soll. Vielmehr sollen die Simulationen Tendenzen widerspiegeln, die auf bestimmte Konstellationen reagieren. Simulationsmodelle beruhen immer auf einer Reihe von Annahmen. Eine der wichtigsten Annahmen ist dabei diejenige das Splittingverhalten betreffend. Während der Einfluss des Splittings in den vergangenen Wahlen wesentlich geringer ausgefallen ist als allgemein angenommen wird, da FDP und Grünen Anhänger ungefähr dieselbe Neigung zum Splitten zu Gunsten von CDU bzw. SPD aufweisen und sich der Effekt somit mehr oder weniger gegenseitig neutralisiert hat, spielt Splitting bei der derzeitigen Konstellation (Grüne ca. 15 Prozentpunkte vor der FDP und CDU ca. 6 Prozentpunkte vor der SPD) eine außerordentlich wichtige Rolle. Die in der Tabelle aufgeführten verschiedenen Modelle sind daher verschiedene Szenarien, die auf verschiedenen Annahmen hinsichtlich des Splittings beruhen. Die großen Unterschiede der Ergebnisse sind in erster Linie dazu geeignet, den gewaltigen Einfluss des unterstellten Splittingverhaltens auf das Wahlergebnis zu demonstrieren. Welches dieser Szenarien tatsächlich demjenigen entspricht, das man realistisch am ehesten erwarten kann, ist allerdings letztlich auf Mutmaßungen angewiesen. Alle Modelle wurden sowohl für das derzeit gültige Wahlsystem als auch für den Vorschlag der Koalition durchgerechnet. Damit soll dem Koalitionsentwurf kein Vorzug gegenüber den anderen Reformvorschlägen eingeräumt werden. Konzeptionell ist er meines Erachtens eindeutig der schlechteste aller Vorschläge. Aber, da er der einzige ist, der derzeit eine Mehrheit im Bundestag hinter sich hat, ist er derjenige, der sich am wahrscheinlichsten durchsetzen wird. (Außer der weitere Gang des Gesetzgebungsprozesses bleibt von sachlichen Argumenten nicht unberührt.) Es ist

grundsätzlich festzuhalten, dass es zwischen dem aktuellen Verfahren und dem Koalitionsentwurf keine nennenswerten Unterschiede bezüglich der Anzahl der Überhangmandate gibt 1. Allerdings ergeben sich nach dem Koalitionsvorschlag ungefähr 8 bis 1 zusätzliche Mandate, die durch die dort vorgeschlagene Reststimmenverwertung zustande kommen. Die Ergebnisse in der ersten Zeile der Tabellen sind die des aktuellen Wahlsystems, die in der zweiten Zeile jeweils die entsprechend dem Koalitionsentwurf. Modell 1 Splittingquoten von 29 Modell 2 Splittingquoten früherer Wahlen Modell 3 kein Splitting Einstimmenkonstruktion Modell 4 Splitting nur zu Gunsten der CDU von FDP Anhängern Modell 5 hohe Splittingmobilisierung im Rot rot grünen Lager zu Gunsten der SPD Modell 6 explizite Koordination durch Wahlkreisabsprachen oder alternative Wahlverfahren für die Bestimmung der Wahlkreisgewinner (alternative vote oder approval voting) FDP CDU Splittingraten Überhangmandate für Gesamt sitzzahl Grüne Linke CDU CSU SPD Grüne Linke SPD SPD (West).39.33.15 6,5 6,1.6.6.2 2,4 2,2 13,7 13,1,6 2,1 19,3,3,65,25 1,5 1,4,4 1,,2,1 1,1,3,1, 3,3 2, 3,8 2,4,, 9,1 8,6 22,5 21,9 1,3 1,2,6,5 36,7 36, 64,6 63,4 1,1 1,,3,2 2,4 2,1 1,8 1,5,3,2,, 615,8 624,5 623,3 632,8 618,7 626,8 624,2 632,2 636,6 646, 662,7 672, Modell 1 geht vom Splittingverhalten wie bei der letzten Bundestagswahl aus, ca.39% der FDP Zweitstimmenwähler geben ihre Erststimme der CDU, ca. 33% der Grünen Zweitstimmenwähler geben ihre Erststimme der SPD. Die Repräsentative Wahlstatistik enthält eine etwas geringere Splittingquote der Linken zu Gunsten der SPD als in meinem Modell. Ich gehe allerdings nur von Splitting der Linken zu Gunsten der SPD in den alten Bundesländern aus, daher ist dort der Anteil als 1 Dies ist natürlich auch der wichtigste und größte Kritikpunkt an diesem Entwurf. Denn das derzeit größte Problem des Wahlsystems sind natürlich die Überhangmandate, wie auch gerade die vorliegenden Zahlen beweisen. Ein Reformvorschlag, der dies schlicht ignoriert und sich auf die Aufgabe beschränkt, lediglich das Problem des so genannten negativen Stimmgewichts zu beseitigen (was ihm zudem nicht einmal gelingt), ist daher von vorneherein als schon im Ansatz gescheitert zu betrachten.

höher anzunehmen als bundesweit, da es in den neuen Ländern für Anhänger der Linken nicht sinnvoll ist, die Erststimme der SPD zu geben, da sie ja selbst realistische Chancen auf den Gewinn des Direktmandats haben. Unter diesen Modellannahmen entstehen insgesamt wieder im Durchschnitt mehr als 16 Überhangmandate 2, die Nettobilanz zwischen den Lagern kann als ungefähr ausgeglichen gelten, mit einem leichten Vorteil der SPD gegenüber der Union. Die deutlichen Verluste der Union an Überhangmandaten gegenüber der letzten Wahl sind vor allem auf die dramatischen Verluste der FDP zurückzuführen, so dass deren Unterstützung für die CDU Kandidaten entsprechend geringer ausfällt. 29 aber wiesen sowohl die Grünen als auch die FDP Anhänger eine deutlich geringere Splittingneigung auf als in den Wahlen zuvor. Dies dürfte vor allem der Großen Koalition geschuldet gewesen sein bzw. der Befürchtung, dass diese auch die nächste Regierung stellen würde. Bei den nächsten Wahlen 213 (?) ist jedoch wieder eine starke Polarisierung auf die beiden Lager zu erwarten mit entsprechend höheren Splittingneigungen. Das Modell 2 dürfte daher auf der Basis der jetzigen Umfragen realistischere Prognosen machen als Modell 1. Splittingraten von 6% bei Wählern, die mit der Zweitstimme FDP oder Grüne wählen, sind nämlich durchaus bekannte Erfahrungswerte. Nach diesen Annahmen gewinnt die SPD durchschnittlich annähernd 22 Überhangmandate, während die CDU nur mit etwas mehr als 2 Überhangmandaten zu rechnen hätte. Schafft man die Möglichkeit des Splittings ab, indem man z.b. eine Einstimmenkonstruktion wie 1949 einführt, erhielte man Ergebnisse ähnlich zu denen in Modell 3, da in diesem Modell von keinerlei Splitting ausgegangen wird. Da hier nur noch der relative Abstand zwischen den beiden großen Parteien CDU und SPD eine Rolle spielen würde und hier die CDU bzw. CSU derzeit immer noch klar vorne liegt, könnte die Union ungefähr mit durchschnittlich 17 Überhangmandaten rechnen, während die SPD nur auf ungefähr 2 käme. Da nach den derzeitigen Umfragen die Grünen teilweise sogar gleichauf mit der SPD liegen, könnte man allerdings auch annehmen, dass die Splittingneigung der Grünen zugunsten der SPD abnehmen könnte, da die Grünen selbst Chancen auf den Gewinn von Direktmandaten hätten. Modell 4 geht daher davon aus, dass weder Grüne noch Linke zu Gunsten der SPD splitten, lediglich die FDP Anhänger splitten weiterhin zu Gunsten der CDU/CSU. In diesem Fall erhöhte sich die Anzahl der Überhangmandate der Union sogar auf durchschnittlich ca. 24 Mandate. 2 16 Überhangmandate stellen insofern einen interessanten Bezugspunkt dar, weil 1994 ebenfalls 16 Überhangmandate anfielen. Für den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts von 1997 lag also diese Zahl als Bezugspunkt vor. Dies ist wiederum unter dem Aspekt interessant, dass auch die das Urteil tragenden Richter einen Handlungsauftrag an das Parlament sahen, tätig zu werden, wenn Überhangmandate regelmäßig in größerer Zahl anfielen. Offensichtlich ging das Bundesverfassungsgericht dabei davon aus, dass eben 16 Überhangmandate durchaus eine solche größere Zahl darstellten.

Um den Einfluss des Splittingverhaltens zu demonstrieren, soll auch noch der umgekehrte Fall angenommen werden: Die FDP Wähler sind nur gering motiviert, zu Gunsten der CDU zu splitten, von den Grünen wählen hingegen 65% mit der Erststimme die SPD und 25% der Linken Anhänger im Westen wählen ebenfalls mit der Erststimme die SPD. In diesem Fall käme die SPD auf durchschnittlich beachtliche 37 Überhangmandate, wie die Ergebnisse von Modell 5 zeigen. Dieses Szenario muss als relativ realistisch betrachtet werden. Die Splittingrate der Grünen entspricht ungefähr der aus der rot grünen Koalition bekannten. Aus der Opposition kommend, sollte die Motivation der Grünen Anhänger besonders groß sein, die jetzige Regierung abzulösen. Umgekehrt gilt für die FDP, dass es zumindest nach den derzeitigen Umfragedaten keine realistische Option auf die Bildung einer schwarz gelben Koalition gibt. Unter diesem Aspekt ergibt es für viele FDP Wähler keinen Sinn, der CDU durch Stimmensplitting zu weiteren Sitzen zu verhelfen. Auch wenn man aus diesem Szenario noch die 15% der Linkenwähler, die zu Gunsten der SPD splittine, entfernt, bleiben immer noch 33 34 Überhangmandate für die SPD im Mittel übrig. Selbst wenn man diese zuletzt gemachten Annahmen als unrealistisch ansehen mag, so spiegeln sie doch auf jeden Fall das Potenzial wider, das Splitting in Bezug auf die Gewinnung von Überhangmandaten haben könnte, auch wenn dieses Potenzial so bisher noch nie genutzt worden ist. Die Entwicklung des Parteiensystems aber macht die Entstehung von Überhangmandaten immer wahrscheinlicher und auch, dass diese Potenziale einmal voll genutzt werden könnten. Sollte jetzt z.b. die CDU zusammen mit der FDP beschließen, eine Trennung der Landeslisten einzuführen, um so das Problem des negativen Stimmgewichts zu beseitigen, die Überhangmandate aber damit zu erhalten, so könnten SPD und Grüne, um zu vermeiden, dass ihre bestehende Mehrheit durch Aufspaltung wirkungslos bleibt, als strategische Option erwägen, Wahlkreisabsprachen zu führen, wie es in anderen Ländern häufig praktiziert wird (und von der Union auch in den 5er Jahren teilweise praktiziert worden ist). Eine solche institutionelle Koordination könnte z.b. darin bestehen, dass die SPD in drei bis fünf westdeutschen Ländern darauf verzichtet, in den Wahlkreisen eigene Kandidaten aufzustellen, wofür sich die Grünen revanchieren, indem sie in den übrigen Bundesländern keine Kandidaten nominieren. Modell 6 gibt dann nur annäherungsweise das Potenzial für die Entstehung von Überhangmandaten wieder, es wäre bei einer solchen expliziten Koordination also mit mehr als 6 Überhangmandaten zu rechnen. Reagieren die Wähler darauf auch noch mit eigenen strategischen Erwägungen, dann würde sich diese Anzahl sogar noch einmal deutlich erhöhen. Ungefähr derselbe Effekt ergäbe sich übrigens, wenn man das Wahlverfahren für die Ermittlung der Wahlkreissieger ändern würde. Bei einem Wechsel von der relativen Mehrheitswahl, die zur Zeit zu Anwendung kommt, zu dem so genannten Alternative Vote Verfahren, das in Australien praktiziert wird, oder dem so genannten Approval Voting, dürfte sogar mit noch mehr Überhangmandaten im Mittel zu rechnen sein. Dies ist insofern bedenklich, weil beide Verfahren als deutlich gerechter gelten in Bezug darauf, den wahren Wahlkreissieger zu ermitteln. Der Effekt der Trennung der Landeslisten und der Berechnung der Sitzkontingente der Länder nach der Wahlbeteiligung, wie im derzeitigen Koalitionsentwurf vorgesehen, hat wie man sieht nur einen marginalen Effekt. Tendenziell würden dadurch in Ländern mit überdurchschnittlich vielen nicht verwerteten Stimmen (für Republikaner oder NPD, wenn diese an der 5% Hürde scheitern) weniger und in Ländern mit unterdurchschnittlich vielen nicht verwerteten Stimmen mehr Überhangmandate

entstehen. Dies ist der Grund, warum die Differenz zwischen den beiden Verfahren in allen Modellen in Bayern am stärksten ausfällt. In Bayern werden nämlich nach dem Koalitionsentwurf mehr Sitze verteilt, als es der Fall wäre, wenn man nur die Zweitstimmen betrachten würde, die in die Verrechnung bei der Proporzverteilung eingehen. Dadurch erhält die CSU schon in der Proporzverteilung einen oder auch zwei Sitze mehr, was die Zahl der Überhangmandate leicht nach unten drückt. Im gleichen Sinn wirken die zusätzlich verteilten Mandate im Rahmen der so genannten Reststimmenverwertung. Daher entstehen nach dem Koalitionsentwurf auch in der Fläche geringfügig weniger Überhangmandate als nach dem aktuellen System. Der Gesamteffekt ist aber wohl kaum substanziell zu nennen, jedenfalls nicht im Vergleich mit den sonstigen Effekten zu Gunsten der Entstehung von Überhangmandaten. Überhangmandate schaffen den Spielraum für strategische Überlegungen der Parteien und der Wähler, die das Wahlergebnis in alle Richtungen merklich verändern können und vor allem auch die Mehrheitsverhältnisse umkehren können. Der wahrscheinlichste Fall einer Mehrheitsumkehrung bzw. eines Mehrheitsverlustes wäre nach den aktuellen Daten die Zerstörung einer möglichen Mehrheit von Rot Grün. Nach den proportionalen Verhältnissen würde es bei den Simulationen entsprechend der derzeitigen Umfragelage in ca. 56% der Fälle für eine Mehrheit von Rot Grün reichen. Legt man nun die Annahmen von Modell 4 zugrunde, also dass Überhangmandate vor allem der CDU zu Gute kommen, weil weder Grüne noch Linke zu Gunsten der SPD splitten, dann gibt es nach der Berücksichtigung der Überhangmandate nur noch in knapp 2% der Fälle eine rot grüne Mehrheit. Mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 36% zerstören die Überhangmandate eine eigentlich existierende und durchaus stabile Mehrheit, in annähernd zwei Drittel der Fälle, in denen eine Mehrheit existiert, wird diese wieder zunichte gemacht. Damit zeigt sich auch, dass der alte Mythos, Überhangmandate würden grundsätzlich dazu neigen, schwache Mehrheiten in starke zu verwandeln, Unsinn ist. Überhangmandate können durchaus stabile Mehrheiten in instabile verwandeln oder sie sogar in Minderheiten transformieren. Damit aber unterhöhlen Überhangmandate die Legitimation der dann noch existierenden Mehrheiten bzw. machen die Legitimation der eigentlichen Mehrheit bedeutungslos, da sie nicht in eine Parlamentsmehrheit und damit Regierung verwandelt werden kann. Überhangmandate stellen daher in demokratietheoretischer Hinsicht eine bedeutsame Gefahr dar, die es zu bannen gilt, indem man sie entweder abschafft, wie es dem Grünen Vorschlag entspricht, bzw. ihr Entstehen erschwert oder z.b. durch Ausgleichsmandate neutralisiert, wie es z.b. in abgewandelter Form die Vorschläge der SPD und der Linken vorsehen. Der Vorschlag von CDU/CSU und FDP ist der einzige Vorschlag, der die Republik weiterhin bewusst dem Risiko einer demokratietheoretischen Legitimationskrise aussetzt.