Zu der Broschüre Gesucht: Weiblich, motiviert, technikbegeistert Mit der Broschüre Gesucht: Weiblich, motiviert, technikbegeistert veröffentlicht das NRW- Emanzipationsministerium einen Leitfaden, der auf Basis eines Projekts des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit entstanden ist und sich an Studentinnen in technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen sowie Hochschulen und Unternehmen richtet. Welche Erwartungen haben die einzelnen Gruppen aneinander und in welchen Punkten werden diese Erwartungen möglicherweise enttäuscht? Auf der Basis von Interviews, die das Kompetenzzentrum im Rahmen eines vom MGEPA finanziell geförderten Projekts geführt hat, bietet die Publikation praktische Tipps und Handlungsempfehlungen, die das Aufeinanderzugehen und Voneinanderlernen erleichtern. Die Broschüre wird auf den Internetseiten des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter (MGEPA) des Landes Nordrhein-Westfalen zum Bestellen und Herunterladen zur Verfügung gestellt: https://broschueren.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/mgepa Einleitung Daten und Fakten zum Hintergrund Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen engagieren sich in besonderem Maße für die Ausbildung in den Ingenieurwissenschaften. Sie stellen nicht nur ein Fünftel aller Studienanfänger und anfängerinnen in dieser Fächergruppe, sondern erreichen auch ein Fünftel aller Frauen unter den Erstsemestern in den Ingenieurstudiengängen im Bundesgebiet. Studienanfängerinnen in Ingenieurwissenschaften: Im Studienjahr 2008 starteten in Deutschland insgesamt 21.373 Frauen und 76.411 Männer im ersten Fachsemester in einem Ingenieurstudiengang, in NRW waren es 4.474 Frauen und 16.383 Männer. Den größten Anteil davon stellten die Anfängerinnen im Studienbereich Maschinenbau mit 1.471 Studentinnen, den geringsten Anteil hatte der Studienbereich Elektrotechnik mit 354 Anfängerinnen. Diese Studentinnen stellen ein erhebliches Potenzial für technische Unternehmen dar. Ihre Studienmotivation sollte wie für ihre männlichen Kommilitonen auch - bereits in der Studieneingangsphase gestärkt werden. Der Studienstart: Die Umstellung auf die Bachelorstudiengänge hat zu einer straff organisierten, fast ausschließlich technisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Grundstudienphase geführt, die in hohem Maße von Vorlesungen und den dazugehörigen Laborarbeiten und Übungen geprägt ist. Die Auseinandersetzung mit dem Berufsfeld und den Chancen für Frauen und Männer für berufliche Karrieren oder Fragen des Nutzens des studierten Faches für Gesellschaft und Umwelt finden noch zu wenig Platz in den ersten Semestern. Die Integration des Moduls Berufsorientierung, wie dies die Fachhochschule Bielefeld für das erste Semester aller Studiengänge eingeführt hat, zeigt, dass Hochschulen bereits erste Lösungsmöglichkeiten hierfür entwickelt haben. Rollenvorbilder aus der Praxis (Alumni, Alumnae) fehlen gerade in dieser frühen Phase des Studiums. Hier könnten Hochschulen und Unternehmen bereits gemeinsam in ersten in das Studium integrierten
Orientierungsveranstaltungen auf Möglichkeiten, Anforderungen und Perspektiven des Studiums hinweisen. Mehr Praxis: Der starke Wunsch der Studentinnen und Studenten nach mehr Praxis und Praxiskontakten im Studium zeigt sich in allen Befragungen von Technikstudierenden. Für die Studentinnen stellt ein früher Kontakt mit Ingenieurinnen aber nicht nur diesen wichtigen Bezug zur Praxis her, sondern unterstützt und bestärkt sie in ihrer Studienwahl. Während es an den Hochschulen oft ein erhebliches Engagement für die Unterstützung von Studentinnen für wissenschaftliche Karrieren gibt, sind Angebote zur Vorbereitung auf den Berufseinstieg in Unternehmen eher selten. Aufgrund der von den Hochschullehrenden eher als unproblematisch betrachteten Übergangssituation in den Beruf fehlen Coachings oder Trainings innerhalb der Studiengänge, die die Studentinnen im Hauptstudium auf die zukünftigen beruflichen Anforderungen in Unternehmen vorbereiten. Die Fachkräftelücke: Deutschland ist nach EU-Studien im Vergleich mit den USA, Japan, Schweden, Dänemark, Großbritannien und Frankreich das einzige Land, das ab dem Jahr 2004 eine durchgängig negative Bevölkerungsentwicklung aufweist. Diese Tendenz betrifft insbesondere den Fachkräftenachwuchs in technischen Ausbildungen und Berufen. Nach Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) besteht ein bundesweiter Ersatzbedarf für altersbedingt ausscheidende MINT-Akademikerinnen und Akademiker von jährlich 49.000 bis zum Jahr 2014 und jährlich 59.000 zwischen 2015 und 2020. Dazu kommt ein jährlicher Expansionsbedarf von 52.000 MINT- Akademikerinnen und Akademikern. Das Forschungsinstitut der Wirtschaft sieht insbesondere in den jungen Frauen die Chance, diese Lücke zu schließen. Absolventinnen und Absolventen: Das Potenzial ist erheblich: Im Studienjahr 2008 schlossen bundesweit 11.004 Studentinnen (22,6 %) ein Ingenieurstudium ab. Die Zahl der männlichen Absolventen betrug 37.747. In Nordrhein-Westfalen betrug die Zahl der Technikabsolventinnen 2.298 (22,3 %), die Zahl der Absolventen dieser Studiengänge 37.747. Unterschiede bei der Berufseinmündung: Die Übergänge in den Beruf und die Berufserfahrungen machen deutlich, dass ein erheblicher Optimierungsbedarf besteht. Informationsmöglichkeiten über bereits in den Unternehmen tätige weibliche Vorbilder und über Karrieremöglichkeiten für Frauen sind beispielsweise in den Informationsmaterialien oder Internetauftritten mittelständischer Unternehmen selten zu finden. Dabei könnten gerade die Absolventinnen eine besonders interessante Zielgruppe für kleine und mittelständische Unternehmen sein. Die Daten aus dem Arbeitsmarkt zeigen aber insgesamt wenig ermutigende Ergebnisse: Etwa fünf Jahre nach dem Hochschulabschluss zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern mit einem MINT-Abschluss: 94 Prozent der Männer sind erwerbstätig, aber nur 79 Prozent der Frauen (Schramm/Kerst 2009). Die Studie Arbeitswelt in Bewegung, für die über 6.000 berufstätige MINT-Absolventinnen und Absolventen befragt wurden, verweist auf wichtige Unterschiede in den Beschäftigungsschwerpunkten. Männer entscheiden sich eher für Tätigkeiten in der Wirtschaft (knapp 70 Prozent) als Frauen (etwa 60 Prozent). Ingenieurinnen sind deutlich stärker in Bereichen des öffentlichen Dienstes tätig oder entscheiden sich eher für selbständige Tätigkeiten als Männer (Haffner/Konekamp/Krais 2006, S.59). Unterschiede im Einkommen: In einem Projektbericht haben Michael Schramm und Christian Kerst für die HIS GmbH die Berufseinmündung und Erwerbstätigkeit von MINT-Absolventen fünf Jahre nach Hochschulabschluss untersucht und deutliche Geschlechtereffekte festgestellt. So haben Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen bei gleicher studienfachlicher Qualifikation zum Teil erhebliche Einkommensnachteile (durchschnittlich 8.600 pro Jahr) hinzunehmen. Die größten
Einkommensunterschiede waren in den technischen Fachrichtungen und den Wirtschaftswissenschaften zu finden, sie traten auch innerhalb gleicher Tätigkeitsfelder auf. Am Beispiel der Ingenieur- und Informatikabsolventen der Fachhochschulen waren auch Unterschiede im Beschäftigungsverhältnis zu finden: In langfristiger Erwerbstätigkeit befanden sich 77 Prozent der männlichen Absolventen, während dies nur für 60 Prozent ihrer Kolleginnen galt. Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit: Zu den eher positiven Entwicklungen gehört der erhebliche Rückgang der Zahl arbeitsloser Ingenieurinnen und Ingenieure in den letzten Jahren. Gleichwohl ist der prozentuale Anteil der arbeitslosen Ingenieurinnen mit 8,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie der Anteil ihrer arbeitslosen männlichen Kollegen (3,2 Prozent) 1. 1 Studienguide: Der Arbeitsmarkt für Ingenieure und Ingenieurinnen, von Tanja Schumann, VDI e.v.. Im Internet unter http://www.institut-wv.de/7714.html. Zugriff am 14.12.09.
Vorbildregion OWL Exzellente Voraussetzungen für den weiblichen Techniknachwuchs Nur rund 60 Prozent der Absolventinnen technischer Studiengänge üben nach ihrem Abschuss einen Ingenieurberuf in der Wirtschaft aus. Bei den männlichen Studierenden sind es dagegen über 80 Prozent. Zwei von fünf MINT-Absolventinnen entscheiden sich also gegen einen Job in der Wirtschaft. Viele der Frauen bevorzugen Berufe im Bildungssektor oder gehen in völlig andere Berufszweige. Das vorliegende Projekt Exzellente Praxis für den weiblichen Techniknachwuchs greift diese Situation auf. Interviews mit Unternehmen, Hochschulen, Verbänden und Studentinnen aus Ostwestfalen Lippe (OWL) bilden die Grundlage dieser Untersuchung, die von einer Projektgruppe des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit durchgeführt wurde. In den Gesprächen haben wir gute Ansätze recherchiert, was Wirtschaft und Wissenschaft tun können, um Studentinnen der MINT-Studienfächer (MINT = Mathematik, Ingenieurwissenschaft, Naturwissenschaft, Technik) für eine Karriere in der Wirtschaft zu begeistern. Die guten Ansätze werden in diesem praxisorientierten Leitfaden zusammen gefasst. Dabei wurde die Region Ostwestfalen- Lippe als Beispielregion ausgewählt. Die gute Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Unternehmen und Technikverbänden in dieser Region wurde deutlich bei einem im Mai 2008 durchgeführten Workshop mit dem Thema Weiblicher Fachkräftenachwuchs für den Mittelstand Neue Konzepte für Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft?, der an der Fachhochschule Bielefeld stattfand. Veranstalter war das Kompetenzzentrum Technik Diversity Chancengleichheit im Auftrag des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration (MGFFI) des Landes NRW. Explizit die Unternehmensverbünde Energie Impuls OWL mit über 100 Mitgliedern und das Branchennetzwerk OWL Maschinenbau mit mehr als 170 Mitgliedern sind seit Jahren zu diesem Thema aktiv, insbesondere für den Nachwuchs. Dabei wird ein spezielles Augenmerk darauf gelegt, die Motivation von Mädchen zu steigern, technische Berufe zu ergreifen. Die Initiative für Beschäftigung widmet sich in der Region dem Thema Diversity. In ihren Arbeitskreisen Hochschule - Wirtschaft und Personalmanagement wird das Thema der Gewinnung von hoch qualifizierten Fachkräften für die Region intensiv diskutiert und es werden entsprechende Projekte initiiert. Ein weiterer Verbund ist der Studienfond OWL, an dem sich neben anderen Einrichtungen rund 60 Unternehmen der Region beteiligen. Auch die Wirtschaftsstruktur in OWL bietet gute Voraussetzungen, das Thema zu bearbeiten. Sie ist von vielen erfolgreichen kleineren und mittleren Unternehmen sowie großen Familienunternehmen geprägt, von vielen Hidden Champions. Dabei können große mittelständische Unternehmen wie Phoenix Contact, Weidmüller, Harting, Miele, Hettich oder Schüco Vorreiter für neue Ideen zur Gewinnung von weiblichen und auch männlichen - technischen Fachkräften sein - auch für eine eher ländlich geprägte Region. In dem vom Kompetenzzentrum Technik Diversity - Chancengleichheit mit der Unterstützung des MGFFI durchgeführten Workshop zeigte sich ein - in gewisser Weise - inkonsequentes Phänomen bei den Unternehmen: Tue Gutes und sprich nicht darüber. Große, aber gerade auch mittelständische technische Unternehmen in der Region machen bereits vielfältige Angebote im Bereich Work-Life- Balance oder auch zur Karriereunterstützung von Frauen. Sei es beim Girls`Day, mit Mentorings oder Coachings, mit Frauennetzwerken im Unternehmen oder mit einem hohen Maß an flexiblen Arbeitszeiten und familienorientierten Angeboten. Aber sie sprechen nicht darüber. Selten sind diese
Aktivitäten als strategisches Konzept bzw. als Marketing- oder Öffentlichkeitselement in den Internetauftritten oder den Werbematerialien der Unternehmen zu finden. Nicht zuletzt die Hochschulstruktur in OWL mit den Universitäten in Bielefeld und Paderborn und den beiden Fachhochschulen Bielefeld und Ostwestfalen Lippe, sowie der noch stärker an der Wirtschaft ausgerichteten privaten Fachhochschule des Mittelstandes, bietet mit ihren unterschiedlichen Ansätzen eine Vielfalt von Beispielen zur Förderung der MINT-Studentinnen. Die Reihenfolge der Themen dieses Leitfadens orientiert sich an dem fiktiven Weg von Lena, einer jungen Frau, die sich nach dem Abitur für ein technisches Studium entscheidet. Die verdichteten Ergebnisse der Interviews mit Studentinnen, Hochschul- und Unternehmensangehörigen sind die Basis für diese Form der Beschreibung aus Sicht einer Studentin. Wir begleiten sie in dieser Broschüre bei ihrer Suche nach der richtigen Hochschule und bei ihren ersten Schritten in ihrem Leben als MINT-Studentin. Welche Unterstützung bietet die Hochschule und wie wird sie von der Studentin angenommen? Wie sammelt sie während des Studiums erste Kontakte in der Praxis? Was spielt bei ihrer Entscheidung für einen Arbeitsplatz eine Rolle? Welche Vorstellungen hat sie über ihre spätere Berufstätigkeit? Was bieten ihr die Unternehmen tatsächlich? Der Leitfaden gibt Anregungen und Tipps er enthält keine Patentrezepte. Denn die Bewerberinnen sind unterschiedlich in ihrer Persönlichkeit, und von ihren Voraussetzungen und Interessen her sind sie ebenso vielfältig, wie es die Unternehmen der Region und ihre Kulturen sind. Auf den folgenden Seiten finden Sie Informationen zu den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern. Die Gespräche mit den Studentinnen wurden zum Teil persönlich und zum Teil telefonisch geführt. Alle anderen Interviews wurden persönlich geführt. Dabei wurde die Methode der Leitfragen-gestützten, narrativen Interviews gewählt. Alle Gespräche wurden aufgezeichnet und anschließend in einem schriftlichen ( geglätteten ) Protokoll erfasst. Für jede der vier befragten Gruppen Studentinnen, Hochschulen, Unternehmen und Verbände wurden individuelle Leitfragen zur Gesprächsführung entwickelt. Wo ist Lena? Schade. Schon im Kindergarten hatte das Mädchen, nennen wir es Lena, über viele schöne naturwissenschaftliche Experimente gestaunt. In ihrer Schulzeit hat sie am Bobbycar-Solar-Cup teilgenommen. Mit Bingo for Kids hat sie die Firmen Weidmüller, Phoenix oder Claas besucht. In den Klassen fünf bis zehn hat sie jeweils am Girls Day teilgenommen und sich technische Einrichtungen und Abteilungen in Hochschulen und Unternehmen angeschaut. Beim Papierbrückenbau-Wettbewerb hat ihre Gruppe einen Preis abgesahnt. Später hat sie Mathematik als Leistungsfach gewählt. Sie löst gern kniffelige Aufgaben und findet Technik richtig spannend. Nach dem Abi hat sie sich dann für ein Maschinenbaustudium entschieden. Wie immer hat sie auch hier einen guten Abschluss hingelegt. Doch dann - zwischen der Feier zum Diplom und dem ersten Bewerbungsgespräch - ist Lena verloren gegangen. Schade. Und keiner weiß, warum. Irgend jemand hat erzählt, sie würde jetzt auch noch auf Lehramt studieren. Na ja, auch Mathe-Lehrerinnen werden ja gebraucht. Aber immerhin waren die vielen Bemühungen vor dem Studium nicht umsonst. Schließlich hat Lena etwas Technisches studiert. Auch wenn sie nun nicht dazu beitragen wird, den Fachkräftemangel in der Wirtschaft zu beseitigen. Schade. Doch wie hat es ein Personalverantwortlicher so schön formuliert: Für die MINT- Studentinnen müssen wir nichts mehr tun. Die sind doch schon in der Technik angekommen.