Ungleichgewichte: Muss die EU aktiv werden?

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Transkript:

Ungleichgewichte: Muss die EU aktiv werden? Ökonomische Ungleichgewichte treten in der EU immer wieder auf. Besonders die Unterschiede in der Außenhandelsbilanz bestimmen die Debatte. fährt beispielsweise seit Jahren sehr hohe Überschüsse ein und wird deswegen kritisiert. Sind die Ungleichgewichte für die EU bedrohlich und welche Rolle spielt der Euro dabei? Sollte die Politik überhaupt Handelsbilanzunterschiede korrigieren? Und falls ja, sind nationale Regierungen oder die EU in der Pflicht?

Sind ungleiche Außenhandelsbilanzen ein Problem? In der EU gibt es Ungleichgewichte, vor allem bei der Leistungsbilanz. Zunächst wurden die Defizite kritisiert, nun sind es die Überschüsse: Während der Krise 2008 wies die Hälfte aller Mitgliedsländer Leistungs bilanzdefizite von bis zu -20 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) auf. Andere Länder fahren seit Jahren hohe Überschüsse von mehr als acht Prozent des BIP ein, darunter Dänemark, und die Niederlande. erwirtschaftete zum Beispiel 2016 mit 260 Milliarden Euro rund doppelt so hohe Überschüsse wie China, obwohl die chinesische Volkswirtschaft dreimal größer ist. Länder mit hohen Überschüssen werden von zwei Seiten kritisiert und zur Korrektur aufgerufen: auf globaler und europäischer Ebene. So wird zum Beispiel auf globaler Ebene vorgeworfen, zu viel zu exportieren und zu wenig zu importieren. Dies wird besonders von der Trump-Regierung in den USA bemängelt. Andere Akteure, wie der Internationale Währungsfonds und führende Wirtschaftswissenschaftler, beklagen, dass zu viel spare und zu wenig investiere. Die zweite Diskussion um Überschüsse wird innerhalb der EU geführt: Der deutsche Exportboom treibe die Arbeitslosigkeit in anderen Ländern des Euroraums in die Höhe. Statt die Binnenmarktnachfrage anzukurbeln, Investitionen hochzufahren und mehr zu importieren, nutze die Nachfrage anderer Länder aus. Die Kritiker verlangen von der Bundesregierung wirtschaftspolitische Gegenmaßnahmen. Doch es gibt auch Gegner einer wirtschaftspolitischen Steuerung. Ihnen zufolge sind Überschüsse, wie zum Beispiel in, auf strukturelle Faktoren zurückzuführen. Der Staat könne und solle diese nicht korrigieren. Einer der Hauptgründe sei die demographische Struktur: Wer Geld für das Alter zurücklege, konsumiere weniger und treibe damit die Sparquote nach oben. Ferner seien die Löhne seit der Krise gestiegen. Überschüsse würden sich, soweit not - wendig, über den Markt korrigieren. Leistungsbilanz Die Leistungsbilanz setzt sich aus drei Komponenten zusammen: der Außenhandelsbilanz von Waren und Dienstleistungen, Vermögenseinkommen, beispielsweise aus Kapitalerträgen, und Übertragungen wie etwa Geldüberweisungen ins Ausland. Anders gesagt: Die Leistungsbilanz ergibt sich aus der Differenz der Exporte und Importe sowie der Differenz aus Sparen und Investieren. Sparquote Die nationale Sparquote ergibt sich aus dem Bruttosozialeinkommen abzüglich der Ausgaben. Empirische Studien zeigen, dass eine niedrigere Sparquote mit einem höheren Leistungsbilanzdefizit einhergeht. Um ein Defizit zu reduzieren, muss die Sparquote angehoben werden. Um einen Überschuss zu senken, muss ein Land weniger sparen., mit seiner alternden Bevölkerung, sollte und kann berechtigterweise ein gewisses Maß an Überschüssen haben, aber nicht in dem Umfang, wie wir es im Moment sehen: Vier Prozent wären vielleicht gerechtfertigt, aber acht Prozent sind es nicht. Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds in einer Pressemitteilung des IWF am 12. April 2017 Wenn die Löhne so stark erhöht worden wären wie gefordert, wären in weniger Arbeitsplätze entstanden. [ ] Wieso können sich ausländische Haushalte viel Geld leihen, um sich deutsche Produkte zu kaufen? Wenn die Finanzmärkte so reguliert wären, dass Verschuldung weniger leicht ist, wäre der Überschuss niedriger. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts in der Süddeutschen Zeitung am 19. April 2017

Wie werden Ungleichgewichte in der EU korrigiert? Einige Länder im Euroraum leiden unter den Ungleichgewichten. In vielen Ländern im Euroraum ist die Arbeitslosigkeit mit zehn Prozent und mehr sehr hoch, zum Beispiel in, Italien und Spanien. Diese Länder brauchen dringend eine stärkere Nachfrage auch aus dem Ausland, um die Konjunktur anzukurbeln. In dagegen ist die Arbeitslosigkeit mit vier Prozent auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Der Euro hat über zwei Kanäle einen Einfluss auf die Außenhandelsbilanz. Zum einen vergünstigt ein eher schwacher Euro Exporte und verteuert Importe gegenüber dem Rest der Welt und trägt zur Bildung von Überschüssen bei. Ein starker Euro hat den umgekehrten Effekt. Zum anderen ist es im Euroraum nicht möglich, dass Ungleichgewichte zwischen Mitgliedstaaten durch eine Auf- oder Abwertung der nationalen Währung korrigiert werden. Eine jahrelange Lohnstagnation in führte deshalb zu einer internen Abwertung und verschaffte einen Wettbewerbsvorteil, der sich auch in Überschüssen niederschlug. Ein stärkerer Euro würde nicht automatisch die Ungleichgewichte in der EU korrigieren. Sollte die Europäische Zentralbank ihr Anleihekaufprogramm zurückfahren, so könnte dadurch der Euro an Wert gewinnen und Importe gegenüber Exporten stärken. Dies würde allerdings nur das Außenhandelsdefizit des Euroraums insgesamt mit dem Rest der Welt verändern, nicht jedoch die Ungleichgewichte zwischen den Euroländern. Auch ist zu berücksichtigen, dass zum Beispiel schon vor der Einführung des Euro über viele Jahre einen Überschuss aufgewiesen hat. Die EU kann derzeit nur begrenzt gegen Ungleichgewichte vorgehen. Seit 2011 gibt es zwar das sogenannte makroökonomische Ungleichgewichtsverfahren: Werden zu hohe Defizite oder Überschüsse festgestellt, erteilt die Europäische Kommission Reformempfehlungen, zum Beispiel für den Arbeitsmarkt oder für Investi tionen. Es wurde jedoch nur ein kleiner Anteil der Empfehlungen tatsächlich umgesetzt. Interne Abwertung Ein Land kann durch Abwertung seine Produkte günstiger verkaufen und somit an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Bei einer externen Abwertung geschieht dies, indem die Landeswährung an Wert verliert. Bei einer internen Abwertung werden die Kosten innerhalb des Landes gesenkt. Dies tritt zum Beispiel ein, wenn die Lohnkosten langsamer als die Produk tivität wachsen. Makroökonomisches Ungleichgewichtsverfahren Im Rahmen des Verfahrens werden viele Wirtschaftsindikatoren überwacht. Für die Leistungsbilanzen ist in der EU festgelegt, dass sie, gemessen als Durchschnittswert über drei Jahre, nicht weniger als minus vier Prozent des BIP und nicht mehr als plus sechs Prozent des BIP betragen dürfen. hat in den letzten Jahren 0 Einheiten von Waren und Dienstleistungen produziert, aber 1 bis 2 Einheiten verbraucht oder investiert. [ ] dagegen nur 92. Diese Lücke kann schmal erscheinen, aber wenn sie jedes Jahr auftritt, führt sie zu finanziellen und sozialen Ungleichgewichten von beträchtlicher Größe, die heute Europa zu untergraben drohen. Thomas Piketty, französischer Wirtschaftswissenschaftler in Le Monde am 9. Januar 2017 [] hat seine eigene Austeritätspolitik verfolgt und hat die EZB angegriffen, die versucht hat, die Inflation in der Eurozone anzukurbeln. Folglich hat sich die Wettbewerbslücke, die sich nach 1999 öffnete, kaum verkleinert. Dies hat sowohl zu gewaltigen deutschen Überschüssen geführt, als auch den Rest des Euroraums in die Misere gezogen. Paul Krugman, Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften in der New York Times am 27. Mai 2017

UNGLEICH GEWICHTE Blick nach vorne SZENARIO 1 Wettbewerb zwischen den Ländern In diesem Szenario einigt man sich darauf, Handelsungleichgewichte als ein natürliches Ergebnis von strukturellen Unterschieden zwischen den Ländern anzusehen, die über den Markt korrigiert werden sollten: Erstens steigen die Löhne in Überschussländern nur dann an, wenn es höhere Tarifabschlüsse gibt. Die Tarifpartner sind in vielen Ländern frei von staatlicher Einflussnahme und achten darauf, dass die Exportsektoren wettbewerbsfähig bleiben. Zweitens wird die Sparquote durch die demographische Struktur bestimmt. Die Bevölkerung sorgt für das Alter vor und deswegen steigt die Sparquote. Wenn die Erträge im Ausland höher sind, wird dieses Ersparte dort investiert. Drittens beeinflussen die gesunkenen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt die Leistungsbilanzen, worauf einzelne Länder keinen Einfluss haben. In diesem Szenario besteht nur geringer politischer Handlungsbedarf. Eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors in der EU könnte zum Beispiel Marktmechanismen zum Abbau der Überschüsse begünstigen. Grundsätzlich gilt jedoch: Wer unzufrieden mit seiner Leitungsbilanz ist, sollte selbst aktiv werden. Das Pro blem an diesem Szenario ist, dass es außerhalb, aber auch innerhalb s als unfair empfunden wird. Kritiker bemängeln in diesem Szenario, dass Defizitländer unter der schwachen Nachfrage litten, während es in zu niedrige Löhne gäbe, die sich negativ auf den Lebensstand auswirkten. SZENARIO 2 Interne Aufwertung Ein gegensätzliches Szenario wäre, dass seine Handelsungleichgewichte abbaut und einen niedrigeren Leistungsbilanzüberschuss ansteuert, indem es die interne Abwertung rückgängig macht. Da bei den Löhnen die Tarifautonomie gilt, müsste der Staat andere Wege gehen: Zu den möglichen Maßnahmen gehören Steueränderungen, wie zum Beispiel eine Senkung der Mehrwertsteuer, die den Konsum ankurbelt. Der Mindestlohn könnte angehoben werden, um niedrige Einkommen zu erhöhen. Die Wochenarbeitszeit könnte begrenzt und das Rentenalter abgesenkt werden. Eine Erhöhung der staatlichen Renten würde Anreize setzen, weniger privat für die Rente zu sparen, und dadurch die Sparquote senken. All diese Maßnahmen könnten nach Jahren der internen Abwertung nun zu einer internen Aufwertung führen. Befürworter einer solchen Strategie argumentieren, dass sie für mehr soziale Gerechtigkeit in sorgen und gleichzeitig auch die Ungleichgewichte im Euroraum verringern würde. Gegner befürchten eine höhere Arbeitslosigkeit und einen Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. SZENARIO 3 Mehr Koordination in der EU Im dritten Szenario würden sich sowohl Defizitländer als auch Überschussländer anpassen: Defizitländer in der EU müssten weiter ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, indem sie zum Beispiel in Bildung und Digitalisierung investieren, um die Produktivität zu steigern. Außerdem müssten sie Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ergreifen. Dazu gehören Reformen, die die Beschäftigung erhöhen, wie zum Beispiel Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitssuchende und einen Ausbau der Kinderbetreuung. Hier wäre zu klären, ob die Länder zur Anschubfinanzierung neue Schulden aufnehmen dürften, ohne den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU zu verletzen. Überschussländer müssten Maßnahmen ergreifen, die die Binnennachfrage steigern, etwa eine steuerliche Entlastung von kleineren und mittleren Einkommen. Mehr private und öffentliche Investi tionen in physische und digitale Infrastruktur wären ebenfalls Optionen. Wie in den Defizitländern könnten Arbeitsmarktreformen, die die Beschäftigung erhöhen, auch Überschussländern helfen. Da die Arbeitslosigkeit bereits sehr niedrig ist, könnte dies das allgemeine Lohnniveau heben. In diesem Szenario würde der Abbau der Ungleichgewichte in den Defizitländern nicht über Lohnkürzungen erreicht, sondern über mehr Produktivität und Beschäftigung. Überschussländer würden nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, sondern mehr im Binnenmarkt konsumieren und investieren. Damit das funktioniert, müssten sich die EU Länder jedoch besser koordinieren und klar definierte Reformen umsetzen. # FAKT 1 Leistungsbilanzen in der EU: Mehr Überschüsse als Defizite Leistungsbilanzen in Prozent des BIP # 2 Der Euro ist für die wichtigsten Handelspartner des Euroraums seit 2008 günstiger geworden Index 1999 Q1 = 0 FAKT # FAKT 3 In wird viel gespart, aber relativ wenig investiert in % Index in % Bruttosparquote in Prozent des BIP 12 120 30 Niederlande Vergünstigung des Euro um 20 Prozent 25 8 20 6 4 1 Euro-Wechselkurs 15 Euroraum ohne Die deutsche Sparquote liegt über der des Euroraums 2 1995 1998 2001 2004 2007 20 2013 2016 0 EU28 0 in % 30 Investitionsquote in Prozent des BIP -2 Italien Euroraum ohne 25-4 90 20-6 -8 Spanien 15 Die deutsche Investitionsquote liegt unter der des Euroraums - 2003 2004 2005 2011 2006 2012 1999 2007 2013 2000 2008 2014 2001 2009 2015 2002 20 2016 80 2003 2011 2005 2013 1999 2007 2015 2001 2009 2017 1995 1998 2001 2004 2007 20 2013 2016 Bei der Einführung des Euro 1999 hatten und die EU insgesamt ein Leistungsbilanzdefizit. Während der Finanzkrise vergrößerte sich dieses Defizit in den meisten Ländern, aber nicht in und den Niederlanden. Die Defizitländer haben sich seit der Krise erholt. Die Überschussländer fahren weiter große Überschüsse ein. Die Graphik zeigt den nominalen effektiven Euro-Wechselkurs gegenüber den 19 wichtigsten Handelspartnern außerhalb der Eurozone (nach Gewicht): China, USA, Vereinigtes Königreich, Japan, Schweiz, Polen, Tschechische Republik, Schweden, Südkorea, Ungarn, Dänemark, Rumänien, Kanada, Hong Kong, Singapur, Norwegen, Australien, Kroatien und Bulgarien. Bis 2004 ähnelte die deutsche Sparquote der des Euroraums. Seitdem liegt sie deutlich darüber. Von 1997 bis 2011 lag die Investitionsquote in mit durchschnittlich drei Prozentpunkten pro Jahr deutlich unter der Quote des Euroraums (ohne ). Damit wurde mehr als ein Jahrzehnt lang weniger investiert als in vergleichbaren Indus trieländern. Quellen: OECD 2017, Weltbank 2017 für Niederlande (1999 2003). Quelle: EZB 2017. Quellen: Weltbank 2017, Eurostat 2017, eigene Berechnungen, Durchschnitt für Euroraum 19 ohne nicht gewichtet (Grundgesamtheit bei Bruttosparquote variiert leicht vor 2005 aufgrund fehlender Datenpunkte). Eine bessere Koordination zwischen Überschuss- und Defizitländern in der EU wäre mehr als ein politischer Kompromiss: Es würde bedeuten, dass man auf Lohnkürzungen verzichten und stattdessen gemeinsam auf zukunftsgewandte Investitionen und mehr Produktivitätszuwachs setzen könnte. Dr. Anna auf dem Brinke Die Autorin ist Wissenschaftlerin am. www.strengthentheeuro.eu

Die und das Jacques Delors Institut Berlin erklären in der Publikationsreihe Europa briefing Schlüsselthemen der Europapolitik und stellen mögliche Szenarien vor: Was ist das Problem? Wie könnte es weitergehen? Und was kann die Politik jetzt tun? Alle Veröffentlichungen des gemeinsamen Projekts finden Sie hier: www.strengthentheeuro.eu Projektteam Impressum Prof. Dr. Henrik Enderlein Direktor,, Vizepräsident und Professor für Politische Ökonomie, Hertie School of Governance Joachim Fritz Vannahme Direktor, Dr. Anna auf dem Brinke, Autorin Wissenschaftlerin, Sabine Feige Projektassistentin, Dr. Katharina Gnath Senior Projektmanagerin, Jörg Haas Wissenschaftler, Heidi Marleen Kuhlmann Referentin für Europapolitik und Öffentlichkeitsarbeit, Max Emanuel Mannweiler Referent für Europapolitik und Öffentlichkeitsarbeit, Katharina Späth Projektmanagerin, Philipp Ständer Wissenschaftler, 2017 und Carl-Bertelsmann-Straße 256 33311 Gütersloh Tel. +49 5241 81-81183 www.bertelsmann-stiftung.de Pariser Platz 6 117 Berlin Tel. +49 30 467 260-905 www.delorsinstitut.de Design ressourcenmangel an der Panke GmbH, Berlin Druck druck.haus rihn gmbh, Blomberg V.i.S.d.P. Prof. Dr. Henrik Enderlein, Joachim Fritz-Vannahme