Effektiv, kooperativ und effizient? Die Arbeit der Fachstellen zur Vermeidung von Obdachlosigkeit des FEWS in Bayern Zentrale Befunde der Evaluation Fachtag des FEWS 9.3.2016 Nürnberg Prof. Dr. Joachim König
Zwei Fragestellungen 1. Wie effektiv arbeiten die Fachstellen in diakonischer Trägerschaft in Bayern? Zielerreichung und ihre Bedingungen 2. Wie effizient arbeiten die Fachstellen? Verhältnis zwischen Aufwand (Kosten) und Ertrag (Einsparungen von Kosten)
Dreistufiges Design der Untersuchung 1. Quantitative Erhebung: Effektivität Erfassung der Effekte und Tätigkeiten der Fachstellen Repräsentative Stichprobe (n=310 bei N=1272: alle Beratungsfälle im Zeitraum 06/13 05/14) 2. Qualitative Befragung: Bedingungen für Effektivität Interviews mit wichtigen Kooperationspartnern der Fachstellen: Vermieter, Gerichtsvollzieher, Jobcenter 3. Alternativkostenberechnung: Effizienz Vergleich: Öffentliche Zuschüsse an die Fachstellen vs. potentielle Kosten von Wohnungslosigkeit
Effektivität: Fallausgang Fallausgang insgesamt (%, n = 312) Fallausgang noch unklar 27% Kritischer Fallausgang 5% Positiver Fallausgang 68% 0 20 40 60 80
Effektivität: Fallausgang Positive Fallausgänge (%, n = 210) Umzug soziale Einrichtung 4% Umzug Familie / Freunde 9% Umzug andere Wohnung 42% Wohnungserhalt 45% 0 10 20 30 40 50
Effektivität: Fallausgang Kritische Fallausgänge (%, n = 16) Wohnungslosigkeit 40% Umzug in Pension / Unterkunft 60% 0 20 40 60 80
Effektivität: Haushalte mit Kinder Fallausgang Haushalte mit/ohne Kinder (%) Fallausgang noch unklar 19% 29% Kritischer Fallausgang 5% 6% Positiver Fallausgang 66% 75% 0 20 40 60 80 ohne Kinder (n=174) mit Kinder (n=123)
Effektivität: Erstgespräch Zeitpunkt des Erstgesprächs (%, n = 310) nach Zustellung der Räumungsklage 53% vor Zustellung der Räumungsklage 44% unklar 3% 0 10 20 30 40 50 60
Effektivität: Abwendung Räumungsklage Klage abgewendet? (%, n = 165) nicht abgewendet 62% abgewendet 28% unklar 10% 0 10 20 30 40 50 60 70
Effektivität: Fallausgang Fallausgang nach Zustellung der Räumungsklage (%, n=102) Fallausgang noch unklar 27% Kritischer Fallausgang 10% Positiver Fallausgang 63% 0 10 20 30 40 50 60 70
Effektivität. Außenkontakte Außenkontakte der Fachkräfte (%, n = 310) unklar 20% mindestens ein Außenkontakt 44% kein Außenkontakt 36% 0 10 20 30 40 50 Bei 26% aller Haushalte kam ein Erstkontakt nur durch aufsuchende Hilfe zustande.
Effektivität: Zeitpunkt Erstgespräch Zentrales Problem: Erstgespräch findet zu häufig zu spät statt! Konsequenz: Erhöhung der Effektivität durch die Steigerung dieser Quoten durch Erhöhung der Personalausstattung, mehr und frühere Kontaktaufnahmen nach dem Geh-Prinzip und eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit, d.h. die Hilfeangebote der Fachstellen besser bekannt machen.
Effektivität: Finanzielle Situation Reduzierung Mietrückstände (%, n = 187) 187 = alle Fälle, in denen finanzielle Rückstände eine Rolle gespielt haben vollständig reduziert 20% zum Teil reduziert 31% (noch) nicht reduziert / unklar 49% 0 10 20 30 40 50 60
Effektivität: Finanzielle Situation Mittel zur Reduzierung (%, n = 96) 96 = alle Fälle, in denen finanzielle Rückstände reduziert werden konnten Spende Kredit Leistungen öffentlicher Träger 2% 3% 6% Soziales Netz KlientIn 16% Öffentliche Mietschuldenübernahme 32% KlientIn selbst 42% 0% 10% 20% 30% 40% 50%
Effektivität: Problemlagen Sonstige Problemlagen (%, n = 310) Aufenthaltsrechtliche Probleme Sprache Behinderung Körperliche Erkrankung Gewalt / Kriminalität Trennung / Scheidung Sucht / Psychische Erkrankung Prekäre Arbeit / Arbeitslosigkeit Sekundärschulden 1% 3% 6% 7% 8% 11% 23% 26% 52% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%
Effektivität: Unterstützung Zusätzliche Unterstützung (%, n = 310) Hilfe bei der Durchsetzung von Ansprüchen Wirtschaftliches Verhalten verbessern Über Ansprüche informieren Kontakte zum Hilfesystem herstellen 19% 23% 26% 26% Direkte Hilfe und Unterstützung 39% 0% 10% 20% 30% 40% 50%
Fazit 1 Hohe Effektivität Zusätzliche Hilfe und Unterstützung bei multiplen Problemlagen Mehr Prävention, Geh-Struktur und Information notwendig
Bedingungen der Arbeit Sicht der Partner Alle sind sich einig: Kooperation ist wichtig, Vernetzung in der Fallarbeit ist erforderlich. Aber: Balance zwischen engmaschiger gegenseitiger Information und Gewährleistung von Datenschutz ist schwierig. Fallarbeit ist hoch komplex, Zeitdruck und schnelle Veränderung des Sachstand enorm.
Bedingungen der Arbeit Sicht der Partner Alleinstellungsmerkmal der Fachstellen: Moderierende Rolle im Fallprozess, frei von Eigeninteressen. Vertrauensverhältnis gegenüber den KlientInnen: Andere Akteure (VermieterInnen, Sozialamt oder Jobcenter) von denen Forderungen, Verweigerung von Leistungen und Sanktionen ausgehen, werden als Feinde wahrgenommen. Partnerschaftliches Verhältnis gegenüber den Jobcentern: VermieterInnen sind für Jobcenter als Kooperationspartner in Mietkonflikten inakzeptabel.
Bedingungen der Arbeit Sicht der Partner Verbesserung der Kooperation durch Vereinbarungen Mögliche Gegenstände von Kooperationsverträgen: Grundsätzliche Zusicherung von Offenheit Klärung der Kommunikationsstruktur Fachstelle - Jobcenter Datenschutz-Standards (z.b. gegenseitige Schweigepflichtentbindung) Routinen für wiederkehrende Prozesse (Leistungen des Jobcenters, Ermessensspielräume des SGB II) Einführung von Deeskalationsstrategien (z.b. durch Weiterleitung von Fällen an höhere Hierarchieebenen)
Bedingungen der Arbeit Sicht der Partner Langfristige Finanzierung der Fachstellen steigert die Effektivität (und die Effizienz) der Arbeit durch: Geringere Mitarbeiterfluktuation Langfristigere Zusammenarbeit zwischen den AkteurInnen Gesteigertes Vertrauen Mehr Transparenz für alle Seiten Verbesserte Kommunikation zwischen den Akteuren Zugriff auf größere Netzwerke für alle
Fazit 2 Vier Prädiktoren für erfolgreiche Zusammenarbeit Möglichst geringe Fluktuation von Mitarbeitenden Engmaschige Zusammenarbeit und Zuverlässigkeit Transparente Netzwerke und Grenzen durch Vereinbarungen Gemeinsame Strategien der Kooperationspartner
Effizienz: Alternativkostenberechnung Hypothese: Fachstellen vermeiden Kosten für die öffentliche Hand und für VermieterInnen. Für Personen, deren Fälle von den Fachstellen positiv abgeschlossen werden, entstehen keine öffentliche Kosten für Unterbringung in Pensionen oder Wohnungslosenunterkünfte. Neben der öffentlichen Hand profitieren auch VermieterInnen finanziell von der Arbeit der Fachstellen, da durch die erfolgreiche Präventionsarbeit Kosten für Zwangsräumungen und Mietausfälle vermieden werden.
Effizienz: Alternativkostenberechnung In die Berechnung gingen ein: Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Fälle Öffentliche Zuschüsse an die Fachstellen Mietpreise im Bereich der Pensionen zur Unterbringung Kosten für Obdachlosenunterkünfte Annahmen über die mittlere Verweildauer in Pensionen und Unterkünften: Vier, sieben bzw. 12 Monate.
Effizienz: Alternativkosten Öffentliche Hand Vergleich der Kosten pro Einwohner im Einzugsgebiet (Basis konservativ: Mittlere Verweildauer vier Monate) Öffentliche Zuschüsse Fachstelle 0,94 Alternativkosten Unterbringung Pension 2,96 Alternativkosten Obdachlosenunterkunft 1,10 Ersparnis der öffentlichen Hand im Betrachtungszeitraum: ~ 2,3 Mio.
Effizienz: Alternativkosten VermieterInnen Zwangsräumung: ~ 3,3 Mio. Euro Gerichtskostenvorschuss und Anwaltskosten Vorschuss Gerichtsvollzieher und Spedition Mietausfall: ~ 2,7 Mio. Euro Durchschnittlich acht Monate à 500 Warmmiete Nicht berücksichtigt: Kosten für Einlagerung von Möbeln Renovierungskosten nach Räumung
Fazit 3 Die Fachstellen arbeiten effektiv, auch über das eigentliche Auftragsziel die Vermeidung von Wohnungslosigkeit - hinaus. Bedingungen und Perspektiven für die weitere Optimierung der Arbeit lassen sich benennen. Die Arbeit der Fachstellen ist hoch effizient, sowohl aus öffentlicher als auch aus individueller Sicht.