Predigt zu Jeremia 1, 4 10 5. August 2012 in Benningen a. N. Liebe Gemeinde. Dafür bin ich zu jung! Dafür bin ich zu alt! Ich kann doch nicht reden, nicht vor andere hin stehen! Dafür bin ich viel zu ungebildet, weiß so viel nicht, was man doch wissen und kennen sollte! Auf mich würde ohnehin keiner hören! Ich traue mich nicht! Ich habe auch gar keine Zeit, bin ohnehin schon am Anschlag meiner Kräfte und zeitlichen Möglichkeiten! Argumente gegen eine Berufung. Wer weiß sich berufen und wer nicht? Wer hört auf seine Berufung und wer überhört sie oder redet sie nieder mit Sätzen, wie den eben gehörten oder auch ganz anderen? Ich bin gewiss: Es gibt unter uns niemand, dem Gott nicht eine Berufung mit auf seinen Lebensweg gegeben hat. Welche aber ist es und wie erkenne ich sie? Wenn Menschen, die zu etwas berufen sind, ihrer Berufung nicht folgen, so werden andere sich gerne rufen lassen, die an dieser Stelle womöglich keine Berufung haben, sich aber selber rufen, um sich dann in einem Amt eigennützig breitzumachen, wo doch das Streben nach dem Gemeinwohl die eigentliche Aufgabe wäre. Politische Gremien sind nicht selten gut bestückt mit Leuten, die meines Erachtens keine Berufung haben, aber Ämter gerne wahrnehmen, um dort Selbstbedienung, Selbstdarstellung, Selbstbeweihräucherung und nicht selten unreflektierte Selbstverwirklichung auszuüben. Die formale Berufung einer demokratischen Wahl reicht halt nicht aus, um wirklich zu etwas berufen zu sein. Dazu gehört mehr, dazu gehört auch etwas von Gott her. Auch in kirchlichen Strukturen ist das nicht ganz anders. Etwa, wenn Menschen ohne die nötigen Visionen auf Posten und Ämtern sitzen, wo nichts dringlicher als Visionäres gefragt wäre. Oder wenn Menschen ohne das dafür nötige Charisma Führungspositionen
begleiten, wo vor allem Charisma gefragt wäre. Oder wenn Menschen, die an dieser Stelle nichts zu sagen haben, dennoch reden: Reden in Floskeln, Allgemeinposten und leeren Formeln und immer gleichen Worthülsen; und andere, die viel zu sagen hätten, schweigen, entziehen sich ihrer Berufung, verstecken oder verweigern die Gaben, die Gott in sie hineingelegt hat, nützen sie nur für sich privat. Und dann wundern wir uns, wenn Lähmung und Erstarrung sich breit machen und das Not- Wendende in Gestalt des Notwendigen nicht geschieht. Liebe Gemeinde. Dass Berufung nicht nur Zuckerschlecken und Ehre bedeutet, werden wir gleich hören, wenn wir die Geschichte einer besonderen Berufung vernehmen werden. Es ist die Berufungsszene des Propheten Jeremia, wie sie im 1. Kapitel des Jeremiabuches steht: Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, HERR HERR, ich tauge nicht zu predigen, denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: Ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen. Liebe Gemeinde. Wem kommen bei diesen Worten nicht sogleich andere Berufungsszenen der Bibel in den Sinn etwa die Moses am brennenden Dornbusch. Wie Jeremia wehrt auch er sogleich ab: Ich kann nicht! - kann nicht reden, bin zu schwach, kein Führungstyp und niemand wird
mir glauben nein, Gott, such dir einen anderen. Mose will nicht, will sich dieser Aufgabe nicht stellen; denn er ahnt, dass es die Aufgabe seines Lebens werden wird. Ob uns das wohl auch schon begegnet ist: Berufung, die plötzlich vor mir steht; und ich weiß: Es ist eigentlich meine Aufgabe; aber ich will nicht, will mich dieser Aufgabe nicht stellen, weil ich weiß, dass ich mich da wirklich investieren muss mit meiner ganzen Existenz und dass ich darüber hinaus auch viel Widerstand und Widerspruch erfahren werde und aushalten muss, was ich mir lieber erspare da werden sich schon andere finden. Liebe Gemeinde. Dass Menschen ihre Berufung nicht entdecken oder nicht zu entdecken wagen, kann seinen Grund auch darin haben, dass sie viel zu gering von sich denken: Wer bin ich schon? Gott wusste, dass auch Jeremia ebenso von sich dachte: Wer bin ich schon? Und darum beginnt Gott sein Reden, indem er quasi als erstes und allem anderen vorauslaufend auf diese meist nicht laut ausgesprochene Seelenfrage Wer bin Ich schon? antwortet und sagt: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich kannte Dich, lange bevor Du geboren wurdest! Ja, mehr noch: Lange bevor zwei zärtlich empfindende und liebende Menschen sich vorstellen konnten, dass Du einmal werden solltest, warst Du schon in meinem königlich-göttlichen Sinn und Herzen. Ein Königskind bist du, weiß Du das, Jeremia? Ob das nur für Jeremia gilt, für den so besonderen Gottesmann, liebe Gemeinde, oder auch für Sie und mich: Königskind und kannte dich, ehe du gezeugt und geboren wurdest? Wir sollten auf den Liederdichter Paul Gerhard hören, der in der zweiten Strophe seines Weihnachtsliedes Ich steh an deiner Krippen hier sagt: Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wollest werden. Ich und Sie, liebe Gemeinde, wir alle Gedanken Gottes, lange bevor wir zu sein und zu atmen begonnen haben, wir alle Teil des großen göttlichen Plans mit seiner Welt und Schöpfung und in diesem Plan Königskinder: Gewollt und geliebt, begabt und auch berufen. Hierher gehört unsere Berufung: Ich habe eine Berufung im großen Plan Gottes! Wagen Sie es einmal, diesen Satz für sich zu sagen: Ich habe eine Berufung im großen Plan Gottes! Ich und nicht nur Jeremia, ich und nicht nur Bonhoeffer oder Luther oder Johannes XXIII. oder Mutter Theresa: Auch ich! Denn ich bin Königskind im Reich Gottes, das wächst und gedeiht, wie Jesus es sagt. Spüren Sie den Adel, liebe Gemeinde, den Gott Ihrem und meinem Leben zuspricht? Adel will aber gelebt werden, ist kein Selbstzweck und viel zu schade, um verborgen zu werden und ein Schattendasein zu führen. Dass seine Königskinder ihren Adel auch leben, möchte Gott, damit sein Königreich wachsen und werden kann. Sichtbar sollen werden die Fußspuren unseres Königs Jesus Christus, die er selber auf seiner Erde gesetzt hat und in denen wir gehen können: Fußspuren der Hoffnung, Fußspuren gegen alle Resignation, Fußspuren gelebter Versöhnung. Und manchmal gilt es, in diesen Fußspuren auch Widerstand zu leisten und das Unbequeme auch zu sagen. Das war in einem erheblichen Maße die Berufung Jeremias: Er hatte seiner Zeit einen ziemlich hässlichen Spiegel vorzuhalten und seiner Generation Tatfolgen anzukündigen, die ihn alles andere als beliebt machten. Seine Königskind-Gabe war es, Dinge zu durchschauen, Taten und Folgen, Fakten und Zusammenhänge eben: prophetische Gabe. Dazu ist heute Kirche auch berufen: Tiefen schau in unsere Gesellschaft und auch
Weltgesellschaft hinein erkennen, was schief läuft und böse Folgen nach sich ziehen wird: Kapital etwa, das immer ungesünder falsch verteilt ist, oder Lebensmöglichkeiten von Menschen und Völkern, die so sehr auseinanderklaffen, dass der Weltfriede gefährdet wird das und vieles mehr sind prophetische Themen, die nicht nach orakelnden Hellsehern verlangen, sondern nach prophetischen Durchblickern, nach Königskindern Gottes, die diese unsere Welt mit einem liebenden und barmherzigen und um Gerechtigkeit ringenden Herzen anschauen und eben darum unserer Welt nicht ersparen, das Unbequeme beim Namen zu nennen - hoffend, betend, ringend um wahrhaftige Antworten und heilsam gangbare Wege. Liebe Gemeinde. Haben Sie Ihre Berufung schon entdeckt? Wenn nicht, dann lassen Sie mich Ihnen jetzt zu allererst noch einmal zusprechen: Sie sind ein Königskind! Auch für Sie gilt: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich wozu? An dieser Stelle nun ist unsere Antwort gefragt. Spüren Sie, wie Gott Sie ansieht? Wagen wir es doch, uns mit seinen Augen anzusehen; ich bin überzeugt, wir werden unsere königliche Berufung entdecken und dann ja zu ihr sagen und uns auf den Weg machen auf den Weg in den königlichen Spuren Jesu. Amen. Martin Kaschler