Virtuelle Inbetriebnahme von Produktionssteuerungssystemen in der Automobilindustrie mittels Emulation

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Transkript:

Virtuelle Inbetriebnahme von Produktionssteuerungssystemen in der Automobilindustrie mittels Emulation Gottfried Mayer 1 BMW Group Dr. Ulrich Burges 2 SimPlan AG Zusammenfassung Das modulare Produktionssteuerungssystem IPS-L übernimmt neben der Steuerung der gesamten Produktion und diverser Speicher auch die Einplanung, Reihenfolgeoptimierung und Verwaltung der Produktionsaufträge. Permanente An- und Ausläufe neuer Fahrzeugprodukte erfordern ständige Neuparametrisierung des IPS-L sowie häufig die Einspielung neuer Softwarekorrekturen. Die damit verbundenen Inbetriebnahmen und Leistungstests waren bislang durch fehlende Produktionsund Auftragsdaten im Vorfeld nur bedingt abzusichern und führten teilweise zu Störungen der Produktion. Durch die Entwicklung eines standardisierten Tools zur virtuellen Inbetriebnahme der Bereiche Karosseriebau und Oberfläche ist es nun möglich, Inbetriebnahme und Umparametrisierung des Produktionssteuerungssystem IPS-L vorab abzusichern. Zudem bietet die virtuelle Umgebung die Möglichkeit, Steuerungsparameter zu optimieren, ohne in den laufenden Produktionsbetrieb eingreifen zu müssen. Zur Systemumgebung der virtuellen Inbetriebnahme gehören die IPS-L Testumgebung, eine exakt gespiegelte Version des Produktivsystems, und ein Simulationsmodell, welches Produktion und lokale Steuerungen emuliert. Die virtuelle Inbetriebnahme wurde im Rahmen eines Pilotprojektes im BMW Werk Leipzig erfolgreich getestet. 1 Motivation In der Produktion der BMW Group sind über alle Werke standardisierte IT Systeme für die Bereiche Betriebsdatenerfassung, Logistik und Produktion sowie Qualität im Einsatz. Diese sind zu einem Teil gekaufte Standardsoftware, zum anderen Teil Eigenentwicklungen. Bei dem in diesem Artikel behandelten Steuerungssystem Logistik handelt es sich um eine Entwicklung der BMW Group zur Planung und Steuerung der Produktion. Es verwaltet Kundenaufträge, optimiert Fertigungsreihenfolgen und gleicht sie mit den Beständen ab. Zudem bietet es die Möglichkeit, diverse Lager- und Speicher- Systeme unter Berücksichtigung des Auftragsflusses und des Karosserienflusses zu steuern. Wie jedes Softwaresystem unterliegt das Produktionssteuerungssystem Logistik Aktualisierungs- und Fehlerbehebungszyklen. Diese vor ihrer Inbetriebnahme vollständig zu testen, ist sehr aufwendig.. Zudem werden bei An- und Ausläufen von Fahrzeugtypen, 1 BMWAG, München 2 SimPlan AG, Maintal

bedingt durch den damit einhergehenden veränderten Variantenmix, Umparametrisierungen der Steuerungsmodule notwendig, die weitere Tests erfordern würden. Um Neuimplementierungen und Softwarepflegezyklen ohne Beeinflussung der laufenden Produktion und in verkürzten Zeiträumen umsetzen zu können, sollen mögliche Störgrößen im Vorfeld der realen Inbetriebnahme im Rahmen einer virtuellen Inbetriebnahme identifiziert und beseitigt werden. Ein weiteres Ziel der virtuellen Inbetriebnahme ist die Ermittlung idealer Steuerparameter des Speicher- und Lagersteuermoduls des IPS-L. Die Einlagerung in und der Abruf aus den zum Teil sehr komplex aufgebauten Speichersystemen werden durch das Steuersystem über frei verkettbare Kriterien gesteuert, welche in laufender Produktion ohne Beeinflussung der Fertigung kaum getestet werden können. Um eine standardisierte Lösung für die virtuelle Inbetriebnahme für das Produktionssteuerungssystems Logistik zu entwickeln, wurde der Ansatz der Emulation auf Basis eines Simulationsmodells gewählt. Dieser Ansatz wird in der Literatur bereits seit einigen Jahren als zukunftsträchtiges Feld der Simulation gesehen [Ban03] und es existieren viele, erfolgreich umgesetzte Beispiele der Emulation von Lagerverwaltungsund Materialflussrechnern (LVR, MFR) [LeB98, Gut00, KeG03]. 2 Organisatorisch technische Voraussetzungen Um die einleitend genannten Ziele zu erreichen und deren Ergebnisse sinnvoll in die IT Standardumgebung einzubinden, müssen sowohl IT-technische als organisatorische Voraussetzungen gegeben sein oder aber geschaffen werden. Erste Voraussetzung ist eine über alle Werke standardisierte Produktionssteuerung, welche in der BMW Group gegeben ist. Zum Zweiten müssen alle zu emulierenden Bereiche als Simulationsmodell vorhanden bzw. schnell modellierbar sein, idealer Weise basierend auf einer einheitlichen Software und einem einheitlichen Bibliotheksstandard. In der BMW Group ist em-plant [EmPla] und der Bausteinkasten der VDA Unterarbeitsgruppe Ablaufsimulation im Einsatz. Des Weiteren ist eine standardisierte Schnittstelle zwischen Produktionssystem und den speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) notwendig. Diese wird im Simulationsmodell nachgebaut, um den Datenverkehr so zu emulieren, dass das Steuerungssystem das Simulationsmodell nicht von den SPS en unterscheiden kann. Und schließlich, und dies ist mitentscheidend für den Erfolg dieses Projekts in einem Großunternehmen, ist eine Organisationsstruktur zu nennen, die alle beteiligten Fakultäten in einem Projektteam zusammenfasst. Beteiligte Abteilungen sind die zentrale IT, die Fahrzeugsteuerung sowie die Planung einschließlich der Simulation. 3 Produktionssteuerungssystem Logistik IPS-L Das Internationale Produktionssteuerungssystem Logistik, IPS-L, steuert den gesamten Bereich der Fertigungskette Fahrzeug, der den Karosseriebau, die Oberfläche und die Montage beinhaltet. In der nachfolgenden Beschreibung beschränken wir uns auf die Technologiebereiche Karosseriebau und Oberfläche, da die virtuelle Inbetriebnahme

bisher nur diese Bereiche umfasst. Hier steuert das IPS-L die Karosserien auf Basis von Varianten, wie Links- oder Rechtslenker oder Farbe. Die Zuordnung von Fahrzeugen zu Auftragsnummern erfolgt erst mit der Einfahrt in die Montage. Das IPS-L nimmt verschiedene Steuerungsaufgaben wahr: Zum einen plant es Aufträge bzw. deren Varianten anhand des Fertigstellungstermins und optimiert für jeden Produktionsteilbereich die Auftragsfertigungsreihenfolge. Dementsprechend ist das IPS- L selbst in PPE- 3 Modulen aufgebaut, die wie in Abbildung 1 dargestellt einem Fertigungsbereich oder aber einem Speicher entsprechen. Jedes dieser Module kann für sich parametrisiert werden. Die Module kommunizieren sowohl untereinander als auch über TCP/IP-Telegramme mit den unterlagerten speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS). Über diese steuert das IPS-L Fertigungsbereiche und Speicher, letzter über ein spezielles Modul. Die Steuerung der Bereiche durch das IPS-L beinhaltet z. B. die Einund Auslagerung der Karosserien aus den Speichern, aber auch die Entscheidung, welche Variante als nächstes an einer bestimmten Stelle entstehen soll. Beispielsweise wird der Karosserie bei Einfahrt in die Lackierstrasse vom IPS-L eine Farbe zugewiesen, basierend auf den noch zu bauenden Aufträgen. In der Regel wird zur gegebenen Karosserievariante der nächste passende Auftrag gesucht und die im Auftrag festgelegte Farbe vergeben. Abbildung 1: Grobschematische Darstellung der für die Emulation relevanten IPS-L Umfänge in den Technologien Karosseriebau und Oberfläche und dessen Schnittstelle zur Produktion. 3 Produktions-Prozess-Element

Die SPS wiederum kommunizieren über Lesestellen im Produktionsfluss mit so genannten Transpondern (Datenträgern), die jede Karosserie mit sich führt. Mindestens am Ein- und Ausgang jedes IPS-L Moduls, unter Umständen auch dazwischen, sind Lesestellen zum Lesen der Transponderdaten notwendig. 4 Realisierung der virtuellen Testumgebung Der reale und zu emulierende Produktionssteuerprozess setzt sich im Wesentlichen aus der SPS gesteuerten Fertigung und dem überlagerten Produktionssteuerungssystem IPS-L zusammen. SPS (Fertigung) und Logistiksteuerung kommunizieren, wie in Abbildung 2 auf der linken Seite dargestellt, über standardisierte TCP/IP-Telegramme miteinander. Auf der rechten Seite der Abbildung 2 ist die realisierte Emulationsumgebung zur virtuellen Inbetriebnahme abgebildet. Wesentlicher Bestandteil der Entwicklung einer Emulationsumgebung war die Konzeption und Erstellung eines SPS -Moduls, welches die gleichen Telegramme wie die reale SPS verarbeiten kann. Auf Basis des Simulationstools em-plant wurde eine Lösung verwirklicht, die einzig über Parametrisierung und einige Schnittstellenmethoden, den Programmierobjekten in em- Plant, beliebige Dateninhalte, so genannte Telegramme, verschicken und empfangen kann (analog zur realen Steuerung). Die Fertigungsabläufe schließlich sind in einem Simulationsmodell abgebildet. IPS-L, Produktionssteuerung Reales System IPS-L, Produktionssteuerung Virtuelles System TCP Telegramm TCP Telegramm SPS SPS Reale Fertigung Simulationsmodell Abbildung 2: Schematische Darstellung des realen und virtuellen Produktssystemsteuerungssystems

4.1 Testumgebung virtuelles IPS-L Beim virtuellen System IPS-L handelt es sich um eine exakte Spiegelung des Produktivsystems IPS-L, welches in einer eigenen Testumgebung bereitgestellt wird. Das IPS-L kann entweder zeitaufwendig mit virtuellen Aufträge befüllt werden oder aber durch einen Datenbankabzug aus dem produktiven IPS-L, falls dieses bereits existiert. Im letzten Fall enthält das virtuelle System IPS-L alle Karosseriebestände und alle noch zu bauenden Aufträge des realen Systems auf Modulebene zum Zeitpunkt des Abzuges. Sollen neue Baureihen untersucht werden, so können beispielsweise einige bestehende Aufträge durch Umcodierung zu Aufträgen für neue Baureihen werden. 4.2 Simulationsmodule SPS und Meldepunkt Das Simulationsmodell ist mit dem Simulationstool em-plant auf Basis des VDA- Bausteinkastens [VDA06] erstellt worden. Zur Realisierung der Emulation sind zwei neue Module (Objekte) entwickelt worden. Zum einen ist ein Standardfördertechnikelement des VDA-Bausteinkasten zum Meldepunkt erweitert worden. Der Meldepunkt enthält Tabellen und Schnittstellenmethoden (Programmierobjekt in em-plant) zu Parametrisierung der abund eingehenden Telegramme. Der Kopf eines Telegramms lässt sich immer über Tabellen parametrisieren. Bei einigen Telegrammen ist es notwendig, über eine Schnittstellenmethode einen bestimmten Telegrammabschnitt dynamisch zu erzeugen. Abbildung 3: Schematische Abbildung des Moduls SPS

Das zweite, deutlich umfangreichere Objekt, ist das so genannte Modul SPS. Mit der realen SPS hat es nicht deren Steuerungsumfang gemein, sondern dient lediglich der Abbildung der Kommunikationsumfänge der realen SPS mit dem realen IPS-L. In der Abbildung 3 ist der Aufbau schematisch und stark vereinfacht dargestellt. Das SPS- Modul besteht aus drei Teilbereichen. Der erste Bereich sendet, empfängt und verwaltet Telegramme. Die Kommunikation mit dem IPS-L erfolgt über eine Socket-Schnittstelle, die über die IP-Adresse des Rechners und einer Portkennung für das IPS-L eindeutig zu identifizieren ist. Zudem wird die erwartete Telegrammbearbeitung umgesetzt: Quittieren und Beantworten von Telegrammen, Kontrolle der Vollständigkeit und der Laufzeit. Bei fehlerhaften Telegrammen bzw. bei Zeitüberschreitung wird das Telegramm bis zur korrekten Beantwortung wiederholt. Vom IPS-L eintreffende, fehlerfreie Telegramme werden zum Teilmodul Telegrammverarbeitung weitergereicht. Hier wird das Telegramm anhand einer die Telegrammstruktur beschreibenden Parametertabelle weiterverarbeitet, für die Simulation aufbereitet sowie anschließend zum Schnittstellenbereich Meldepunkt weitergereicht. Dieser sendet das Telegramm anhand der Adressierung im Telegrammkopf und einer Zuordnungstabelle zum entsprechenden Meldepunkt. 5 Projekt Virtuelle Inbetriebnahme Flexispeicher Um den Nachweis der technischen Umsetzbarkeit bei vertretbarem Aufwand zu erbringen, wurde ein Pilotprojekt gestartet, an dem alle relevanten Abteilungen (zentrale IT, Fahrzeugsteuerung und Planungsabteilung) beteiligt waren. Die Wahl fiel auf die Optimierung der Speichersteuerungen der Technologie Karosseriebau im Werk Leipzig, da dieser Bereich überschaubar und von der restlichen Produktionssteuerung abzutrennen ist. 5.1 Umfang der Emulation Flexispeicher In Abbildung 4 ist schematisch der Umfang des Emulationsprojektes dargestellt. Auf Seiten des IPS-L ist fast der gesamte Umfang der Steuerung des Karosseriebaus, von den Startanlagen bis zum Finish, enthalten. Dementsprechend sind auf der Gegenseite im Simulationsmodell auch alle zugehörigen SPS abgebildet. Fertigung und Fördertechnik zwischen zwei Meldepunkten werden weitgehend durch abstrakte Bausteine, die mittels Histogrammen Karosserieverwirbelungen, Füllstandsverläufe und Taktzeitprofile realistisch abbilden, dargestellt. Der verwendete VDA-Automotive-Bausteinkasten stellt solche Bausteine standardmäßig zur Verfügung. Lediglich der im Fokus des Projekts stehende so genannte Flexispeicher wurde auf dem Detaillierungsgrad einzelner Fördertechnikelemente abgebildet. Bei diesem zentralen Speicher handelt es sich um einen Linienspeicher, der Karosserien in drei verschiedenen Bauzuständen aufnimmt. Der verfügbare Platz je Bauzustand kann dynamisch an die aktuellen Produktionszustände im Karosseriebau angepasst werden. Diese Flexibilität bei der Linienzuordnung hat dem Speicher seinen Namen gegeben.

Abbildung 4: Schematische Darstellung der Emulationsumfänge des Pilotprojektes Flexispeicher Karosseriebau im BMW Werk Leipzig 5.2 Einige Umsetzungsdetails Die gespiegelten IPS-L Module werden mittels Datenbankabzug aus dem produktiven IPS-L befüllt, so dass das virtuelle IPS-L alle Bestände und noch zu bauenden Aufträge auf Modulebene zu einem bestimmten Zeitpunkt enthält. Um den Bestand der Karosserien im IPS-L mit dem Bestand im Simulationsmodell in Einklang zu bringen, werden vor Emulationsbeginn die Bestände aus dem IPS-L mittels Datenbankschnittstelle ausgelesen und das Modell wird mit diesen Karosserien beim Start vorbelegt. Auf Seite des Simulationsmodells werden entsprechend dem Abbildungsumfang alle benötigten Telegramme je SPS, in Abbildung 4 sind dies neun Stück und damit neun Schnittstellen, und Meldepunkt parametrisiert. Folgende Auflistung zeigt eine Auswahl der wichtigsten Telegramme: Umbuchung von einem Steuermodul (PPE) zum nächsten, Erzeugung eines neuen Bauteils bzw. einer neuen Variante, Anforderung einer Zielbahn beim Einlagern, Meldung Einlagerungsvollzug,

Anfordern der nächsten auszulagernden Karosserie, Anfordern des Rohbaudatensatzes, der alle Informationen über die Karosserie enthält, Ausschussmeldung, Die Telegramme sind bis auf den Kopf je nach Anforderung völlig unterschiedlich aufgebaut. In Abbildung 5 sind beispielhaft zwei Telegramme abgebildet. Zu einigen Telegramm gibt es in der Regel auch ein Antworttelegramm; einige werden quittiert, andere wiederum nicht. Antworttelegramm zur Anforderung eines Datensatzes Antworttelegramm zu Bauteil erzeugen IPS#####9HG9MB01PLANFD_RTRAN0001509HG9 MB01PLANFDATHB601408100000895OKAYHB6014 0810HB601408############################## #HB60001408############################### #########BG60001408####################### ######################## Abbildung 5: Beispieltelegramme 9VG9MB02BTERZ150PLBTER_RTRAN0001509VG 9MB02PLBTERZG60005409000000000OKAY60005 409########## Die Dauer eines Emulationslaufs ist normalerweise durch die Anzahl der im IPS-L zur Verfügung stehenden Aufträge begrenzt. Üblicherweise sind es etwa vier Tage. Um nun längere Emulationszeiten bzw. mehrere Experimente zu verwirklichen, werden im Simulationsmodell die Karosserien vor der Vernichtung nach dem Verlassen des Finishs als Ausschuss gemeldet. Das führt dazu, dass das IPS-L diesen Auftrag erneut einplant und die Karosserie wird in der Startanlage neu aufgelegt. Durch diesen Kreislauf hält das IPS-L immer genügend Aufträge und Karosserien im Bestand vorrätig und es können im Prinzip beliebig viele Parametrisierungs- oder Lasttest gefahren werden, ohne einen neuen Datenbankabzug durchführen zu müssen. Ein grundsätzliches Problem der Emulation auf Basis eines Simulationsmodells mit einem realen Steuerungssystem ist die Synchronisation der Simulationszeit mit der echten Zeit [McG02, Vers02]. Fehler lassen sich nur bei Betrieb des Simulationsmodells in Echtzeit vermeiden. In allen Anwendungen, in denen Synchronisation der Zeit keine

Rolle spielt, hierzu zählen der Tests der Telegramme oder Lasttests, kann das Simulationsmodell in vielfacher Echtzeit laufen. In diesem Modus wird das Modell nach Senden bzw. Erhalt eines Telegramms angehalten, bis die Antwort eingeht oder aber gesendet werden kann. 5.3 Experimente und erste Ergebnisse Im Fokus der Experimente stand die Überprüfung der im IPS-L parametrisierten Telegramme sowie zu einem späteren Zeitpunkt die Erweiterung des Flexispeichers. Im Zuge dieser Experimente aber auch schon während der Inbetriebnahme konnten einige fehlerhafte Telegramme identifiziert und beseitigt werden. Zudem wurden verschiedene Lasttest mit bis zu zehnfacher Echtzeit durchgeführt, um die Leistungsfähigkeit der IPS-L Struktur bezüglich höherer Stückzahlen zu testen. Um die Antwortzeiten der verschiedenen Telegramme aufzuschlüsseln, wurden im Simulationsmodell alle ein- und ausgehende Telegramme mitgeschrieben und nach minimaler, mittlerer und maximaler Antwortzeit je Telegrammart ausgewertet. Diese Statistik erlaubt die Identifizierung eines Telegramms, welches bei höherem Telegrammaufkommen und niedrigeren Taktzeiten einen Engpass dargestellt hätte. Die Betreiber des Emulationsmodells in Leipzig, die Fahrzeugsteuerung, verwendet die Emulationsumgebung außerdem zur Schulung der Mitarbeiter. Der Mitarbeiter kann beliebige Einstellungen vornehmen, sieht wie das System reagiert, ohne dass Fehler zur Beeinträchtigung der laufenden Produktion führen. Es ist geplant, im BMW Werk Leipzig einen weiteren Speicher direkt durch das IPS-L zu steuern und dies im Vorfeld virtuell abzusichern. 6 Fazit Die Emulationsumgebung zur virtuellen Inbetriebnahme des Logistiksteuerungssystem IPS-L bringt nicht nur der Fertigung durch Reduktion von Störungen während einer Inbetriebnahme oder während Pflegezyklen Vorteile, sondern auch der für diese Systeme zuständigen zentralen IT-Abteilung. Zu nennen sind beispielsweise die Möglichkeiten, das Logistiksystem virtuell weiterzuentwickeln oder Performance-Untersuchungen ohne Beeinflussung der Produktion durchzuführen. Zudem bietet die Verwendung eines Simulationsmodells anstelle der realen Fertigung die Möglichkeit, Lasttests deutlich schneller als in Echtzeit durchzuführen. Schließlich bietet die virtuelle Inbetriebnahme die Möglichkeit, parallel zum realen Betrieb neue Versionen und Fehlerbereinigungen zu testen. Der Fahrzeugsteuerung schließlich bietet die virtuelle Testumgebung die Möglichkeit, optimale Ein- und Auslagerkriterien der Speichersysteme virtuell zu ermitteln. Zudem sind problemlos Vorab-Tests zukünftiger Produktionsszenarien hinsichtlich Parametrisierung des Logistikrechners und auch der Fertigungsstruktur möglich. Im Zuge des Flexispeicher-Projektes zur virtuellen Inbetriebnahme hat sich eine weitere Nutzungsmöglichkeit ergeben. Im Zuge der Einarbeitung neuer Mitarbeiter wird die Emulation zur Schulung genutzt. Der Mitarbeiter kann Einstellungen live am virtuellen

IPS-L vornehmen und die Reaktion des Systems beobachten, ohne dass fehlerhafte Einstellungen zu Beeinflussungen der Produktion führen würden. Literatur [Ban03] Jerry Banks. Simulation in the future In: Proc. of the 2000 Winter Simulation Conference, S. 1568-1576 [LeB98] Todd LeBaron, Kelly Thompson. Emulation of Material Delivery System. In: Proc. of the 1998 Winter Simulation Conference, S. 1055-1060 [Gut00] K. Gutenschwager, Fauth, S. Spieckermann, S. Voß. Qualitätssicherung lagerlogistischer Steuerungssoftware durch Simulation. In: InformatikSpektrum 23, S. 26-37 [KeG03] J. Kemper, K. Gutenschwager Neue Potenziale der Logistiksimulation In: A&D Kompendium 2003, S. 56-58 [EmPla] Objektorientierte Simulationssoftware von der Fa. UGS Unigraphics Solution GmbH [VDA06] Bausteinkasten für die Automobilindustrie auf Basis em-plant, betreut durch die VDA-Arbeitsgruppe Ablaufsimulation S. Heinrich, G. Mayer Ablaufsimulation im VDA ein Bericht aus der Arbeitsgruppe. In diesem Tagungsband. [McG02] Ian McGregor. The Relationship between Simulation and Emulation. In: Proc. of the 2002 Winter Simulation Conference, S. 1683-1688 [Vers02] Corne Versteegt, Alexander Verbraeck. The extended use of Simulation in evaluating real-time control systems of AGVS and automated Material handling systems. In: Proc. of the 2002 Winter Simulation Conference, S. 1659-1666