ZPO-Unirep Sommersemester 2011, Prof. Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. Teil 1: Typische zivilprozessuale Konstellationen im Examen Fall 1 A ist Eigentümer eines PKW. Diesen leiht er B. Später überlegt er es sich anders und nimmt den PKW heimlich von dessen Grundstück. B erhebt gegen A Klage auf Rückgabe des PKW. A erhebt Widerklage mit der Behauptung, B stehe kein Recht zum Besitz zu. Wie wird das Gericht entscheiden? Fall 2 V lebt in Bonn. Er verkauft an den in Berlin wohnenden K einen gebrauchten PKW im Wert von 3.500. Nachdem es zu Lieferschwierigkeiten gekommen ist, verklagt K den V in Bonn auf Lieferung des Fahrzeuges. V erhebt Widerklage auf Zahlung des Kaufpreises. Sind die Klagen zulässig? Abwandlung: K verklagt V in Bonn auf Lieferung des PKW. V erhebt Widerklage gegen K, weil ihn dieser im Vorjahr in Bonn bei einem gemeinsamen Golfspiel mit dem Schläger verletzt hat. Dabei war ihm ein Verdienstausfall in Höhe von 6.000 entstanden. Ist die Widerklage zulässig? Fall 3 V verkauft K eine Truhe. Als V die Truhe auch trotz mehrmaliger Aufforderung nicht liefert, erhebt K Klage. Als sein Bruder B von der Truhe erfährt, erzählt er K, wie gut diese ihm gefällt. Daher tritt K an B seine Ansprüche aus dem Kaufvertrag ab. V möchte auf keinen Fall etwas mit B zu tun haben. Frage 1) Hat die Klage des K Aussicht auf Erfolg? Frage 2) Kann B für K in den Prozess eintreten? Fall 4 A leiht B ein Fahrrad. Als B die Rückgabe verweigert, erhebt A gegen ihn Klage. Als B bemerkt, dass der Prozess für ihn ungünstig läuft, veräußert er das Fahrrad an X. Dabei erzählt er ihm, A habe ihm (B) das Fahrrad vor kurzem verkauft, er habe auch den Kaufpreis bereits gezahlt, A verlange es jetzt aber plötzlich zurück und sei daher vor Gericht gezogen. B wird rechtskräftig zur Herausgabe des Fahrrades an A verurteilt. Als A von der Veräußerung erfährt, möchte er gegen X vorgehen. Was kann er tun? Abwandlung: A verlangt von B die Abtretung eines Anspruchs auf Rückzahlung eines Darlehens. Bevor B dazu verurteilt wird, tritt dieser den Anspruch an X ab. X weiß nichts von dem Prozess. Was kann A tun, nachdem er ein Urteil gegen B erwirkt hat? Fall 5 K hat gegen B Klage auf Zahlung des Kaufpreises erhoben. B erscheint nicht zur Verhandlung, weil wegen eines Schneesturms in ganz Berlin Stau ist. K trägt vor, er habe sich mit B über den Kauf geeinigt. Dabei sei B zwar völlig betrunken gewesen; Vertrag sei aber Vertrag. In seiner Klageerwiderung hatte B geschrieben, er habe K noch nie in seinem Leben 1
ZPO-Unirep Sommersemester 2011, Prof. Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. gesehen und könne sich nicht vorstellen, mit diesem überhaupt je über die Kaufsache gesprochen zu haben. K beantragt den Erlass eines Versäumnisurteils gegen B. Wie wird das Gericht entscheiden? Abwandlung 1: Das beantragte Versäumnisurteil wird erlassen und soll dem B am Samstag, dem 2.5.2009 zugestellt werden. Da der Gerichtsvollzieher den B in seiner Wohnung nicht antrifft, händigt er das Urteil der 17jährigen Mitbewohnerin M aus. Am 19.5.2009, einem Dienstag, fällt der M der Brief ein und sie gibt ihn an B weiter. Was kann B tun? Abwandlung 2: B legt fristgemäß Einspruch gegen das Urteil ein. Im Einspruchstermin erscheint er nicht. Was wird das Gericht tun? Was kann B gegen die Entscheidung des Gerichts tun? Fall 6 K hat gegen B eine Kaufpreisforderung über 1.000. Er beauftragt ein Inkassobüro mit einem Mahnschreiben; das Büro berechnet 1.600,- dafür. Da B nicht bezahlt, beantragt K einen Mahnbescheid über 1.000 nebst 1.600,- Mahnkosten. Was wird das Mahngericht tun? Abwandlung 1: Das Mahngericht erlässt einen Mahnbescheid, der dem B am 10.1. zugestellt wird. Am 25.1. beantragt K Erlass eines Vollstreckungsbescheides. Am 26.1. erhebt B schriftlich Widerspruch gegen den Mahnbescheid. Was geschieht? Abwandlung 2: B erhebt den Widerspruch erst am 10.2., nachdem am 7.2. das Gericht den Vollstreckungsbescheid erlassen hat. Am 24.2. begründet B erstmals seinen Widerspruch damit, dass ein Kaufvertrag nie geschlossen worden sei; dafür benennt er mehrere Zeugen. Wie wird das Gericht verfahren? Fall 7 K verklagt B auf Herausgabe eines PKW aus 985 BGB. Als er im Internet auf einer polnischen Verkaufsplattform ein Angebot des B zum Verkauf des Wagens findet, beantragt K im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung zur Herausgabe des PKW an ihn. Was wird das Gericht tun? Fall 8 Steuerberater S bestellt im Internetshop der Firma G einen Home-Trainer zum Preis von 7.000. Die inhaltlich ordnungsgemäße Belehrung über sein Widerrufsrecht erscheint auf der Website, bevor er auf den Button jetzt bestellen klickt. Der Home-Trainer wird geliefert, S vergisst aber zu bezahlen. Daraufhin verklagt G den S auf Zahlung des Kaufpreises und erstreitet innerhalb von 7 Monaten einen Titel. Als G nach der Rechtskraft des Urteils die Zwangsvollstreckung einleitet, erklärt S der G gegenüber schriftlich den Widerruf und möchte nun wissen, ob er gerichtlich gegen die Zwangsvollstreckung vorgehen kann. 2
Fall 9 Drittwiderspruchsklage Am 10. Januar 2002 sucht der Physikstudent Hans aus Augsburg Rechtsanwalt Dr. Kurt auf und trägt ihm Folgendes vor: Ich wohne mit meinem Studienfreund Fritz in dessen Eigentumswohnung in Augsburg, Philosophenweg 5. Dafür zahle ich Fritz monatlich 210,-- Miete. Als ich am 03. Januar 2002 in die Wohnung zurückkehrte, musste ich feststellen, dass am Vormittag der Gerichtsvollzieher Gustav da war und den im Wohnzimmer stehenden Bechstein-Flügel durch Aufkleben einer Pfandsiegelmarke gepfändet hatte. Der Gerichtsvollzieher Gustav war von einer gewissen Gerlinde in Augsburg beauftragt worden, die gegen Fritz einen rechtskräftigen Titel auf Rückzahlung eines Gelddarlehens in Höhe von 4.800,-- erstritten hatte. Der Gerichtsvollzieher Gustav ließ sich trotz heftigen Protestes durch Fritz von der Pfändung des Instrumentes nicht abbringen. Diese Maßnahme ist jedoch nicht rechtmäßig, da der Flügel mein Eigentum ist. Ich zog am 1. Dezember 2001 zu Fritz, der die Wohnung bis dahin allein bewohnt hatte. Den Flügel hatte ich bereits einige Tage zuvor Fritz zum Preis von 6.300,-- DM (= 3.221,14) verkauft und ihm den Flügel in seine Wohnung gebracht. Anstelle von Barzahlung hatten wir vereinbart, dass Fritz mir ab Januar 2002 monatliche Raten in Höhe von 150,-- zahlt und mir darüber hinaus so lange die Miete erlässt, bis der volle Kaufpreis abbezahlt ist. Außerdem hatten wir ausdrücklich abgesprochen, dass das Eigentum am Flügel erst dann auf ihn übergehen soll, wenn der Kaufpreis vollständig entrichtet ist. An der Wohnungstür ist im Übrigen auch mein Namensschild angebracht, Fritz und ich haben jeder ein eigenes Schlafzimmer mit unseren persönlichen Sachen; Wohnzimmer, Küche und Bad benutzen wir gemeinsam. Auf dem Flügel spielen wir beide. Als ich am folgenden Tage den mit mir befreundeten Jurastudenten Albert aufsuchte und ihm diesen Vorgang berichtete, sagte er mir, dass die Pfändung jedenfalls aus zwei Gründen rechtswidrig sei. Zum einen sei nicht nur Fritz, sondern auch ich (Mit-)Besitzer des Flügels, da er von uns gemeinschaftlich benutzt wird und im gemeinsamen Wohnzimmer steht. Zum anderen hätte ich an dem Instrument, auch wenn es an Fritz verkauft worden ist, immer noch eine Art Sicherungseigentum, das gerade den Zweck verfolge, für meine Kaufpreisforderung als Sicherheit zu dienen. Albert riet mir, mich zunächst einmal direkt an den Rechtsanwalt von Gerlinde zu wenden, um ihn über den Irrtum des Gerichtsvollziehers Gustav aufzuklären, und auf den Rechtsanwalt dahingehend einzuwirken, die Pfändung rückgängig zu machen. Notfalls müsse ich wegen des Vorgehens des Gerichtsvollziehers Gustav und in Anbetracht meines nach wie vor bestehenden Eigentums an dem Flügel Rechtsbehelfe einlegen. Als ich, diesem Rat folgend, Rechtsanwalt Hubertus, den Bevollmächtigten der Gerlinde, aufsuchte und ihm den Fall schilderte, wies er mein Ansinnen, die Pfändung rückgängig zu machen, weit von sich und meinte, 3
die Rechtsausführungen meines Freundes Albert seien völlig abwegig. Rechtsbehelfe nebeneinander könne ich wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses ohnehin nicht einlegen. Abgesehen davon sprächen aber auch materiell-rechtliche Gründe gegen einen Erfolg. Die Pfändung des Flügels sei nämlich schon deshalb rechtmäßig, weil Fritz als Schuldner Alleinbesitzer des Instrumentes und ich allenfalls Besitzdiener sei. Auch der Einwand, ich sei noch Eigentümer des Flügels, gehe fehl. Denn es komme entscheidend nicht auf die formaljuristische, sondern auf die wirtschaftliche Betrachtung der Eigentumsverhältnisse an. Insoweit sei aber eindeutig, dass Fritz von mir den Flügel gekauft habe, wobei die Kaufpreisbegleichung durch Aufrechnung mit den Mietzinsbeträgen und durch Ratenzahlungen erfolgen solle. Dies bedeute aber, dass wirtschaftlich das Instrument als dem Vermögen des Fritz zugehörig anzusehen sei, auch wenn formalrechtlich das Eigentum noch mir zustehen sollte. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Parallele zum Sicherungseigentum hinzuweisen. Hans bittet Rechtsanwalt Dr. Kurt zu prüfen, welche Rechtsbehelfe er mit Aussicht auf Erfolg einlegen könne. Ihn interessieren in diesem Zusammenhang auch etwaige Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes. 1. Was wird Dr. Kurt Hans antworten? 2. Angenommen, Hans erwirkt noch keine Aufhebung der Pfändung des Flügels. Welches weitere Vorgehen wäre für diesen Fall Gerlinde anzuraten, um dennoch auf das Instrument, das Fritz erheblich unter dem Verkehrswert von Hans gekauft hat, zugreifen zu können, wenn Hans nur noch Saxophon spielt und daher in erster Linie sein Geld will? 4
II. Zusatzfragen ZPO-Unirep Sommersemester 2010, Prof. Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. 1) K will B verklagen a) auf Zahlung von 5.000 nebst 300 Zinsen hieraus für 2007. b) auf Zahlung von 5.000 Kaufpreiszahlung sowie 300 als restliche Zinsen aus einem schon zurückbezahlten Darlehen. c) auf Zahlung von 7.600 Mietrückständen aus einem Wohnraummietvertrag. Welches Gericht ist zuständig? 2) K (wohnhaft in Köln) gewährt B (wohnhaft in Bonn) ein Darlehen von 20.000. Zur Sicherheit bestellt B dem K an seinem Grundstück in Augsburg eine Grundschuld. B und K sind Kaufleute. Vor einiger Zeit haben sie vereinbart, dass für alle ihre Streitigkeiten das LG Bonn zuständig sein soll. Demgemäß klagt K gegen B beim LG Bonn aus der Grundschuld und aus dem Darlehensvertrag. Ist die Klage zulässig? 3) K kauft von V Waren für 3.000. Zur Zahlung gibt K einen Wechsel an V. V stützt seine Zahlungsklage auf den Wechsel. Später, vor Erlass eines Urteils, erhebt er Klage aus dem Kaufvertrag. Ist die zweite Klage zulässig? 4) K verkauft B Heizöl; der Kaufpreis beträgt 15.000. Nachdem B das Öl im folgenden Winter verbraucht hat, klagt K auf Zahlung des Kaufpreises. Im Laufe des Prozesses stellt sich heraus, dass B beim Abschluss des Vertrages geschäftsunfähig war. K verlangt nunmehr Zahlung aus ungerechtfertigter Bereicherung und möchte zudem Verzugszinsen seit Klageerhebung geltend machen; B meint, das könne K nicht so ohne weiteres in den Prozess einbringen. Wie ist die Rechtslage? 5) B beschädigt mit seinem PKW einen Gartenzaun und eine alte Eiche, die beide K gehören. K will den Zaun erst in einigen Jahren reparieren lassen, wenn er seinen Garten vollständig umgestalten wird. Die tote Eiche möchte er aber bereits früher fällen lassen. B bestreitet die Schadenshöhe. K erwägt nun, für einen späteren Prozess jetzt schon über die Schadenshöhe ein privates schriftliches Gutachten einzuholen. Was ist dem K zu raten? 6) Welche Verfahrensprinzipien kennt die ZPO? 5