Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Wirtschaftsunternehmen



Ähnliche Dokumente
Verfassungsrechtliche Grundlagen des Strafrechts Das Bestimmtheitsgebot

Korruption im Unternehmen Gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung eines Präventivsystems

Charakteristikum des Gutachtenstils: Es wird mit einer Frage begonnen, sodann werden die Voraussetzungen Schritt für Schritt aufgezeigt und erörtert.

Unternehmerverantwortlichkeit und Strafrecht. Frank im Sande, Staatsanwaltschaft Braunschweig 1

Lösung Fall 8 Anspruch des L auf Lieferung von Panini á 2,-

U R T E I L S A U S Z U G

Privatrecht I. Jur. Assessorin Christine Meier. Übung Privatrecht I

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Konversatorium Strafrecht III Nichtvermögensdelikte

Wie funktioniert ein Mieterhöhungsverlangen?

Gutes Leben was ist das?

Lösungsstichworte zu den Handelsregister-Fällen. Zu Fall 1: Anspruch des K gegen V auf Lieferung des Safts ( 433 I BGB)

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Newsletter Immobilienrecht Nr. 10 September 2012

Bei der Tagung werden die Aspekte der DLRL aus verschiedenen Perspektiven dargestellt. Ich habe mich für die Betrachtung der Chancen entschieden,

Inhalt. Einführung in das Gesellschaftsrecht

Inhalt. Basiswissen Gesellschaftsrecht. I. Grundlagen 7

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

Risikomanagement Gesetzlicher Rahmen SAQ Sektion Zürich: Risikomanagement ein Erfolgsfaktor. Risikomanagement

Befristung Inkrafttreten des TzBfG BeschFG Abs. 1; TzBfG 14 Abs. 2 Satz 1 und 2

FRAGE 39. Gründe, aus denen die Rechte von Patentinhabern beschränkt werden können

18: Weitere Delikte gegen die persönliche Freiheit

HAFTUNG AUS FEHLERHAFTEN GUTACHTEN

Wirtschaftsstrafrecht Besonderer Teil Juniorprofessor Dr. Isfen

BeurkG 16, 13 Abs. 1 S. 1 Umfang der Übersetzung einer Niederschrift für einen Sprachunkundigen. I. Sachverhalt. II. Fragen

DNotI. Fax - Abfrage. GrEStG 1 Abs. 3 Anteilsvereinigung bei Treuhandverhältnissen. I. Sachverhalt:

40-Tage-Wunder- Kurs. Umarme, was Du nicht ändern kannst.

wegen unentschuldigter Fehltage in der Berufsschule oder fehlender Bereitschaft zur Eingliederung in die betriebliche Ordnung

Internet- und -Überwachung in Unternehmen und Organisationen

infach Geld FBV Ihr Weg zum finanzellen Erfolg Florian Mock

Lassen Sie Geldwäscher nicht in ihr Unternehmen

Der ohne sachlichen Grund befristete Arbeitsvertrag

Rechtliche Grundlagen im WRD

DAS NEUE GESETZ ÜBER FACTORING ( Amtsblatt der RS, Nr.62/2013)

Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht FS 2016

Professor Dr. Peter Krebs

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

D i e n s t e D r i t t e r a u f We b s i t e s

Womit beschäftigt sich Soziologie? (1) Verschiedene Antworten:

Das Leitbild vom Verein WIR

Es gilt das gesprochene Wort. Anrede

Gesetzesänderungen «Nominee», Entwurf

Rechtliche Informationen zu Hochwild-Hegegemeinschaften. von LJV-Justiziar Rechtsanwalt Klaus Nieding

Das Persönliche Budget in verständlicher Sprache

Alle gehören dazu. Vorwort

Haftung im Umgang mit Chemikalien Verwaltungsstrafrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit Verantwortlichkeiten nach Chemikalienrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

RABE Akademie Ltd Gesetzesaufbau. Verfassung = Grundgesetz. Gesetze Entstanden im Gesetzgebungsverfahren

Was taugt der Wertpapierprospekt für die Anlegerinformation?

Kann K von V die Übertragung des Eigentums am Grundstück verlangen?

Das große ElterngeldPlus 1x1. Alles über das ElterngeldPlus. Wer kann ElterngeldPlus beantragen? ElterngeldPlus verstehen ein paar einleitende Fakten

Liechtensteinisches Landesgesetzblatt

Eva Douma: Die Vorteile und Nachteile der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit

Rechtspflege. Stand: Statistisches Bundesamt

Was ist Sozial-Raum-Orientierung?

Nachstellung (Stalking) 238 n. F.

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten. Wenn ein Pflichtteilsanspruch besteht, muss dieser auch durchgesetzt werden können.

Abschnitt I: Einführung Grundlagen und Bezugsrahmen des Jugendstrafrechts

Christina Klein. So reagieren Sie auf eine Abmahnung. interna. Ihr persönlicher Experte

RECHT AKTUELL. GKS-Rechtsanwalt Florian Hupperts informiert über aktuelle Probleme aus dem Beamten- und Disziplinarrecht

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Punkte Flensburg System: Punktesystem - Warum gibt es das Punktesystem?

Dossier D2 Kommanditgesellschaft

Die richtige Rechtsform im Handwerk

Die rechtsformunabhängige Revisionspflicht

EHESCHEIDUNG NACH DEM POLNISCHEN RECHT

Haftung des Telearbeiters gegenüber dem Arbeitgeber

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

DER GEWERBERECHTLICHE GESCHÄFTSFÜHRER

Copyright 1997 Kammer der Wirtschaftstreuhänder All rights reserved

Mitteilung der Kommission. Muster für eine Erklärung über die zur Einstufung als KMU erforderlichen Angaben (2003/C 118/03)

1 MIO ÖSTERREICHISCHE SKIFAHRER SCHÜTZEN SICH BEREITS MIT HELM - UM MEHR ALS IM VORJAHR

Primzahlen und RSA-Verschlüsselung

Anwendungskurs Strafrecht Allgemeiner Teil II und Eigentumsdelikte. - Fahrlässigkeit -

Schärfere Haftung in Sachen Umwelt.

Häufig wiederkehrende Fragen zur mündlichen Ergänzungsprüfung im Einzelnen:

B. Erpressung ( 253 StGB)

Nicht über uns ohne uns

Umfrage: In Deutschland liegt viel Gründerpotential brach

Satzung über den Anschluss der Grundstücke an die öffentliche Wasserversorgungsanlage und deren Benutzung in der Stadt Freiburg i. Br.

Fehler und Probleme bei Auswahl und Installation eines Dokumentenmanagement Systems

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

Privatinsolvenz anmelden oder vielleicht sogar vermeiden. Tipps und Hinweise für die Anmeldung der Privatinsolvenz

Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Provider in der Schweiz (im Zusammenhang mit illegalen Internet-Inhalten)

Der Schutz von Patientendaten

Beschluss vom 22. April 2015 Beschwerdekammer

das usa team Ziegenberger Weg Ober-Mörlen Tel Fax: mail: lohoff@dasusateam.de web:

Bundesgesetz über eine Anpassung des DBG und des StHG an die Allgemeinen Bestimmungen des StGB

(Ihre Anspruchsprüfung beginnt stets mit dem Obersatz: Wer will was von wem woraus? )

Das NEUE Leistungspaket der Sozialversicherung. Mehr Zahngesundheit für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr. Fragen und Antworten

ÜBERSETZUNG. Geschäftsverzeichnisnr Urteil Nr. 108/2001 vom 13. Juli 2001 U R T E I L

2. Hat die in 1 bezeichnete Sache einen bedeutenden Wert, wird der Täter mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Offenlegung von Abschlussunterlagen. I. Größenklassen und Offenlegungspflichten

Verjährungsfalle Gewährleistungsbürgschaft. -Unterschiedliche Verjährungsfristen für Mängelansprüche und Ansprüche aus der Gewährleistungsbürgschaft

Letzte Krankenkassen streichen Zusatzbeiträge

GPA-Mitteilung Bau 5/2002

Wir, gewählter Oberster Souverän von Gottes Gnaden, Treuhänder des

Transkript:

Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Wirtschaftsunternehmen von Stefan Wehrenberg lic. iur., Rechtsanwalt Zürich, im April 2008 501550/0599629.doc

I. Einleitung 3 II. Strafbarkeit des Unternehmens 5 1. Societas delinquere non potest 5 2. Motivation zur Einführung der Unternehmensstrafbarkeit 6 III. Subsidiäre Strafbarkeit 7 1. Strafgrund - worum geht es? 7 2. Anlasstat 8 2.1 Generelle Anlasstäterschaft 9 2.2 Additiv verwirklichte Anlasstat 10 3. In einem Unternehmen 11 4. In Ausübung geschäftlicher Verrichtung 12 5. Im Rahmen des Unternehmenszwecks 12 6. Fehlende Zurechnungsmöglichkeit an eine natürliche Person 13 7. Organisationsmangel 14 IV. Originäre Verantwortlichkeit 15 1. Überblick 15 2. Originäre bzw. kumulative Strafbarkeit 16 3. Geforderte organisatorische Vorkehren 18 4. Sorgfalt bei Auswahl, Instruktion und Überwachung 21 5. Konkretisierung der organisatorischen Massnahmen 21 V. Strafmass und Strafzumessung 22 1. Überblick 22 2. Sanktionen 22 3. Strafzumessungskriterien 25 VI. Unternehmensbegriff 26 1. Unternehmen im Sinne des Gesetzes 26 2. Juristische Personen des Privatrechts (lit. a) 27 3. Juristische Personen des öffentlichen Rechts (lit. b) 27 4. Gesellschaften (lit. c) 28 5. Einzelfirmen (lit. d) 28 VII. Ausblick 29 Literatur und Materialien 31 0599629.doc 2/31

I. Einleitung Mit Urteil vom 5. Januar 2005 haben die Freiburger Untersuchungsbehörden erstmals in der Schweiz ein Unternehmen gestützt auf Art. 102 StGB zur Zahlung einer Busse verurteilt 1. Gestützt auf Art. 102 Abs. 1 StGB haben die Freiburger Untersuchungsbehörden die Y. SA mit Strafmandat zur Bezahlung einer Busse von CHF 3'000.-- verurteilt, weil für die Geschwindigkeitsübertretung von 162 km/h in einer Zone mit erlaubten 100 km/h, begangen von einer unbekannten natürlichen Person mit einem Firmenfahrzeug der Y. SA, nur deswegen nicht der tatsächliche Fahrzeuglenker zur Rechenschaft gezogen werden konnte, weil es nicht feststellbar war, welcher Mitarbeiter der Y. SA das Fahrzeug zur Tatzeit gelenkt hatte. Bei diesem soweit ersichtlich bisher einzigen, gestützt auf Art. 102 StGB ergangenen Urteil handelt es sich grundsätzlich um einen untypischen Fall. Der Gesetzgeber hatte wohl kaum die Bestrafung von Verkehrsdelikten mit Firmenfahrzeugen vor Augen, als er die Strafbarkeit des Unternehmens im Rahmen der Vorlage betreffend die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus per 1. Oktober 2003 eingeführt hat 2. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber wohl um die Schliessung einer Strafbarkeitslücke, welche in der Schweiz vor allem mit dem Fall Schweizerhalle/Sandoz veranschaulicht wird. In diesem Fall ging es darum, dass im November 1986 in einer Lagerhalle der Sandoz AG in Schweizerhalle bei Basel insgesamt 1'246 Tonnen agrochemische Produkte und andere, teilweise giftige Chemikalien verbrannten. Mangels eines Auffangbeckens floss dabei das bei der Brandbekämpfung verwendete, chemisch durchsetzte Löschwasser ungefiltert in den Rhein. Daraufhin kam es zum Tod von 1 2 Vgl. die Ordonnance Pénale vom 5. Januar 2005, RFJ 2005, S. 59, Nr. 21. Vgl. Botschaft des Bundesrates betr. die internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus und zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung des Strafgesetzbuches und die Anpassung weiterer Bundesgesetze vom 26. Juni 2002, BBl 2002 IV 5390, 5437 ff.; AS 2003 3043, 3047. 0599629.doc 3/31

hunderttausenden von Fischen sowie weiterer Kleinlebewesen und nicht zuletzt auch zu einer Gefährdung des Trinkwassers in Deutschland wie auch in den Niederlanden. Zudem entstand durch die Verbrennungsrückstände eine übel riechende Wolke, welche die Basler Bevölkerung zum Teil noch 24 Stunden nach Brandausbruch belästigte. Die in der Folge eingeleitete Strafuntersuchung musste eingestellt werden, weil einerseits in den Hauptpunkten keinerlei hinreichenden Beweise zur Brandursache festegestellt werden konnten und andererseits weil kein strafrechtlich relevantes Individualverschulden nachgewiesen werden konnte. Mit grossem Unverständnis wurde von Medien und Bevölkerung quittiert, dass lediglich der Chef des Werksicherheitsdienstes sowie der Einsatzleiter der Werkfeuerwehr schuldig gesprochen und zu Bussen von CHF 500.-- bzw. CHF 200.-- verurteilt wurden 3. Per 1. Oktober 2003 wurde mit dem damals als Art. 100 quater StGB eingeführten Straftatbestand zur Unternehmensstrafbarkeit, seit der Einführung des neuen allgemeinen Teils zum Strafgesetzbuch am 1. Januar 2007 als Art. 102 StGB im Gesetz verankert, die Strafbarkeit der Unternehmen in zwei Formen eingeführt. Einerseits sind Unternehmen wie im Fall des Verkehrsdelikts subsidiär für mangelhafte Organisation verantwortlich (vgl. dazu Art. 102 Abs. 1 StGB) und andererseits soll das Unternehmen bei bestimmten, im Gesetz einzeln aufgeführten Tatbeständen auch originär bzw. kumulativ neben einem individuellen Täter strafrechtlich verantwortlich gemacht werden (vgl. Art. 102 Abs. 2 StGB). In der Folge sollen nun die Formen der subsidiären (III.) wie auch der originären (IV.) Verantwortlichkeit mit ihren Rechtsfolgen dargestellt werden. Den verschiedenen aufzuzeigenden Elementen wird dabei eine persönliche Einschätzung oder auch Kritik folgen. 3 Vgl. dazu etwa FORSTER, S. 4 f.; HEINE, ZStrR 2003, S. 25 f.; Botschaft zur Änderung des schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl 1999 2140. 0599629.doc 4/31

Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem kurzen Ausblick auf die weitere Entwicklung des Unternehmensstrafrechts in der Schweiz (VII.). II. Strafbarkeit der Unternehmen? 1. Societas delinquere non potest Während langer Zeit galt die Maxime societas delinquere non potest, die Gesellschaft kann kein Delikt begehen, als ungeschriebener Grundsatz des kontinentaleuropäischen Rechts. Der Ausschluss der Gesellschaft als Strafsubjekt geht vermutlich auf den Einfluss des römischen Rechts zurück, wo Vorstellungen von juristischen Personen nur ansatzweise bestanden 4. Die Einführung der Unternehmensstrafbarkeit gemäss Art. 100 quater StGB/Art. 102 StGB am 1. Oktober 2003 stellt mithin einen eigentlichen Paradigmenwechsel im schweizerischen Strafrecht dar 5. Die Schwierigkeit ist dabei, dass Unternehmen durch Kompetenzaufteilung, Delegation, Dezentralisierung und funktionale Differenzierung bzw. Aufgabenverteilung gekennzeichnet sind. Ereignet sich bei einem komplexen Wirtschaftsunternehmen eine Straftat, lässt sich deren Verantwortlicher aufgrund dieser Strukturen oftmals nicht feststellen. Damit versagt bei komplexen Arbeitsabläufen, bei denen Entscheidung und Handlung auseinanderfallen, das Konzept des Individualstrafrechts, da objektive und subjektive Tatbestandselemente aufgrund der Komplexität des Unternehmens und des Handlungsablaufs wenn überhaupt häufig nur verschiedenen Personen nachgewiesen werden, ohne dass eine gemeinschaftliche Tatbegehung im strafrechtlichen Sinne belegt werden könnte. Je grösser und komplexer das Unternehmen, dessen Arbeitsabläufe und dessen Organisation, umso wahrscheinlicher kann ein allfälliges Delikt nicht einem einzelnen strafrechtlich Verantwortlichen zugerechnet werden. Mit Günter Heine kann vom Zu- 4 5 Vgl. MACALUSO, N 31 f. Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 9; HEINE, ZStrR 2003, 25 ff. 0599629.doc 5/31

stand der organisierten individuellen Unverantwortlichkeit 6 gesprochen werden. Ausserdem können Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit als subjektiver Tatbestand strafrechtlich ungenügend nachgewiesen werden, weil keine der handelnden natürlichen Personen einen Gesamtüberblick über die Abläufe hat und sie damit auch keine Tatverantwortlichkeit i.s. des Wissens und Wollens treffen kann 7. 2. Motivation zur Einführung der Unternehmensstrafbarkeit Nachdem lange Zeit über die Unternehmensstrafbarkeit diskutiert wurde 8, war das Unglück von Schweizerhalle der eigentliche Auslöser für die gesetzgebende Tätigkeit. Das Unternehmensstrafrecht wird daher teilweise auch als "Lex Schweizerhalle" bezeichnet 9. Festzustellen ist indes, dass das heutige Unternehmensstrafrecht gerade auf Sachverhalte wie Schweizerhalle nicht anwendbar ist, weil das Umweltschutzgesetz und das Gewässerschutzgesetz das Verwaltungsstrafrecht (vgl. Art. 7) für anwendbar erklären 10. Der Hauptgrund zur Einführung des Unternehmensstrafrechts liegt allerdings in der Angst vor der organisierten Kriminalität. So führte das sog. zweite Massnahmenpaket gegen Geldwäscherei und organisiertes Verbrechen im Jahre 1991 zu den ersten Entwürfen. Nach starker Kritik am Vorentwurf 1991 11 wurde die strafbare Unternehmenshaftung aus dem Massnahmenpaket gestrichen, um nicht das ganze Gesetzgebungspaket zu gefährden 12. Damit wurde das Unternehmensstrafrecht in die Revision des allgemeinen Teils StGB verschoben. Als dann aber die Schweiz 1999 die OECD-Konvention über die Bekämpfung der Bestechung aus- 6 7 8 9 10 11 12 HEINE, ZStrR 2003, S. 31. Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 8; FORSTER, S. 2; WOHLERS, SJZ 2000, S. 382; LÜTOLF, S. 26; HEINE, Verantwortlichkeit, S. 44, 100 ff. Zur Entwicklung vgl. etwa HEINE, ZStrR 2003, 25 ff. und LÜTOLF, S. 26 ff. Vgl. ROTH, SJ 2003, S. 193. Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 13. Vgl. etwa LÜTOLF, S. 204 f. Vgl. FORSTER, S. 65; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 16. 0599629.doc 6/31

ländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr 13 unterzeichnete, war man aufgrund dessen Art. 2 über die Verantwortlichkeit juristischer Personen verpflichtet, "die erforderlichen Massnahmen (einzuführen), um die Verantwortlichkeit juristischer Personen für die Bestechung eines ausländischen Amtsträgers zu begründen". Zusammen mit dem schon erwähnten UNO-Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (vgl. Fn 4) wurde das Unternehmensstrafrecht im Jahre 2002 aus der Vorlage des revidierten AT StGB herausgelöst und als Art. 100 quater sowie 100 quinquies StGB vorgezogen und bereits per 1. Oktober 2003 in Kraft gesetzt 14. III. Subsidiäre Strafbarkeit 1. Strafgrund - Worum geht es? Gemäss Art. 102 Abs. 1 StGB wird ein Unternehmen bestraft, wenn in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen im Rahmen des Unternehmenszwecks ein Verbrechen oder Vergehen begangen wird und diese Tat wegen mangelhafter Organisation des Unternehmens keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. In diesem Fall wird die Tat dem Unternehmen zugerechnet und das Unternehmen mit einer Busse von bis zu CHF 5 Mio. bestraft. Entgegen dem Wortlaut, der einem Glauben machen könnte, dass es um eine blosse Zurechnungsnorm geht, wird dem Unternehmen nicht die Begehung der Straftat 13 14 Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (SR 0.311.21; in Kraft getreten für die Schweiz am 30. Juli 2000). Vgl. FORSTER, S. 69; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 17. 0599629.doc 7/31

oder der Umstand, dass diese nicht verhindert worden ist, vorgeworfen, sondern vielmehr die mangelhafte Organisation des Unternehmens selbst 15. Notwendig ist mithin das Vorliegen einer sog. Anlasstat. Diese Anlasstat (vgl. dazu sogleich 2.) muss ein Vergehen oder Verbrechen sein, das im Rahmen des Unternehmenszwecks zwar von einer natürlichen Person begangen worden ist, dieser aber nicht zugerechnet werden kann, weil sie nicht feststellbar oder die feststellbare natürliche Person nicht im strafrechtlichen Sinne verantwortlich gemacht werden kann. Das Unternehmen wird dann dafür bestraft, dass es seine Organisation nicht dergestalt ausgerichtet hat, dass die Verantwortlichkeiten von Entscheidung und Handlung klar und nachverfolgbar, mithin einzelnen Personen zurechenbar sind. Damit lehnt sich die Struktur des Delikts deutlich an die Fahrlässigkeitsdelikte i.s. von Art. 12 Abs. 3 StGB an, wird der Organisationsmangel normalerweise doch nicht vorsätzlich, sondern durch pflichtwidrige Unvorsichtigkeit bei der Unternehmensorganisation fahrlässig bewirkt 16. 2. Anlasstat Wie vorstehend dargelegt, braucht es ein Verbrechen oder Vergehen i.s. von Art. 10 Abs. 2 und 3 StGB als Anlasstat. Ausgeschlossen sind mithin Übertretungen. Diese Unterscheidung führt dazu, dass auch Delikte als taugliche Anlasstaten in Frage kommen, die man sich ursprünglich nicht vorgestellt hat, als man die Unternehmensstrafbarkeit im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen und der Terrorismusbekämpfung eingeführt hat,. Als Beispiel mag die grobe Verkehrsregelverletzung dienen, die denn auch zum ersten Urteil und zur ersten Strafe gestützt auf das Unternehmensstrafrecht geführt hat 17. 15 16 17 Vgl. dazu etwa FORSTER, S. 204; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 51 m.w.h. Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 52; Arzt, recht 2004, S. 213 f. Vgl. den Entscheid der Fribourger Strafbehörden vom 5. Januar 2005, RFJ 2005, S. 59. 0599629.doc 8/31

Aus dem Wort "begangen" ist zu schliessen, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen, damit ein Delikt als Anlasstat i.s. von Art. 102 Abs. 1 StGB qualifiziert werden kann. Würde man bspw. auf das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale verzichten, würde es sich um eine reine Kausalhaftung (strict liability) und nicht um eine Verschuldenshaftung handeln, wie sie mit der Vorlage angestrebt war 18. Während sich hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale keine Unterschiede zwischen dem Individualstrafrecht und dem Unternehmensstrafrecht ergeben, ist der Nachweis der subjektiven Tatbestandsmerkmale im Unternehmen deutlich schwieriger, was das eigentliche Problem der Unternehmensstrafbarkeit überhaupt wie auch der subsidiären Verantwortlichkeit gemäss Art. 102 Abs. 1 StGB darstellt. Vorausgesetzt ist nach dieser Bestimmung nämlich, dass die Tat keiner natürlichen Person zugerechnet werden kann, gleichzeitig ist aber auch verlangt, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Anlasstat erfüllt werden. Damit das Erfordernis der erfüllten subjektiven Tatbestands gleichwohl vorliegen kann, muss dieser entweder mittels normativer Zuschreibung der subjektiven Tatbestandselemente im Sinne der generellen Anlasstäterschaft konstruiert werden oder es muss akzeptiert werden, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandselemente von verschiedenen Personen erfüllt und als im Unternehmen kollektiv erfüllt qualifiziert werden 19. 2.1 Generelle Anlasstäterschaft Bei der generellen Anlasstäterschaft wird aus der Anlasstat und den mit ihr verbundenen äusseren Umständen normativ auf das Bestehen der subjektiven Tatbestandsmerkmale geschlossen, die dann einer unbestimmten, eben einer generellen, 18 19 Vgl. DONATSCH/TAG, S. 383; FORSTER, S. 160; HEINE, ZStrR 2003, S. 30 und 33; BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, S. 2141. Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 56 ff. mit zahlreichen Hinweisen; HEINE, ZStrR 2003, S. 32. 0599629.doc 9/31

natürlichen Person als Anlasstäter zugeschrieben werden (auch als subsidiärindividueller Ansatz bezeichnet) 20. Wesentliches Merkmal der Theorie der generellen Anlasstäterschaft ist mithin, dass von der Tatbestandsmässigkeit und der Rechtswidrigkeit auf das Bestehen der subjektiven Tatbestandselemente geschlossen wird. Das Problem dieses Ansatzes ist, dass er grundsätzlich dort versagen muss, wo es wesentlich auf die inneren Beweggründe eines Individualtäters ankommt, mithin die Figur der Verallgemeinerung versagen muss. 2.2 Additiv verwirklichte Anlasstat Beim Ansatz der additiv verwirklichten Anlasstat wird zugelassen, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandselemente nicht von einer einzelnen Person erfüllt werden, sondern dass es genügt, wenn alle Tatbestandselemente vom Unternehmen kollektiv erfüllt werden 21. Mithin geht es um die Verantwortung des Unternehmens für summiertes, individuelles Fehlverhalten seiner Mitarbeiter, weshalb dieser Ansatz auch als subsidiär-kollektiver Ansatz bezeichnet wird 22. Hinsichtlich der subjektiven Tatbestandselemente heisst dies insbesondere, dass diese dem Unternehmen zugeschrieben werden, wenn im Unternehmen als Ganzes das erforderliche Wissen vorhanden war. Wenn bspw. wie im Fall Schweizerhalle gesagt werden muss, dass in einem Unternehmen und sei es verteilt auf verschiedene Personen und Organisationseinheiten das Wissen um die Risiken und die erforderlichen Sicherheitsmassnahmen vorhanden ist, dann gilt dies als im Kollektiv des Unternehmens vorhanden. Der Ansatz der subsidiär-kollektiven Verantwortlichkeit verlangt vom Unternehmen mithin die betriebliche Sorgfalt, eine komplexe Organisation so einzurichten, dass sich bestimmte betriebstypische Risiken nicht in Taten verwirklichen, für welche die strafrechtliche Verantwortung natürlicher Personen nicht im vornherein klar zugewiesen ist. 20 21 22 Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 32; HEINE, recht 2005, S. 6; MACALUSO, N 715, 808, 859 ff.; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 57. Vgl. HEINE, recht 2005, S. 6; HEINE, ZStrR 2003, S. 32 f.; FORSTER, S. 167 ff. Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 32. 0599629.doc 10/31

An der Theorie der additiven Zurechnung wird vor allem kritisiert, dass sie ausser Acht lässt, dass nur Individuen, nicht aber Unternehmen einen Willen haben und handlungsfähig sind. Kritisiert wird auch, dass sie nicht berücksichtigt, dass der Gesetzeswortlaut deutlich zwischen individueller Anlasstat und Organisationsmangel unterscheidet. Daraus ziehen etwa Niggli/Gfeller den Schluss, dass die additive Zurechnung jedenfalls bei Vorsatzdelikten problematisch ist, weil die Strafbarkeit des Unternehmens immer an das strafbare Verhalten einer natürlichen Person anknüpft und dass die Idee der generellen Anlasstäterschaft demgegenüber zu keinen fundamentalen Problemen führen 23. Persönlich finde ich den Ansatz der additiven Zurechnung einleuchtender, weil ein Unternehmen gerade deswegen verantwortlich gemacht werden soll, weil es aufgrund schlechter Organisation der arbeitsteiligen Prozesse nicht in der Lage ist, die Verantwortlichkeit so zu regeln, dass jeweils klar ist, welche individuelle Person für welchen Ablauf strafrechtlich verantwortlich ist. Dass man bei einer Straftat, die quasi arbeitsteilig durch verschiedene einzelne Beiträge zustande gekommen ist, die einzelnen Bestandteile wieder zusammenrechnet und dann die Organisation, in deren Interesse der arbeitsteilige Ablauf stattgefunden hat, zur Verantwortung zieht, erscheint mir einfacher nachvollziehbar. Die künstliche Einführung einer "generellen, natürlichen Person als Anlasstäter" erscheint mir dagegen als etwas weltfremdes Konstrukt. 3. In einem Unternehmen Gemäss Wortlaut des Gesetzes ist es notwendig, dass die Anlasstat "in einem Unternehmen" begangen wird. Mit anderen Worten vermag nicht jedes Delikt die Strafbarkeit des Unternehmens für Organisationsdefizite auszulösen, sondern nur eines, das von einem Anlasstäter begangen wird, der organisatorisch in das Unternehmen eingebunden ist. Erfasst werden mithin Organe, Gesellschafter oder Mit- 23 Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 61. 0599629.doc 11/31

arbeiter, seien sie vertraglich, gesellschaftsrechtlich oder auch faktisch als dem Unternehmen zugehörig zu betrachten. Nicht relevant ist dabei die hierarchische Stellung innerhalb des Unternehmens 24. 4. In Ausübung geschäftlicher Verrichtung Ausserdem muss die Anlasstat "in Ausübung geschäftlicher Verrichtung" des Unternehmens geschehen. Verlangt wird mithin ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Anlasstat und der geschäftlichen Betätigung des Unternehmens. Nicht tatbestandsmässig ist es also, wenn sich Delikte im Kollektiv ereignen, die keiner geschäftlichen Verrichtung nachgehen, wie etwa eine Wohngemeinschaft oder ein nicht kommerzieller Sportverein 25. Verlangt ist, dass eine minimale wirtschaftliche Tätigkeit besteht. Nicht wesentlich ist hingegen, ob das Unternehmen gewinnstrebig oder die Tätigkeit auf Dauer angelegt ist. Jede auf Herstellung oder Austausch von Gütern, das Erbringen von dienstleistungerichteter Tätigkeit, einschliesslich der Vermögensverwaltung, qualifiziert als geschäftliche Aktivität. Bei dieser Aktivität muss es sich auch nicht um das primäre Tätigkeitsfeld eines Unternehmens handeln, vielmehr genügt eine Tätigkeit, die mit den Aktivitäten des Unternehmens in Zusammenhang steht 26. 5. Im Rahmen des Unternehmenszwecks Allerdings erfasst Art. 102 StGB nur solche geschäftliche Verrichtungen, die im Rahmen des Unternehmenszwecks erfolgen. Das Kriterium bezieht sich auf illegale, mit dem legalen Zweck des Unternehmens in einem funktionalen Zusammenhang stehende Handlungen 27. Nach der herrschenden Lehre gehören zu den geschäftlichen Verrichtungen im Rahmen des Unternehmenszwecks nur betriebs- 24 25 26 27 Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 63 ff.; DONATSCH/TAG, S. 381; MACALUSO, N 727; FORSTER, S. 156 f. Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 76; DONATSCH/TAG, S. 384 f. Vgl. FORSTER, S. 101 und 192; MACALUSO, N 746 f. Vgl. DONATSCH/TAG, S. 384; FORSTER 192 f.; MACALUSO, S. 758 f. 0599629.doc 12/31

typische Gefahren 28. Was betriebstypisch ist, lässt sich nicht einfach definieren. Die betriebstypischen Risiken sind jedenfalls für jede Art von Unternehmen individuell zu bestimmen. Zumindest sind sie dann anzunehmen, wenn mit der Unternehmenstätigkeit besondere Gefahren verbunden sind oder die unternehmerische Tätigkeit besonders überwachungsbedürftig ist. Als betriebstypisch müssen mithin alle Handlungen gelten, die der Verfolgung des Unternehmenszwecks dienen, sei es mittelbar oder unmittelbar, oder der Verfolgung des Unternehmenszwecks dienen können. So ist bei Dienstleistern in der Finanzbranche etwa mit Vermögens-, Urkunden- und Geldwäschereidelikten zu rechnen, während bei Bauunternehmen vor allem Gefährdungsdelikte nach Art. 227 ff. StGB, Delikte gegen Leib und Leben sowie Korruption denkbar erscheint 29. 6. Fehlende Zurechnungsmöglichkeit an eine natürliche Person Weiter setzt Art. 102 Abs. 1 StGB voraus, dass die Anlasstat keiner bestimmten natürlichen Person zugerechnet werden kann. Mithin soll das Unternehmen nur dann bestraft werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden die konkrete Straftat nicht einer bestimmten natürlichen Person aus dem Umfeld des Unternehmens strafrechtlich verantwortlich machen können und dies auf eine mangelhafte Organisation des Unternehmens zurückzuführen ist. Mithin bildet die "Nichtzurechenbarkeit" den Erfolg des Unternehmensdelikts und muss einen Organisationsmangel im Unternehmen zur Ursache haben. Allerdings setzt die subsidiäre Verantwortung des Unternehmens voraus, dass die Strafverfolgungsbehörden alle notwendigen Untersuchungshandlungen durchgeführt und die Ermittlungen mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt haben. Wenn danach erstellt ist, dass auch mit 28 29 Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 36; FORSTER, S. 193 ff.; DONATSCH/TAG, S. 384. Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 90 ff.; vgl. auch HEINE, ZStrR 2003, S. 35. 0599629.doc 13/31

weiteren Ermittlungen kein Individualstraftäter ausfindig gemacht werden kann, kann die Unternehmensstrafbarkeit geprüft werden 30. 7. Organisationsmangel Wesentlich ist nun, dass das Unternehmen nicht dafür bestraft wird, dass die Anlasstat nicht zugerechnet werden kann, sondern vielmehr deswegen, dass ihre mangelhafte Organisation eine solche Zurechnung der betriebstypischen Risiken zum Verantwortungskreis einer bestimmten natürlichen Person verunmöglicht. Mithin muss der Organisationsmangel für das Scheitern der Zurechnung kausal sein 31. Der Gesetzgeber stellt sich damit auf den Standpunkt, dass bei einwandfreier Organisationsstruktur die Anlasstat als Delikt einem Individualtäter hätte zugewiesen werden können. Entsprechend wird das Unternehmen verpflichtet, solche organisatorische Vorkehren zu treffen, die es erlauben, potentiell Tatverdächtige zu identifizieren. Hat das Unternehmen keine solche organisatorischen Vorkehren getroffen oder genügen diese nicht, um die tatverdächtige Person aus dem Kreis der im Unternehmen tätigen Personen zu identifizieren, wird das Unternehmen für genau diese Unterlassung bestraft 32. Welche Pflichten das Unternehmen genau treffen, geht aus Art. 102 StGB indessen nicht hervor. Klar ist aber, dass das Unternehmen nachvollziehbare Zuständigkeitsregelungen zu treffen hat, welche schriftlich festgehalten und wohl während mindestens zehn Jahren aufzubewahren sind. Wenn wir dies am Beispiel des eingangs genannten Entscheids der Fribourger Behörden, die Y SA für ein Strassenverkehrsdelikt, welches mit einem ihrer Fahrzeuge begangen wurde, verantwortlich zu machen, betrachten, so ist daraus zu schliessen, dass ein Unternehmen mittels eines Fahrtenbuches oder ähnlichen 30 31 32 Vgl. FORSTER, S. 207; BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, 2143; DONATSCH/TAG, S. 386; STRATENWERTH, 13 N 188. Vgl. BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, 2143; DONATSCH/TAG, S. 386; FORSTER, S. 213; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 207. FORSTER, S. 214; MACALUSO, N 837; HEINE; ZStrR 2003, S. 36. 0599629.doc 14/31

Unterlagen sicherzustellen hat, dass jederzeit eruiert werden kann, welche Person zu welchem Zeitpunkt welches Fahrzeug gelenkt hat. Ob eine konkrete Organisationsstruktur eines Unternehmens als mangelhaft und ursächlich für die Nichtzurechnung eines Delikts betrachtet werden kann, bemisst sich anhand eines individualisierten Sorgfaltsmassstabs 33. Ein starkes Indiz dafür, welche Organisationsstruktur von einem Unternehmen verlangt werden kann, sind die Branchenüblichkeit und einschlägige Standes- oder Berufsregeln. Festzuhalten ist schliesslich, dass nicht jede mangelhafte Organisationsstruktur die Strafbarkeit des Unternehmens begründen kann. Vielmehr können nur organisatorische Mängel die Strafbarkeit auslösen, welche vorhersehbar und vermeidbar sind. Mithin müssen Unternehmen ihre Organisationsstruktur nicht so ausrichten, dass jedes beliebige Delikt zurechenbar wird. Vielmehr muss es die Organisation nur ermöglichen, betriebstypische Gefahren und Delikte zurechenbar zu machen 34. IV. Originäre Verantwortlichkeit 1. Überblick Art. 102 Abs. 2 StGB sieht vor, dass bei sieben explizit und abschliessend aufgeführten Katalogstraftaten das Unternehmen unabhängig von der Strafbarkeit natürlicher Personen, also kumulativ bestraft wird, wenn dem Unternehmen vorzuwerfen ist, dass es nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehren getroffen hat, um eine solche Straftat zu vermeiden. D.h. mit anderen Worten, dass das Unternehmen bestraft wird, wenn alle tatbezogenen Vorausset- 33 34 Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 219. Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 36; BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, 2141. 0599629.doc 15/31

zungen im Sinne von Art. 102 Abs. 1 StGB erfüllt sind und das Unternehmen nicht mittels verantwortungsvollem Umgang alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehren im Zusammenhang mit seiner Geschäftstätigkeit getroffen hat, um die Verübung einer der Katalogstraftaten durch eine dem Unternehmen zugehörige natürliche Person zu verhindern. Das Unternehmen wird direkt und originär dafür verantwortlich gemacht, wenn die Corporate Governance nicht gut genug ist, um die folgenden sieben Katalogstraftaten zu verhindern: - Kriminelle Organisationen (Art. 260 ter ); - Finanzierung des Terrorismus (Art. 260 quinquies ); - Geldwäscherei (Art. 305 bis ); - Bestechung schweizerischer Amtsträger (Art. 322 ter ); - Vorteilsgewährung (Art. 322 quinquies ); - Bestechung fremder Amtsträger (Art. 322 septies Abs. 1); - Privatbestechung (Art. 4a Abs. 1 lit. a UWG). 2. Originäre bzw. kumulative Strafbarkeit Während Abs. 1 von Art. 102 StGB nur dann zur Anwendung kommt, wenn eine bestimmte Straftat aus dem Bereich des Unternehmens keiner natürlichen Person zugerechnet werden kann, ist die Unternehmensstrafbarkeit gemäss Abs. 2 von Art. 102 StGB unabhängig von der Zurechenbarkeit bzw. der Strafbarkeit einer natürlichen Person. Vielmehr kommt es in Fällen von Art. 102 Abs. 2 StGB zur konkurrierenden Strafbarkeit von Unternehmen und natürlichen Personen. Die Strafbarkeit nach Art. 102 Abs. 2 StGB ist damit als eine orginäre zu qualifizieren. Für die Strafbarkeit des Unternehmens reicht eine tatbestandsmässige und rechtswidrige Anlasstat aus, während die Schuld des Anlasstäters für das Unter- 0599629.doc 16/31

nehmen unbeachtlich ist 35. Strafbarkeitsgrund nach Art. 102 Abs. 2 ist der Vorwurf, dass das Unternehmen seine Pflicht zur Verhinderung von Straftaten nicht oder ungenügend wahrgenommen hat. Mithin liegt auch bei der kumulativen Strafbarkeit keine Kausalhaftung des Unternehmens vor. Vielmehr geht es darum, dass dem Unternehmen eine Deliktverhinderungspflicht bzw. die Funktion eines Überwachungsgaranten auferlegt wird, der für das Unterbleiben spezifischer Straftaten verantwortlich ist 36. Dabei wird dem Unternehmen der strafrechtliche Vorwurf wegen unzureichender organisatorischer Vorkehren zur Verhinderung von betriebstypischen Straftaten gemacht. Originäre Strafbarkeit des Unternehmens liegt nur dann vor, wenn dem Unternehmen ein Organisationsdefizit nachgewiesen werden kann, welches ursächlich für die Nichtverhinderung der Straftat und die erforderlichen organisatorischen Massnahmen zudem zumutbar gewesen wären, sodass dem Unternehmen eine Pflichtverletzung zugerechnet werden kann. Der Umstand allein, dass ein entsprechendes Delikt begangen wurde, stellt für sich allein noch keinen Beweis dafür dar, dass das Unternehmen seine Pflichten nicht wahrgenommen hat. Vielmehr muss belegt werden, dass konkrete Organisationsmassnahmen erforderlich gewesen wären, diese aber nicht getroffen waren. Während die Anlasstat nach Abs. 1 von Art. 102 StGB meist fahrlässig ermöglicht wird, weil die interne Organisation in pflichtwidriger Unvorsichtigkeit diese nicht verhindert hat, ist die Straftat gemäss Abs. 2 als fahrlässiges Unterlassungsdelikt charakterisiert. Nur wenn das Unternehmen seine Handlungspflicht, organisationsspezifische Massnahmen zu treffen, nicht oder nur ungenügend nachkommt, kann es bestraft werden. Das Unternehmen wird aufgrund mangelnder Definition und Implementierung eines ganzen Systems zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten bestraft. Die Anlasstat bildet nur den äusseren Anlass für die Strafbarkeit des Un- 35 36 Vgl. MACALUSO, N 875 und 877; HEINE, SZW 2005, S. 20; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 235. Vgl. DONATSCH/TAG, S. 388; FORSTER, S. 85; HEINE, ZStrR 2003, S. 38. 0599629.doc 17/31

ternehmens, stellt also eine objektive Strafbarkeitsbedingung dar 37. Den adäquaten organisatorischen Vorkehrungen im Unternehmen kommen für die Zuweisung der Verantwortlichkeit ganz erhebliche Bedeutung zu 38. Art. 102 Abs. 2 StGB erscheint aber auch als Erfolgsdelikt wie auch als Gefährdungsdelikt: Als Erfolgsdelikt erscheint die orginäre Unternehmensstrafbarkeit, weil die Behegung bzw. Nichtverhinderung der Anlasstat als Voraussetzung definiert wird. Gefährdungsdelikt ist es dort, wo bei grundsätzlich risikoreicher Tätigkeit im arbeitsteiligen Prozess eine verbandsspezifische Risikoerhöhung stattfindet, wie dies etwa bei der Produktion von Chemikalien der Fall ist 39. 3. Geforderte organisatorische Vorkehren Mit Abs. 2 von Art. 102 StGB wird gefordert, dass die Unternehmen alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung von Delikten treffen müssen. Organisatorische Mängel stellen den Schwerpunkt der Unternehmensstrafbarkeit nach Art. 102 Abs. 2 StGB dar 40. Erforderlich ist eine Massnahme nur dann, wenn sie zur Deliktsverhinderung geeignet ist. Ist sie zwar nützlich oder sinnvoll, aber zur Deliktsverhinderung ungeeignet, so ist sie gemäss Art. 102 Abs. 2 nicht erforderlich. Neben der Eignung müssen die Massnahmen für die Deliktsverhinderung aber auch unerlässlich sein, d.h., dass eine Deliktsverhinderung ohne diese bestimmte Massnahme als nahezu ausgeschlossen erscheinen muss. All jene Delikte, die auch mit einem besseren Gefahrenabwehrsystem nicht hätten verhindert werden können, dürfen dem Un- 37 38 39 40 Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 238; FORSTER, S. 86 f.; 228. Vgl. HEINE, 2007, S. 107. Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 241 f.; HEINE, ZStrR 2003, S. 30 und 40; FORSTER, S. 86; DONATSCH/TAG, S. 388. Vgl. HEINE, 2007, S. 108. 0599629.doc 18/31

ternehmen mithin nicht angelastet werden. Schliesslich muss das Unternehmen alle erforderlichen Massnahmen zur Deliktsabwehr treffen, nicht bloss einzelne 41. Welche Arten von Massnahmen erforderlich sind, richtet sich nach dem betriebstypischen Risiko und den damit zusammenhängenden, zu erwartenden Straftaten 42. Sind in einem Spezialgesetz, wie etwa dem Geldwäschereigesetz (GwG) bestimmte organisatorische Massnahmen verlangt, sind diese als Minimum auf jeden Fall einzuhalten, andernfalls eine strafbare, mangelhafte Organisation des Unternehmens vorliegt. Aber auch aus der Missachtung standesrechtlicher Organisationspflichten kann auf eine mangelhafte Organisation geschlossen werden, wenn nachweisbar ist, dass diese Organisationspflichten zur Deliktsverhinderung erforderlich erscheinen 43. Allerdings kann nicht jede erforderliche Massnahme von den Unternehmen verlangt werden. Vielmehr muss eine solche Massnahme auch zumutbar sein. Ansonsten müsste das Unternehmen immer bestraft werden, wenn irgendeine denkbare Möglichkeit zur Deliktsverhinderung unterlassen worden wäre. Mithin läge eine Kausalhaftung für Katalogstraftaten vor. Art. 102 Abs. 2 StGB schränkt die Anforderungen dadurch ein, dass nur solche Massnahmen getroffen werden müssen, die sowohl erforderlich als auch zumutbar sind. Zumutbar scheinen nur Massnahmen, die ökonomisch tragbar sind und die Geschäftstätigkeit des Unternehmens nicht unverhältnismässig beschränken oder gar verhindern. Eine Massnahme, die derart teuer ist, dass sie jeden möglichen Gewinn des Unternehmens kosten oder sogar darüber hinaus gehende Mittel erfordern würde, ist nicht zumutbar. Massstab ist mithin das individuelle Leistungsoptimum des konkreten Unternehmens, also die konkreten Kapazitäten des Unternehmens 44. Das bedeutet 41 42 43 44 Vgl. GEIGER, S. 38; MACALUSO, N 483 f. Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 39; GEIGER, S. 81. Vgl. NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 251 f. Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 40; HEINE, 2007, S. 110. 0599629.doc 19/31

letztlich, dass von einer Organisation rechtlich typischerweise mehr verlangt werden darf als von einem Menschen, von einem grossen Unternehmen mehr als von einem mittleren und von einem mittleren mehr als von einem kleinen 45. Kritisch ist festzuhalten, dass damit die Zumutbarkeit einer Massnahme auch von der Grösse von der Unternehmung abhängt. Wenn sich in zwei unterschiedlich grossen Unternehmungen trotz identischer Vorsichtsmassnahmen dieselbe Katalogstraftat ereignet, so kann es passieren, dass nur die grössere und potentere der beiden Unternehmungen strafrechtlich belangt wird, weil nur von ihr aufgrund von Grösse und finanzieller Möglichkeiten weitere Massnahmen hätten verlangt werden können, während dies für die kleinere Unternehmung zu kostspielig bzw. ruinös hätte sein können. Dies darf aber nicht zu einem Freipass für KMU werden! Als Sicherungselement ist hier jedenfalls zu verlangen, dass auch kleine Unternehmen den branchenüblichen Standard hinsichtlich Sorgfalt und Organisationsstruktur einzuhalten haben. Auch sie müssen die deliktspezifischen Risiken ihres Betriebs ermitteln und die geeigneten organisatorischen Konsequenzen ziehen 46. Schliesslich müssen sich die Organisationspflichten an der Voraussehbarkeit der Anlasstat und ihrer Vermeidbarkeit ausrichten. Entsprechend muss branchenspezifischen Gefahren entgegengewirkt werden, während die Begehung von Delikten, mit denen im Unternehmen und der Branche grundsätzlich nicht gerechnet werden muss, nicht verhindert werden müssen 47. Wie Heine festhält, tritt eine verbandsspezifische Risikoerhöhungstheorie an die Stelle der Quasi-Kausalität des Individualstrafrechts und damit auch anstelle des Nachweises, dass bei fehlerfreier Organisation die jeweilige Straftat mit ausrei- 45 46 47 Vgl. HEINE, 2007, S. 108. Vgl. HEINE, 2007, S. 108 f. Vgl. GEIGER, S. 49, 81 f. 0599629.doc 20/31

chender Sicherheit hätte vermieden werden können. Dadurch, dass direkt an die Organisationspflichten angeknüpft wird, verlagert sich der Unwertsachverhalt auf das fehlerhafte Management der Organisation. Die Ermöglichung der Anlasstat wird als Ergebnis einer kollektiv fehlerhaft verwirklichten organisatorischen Gefahrenabschirmung verstanden 48. 4. Sorgfalt bei Auswahl, Instruktion und Überwachung Auf jeden Fall muss ein Unternehmen Sorgfalt hinsichtlich der Auswahl von Hilfspersonen, bei deren Instruktion und ihrer Überwachung walten lassen. Werden die sog. curae in eligendo, in instruendo und in custodiendo nicht oder nur ungenügend beachtet, stellt dies eine Verletzung der notwendigen organisatorischen Massnahmen dar. Zu ergänzen sind die drei curae etwa auch durch Pflichten bei Ausrüstung und Installationen des Geschäftsbetriebs, durch Einführung spezieller Risikomanagementprogramme (Compliance-Programme, Corporate Governance, Sicherheitsabteilungen, etc.), u.ä., um besonderen Risikopotentialen bei Organisation, Koordination und Ausrüstung des Unternehmens im Innengefüge und in Zusammenwirkung mit Geschäftspartner sowie Hilfspersonen organisatorisch, konzeptionell, strategisch und operational entgegenzuwirken 49. 5. Konkretisierung der organisatorischen Massnahmen Die modernen Corporate Governance Rules und Codes of Conduct von Wirtschaftsverbänden, internationalen Organisationen und anderen Institutionen führen dazu, dass Risikoanalyse, Ausbildung, interne Kontrolle und interne Richtlinien zu den organisatorischen Minimalanforderungen zählen, die an sämtliche Unternehmen zu stellen sind. Darüber hinaus kommen je nach spezifischer Katalogstraftat weitere Pflichten für die Unternehmen mit einschlägiger Tätigkeit hinzu. Die Darstellung sämtlicher zusätzlicher Pflichten zur Verhinderung von kriminellen Organisationen, Finanzierung des Terrorismus, Geldwäscherei und der 48 49 Vgl. HEINE, ZStrR 2003, S. 40. Vgl. dazu HEINE, 2007, S. 112f.; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 257 ff. m.h. 0599629.doc 21/31

verschiedenen Formen von Korruption würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen 50. Zudem finden sich auch in Verbands- und Standesregeln Verhaltenspflichten und Sicherheitsregeln, die von Unternehmen und ihren Organen zu beachten sind. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte auf solche generelle Standards abstellen werden, soweit sie ausreichend konkretisiert oder konkretisierbar sind und bei ihrem Zustandekommen rechtsstaatliche Mindestanforderungen beachtet worden sind 51. V. Strafmass und Strafzumessung 1. Überblick In Abs. 3 von Art. 102 StGB und Art. 102 Abs. 1 Satz 2 StGB ist statuiert, dass bis zu einem Maximalrahmen von CHF 5 Mio. Bussen gegen Unternehmen verhängt werden können, wobei sich diese Bussen insbesondere nach der Schwere der Tat, der Schwere des Organisationsmangels, des angerichteten Schadens sowie nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens bemessen sollen. 2. Sanktionen 2.1. Busse Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes kann ein Unternehmen mit einer Busse von bis zu CHF 5 Mio. bestraft werden. Bei dieser Busse handelt es sich um eine echte Kriminalstrafe und nicht um eine Massnahme sui generis 52. Der hin und wieder verwendete Begriff der "Geldstrafe" kann angesichts von Art. 34 StGB 50 51 52 Vgl. aber HEINE, 2007, S. 113 ff. Vgl. etwa HEINE, ZStrR 2003, S. 39. Vgl. BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, 2144; FORSTER, S. 262; STRATENWERTH, 13 N 191. 0599629.doc 22/31

nicht verwendet werden, weil nach dieser Bestimmung eine Geldstrafe nach Tagessätzen zu fixieren ist, was bei einem Unternehmen schlechterdings nicht möglich ist. Hinzuweisen ist auch darauf, dass Art. 106 StGB in Abs. 1 festhält, dass der Höchstbetrag einer Busse CHF 10'000.-- beträgt, wenn es das Gesetz nicht anders vorsieht. Im Falle von Art. 102 sieht es das Gesetz indessen anders vor, sodass tatsächlich von einem Bussenrahmen von bis zu CHF 5 Mio. auszugehen ist. Entsprechend der Strafandrohung in Art. 102 ist mit 103 StGB davon auszugehen, dass es sich bei der Unternehmensstrafbarkeit um einen Übertretungstatbestand handelt. Der klare Wortlaut von Art. 102 Abs. 1 StGB kann m.e. nicht anders verstanden werden, als dass es sich bei der Anlasstat um ein Verbrechen oder ein Vergehen handeln muss, während es sich bei der Strafe gegen das Unternehmen trotz der Höhe des Bussbetrags um eine Busse und damit um eine Übertretung handelt 53. Zwar verjähren Übertretungen gemäss Art. 109 StGB grundsätzlich innerhalb von drei Jahren, was unbefriedigend sein könnte. Indessen ist zu beachten, dass es sich bei Organisationsmängeln innerhalb einer Unternehmung um Dauerdelikte handeln wird, sodass das strafbare Verhalten erst dann endet, wenn aufgrund entsprechender Organisation eine Zurechnung von Delikten möglich wird. Mithin ist m.e. auch eine Verjährungsfrist von drei Jahren akzeptabel, wird sich doch wohl kaum ein gravierendes Delikt innerhalb einer Unternehmung ereignen, ohne dass innerhalb von drei Jahren eine zielführende Strafverfolgung angestrengt wird. Wäre eine längere Verjährungszeit vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, hätte er wie etwa in Art. 10 Abs. 4 Embargogesetz 54 eine längere Verjährung vorsehen 53 54 Vgl. zur Frage der Qualifikation als Übertretung NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 40 ff. Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen (Embargogesetz, EmbG; SR 946.231) vom 22. März 2002. 0599629.doc 23/31

können. Im Embargogesetz ist diese auch für Übertretungen auf fünf Jahre verlängert. 2.2. Einziehung Hinzuweisen ist auch darauf, dass auch ein Unternehmen den allgemeinen Regeln des Strafgesetzbuches unterliegt 55 : Wenn also ein Unternehmen aus einer Anlasstat unmittelbar wirtschaftlich begünstigt wird, unterliegen die deliktischen Erträge gemäss Art. 70 StGB der Einziehung. In einem solchen Fall wird mithin ein deliktischer Gewinn oder sonstiger Wertzuwachs abgeschöpft. Einzige Einziehungsvoraussetzung gegenüber dem direktbegünstigten Unternehmen ist gemäss Art. 70 Abs. 1 StGB die deliktische Herkunft der fraglichen Vermögenswerte. Aus der Tatsache, dass ein aus einer Anlasstat direktbegünstigtes Unternehmen wie jede andere Einheit mit Rechtspersönlichkeit einziehungsbelastet ist, folgt, dass die Einziehung auch dann möglich ist, wenn das Unternehmen im eigenen Strafprozess freigesprochen, z.b. weil keine Organisationsmängel vorlagen, und bloss ein Mitarbeiter des Unternehmens als Individualstraftäter verurteilt worden ist. Das Unternehmen soll nicht von der Straftat profitieren können. Dass eine solche Gewinnabschöpfung in der Praxis ein äusserst effizientes Mittel der Bekämpfung von Unternehmensstrafbarkeit darstellt, leuchtet sofort ein. Andernfalls könnte sich ein Unternehmen einen allenfalls sehr hohen deliktischen Gewinn dadurch sichern, dass ein Mitarbeiter die Schuld auf sich nimmt, vom Unternehmen dafür finanziell sehr grosszügig schadlos gehalten wird, die deliktischen Gewinne aber beim Unternehmen verbleiben. 55 Vgl. FORSTER, S. 280 ff. mit weiteren Hinweisen. 0599629.doc 24/31

2.3. Urteilspublikation Unter dem Stichwort andere Massnahmen ist noch zu erwähnen, dass auch ein gestützt auf Art. 102 StGB ergangenes Urteil gemäss Art. 68 StGB publiziert werden kann 56. Ohne weiteres zulässig erscheint es, ein freisprechenden Urteil auf Antrag des entlasteten Unternehmens zu veröffentlichen (Art. 68 Abs. 2 und 3 StGB), kann doch das Unternehmen aus Gründen der Reputation ein offenkundiges Interesse an der Publikation haben. Auch der Publikation einer Verurteilung aus öffentlichen Interessen, wie etwa zur Warnung der Öffentlichkeit vor bestimmten Produkten oder bestimmten Machenschaften (etwa Schneeballsystemen u.ä.), steht nichts entgegen. Nicht in Frage kommen kann nach geltenden Recht aber eine Urteilspublikation aus sogenannt generalpräventiven Gründen, die im Effekt einzig auf eine Prangerwirkung abzielt, wie es teilweise als einzige effiziente wirkende Bestrafung von Unternehmen verlangt wird 57. 3. Strafzumessungskriterien Als wesentlicher Grundsatz ist vorauszuschicken, dass auch im Unternehmensstrafrecht das Prinzip der individuellen Strafzumessung gilt, im übrigen gibt es Besonderheiten: Wenn der Gesetzgeber davon spricht, dass die Busse nach der Schwere der Tat bemessen werden soll, so ist davon auszugehen, dass damit die Schwere der Anlasstat gemeint ist. Auch die Schwere des angerichteten Schadens stellt ein Strafzumessungskriterium dar. Als Orientierungsgrösse wird dabei der Deliktsbetrag der Anlasstat dienen. Indessen ist auf die Schadensschwere bloss mit Zurückhaltung abzustellen, da sie bereits im abstrakten Strafrahmen berücksichtigt wird 58. Das zentrale Strafzumessungskriterium ist die Schwere des Organisationsmangels. Der Organisationsmangel bzw. seine Schwere stellt sozusagen 56 57 58 Vgl. FORSTER, S. 283 f. Vgl. aber z.b. LÜTOLF, S. 401 ff. m.w.h. Vgl. MACALUSO, N 977. 0599629.doc 25/31

das Organisationsverschulden dar 59. Schon in der Botschaft ist festgehalten, dass der Strafrahmen von bis zu CHF 5 Mio. in der Regel wohl nicht ausgeschöpft wird, da mangelhafte Organisationen in Unternehmen häufig auf Fahrlässigkeit beruhen wird 60. Mit dem Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens soll die Strafempfindlichkeit des Unternehmens berücksichtig werden. Entsprechend den wirtschaftlichen Kennzahlen des Unternehmens soll bestimmt werden, welche Busse beim Unternehmen die gewünschte Verhaltenssteuerung zur Folge hat. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Aufzählung der Strafzumessungskriterien in Abs. 3 von Art. 102 StGB nicht abschliessend ist. Vielmehr können je nach konkretem Fall weitere Strafzumessungskriterien berücksichtigt werden 61. VI. Unternehmensbegriff 1. Unternehmen im Sinne des Gesetzes Als Unternehmen gelten gemäss Art. 102 Abs. 4 StGB juristische Personen des Privatrechts, juristische Personen des öffentlichen Rechts, mit Ausnahme der Gebietskörperschaften, Gesellschaften und Einzelfirmen. Diese Aufzählung ist abschliessend. Das Problem an der Aufzählung ist indessen, dass mit Art. 102 StGB ein Unternehmensstrafrecht eingeführt wurde, ohne dass ein eigentliches Unternehmensrecht mit feststehenden Unternehmensbegriffen bestehen würde 62. 59 60 61 62 Vgl. BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, 2144; MACALUSO, N 976. Vgl. BOTSCHAFT AT StGB, BBl 1999, 2144; DONATSCH/TAG, S. 390. Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 319 ff.; FORSTER, S. 269. Vgl. FORSTER, S. 91; NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 349 ff. 0599629.doc 26/31

Nachdem das StGB weder einen Unternehmensbegriff aus anderen Rechtsgebieten übernehmen kann noch einen solchen selbst definiert, stellt die herrschende Lehre für das Subjekt der Unternehmensstrafbarkeit primär auf den Unternehmensträger und nicht etwa auf das soziale Gebilde "Unternehmen" ab. Damit erscheint das schweizerische Unternehmensstrafrecht als Unternehmensträgerstrafrecht, folgt mithin einem juristischen und nicht einem sozialen bzw. wirtschaftlichen Unternehmensbegriff 63. 2. Juristische Personen des Privatrechts (lit. a) Von den juristischen Personen des Privatrechts fallen die Aktiengesellschaft, einschliesslich Holding-AGs und Immobilien-AGs unter den Unternehmensbegriff. Eine Einmann-AG erscheint grundsätzlich als problematisch. Da das Bundesgericht eine Einmann-AG "wie jede AG (als) eine reale Person" qualifiziert 64, ist davon auszugehen, dass auch eine Einmann-AG unter die Definition von Art. 102 Abs. 4 lit. a StGB fällt. Weiter werden die Kommandit AG, die GmbH, die Genossenschaften, Vereine und privatrechtlichen Stiftungen Art. 102 StGB zugeteilt, sofern sie die materiellen Voraussetzungen von Art. 102 Abs. 1 erfüllen. 3. Juristische Personen des öffentlichen Rechts (lit. b) Bei den juristischen Personen des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 102 Abs. 4 lit. b StGB ist an öffentlich-rechtlichen Körperschaften, öffentlich-rechtliche Anstalten und öffentlich-rechtliche Stiftungen zu denken. Explizit ausgeschlossen sind Gebietskörperschaften. Mit diesen sind unselbständige öffentlich-rechtliche Anstalten und Stiftungen, welche Gebietskörperschaften zugerechnet werden, ebenfalls ausgeschlossen. Dezentral organisierte Gebilde ohne rechtliche Selb- 63 64 Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 355 und 356. Vgl. BGE 117 IV 259, 266. 0599629.doc 27/31

ständigkeit, d.h. ohne eigenes Vermögen und ohne eigene Rechtspersönlichkeit wie etwa Schulen, Spitäler, Altersheime etc. werden mithin nicht von Art. 102 StGB erfasst. Erfasst werden solche Betriebe indessen dann, wenn sie mittels Spezialgesetze als selbständige öffentlich-rechtliche Anstalten und Stiftungen, als öffentlich-rechtliche AG oder ähnliches konstituiert sind. 4. Gesellschaften (lit. c) Der in lit. c von Abs. 4 verwendete Begriff der Gesellschaften erfasst einerseits die Körperschaften wie AG, GmbH etc. und andererseits die Rechtsgemeinschaften. Letzteren fehlt es an der Rechtspersönlichkeit, weshalb bei Personengesellschaften wie etwa Kollektivgesellschaften, Kommanditgesellschaften und einfachen Gesellschaften die dahinter stehenden natürlichen Personen direkt Rechtsträger sind und gemeinschaftlich berechtigt und verpflichtet werden. Bei solchen Personengesellschaften haften in erster Linie die Gesellschafter selber. Das Gesellschaftsvermögen ist im Wesentlichen nur Betriebskapital, welches rechtlich nicht vom persönlichen Vermögen der Gesellschafter getrennt werden kann. Entsprechend würden sich bei einer Bestrafung von Personengesellschaften bei der Anwendung von Art. 102 StGB schwerwiegende Probleme hinsichtlich Doppelbestratung und Unschuldsvermutung ergeben, weil diese mangels eigener Rechtspersönlichkeit nicht von den dahinter stehenden Gesellschaftern getrennt werden können. Entsprechend versagt hier die Konstruktion des Unternehmensstrafrechts, weil es ein solches Unternehmen, welches getrennt bestraft werden könnte, genau genommen gar nicht gibt 65. 5. Einzelfirmen (lit. d) Schliesslich werden auch Einzelfirmen in Abs. 4 von Art. 102 StGB aufgeführt. Solche Einzelfirmen stellen indessen weder eine rechtliche Verselbständigung der Firma noch ein Sondervermögen derselben dar. Auch wenn Einzelfirmen oftmals 65 Vgl. dazu NIGGLI/GFELLER, Art. 102 N 380 ff. 0599629.doc 28/31