Wintersemester 2012/13 Prof. Dr. Arno Scherzberg
Nachtrag zur Folie 7: Fall zum Immissionsschutzrecht Fall 1 Der Kl. beabsichtigt, in einem Industriegebiet eine Eisenund Stahlgießerei mit einer Produktionsleistung von 15 Tonnen pro Tag zu errichten. Bei der Produktion entstehen Lärm und unangenehme Gerüche, die Grenzwerte der TA Lärm und TA Luft werden aber eingehalten. Der Kl. beantragt die Erteilung einer Genehmigung nach dem BImSchG. Die zuständige Behörde lehnt wegen der nicht unerheblichen Belästigung der Nachbarschaft ab. (nur Begründetheitsprüfung)
I. Grundlagen Heute sind mehr als 8 Mio. chemische Substanzen bekannt, am EU-Markt sind 100.000 chemische Stoffe registriert, die dem Gefahrstoffrecht unterliegen. Davon : 10.000 in Mengen über 10 t, 20.000 in Mengen von 1 10 t im Vertrieb Human- und Ökotoxizität, Verbreitungswege und Akkumulationsfähigkeit sind vielfach wenig oder nicht erforscht. Für rund 95 % der derzeit vermarkteten Chemikalien sind die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt nicht oder nicht vollständig bekannt. Vielfach wird die Gefährlichkeit bekannter Stoffe (Asbest, DDT, Formaldehyd oder PCB) erst nach Jahrzehnten ihrer Verwendung erkannt. Besondere Gefahrenquellen: Stoffe, die direkt auf den Organismus einwirken oder sich in der Nahrungskette anreichern, etwa nachdem sie als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt wurden oder auf andere Weise ins Grundwasser gelangten Umweltschutz ist hier eng mit dem Gesundheits-, Arbeits- und Verbraucherschutz verknüpft Das Gefahrstoffrecht (i.e.s.) ist medienübergreifend, setzt unmittelbar am gefährlichen Stoff an und regelt dessen Herstellung, das Inverkehrbringen und den weiteren Umgang mit ihm. Gefahrstoffrecht i.w.s. dag. z.b. auch BImSchG und WHG. Grundlegend für Gefahrstoffrecht i.e.s. seit 2006: REACH-Verordnung (Registration, Evaluation and Authorization of Chemicals, VO 1907/2006) sowie seit 2009 CLP-VO (Classification, Labelling, Packaging).
I. Grundlagen - Relevant in D weiterhin: ChemG und eine Vielzahl von gefahrstoffrechtlichen Spezialregelungen (PflanzenschutzG, DüngemittelG, FuttermittelG, ArzneimittelG, Wasch- und ReinigungsmittelG, BenzinbleiG, G über die Beförderung gefährlicher Güter etc). - Das ChemG wird u.a. konkretisiert durch die GefahrstoffV, die Chemikalien- VerbotsV und die PrüfungnachweisV. - völkerrechtliche Übereinkommen: PIC-Konvention und POPs-Konvention - unionsrechtliche Richtlinien: Gefahrstoff-RL, Zubereitungs-RL (läuft zum 1. Juni 2015 aus und wird dann vollständig durch die CLP- VO abgelöst), Altstoff-RL, Beschränkungs-RL, Biozid-RL etc. II. Schutzgut Zweck des Gefahrstoffrechts: Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen chemischer Stoffe und Zubereitungen ( 1 ChemG, Art. 1 Abs. 1 REACH-VO). 1 ChemG enthält zusätzlich den Zweck, dem Entstehen gefährlicher Stoffe vorzubeugen. Die REACH-VO soll überdies den freien Verkehr von Stoffen im Binnenmarkt gewährleisten und Wettbewerbsfähigkeit und Innovationen verbessern (die chemische Industrie ist der drittgrößte verarbeitende Industriezweig in Europa mit 1,7 Mio. Beschäftigten).
Typische Elemente des stoffrechtlichen Risikomanagements - Risikoerhebung: Ermittlung der gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes bzw. des Ausmaßes des Nichtwissens und der möglichen Belastungspfade und Expositionen (Basis: Naturwissenschaften) - Risikobewertung: normative Gewichtung der Folgen der Nutzung/Emission des Stoffes für die betroffenen Rechtsgüter (Basis: Rechtswissenschaften) - Risikomanagement i.e.s.: Entscheidung über geeignete Maßnahmen zur Verringerung der Gefahr oder des Risikos, z.b. durch weitere Risikobeobachtungspflichten, Kennzeichnungspflichten, Gefahrenhinweise oder Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen sowie ein Anmelde- oder Zulassungsverfahren(Basis: politische Entscheidung im Rahmen des Rechts)
Typische Formen des stoffrechtlichen Risikomanagements - Anmeldeverfahren mit Eingriffsvorbehalt: für Industriechemikalien im Allgemeinen gem. REACH- VO; ist verbunden mit Pflichten zur - eigenständigen Gefahrermittlung durch den Hersteller oder Importeur und - Bereitstellung der Informationen für Behörde, Abnehmer, Verbraucher - meist abgestuft nach Menge des in Verkehr gebrachten Stoffes - Zulassungsverfahren (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt): für Biozide, Arzneimittel, Pflanzenschutzmittel
III. Die REACH-VO Bis 2006: lückenhafte und uneinheitliche Regelwerke für Alt- und Neustoffe; Vollzugsdefizite, keine wirksame Vorsorge 2006 Erlaß und bos 2018 schrittweises Inkrafttreten der REACH-VO Anwendungsbereich gem. Art. 1 Abs. 2, Art. 3: Herstellung, Inverkehrbringen und Verwendung chemischer Stoffe als solcher, in Zubereitungen und Erzeugnissen sowie das Inverkehrbringen von Zubereitungen vom Anwendungsbereich ausgenommen sind gem. Art. 2: radioaktive Abfälle, Abfälle i.s.d. EG-AbfallRL, Lebensmittel, Arzneimittel, Tiernahrungsmittel, kosmetische Produkte, Medizinprodukte De facto werden von REACH etwa 30.000 Stoffe erfasst, davon 20.000 im Bereich von 1 10 t Herstellungsmenge pro Jahr. Ziel der Regelung Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender sollen nur solche Stoffe herstellen, in den Verkehr bringen und verwenden, welche die menschliche Gesundheit und die Umwelt nicht nachteilig beeinflussen. Umfaßt Alt- und Neustoffe Verantwortungsteilung zwischen Hersteller/Importeure und Behörden: Pflichten der Industrie zur Informationsbeibringung und ggf. Risikoermittlung; ggf. müssen Hersteller/Importeur die Ungefährlichkeit eines Stoffes nachweisen. Pflichten auch zur Anwenderinformation durch Einstufung, Kennzeichnung und Sicherheitsdatenblatt
III. Die REACH-VO Begriffsbestimmungen: - Stoff gem. Art. 3 Abs. 1 REACH: Chemisches Element und seine Verbindung in natürlicher Form oder gewonnen durch ein Herstellungsverfahren, einschließlich der zur Wahrung seiner Stabilität notwendigen Zusatzstoffe und der durch das angewandte Verfahren bedingten Verunreinigungen - Phase-In Stoffe: = bisherige Altstoffe, hierfür gelten Übergangsregelungen Wesentliche Regelungsinhalte: - Registrierung und Informationsgewinnung - Gemeinsame Nutzung von Daten und Vermeidung unnötiger Versuche - Bewertung - Zulassung - Beschränkungen für die Herstellung - Informationen in der Lieferkette
III. Die REACH-VO Kontrollinstrumente (Überblick) Eröffnungskontrolle in Form einer Pflicht zur Registrierung unter Einreichung eines Registrierungsdossiers: - dabei sind gem. Art. 10 bestimmte minimale Risikoinformationen (Informationen über Herstellung und vorgesehene Verwendungen, Einstufung und Kennzeichnung, Leitlinien für die sichere Verwendung) beizubringen - Der Registrierungspflicht unterliegen alle Stoffe, die in Jahresmengen von 1 oder mehr Tonnen in den Verkehr gegeben werden. - Die Registrierung ist auch für die sog. Altstoffe (bei Inkrafttreten hergestellt oder in Verkehr gebracht) durchzuführen es gelten allerdings besondere Übergangsregeln, je nach Stoffmenge tritt die Registrierungspflicht zum 1.6.2013 oder zum 1.6.2018 ein (Art. 23). - Grundlage der Registrierung ist eine eigene Stoffprüfung durch den Registranden, deren Einzelheiten in den Anhängen der VO geregelt werden.
III. Die REACH-VO - Der Umfang der Pflicht zur Stoffprüfung ist mengenabhängig differenziert: ab 1 Jato eingeschränkte Prüfung nach Art. 6, Art. 10 a), ab 10 Jato: Grundprüfung und Stoffsicherheitsbericht, ab 100 Jato Zusatzprüfung nach Art. 12 Nr. 1 d), ab 1.000 Jato Zusatzprüfung II gem. Art. 12 Nr. 1 e). - Die Angaben sind gem. Art. 22 zu aktualisieren, sofern Änderungen bei den in der Registrierung angegebenen Parametern auftreten. - Kommt der Registrand zu dem Ergebnis, dass der Stoff in einem bestimmten Sinne als gefährlich einzustufen ist, sind über die normale Wirkungsanalyse hinausgehende Expositionsbeurteilungen und Risikobeschreibungen erforderlich. Lieferanten und nachgeschaltete Anwender in der weiteren Wertschöpfungskette haben gem. Art. 31 ff., 37 ff. Informationen weiterzugeben, die einen sicheren Umgang mit den Stoffen gewährleisten sollen. Für besonders gefährliche Stoffe muss der Lieferant den Abnehmern ein Sicherheitsdatenblatt zur Verfügung stellen, das alle vorhandenen sicherheitsrelevanten Daten enthält. Umgekehrt sind vorgeschalteten Akteure in der Lieferkette auch vom nachgeschalteten Verwender über etwaige im Anwendungsprozess zutage getretene gefährliche Eigenschaften zu informieren sowie von Verwendungen, die von den Expositionsszenarien des Herstellers nicht abgedeckt sind.
III. Die REACH-VO Die europäische Chemikalienagentur (ECHA) nimmt die Registrierung vor und bewertet einen Teil der Registrierungsdossiers (mind. 5 %) und prüft sie auf Normkonformität. Die behördliche Stoffbewertung auf der Ebene der Mitgliedstaaten: ist Ausgangspunkt für die Identifizierung zulassungspflichtiger Stoffe und für die Anordnung von Risikomanagementmaßnahmen; zuständig sind die mitgliedstaatlichen Behörden. - Die Stoffbewertung beschränkt sich auf sog. prioritäre Stoffe gem. Art. 44 ff Priorisierung hat nach einem risikoorientierten Konzept zu erfolgen. Zulassungspflicht für besonders besorgniserregende Stoffe gem. Art. 55 ff. kann neben Hersteller und Importeur auch den nachgeschalteten Anwender treffen; gilt aber nur für Stoffe, die in Anhang XIV aufgenommen sind. Kriterien hierfür sind gem. Art. 57: Eigenschaft als krebserregend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend, persistent und/oder bioakkumulierend (Problem: das muß bekannt sein). Zulassung wird von der Kommission erteilt, wenn das Risiko angemessen beherrscht werden kann, ferner gem. Art. 60 Abs. 4, wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass der sozioökonomische Nutzen die Risiken überwiegt und keine geeigneten Alternativstoffe oder -technologien verfügbar sind.
III. Die REACH-VO Stoffbeschränkungen gem. Art. 67 f., Anhang XVII.(z.B. Beschränkungen in der Verwendung, Beschränkung der Herstellung auf bestimmte Konzentration, Beschränkung der Zwecke des Inverkehrbringens) Ergänzung der REACH-VO durch die CLP-VO: CLP-VO (CLP= Classification, Labelling and Packaging) regelt die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen Ziel der CLP-VO: soll ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherstellen sowie den freien Verkehr von chemischen Stoffen, Gemischen und bestimmten spezifischen Erzeugnissen gewährleisten und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit und Innovation verbessern. wird erreicht durch Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen und Gemischen und das Eintragen in ein Register, welches von der ECHA geführt wird Stoffe und Gemische werden hierbei in Klassen (Art der Gefahr) und Kategorien (Schädigungsstufen) eingeteilt. Alle Stoffe und Gemische, die einer Registrierungspflicht nach REACH unterliegen, müssen in diesem Register geführt werden.
IV. ChemG (Neubekanntmachung 2008) Anwendungsbereich: 2 und 3 Zuständigkeiten: 4 Bundesbehörden, 21 Landesbehörden Pflichten von Hersteller/Importeur: 13 Abs. 1 S. 1: Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung (Verweis auf die CLP- VO im Gesetz) 13 Abs. 2: als Hersteller oder Einführer Einstufung der Stoffe oder Gemische 13 Abs. 3: als Lieferant Verpackung und Kennzeichnung der Stoffe oder Gemische 15 a: Gefahrenhinweise bei Werbung 20: Pflicht zur Vorlage von Prüfnachweisen Rechtsgrundlage für Anordnungen zur Gefahrenabwehr: 23, einschließlich vorläufiger Maßnahmen bei Gefahrenverdacht 23 Abs. 2 Rechtsgrundlagen für den Erlass von Ausführungsbestimmungen: Über die Einstufung von Stoffen als gefährlich und die damit verbundenen Pflichten und Verkehrsbeschränkungen: 14 Abs. 1, 17 Über Mitteilungspflichten bei Gemischen: 16 d Über Maßnahmen zum Schutz von Beschäftigten 19 ChemVerbotsVO, GefahrstoffVO, PCB/PCT-AbfallVO, GiftinformationsVO, Biozid-ZulassungsVO etc.