Betriebliches Eingliederungsmanagement: Seit zehn Jahren am Start, im Arbeitsleben immer wertvoller

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Transkript:

15 Nils Bolwig, Beate Eberhardt Betriebliches Eingliederungsmanagement: Seit zehn Jahren am Start, im Arbeitsleben immer wertvoller Das 2001 geschaffene Sozialgesetzbuch IX hat für einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik gesorgt: Die Abkehr von Fürsorge, Bevormundung und Alimentierung hin zum Vorrang für Prävention, gleichberechtigte Teilhabe und Selbstbestimmung. Das betriebliche Eingliederungsmanagement, per Gesetzesnovelle 2004 eingeführt, liegt auf dieser Linie. Es stärkt die Teilhabe länger erkrankter Menschen am Erwerbsleben, schützt besser vor krankheitsbedingter Kündigung und betont ihre Rechte im Eingliederungsverfahren. Angesichts alternder Belegschaften erweist sich das Eingliederungsmanagement als wichtiger Baustein bei der Gestaltung einer alternsgerechten Arbeitswelt. Am 1. Mai hat das Verfahren 10. Geburtstag und ist den Kinderschuhen noch nicht ganz entwachsen. Mehr ältere Beschäftigte, das bedeutet auch mehr chronisch kranke und behinderte Menschen im Arbeitsleben, das bestätigt der Blick in die Statistiken der Bundesregierung und der Krankenkassen. Doch nicht nur im demografischen Wandel erweist sich das betriebliche Eingliederungsmanagement (nach 84 Abs. 2 SGB IX) als hilfreich und wertvoll. Auch der rasante Anstieg psychischer Erkrankungen und Störungen, betroffen sind bereits viele junge Menschen, die sich in der Arbeitswelt mit langen Ausfallzeiten niederschlagen und in der Rentenversicherung die mit Abstand häufigste Ursache für Frühberentungen sind (2012 laut Deutsche Rentenversicherung 42% aller Rentenzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit), unterstreichen die Bedeutung eines behutsamen und umfassenden Einzelfallmanagements für Betriebe und Verwaltungen, um länger erkrankte Personen nachhaltig in den Arbeitsprozess zu reintegrieren. Die Brisanz der Entwicklung hat sich u. a. in der»gemeinsamen Erklärung zur psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt«niedergeschlagen, die DGB und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände BDA (vgl. Beitrag Ingo Nürnberger ab S. 7) im Herbst 2013 unterzeichnet haben. Sie verpflichten sich im dritten Abschnitt der Erklärung, für das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) zu werben, weil damit psychisch erkrankten Menschen die erfolgreiche Rückkehr ins Arbeitsleben ermöglicht werden kann. Ingo Nürnberger weist nicht ohne Grund darauf hin, dass die BDA diese Verpflichtung explizit betont. Die Qualität der Aussage gewinnt an Bedeutung, wenn man sie angesichts der Vorgeschichte kritisch würdigt vor einer Regelung im SGB IX 2004. Krankheitsbedingte Kündigungen eindämmen Der Gesetzgeber hat das BEM in 84 Abs. 2 SGB IX nicht zuletzt auf Druck der Gewerkschaften festgeschrieben, weil krankheitsbedingte Kündigungen und andere»modelle«, länger erkrankte Beschäftigte aus dem Berufsleben auszugliedern, dramatische Ausmaße angenommen hatten. Wer Probleme mit der Gesundheit hatte, wurde von den Arbeitgebern in den 1990er Jahren noch öfter als vorher gekündigt, erhielt das Angebot einer Abfindung, den so genannten»goldenen Handschlag«, oder wurde nach Möglichkeit in ein (damals noch verfügbares) Modell zur Frühverrentung»abgeschoben«. Das Rentenrecht gibt heutzutage kaum noch Spielraum dafür her, schon gar nicht im (ansatzweisen) Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, vorzeitig»sozialverträglich«in den Ruhestand auszuscheiden. Es zwingt Beschäftigte im Gegenteil dazu, eine Arbeit trotz angeschlagener Gesundheit so lange wie irgend möglich bis zur Rente auszuüben, um im Ruhestand einigermaßen abgesichert über die Runden zu kommen. Die Rente mit 63 für langjährig Versicherte mit mindestens 45 Versicherungsjahren, nach einem langen, oft belastenden Erwerbsleben, ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung. Denn vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess, wenn die Gesundheit schlapp macht und dies erfordert, kostet auf Dauer Rentenabschläge und mindert die Rentenhöhe um noch zu erwerbende Entgeltpunkte in der Rentenversicherung. Die leicht verbesserten Zurechnungszeiten in der Erwerbsminderungsrente lösen das grundsätzliche Problem nicht. Arbeitsplatzerhalt stärken, Arbeitsbedingungen verbessern Deshalb geht es beim BEM vor allem auch darum, die Qualität der Arbeitsbedingungen im Sinne des Erhaltes der Arbeitsfähigkeit zu fördern: Die Prävention ist systematisch in den Betrieben und Dienststellen zu verankern, damit der Ausbau einer alternsgerechten Arbeitswelt auch von dieser Seite Schubkraft erhält, nicht nur durch das Argument des Arbeits- und Fachkräftemangels. Bereits 2007 führte Professor Wolfhard Kohte im Rahmen einer kurzen Bilanz zur SGB IX-Novelle von 2004 aus (Newsletter»Teilhabepraxis«2/2007, bis Ende 2007 im Bund- Verlag erschienen):»positiv bewerte ich insbesondere das neue betriebliche Eingliederungsmanagement ( 84 Abs. 2 SGB IX). Dieses Verfahren kann ein wirkungsvolles Mittel der Prävention sein, das auch dazu beiträgt, betriebliche Schwachstellen im Arbeitsschutz aufzudecken und sie zu beseitigen. In der Praxis der Arbeitsgerichte zeigt sich, dass die Missachtung des Verfahrens für den Kündigungsschutz nicht ohne Folgen bleibt.«(zur Rechtsprechung vgl. auch die kurze Übersicht S. 26-27). Krankenrückkehr- und Fehlzeitengespräche abschaffen Mit einer weiteren Unsitte war im Zuge des BEM aufzuräumen: In den Betrieben waren (und sind!) Fehlzeiten- und Krankenrückkehrgespräche verbreitet, mit denen in erster Linie arbeitgeberseitig Druck auf kranke Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgeübt wurde/wird, um Kranken- und Aus- Die Autoren Nils Bolwig arbeitet im Ressort Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main. Kontakt: nils.bolwig@ igmetall.de. Beate Eberhardt ist verantwortliche Redakteurin der Zeitschrift Gute Arbeit: Kontakt: beate. eberhardt@ bund-verlag.de.

16 Eingliederungsmanagement Thema des Monats Abb. 1: Arbeitsunfähigkeitsfälle und -dauer nach Lebensalter 246,4 5,0 AU-Fälle je 100 AOK-Mitglieder 195,0 6,2 132,2 7,7 18,1 15,8 13,9 12,2 10,4 118,2 118,1 113,5 111,2 114,1 120,8 8,9 110,9 15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64 Quelle: Badura, B. u. a. (Hrsg.), Fehlzeitenreport 2012, Berlin, Heidelberg. falltage zu mindern und somit kurzfristig Kosten zu senken: also Druck auf Kranke, vorzeitig vor einer Genesung die Arbeit wieder aufzunehmen, das Fördern von Präsentismus (krank zur Arbeit) ohne Perspektive auf die negativen Langzeitfolgen für die Gesundheit der Belegschaft. Beide Praktiken, Ausgrenzung chronisch Kranker und Langzeiterkrankter aus dem Arbeitsverhältnis sowie Druck auf Kranke, sind bis heute in den Betrieben verbreitet und wurden mit dem BEM nicht ausgemerzt. Sie belasten nicht nur unterschiedliche Zweige der Sozialversicherung, sondern bedrohen die Existenz tausender Betroffener: Denn immer Das BEM in 84 Abs. 2 SGB IX Tage je Fall 1. Das Gesetz nennt Arbeitgeberpflichten, immer zu Beteiligende und BEM-Ziele»Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).«2. Das Gesetz nennt einzuholende Expertise und den Stellenwert des Datenschutzes»Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf die Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen und Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden.«3. Das Gesetz nennt Überwachungs- und Kontrollaufgaben der Interessenvertretung»Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.«22 noch sind nach DGB-Angaben rund ein Drittel aller Arbeitgeber-Kündigungen krankheitsbedingt. Immer noch werden Fehlzeiten- und Krankenrückkehrgespräche praktiziert, und es sind weiterhin Betriebs- und Dienstvereinbarungen hierzu in Kraft, die unbedingt von Betriebs- und Personalräten gekündigt werden sollten. Denn klassische Fehlzeitengespräche sind mit dem geltenden Recht (seit der Regelung des BEM in 84.2 SGB IX) unvereinbar (vgl. Kasten unten); sie stehen eklatant im Widerspruch zu den gesetzlichen Zielen und Regelungen des BEM, im Einzelfall alle erdenklichen Hilfen zur Eingliederung anzubieten (vgl. Tabelle 1, S. 17). BEM umsetzen, Mitbestimmungsrechte nutzen Nicht alle langzeiterkrankten Arbeitskräfte kommen in den Genuss eines Eingliederungsverfahrens, so wie es ihnen laut Gesetz zusteht. Die immer noch schleppende Umsetzung des BEM nach Recht und Gesetz (dazu in der nächsten Gute Arbeit. mehr Zahlen und Fakten) ist einer der Gründe. Vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist die Missachtung der gesetzlichen Vorgabe durch die Arbeitgeber weit verbreitet, obwohl sie auf externe Hilfen etwa der Rehabilitationsträger zugreifen können und Anspruch haben (vgl. Beitrag Felix Welti ab S. 19). Der Gesetzgeber hat Betriebs- und Personalräte in Bezug auf ihre Beteiligung und Überwachung des BEM nicht im Regen stehen lassen, sondern ihre Position im Verfahren hervorgehoben: Ohne Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung im Falle, dass Schwerbehinderte langzeiterkrankt unter die BEM-Regelung fallen geht gar nichts (vgl. Kasten zum Inhalt des 84, 2 SGB IX). Der zitierte Gesetzespassus klärt zweifelsfrei, dass es sich beim BEM nach Recht und Gesetz um einen kooperativen Prozess handelt, an dem betriebliche und außerbetriebliche Stellen und Akteure je nach Bedarf zusammenwirken; zudem ist jeder Einzelfall nicht nach»schema F«abzuhandeln, sondern mit seinen Besonderheiten zu»managen«, um die jeweils erforderliche Unterstützung und beste Hilfe mobilisieren zu können. Eine Regelung zur betrieblichen Prävention enthielt bereits das frühere Schwerbehindertengesetz seit dem Jahr 2000. Mit der Regelung von 2004 im 84 Abs. 2 SGB IX verfolgt der Gesetzgeber einen neuen Ansatz. Es geht nicht nur darum, eine Kündigung zu vermeiden, sondern vor allem um das Gestalten guter Arbeitsbedingungen, um das Vermeiden gesundheitsbedingter Beschäftigungsprobleme und um die Prävention chronischer Erkrankungen und Behinderungen. Die Regelung zielt insbesondere darauf ab, dass die Mehrzahl der Behinderungen im Laufe eines Lebens, oft im Laufe des Erwerbslebens (als Folge arbeitsbedingter Belastungen und Erkrankungen sowie von Berufskrankheiten), erworben wird. Es geht darum, dass Erkrankungen einen chronischen Verlauf nehmen oder zu Behinderungen führen können, gerade weil die Möglichkeiten der Prävention und der Gestaltung am Arbeitsplatz nicht in vollem Umfange ausgeschöpft werden (vgl. Abb. 1). Aber: Es geht im 84,2 SGB IX ausdrücklich nicht

17 um Krankheiten, Privatangelegenheiten oder Diagnosen von Ärzten, sondern nur um die Klärung der drei Kernfragen des BEM (s. Kasten S. 16, Gesetzestext) XXwie die Arbeitsunfähigkeit (AU) überwunden werden kann XXwelche Leistungen/Hilfen erneuter AU vorbeugen können XXwie der Arbeitsplatz Betroffener auf Dauer gesichert werden kann. Damit rücken der einzelne Arbeitsplatz, die ausgeübte Tätigkeit, Umgebungsbedingungen, das Belastungsprofil, Fragen der Qualifizierung etc. in den Mittelpunkt des Eingliederungsverfahrens, das wie gefordert, ein Einzelfallmanagement mit individuellen Hilfeangeboten sein muss. Weitere Qualitätsstandards im BEM-Verfahren hat die Rechtsprechung, haben insbesondere Urteile des Bundesarbeitsgerichts, präzisiert (vgl. S. 26f). Abgeleiteten Maßnahmen der Arbeitsgestaltung im BEM-Einzelfall steht nicht entgegen, dass gewonnene Erkenntnisse zur Qualitätssteigerung der Arbeitsbedingungen insgesamt genutzt werden (vgl. Zitat Kohte S. 15). Wenn es gut geht und gut gemacht wird, bringt die BEM-Praxis die Prävention im ganzen Betrieb nach vorne. Erlaubt ist, was gefällt und den BEM-Zielen dient Welche Bedingungen sind am Arbeitsplatz veränderbar, um das Wohlbefinden und die Gesundheit von Beschäftigten zu stärken? Das SGB IX konkretisiert Aufgaben und Pflichten, die das Unternehmen/der Arbeitgeber nach Ablauf der 6-Wochen- Frist (vor Eintritt einer Behinderung) anzubieten und zu mobilisieren hat. Das BEM ist zwar im SGB IX geregelt, zielt aber im Sinne der Leitidee»Prävention von Behinderungen«nicht nur auf behinderte Menschen ab, sondern hat allen Beschäftigten, die in einem Jahr länger als sechs Wochen erkrankt sind, als Angebot zur Verfügung zu stehen. Die Regelung des 84 Abs. 2 ist deshalb viel mehr als Kündigungsprävention. Die Auseinandersetzung mit Krankheitsfällen rückt die Ursachen und Entstehungszusammenhänge von chronischen Krankheiten bzw. Behinderungen in den Mittelpunkt: Es geht nun um die Möglichkeiten, ihnen durch Arbeitsgestaltung vorzubeugen und die Arbeitsfähigkeit der Menschen nachhaltig zu sichern. Wenn im Gesetz die Frist von insgesamt sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit gesetzt ist, die ein BEM auslöst, dann schließt dies nicht aus, dass betriebliche Vereinbarungen eine kürzere Frist festgelegen, die ein Eingliederungsmanagement bei Bedarf und im Einzelfall bereits früher einleitet (vgl. Prozesskette nach Gesetz, Abb. 2, S. 18). Arbeitgeberpflicht: Das kooperative BEM-Verfahren Grundsätzlich ist der Arbeitgeber verantwortlich für die Einleitung und Durchführung des BEM. Er hat das Verfahren betroffenen Beschäftigten anzubieten, die in den letzten zwölf Monaten sechs Wochen lang arbeitsunfähig waren. Die Organe der betrieblichen Interessenvertretungen sind hieran immer zu beteiligen. Betriebs-/Personalrat und Schwerbehindertenvertretung (SBV) können aber auch von sich aus beim Arbeitgeber initiativ werden und darauf dringen, dass ein BEM-Verfahren eingeleitet wird, da sie zur Überwachung Tabelle 1: BEM und Krankenrückkehrgespräch im Vergleich Betriebliches Eingliederungsmanagement Krankenrückkehr-/Fehlzeitengespräch Grundlage 84 Abs. 2 SGB IX, gesetzliche Arbeitgeberpflicht keine gesetzliche Verpflichtung, willkürlicher Akt des Arbeitgebers Ziel Präventionsverfahren: Arbeitsunfähigkeit (AU) überwinden, erneuter AU vorbeugen, Wiedereingliederung gestalten, Erhalt/Schaffung des leistungsgerechten Arbeitsplatzes Soziale Kontrolle, Drohkulisse: Krankenstand senken, Anwesenheitsquote steigern, Druck auf Kranke, evtl. Vorbereitung krankheitsbedingter Kündigung Steuerung BEM-Team, Vertrauenspersonen Personalabteilung, Vorgesetzte Verfahren Transparent nach strikten (Datenschutz-)Regeln, Daten unter Verschluss undurchsichtig, Klima des Misstrauens, Protokolle in der Personalakte Betroffene freiwillige Teilnahme, Selbstbestimmung Teilnahmepflicht, kein Einfluss auf Gesprächspartner und Verlauf und Einhaltung des Gesetzes zugunsten der Arbeitnehmer/ innen verpflichtet sind. Und Sie können Verhandlungen über eine BEM-Betriebsoder Dienstvereinbarung in Gang setzen, um ein geordnetes Verfahren nach vergleichbaren Standards und Qualitätsmaßstäben verbindlich zu regeln. Zunächst ist darauf zu achten, dass länger erkrankte Personen ausführlich und verständlich über das Verfahren und die Ziele informiert werden und sie der Eröffnung und Teilnahme am BEM (schriftlich) zustimmen. Denn das BEM ist immer freiwillig, eine Ablehnung darf sich im Einzelfall nicht nachteilig für Beschäftigte auswirken. Interne und Externe Instanzen wirken zusammen Im BEM-Verfahren soll das gesamte Spektrum an Maßnahmen, sollen betriebliche und außerbetriebliche Möglichkeiten genutzt werden, um die BEM-Ziele zu erreichen: also Erhalt des Arbeitsplatzes und Abbau von Gesundheitsrisiken bisweilen auch mit einer Versetzung an einen neuen Arbeitsplatz mit geringeren/anderen Belastungen, wenn Gestaltungsmaßnahmen am aktuellen Arbeitsplatz nicht ausreichen. Im Zusammenhang mit einer akuten Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit kann es zunächst um Angebote zur Therapie/ Kuration (Vorschläge Betriebsmedizin) und zur medizinischen Rehabilitation gehen. Begleitend sind Maßnahmen zum Abbau von erkannten Belastungen am Arbeitsplatz, zur vorbeugenden Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu ergreifen, um die Arbeit gesundheitsförderlicher zu gestalten. Dies geschieht im Einklang mit den Betroffenen selbst, den direkten Vorgesetzten, oft mit einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, auch mit Vertreterinnen und Vertretern des Integrationsamtes etc. Für die langfristige Sicherung von Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Arbeitsverhältnis kommen alle Veränderungen in Frage, die die Arbeitsorganisation, die Umgestaltung des Arbeitsplatzes, des Arbeitsumfeldes, die Qualifizierung oder die Personalentwicklung betreffen. BEM-Verfahren und Eingliederungsteam Die Organisation und das Management der Eingliederung, die dazu geeigneten betrieblichen Strukturen und Verfahrenswege, können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein oder auch flexibel (je nach Einzelfall und Bedarf) gehandhabt werden. Dies ist nicht zuletzt abhängig von der Schwere einer Erkrankung oder den eingetretenen Leistungswandlungen, von der Art und Größe eines Unternehmens/einer Verwal-

18 Eingliederungsmanagement Thema des Monats tung, der internen Organisation, von bereits praktizierten (Eingliederungs-)Verfahren und Instrumenten der Prävention. Grundlage für ein gelungenes Eingliederungsmanagement ist nicht allein ein stimmiger Prozessablauf und ein großes BEM-Team. Es geht auch nicht darum, das Gesetz möglichst formal korrekt zu erfüllen und eng auszulegen. Grundlegend ist vielmehr die Entwicklung einer Präventionskultur im Unternehmen, die glaubhaft Integration als Ziel verfolgt, gelebt und umgesetzt wird. Das heißt, dass Arbeitgeber ihre gesetzliche Verantwortung annehmen und im Einzelfall Betroffene unterstützen, ihnen eine berufliche Perspektive bieten und die Gesundheit der Belegschaft fördern. Insgesamt werden sich die betrieblichen Rahmenbedingungen im Zuge einer gelebten BEM-Kultur positiv weiterentwickeln. Gelebte Präventionskultur und guter Arbeitsschutz Der betriebliche Arbeitsschutz bietet mit der Gefährdungsbeurteilung (nach 5 ArbSchG) ein zentrales Instrument, das in jedem BEM-Verfahren routinegemäß zum Einsatz kommen soll. Die Erkenntnisse ganzheitlicher Gefährdungsbeurteilungen sind bei jeder Bestandsaufnahme am Arbeitsplatz von BEM-Teilnehmenden hinzuzuziehen. Bei Bedarf ist die Gefährdungsbeurteilung zu aktualisieren und sind auf ihrer Basis Arbeitsplatzmaßnahmen abzuleiten und zu ergreifen. Der BEM-Prozess Beide Verfahren, das BEM und die Gefährdungsbeurteilung, sind moderne Erweiterungen eines zeitgemäßen Arbeitsschutzes und entsprechen der europäischen Rahmenrichtlinie (89/391/ EWG) nach Artikel 6 Absatz 2: Dabei geht es nicht um die reaktive Abwehr von Gefährdungen und Gesundheitsrisiken, sondern um die präventive, menschengerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen unter arbeitsphysiologischen und -psychologischen Gesichtspunkten. Alle Komponenten der Arbeit werden ganzheitlich im Einklang mit der Tätigkeit und der sie ausübenden Person erfasst, bewertet und angepasst. Fazit und Ausblick Mit dem BEM hat der Gesetzgeber vor zehn Jahren ein gutes Verfahren zur Vermeidung von Fehlbelastungen am Arbeitsplatz geschaffen. Es wird immer dann ausgelöst, wenn Beschäftigte in den letzten zwölf Monaten länger als sechs Wochen zusammenhängend oder unterbrochen krank waren. Betriebliches Eingliederungsmanagement 84 Abs. 2 SGB IX Arbeitgeberpflicht Phase 1 Vorbereiten Aufklären Über das BEM informieren und um Akzeptanz im Betrieb werben Leitungsebene/Personalabteilung Entscheider/Vorgesetzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter BEM-Team Mindestbesetzung: Arbeitgeber oder Vertreter/in, Betriebsrat, SBV bei Schwerbehinderten/Gleichgestellten Betriebsvereinbarung Ein Verfahren für alle regeln Phase 2 BEM Verfahren einleiten BEM-Angebot AU länger als sechs Wochen in den letzten zwölf Monaten Signalgeber Zuständige Instanz meldet BEM-Team Handlungsbedarf Erstkontakt Schreiben an Langzeiterkrankte mit Informationen Einverständnis BEM-Team und Betroffene/r treffen sich Die 6-Wochen-Frist setzt der Gesetzgeber als Indiz dafür an, dass eine Behinderung drohen könnte, dass am Arbeitsplatz etwas»nicht in Ordnung«oder gesundheitlich riskant sein kann. Der Arbeitgeber muss das BEM dafür nutzen, den Arbeitsplatz gezielt zu überprüfen, hier ist er zuständig und kompetent. Laut Gesetz besteht keine Veranlassung, Diagnosen und Krankenakten zu prüfen (vgl. den Beitrag von Peter Wedde zum Datenschutz ab S. 23). Für Beschäftigte ist das BEM eine Chance, Ablehnung BEM-Verfahren ist beendet Ausgangslage klären Erstgespräch Arbeitsplatzbegehung mit aktueller Gefährdungsbeurteilung internen/externen Sachverstand einholen Maßnahmenplanung Therapien, Rehabilitation Arbeitsplatzgestaltung Versetzung etc. Phase 3 BEM-Abschluss Maßnahmen umsetzen Wirkung überprüfen Dokumentation abschließen Daten löschen aber keine Pflichtveranstaltung. Sie dürfen bei Ablehnung des Angebots keine Nachteile haben. Das BEM ist als kooperativer, intensiver Suchprozess zu organisieren, bei dem Arbeitgeber mit den betroffenen Beschäftigten, den betrieblichen Interessenvertretungen sowie weiteren infrage kommenden Personen und Stellen (Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit, betriebliche Sozialberatung, Suchthilfe, Gesundheitsmanagement) prüfen, was alles helfen kann, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneute AU möglichst zu verhindern und das Arbeitsverhältnis zu sichern. Prävention und proaktiver Arbeitsschutz stehen im Fokus. Insbesondere und das ist qualitativ neu wirkt der Gesetzgeber darauf hin, dass externe Expertinnen und Experten der Rehabilitationsträger, Therapieeinrichtungen (bei vorliegenden Kooperationsverträgen etwa mit Kliniken und Betriebskrankenkassen etc.) ihr Knowhow zur Verfügung stellen und regelmäßig zu Rate gezogen werden, dass deren Unterstützungsinstrumentarium abgerufen wird: etwa Rehabilitation (medizinisch/beruflich), Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben (Integrationsamt), betriebliche Begleitung (Integrationsfachdienst, insbesondere bei psych. Störungen) usw. Gerade KMU können und sollen die örtlichen gemeinsamen Servicestellen der Reha-Träger in Anspruch nehmen. Das BEM grenzt sich deutlich von der betrieblichen Praxis der Fehlzeitengespräche ab. In Betrieben werden Fehlzeiten sehr oft thematisiert, sie werden dokumentiert und statistisch aufbereitet. Die Daten werden in Diskussionen über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens herangezogen, der Ist-Zustand den (fiktiven) ökonomischen Anforderungen gegenübergestellt. Sie werden nicht selten einseitig gegen Beschäftigte gerichtet und instrumentalisiert, wenn es um deren Loyalität, Arbeitsmoral und Leistungsbereitschaft geht. Um Fehlzeiten geht

19 es bei Betriebsversammlungen, in Unternehmensmedien, in Besprechungen zwischen Arbeitgebern und Interessenvertretungen, zwischen Vorgesetzten und Arbeitskräften. Geprägt oder vergiftet ist diese Auseinandersetzung in der Regel durch allgemeines Misstrauen, Zweifel an der Berechtigung von ärztlichen AU-Bescheinigungen und sogar von der Erwartung einer»verhaltensänderung«. Erkrankte Arbeitnehmer/innen geraten in Druck, in Rechtfertigungsnöte, in Existenzangst. Diese Form der betrieblichen»unkultur«trägt nicht zur Genesung bei. Der Zwang, per Direktionsrecht zu Krankenrückkehr- bzw. Fehlzeitengesprächen beordert zu werden, wirkt sich negativ auf das Vertrauen und die Sicherheit aus. BEM und ein Fehlzeitenmanagement in dieser Form sind unvereinbar. Das BEM ist eine gesetzliche Arbeitgeberpflicht, über die nicht mehr diskutiert werden muss. Der Umsetzungsprozess und eine ergiebige innerbetriebliche Debatte darüber kann mit dazu beitragen, das Verständnis, die Wertschätzung und die Fürsorge für Beschäftigte in den Vordergrund zu rücken. Krankheit ist kein Verhalten und verlangt im demografischen Wandel nach neuen Umgehensweisen. Ein gutes BEM wird AU-Zeiten in der Phase alternder Belegschaften nicht senken können, wird aber die Gesundheit der Beschäftigten nachhaltig fördern und stärken. Rente mit 63: Stimmungsmache der Arbeitgeber Zur Kritik der Arbeitgeberverbände an der Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren erklärte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, in Berlin:»Die Frühverrentungsszenarien der Arbeitgeberverbände sind reine Stimmungsmache. Fakt ist, dass mit 31,7% nicht einmal ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 45 Versicherungsjahre schaffen. Wer so lange fleißig gearbeitet hat, muss in den Ruhestand gehen können, ohne am Ende mit Abschlägen bestraft zu werden. Die Arbeitgeber sollten sich ihrer Verantwortung stellen und endlich mehr für die Beschäftigung Älterer zu tun. Schließlich sind nur 30,5% der 60- bis unter 65-Jährigen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung müssen die Arbeitgeber vor allem mehr in die Gesundheit der Beschäftigten investieren und den boomenden Psychostress am Arbeitsplatz abbauen.«weitere Informationen www.dgb.de Weitere Informationen In Folgeheft Gute Arbeit. 3/2014 kommen neben der bisher schleppenden Umsetzung des BEM auch Praxisfragen zur Sprache, Tipps für die Einführung und Dienst-/Betriebsvereinbarungen. In diesem Heft geht es auf dieser Seite unten um die Mitwirkung der Rehabilitationsträger und ab S. 23 um den Datenschutz im BEM-Verfahren.