Blick punkte Sicherheit

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Nr. 1 2013 Blick punkte Mensch Gesellschaft Sicherheit Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland? Gerüchte und Realitäten in der Versorgung privat Krankenversicherter

Inhaltsverzeichnis Wahrnehmung Dr. Oliver Gapp, Tino Schubert und Tobias Vogelmann Erfahrungen der Zwei-Klassen-Medizin aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung Seite 04 International Dr. Timm Genett Die Legende von der Zwei-Klassen-Medizin das deutsche Versorgungsniveau im internationalen Vergleich Seite 08 Liebe Leserinnen und Leser, Systemfrage Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen: Private und Gesetzliche Krankenversicherung Zwei-Klassen-Medizin oder Koexistenz von zwei Versicherungssystemen? Sie halten die Erstausgabe BLICKPUNKTE mensch:ge- In den zukünftigen Ausgaben der BLICKPUNKTE sollen aber sellschaft:sicherheit in Ihren Händen. Wir haben uns für nicht nur Themen des Symposiums aufgegriffen und vertieft, diesen Titel entschieden, weil er prägnant die thematischen sondern auch andere, neue Perspektiven geschaffen werden. Ausrichtungen signalisiert, die zukünftig in den von der Zwei Ausgaben jährlich sind vorgesehen. Eines haben alle ge- Herausgeber SDK-Stiftung herausgegebenen Themenheften aufgegrif- meinsam. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch und deshalb SDK-Stiftung fen werden. Sie entstehen in enger Zusammenarbeit mit auch an erster Stelle im Titel der Reihe. der Süddeutschen Krankenversicherung ag dem SDK-Institut für Gesundheitsökonomie an der Stein- Raiffeisenplatz 5 70736 Fellbach beis-hochschule Berlin. Damit bietet die SDK-Stiftung einen Wir versichern Menschen, so hat es sich die Süddeutsche Tel. 0711 / 5770-0 sdk@sdk.de www.sdk.de Beitrag zu aktuellen Diskussionen, Phänomenen und auch Kranken Leben Allgemeine auf die Fahne geschrieben. Das Kontroversen an, die sich nicht nur mit Gesundheits- und Spektrum der SDK-Stiftung geht allerdings weit über die Ver- Redaktion Versicherungsthemen beschäftigen, sondern auch wie es sicherungswelt hinaus. Wir möchten wissen, was die Menschen Süddeutsche Krankenversicherung ag der Titel verspricht gesellschaftliche und soziale Bereiche bewegt und wie sie zu aktuellen Fragen stehen. Deshalb bilden Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beleuchten sollen. repräsentative Umfragen zu aktuellen Themen einen Schwer- Impressum Seite 12 Abkürzungsverzeichnis und Glossar Seite 15 punkt innerhalb der BLICKPUNKTE. In jeder Ausgabe kommen Monika Krimmer Dr. Ulrich Schermaul Raiffeisenplatz 5 70736 Fellbach Das jährliche SDK-Symposium hat sich bereits als Forum für darüber hinaus ausgewiesene Fachleute zu Wort. Sie leisten Tel. 0711 / 5778-647 -676 Experten der Gesundheitswirtschaft und Gesundheitsökono- damit einen wertvollen Beitrag, um aus jeder Ausgabe der monika.krimmer@sdk.de ulrich.schermaul@sdk.de mie etabliert. Im ersten SDK-Themenheft greifen wir deshalb SDK-Themenhefte eine runde Sache zu machen und für die Le- das Thema des diesjährigen Symposiums auf. Zwei-Klas- serinnen und Leser Anstöße zum Nachdenken zu liefern. Druck sen-medizin in Deutschland? versehen mit einem Frage- Knöller Druck, Stuttgart zeichen ist ein auch in der Öffentlichkeit häufig kontrovers Ich wünsche Ihnen Vergnügen beim Lesen! diskutiertes Thema. Wenn Sie die öffentlichen Debatten zu diegestaltung, Satz sem Thema verfolgen oder einen Blick in die Wahlprogramme Wohlgemuth & Company, Stuttgart der Parteien im Vorfeld der Bundestagswahlen 2013 werfen, werden Sie feststellen, dass dieses Thema nicht nur Wahl- 02 Bildnachweise kampfthema ist, sondern viele Menschen auf ganz unter- S.1, 11: Shutterstock schiedliche Weise umtreibt. Klaus Henkel Vorsitzender des Vorstandes der SDK und Kuratoriumsvorsitzender SDK-Stiftung 03

Wahrnehmung Erfahrungen der Zwei-Klassen-Medizin aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung von Dr. Oliver Gapp, Tino Schubert und Tobias Vogelmann Dr. Oliver Gapp Bei der mhplus Krankenkasse leitet Dr. Oliver Gapp das Vertrags- und Versorgungsmanagement. Die zynischen Folgen der Zwei-Klassen-Medizin. So titelte DIE WELT am 04.09.2012 die Aussage, der Linken-Abgeordneten Martina Bunge, zum vermeintlichen Skandal zur bevorzugten Vergabe von Organen bei Transplantationen an PKV Versicherte. Die Fakten blieben dabei auf der Strecke. Solche emotionalen und teils auch polemischen Debatten über die sogenannte Zwei-Klassen-Medizin, werden seit Jahren immer wieder geführt. Fast gleichzeitig zeigt eine breit publizierte aktuelle Untersuchung, dass 82% der Deutschen die Gesundheitsversorgung mit gut oder sehr gut bewerten. 1 Neben all diesen publikumswirksamen Schlagzeilen gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Studien die sich spezifisch mit der Fragestellung beschäftigen, ob es Unterschiede im Zugang und der Versorgung von gesetzlich und privat Versicherten Personen gibt. Ein zentraler Untersuchungsgegenstand sind die Wartezeiten auf einen Arzttermin, die bei GKV-Versicherten häufig länger sind als bei PKV Versicherten. 2 So warten gesetzlich Versicherte 2,2 Tage auf einen Termin beim Hausarzt, PKV Versicherte 1,4 Tage. Der Unterschied der Wartezeit in der Praxis beträgt 10 Minuten. Beim Facharzt wird die Schere der Terminvergabe größer. GKV-Versicherte warten im Schnitt 16 Tage, PKV-Versicherte nur 7 Tage. In der Praxis beträgt die Wartezeit 36 Minuten (GKV) vs. 29 Minuten (PKV). 3 Gleichwohl es Unterschiede gibt, so sind diese insbesondere auf die Relevanz bezüglich der gesundheitlichen Auswirkung hin zu überprüfen. In der Regel stellen sich erst ab einer Wartezeit von um die 30 Tage negative Effekte auf die gesundheitliche Versorgung ein. 4 Im internationalen Vergleich warten deutsche Versicherte ohnehin nicht so lange auf einen Arzttermin. 5 Die qualitativen Ergebnisse der Unterschiede bei der Versorgung von Gesundheitsleistungen von GKV- und PKV-Versicherten erweisen sich als differenzierter. Hier schwanken die Ergebnisse von einer besseren und intensiveren Versorgung, zu einer nahezu gleichartigen Versorgung, hin zu einer Überversorgung bzw. schlechteren Versorgung. So schreibt Krobot etwa PKV-Versicherten eine bessere Versorgung mit innovativen, patentgeschützen Arzneimitteln zu. 6 Keine größeren Unterschiede in der Versorgung sieht Martin et al. bei einer retrospektiven Kohortenstudie bei Typ-2-Diabetes Patienten. 7 Drastischer wird es bei Sawicki. 8 Demnach konsultieren PKV Versicherte vergleichsweise mehr Fachärzte, werden öfter ins Krankenhaus eingewiesen, Doppeluntersuchungen sind häufiger und sie erhalten eher nicht notfallbedingte Operationen. Im Zusammenspiel der empirischen Faktenlage und der medialen Darstellung ist es für eine gesetzliche Krankenversicherung wie der mhplus BKK aber von hoher Bedeutung, ob und wie ihre Kunden (Versicherte) eine Zwei-Klassen-Medizin wahrnehmen. Nur aus diesem Wissen heraus kann den Kunden gegenüber eine angenommene oder mögliche Versorgungslücke, mittels Aufklärung oder entsprechender Angebote, geschlossen werden. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, die Wahrnehmung der mhplus Versicherten in Bezug auf eine Zwei-Klassen-Medizin zu untersuchen. _ Untersuchungsmethodik Im Rahmen einer E-Mail Erhebung wurden 2.000 zufällig ausgewählte mhplus Versicherte zu ihrer Wahrnehmung von Unterschieden zwischen GKV und PKV Versicherten bei Hausärzten befragt. Die Rückmeldungen erreichten die mhplus anonymisiert über ein Online-Befragungstool. Die Auswahl und Ausgestaltung der Fragen erfolgte in Anlehnung an bereits bestehende Untersuchungen zur Zwei-Klassen-Medizin. 9 Als Antwort-Skalenniveau wurde die 5er Likert Skala und ein Nominalskalenniveau verwendet. Die Auswertung erfolgte deskriptiv. _ Ergebnisse Die Response der Befragung liegt bei etwa 20%, also rund 400 Versicherten. Die Ergebnisse sind daher in Bezug auf die Anzahl der Rückmeldungen stabil. Die Repräsentativität ist jedoch eingeschränkt, da die mhplus gegenüber der gesamten GKV ein unterdurchschnittlich junges und gesundes Klientel versichert. Hinzu kommt, dass nur Versicherte mit einem E-Mailzugang überhaupt an der Befragung teilnehmen konnten. Die Zwei-Klassen-Medizin scheint in den Köpfen der Menschen fest verankert. So beantworten 76% diese grundsätzliche Frage mit Ja, was sich mit Ergebnissen von weiteren Studien bei Versicherten und auch Ärzten deckt (siehe Abb. 1). 10 In der Praxis scheint es, bezüglich der Terminvergabe beim Hausarzt, jedoch nur sehr wenig Differenzierung zwischen PKV und GKV zu geben. Die Ärzte fragen eher selten (22%) nach dem Versicherungsstatus (siehe Abb. 2). Dies kann aber auch daran liegen, dass Versicherte in der Regel schon lange beim selben Hausarzt in Behandlung sind und sie sich an die Frage nach dem Versicherungsstatus nicht mehr erinnern. Noch deutlicher sind die Ergebnisse bezüglich der Wartezimmer. So gibt es nach den Rückmeldungen der Versicherten keine unterschiedlichen Würden Sie sagen, dass es in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin gibt? Abb. 1 45% Ja 31% eher ja 1% eher nein 22% teils/teils 1% nein 04 05

Abb. 5 Wurden Sie bei Ihrem jetzigen Hausarzt jemals bei der Terminvergabe gefragt, ob Sie gesetz lich oder privat versichert sind? Abb. 2 Wartezimmer für GKV und PKV Patienten (siehe Abb. 3). Entweder sind die Wartezimmer wenig erkennbar getrennt, oder es gibt in der Tat nur ein Zimmer bzw. Bereich für alle Patienten. Einen Termin beim Hausarzt erhalten Privatpatienten schneller als gesetzlich Versicherte. 26% 19% 27% 13% 14% 72% Nein 6% Weiß nicht Ferner wurde die Frage gestellt, ob der Hausarzt dem Versicherten schon einmal eine Leistung verweigerte, weil diese nur PKV-Patienten bekämen. 23% bejahten dies (Abb. 4). Setzt man diese Frage in Zusammenhang mit den nach dem Versicherungsstatus fragenden Praxen, so sind es von diesen Praxen bereits 45%, die den Versicherten aufgrund ihres Versi- Die Wartezeit im Wartezimmer beim Hausarzt ist für Privatpatienten kürzer als für gesetzlich Versicherte. Die Beratungszeit beim Hausarzt ist für Privatpatienten länger als für gesetzlich Versicherte. 22% 22% 20% 19% 16% 19% 19% 27% 19% 16% 22% Ja chertenstatus Leistungen vorenthalten. Befragt man nun die Versicherten näher zu den möglichen Themen einer Zwei-Klassen-Medizin, so wird deutlich, dass die GKV Patienten insgesamt eine Benachteiligung beim Hausarzt vermuten (Abb. 5). Die Aufklärung beim Hausarzt ist für Privatpatienten besser als für gesetzlich Versicherte. Die Versorgung beim Hausarzt ist für Privatpatienten besser als für gesetzlich Versicherte. 10% 19% 16% 24% 24% 26% 27% 18% 24% 13% Gibt es bei Ihrem Hausarzt verschiedene Wartezimmer für gesetzlich und privat Versicherte? 88% Nein Hat Ihr Hausarzt schon einmal eine Leistung mit dem Hinweis verweigert und gesagt, dass Sie diese nur als Privatpatient bekommen? 77% Nein, das ist noch nicht vorgekommen Abb. 3 8% Weiß nicht 4% Ja Abb. 4 23% Ja, das ist schon vorgekommen Knapp die Hälfte der Versicherten meinen, dass die Terminvergabe (45%) weniger schnell und die Wartezeit (44%) in der Praxis für GKV Patienten länger ist. Auch im, für die Gesundheit, zentralen Thema der Versorgung vermuten 45% der Versicherten einen Nachteil als GKV-Patient. In abgeschwächter Form zeigt sich ähnliches bei der Beratungszeit und der Aufklärung beim Hausarzt. Sehr interessant ist im Zusammenhang die Beantwortung zum Vertrauensverhältnis. Auch wenn, wie oben dargestellt, Nachteile vermutet werden, so scheint das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und GKV Patient doch weitgehend gegeben zu sein. Dies könnte bedeuten, dass die o.g. Nachteile für die Versicherten weniger relevant sind. Auch dies wäre wiederum schlüssig, wenn es sich im Wesentlichen um organisatorische respektive um Serviceaspekte handelt. Die generelle Zustimmung der Aussagen der Versicherten geht einher mit der Bejahung zur Zwei-Klassen-Medizin. So sagen 90% der Versicherten, die den Fragen in Abb. 5 zugestimmt haben, dass es eine Zwei-Klassen-Medizin gäbe. Versicherte, die nicht zugestimmt haben, meinen nur zu 57% es gäbe eine Zwei-Klassen-Medizin. Dies unterstreicht die Konsistenz der Ergebnisse und weist auf weiteren Forschungsbedarf hin, insbesondere zur Klärung statistischer Zusammenhänge. Allerdings gibt es keine Auffälligkeit zwischen Zustimmung der Aussagen und dem Abschluss von Zusatzversicherungen (die Frage wurde im Beitrag nicht vorgestellt). Dies ist zunächst paradox, da bei einer stärker vermuteten Benachteiligung seitens der Versicherten die Absicherung mit einer Zusatzversicherung eher steigen sollte so zumindest die theoretische Vorstellung. Das Vertrauensverhältnis zw. Privatversicherten und Hausarzt ist enger als das zw. gesetzlich Versicherten und Hausarzt. _ Fazit Die Untersuchung der mhplus BKK hat deutlich gemacht, dass das Thema Zwei-Klassen-Medizin in den Köpfen der Menschen und auch in der Forschung präsent ist. Im Kern zeigt sich eine eher geringe Differenzierung der Hausarztpraxen bei GKV und PKV Versicherten bezüglich Wartezimmer und Terminvergabe. Aber: Die Hausärzte die differenzieren, verweigern den Versicherten auch häufiger Leistungen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient scheint weiterhin gegeben zu sein. Insgesamt kann konstatiert werden, dass auf der einen Seite die mhplus Versicherten eine Zwei-Klassen-Medizin wahrnehmen, aber auf der anderen Seite dies nicht zu schlüssigen Reaktionen führt (d.h. es werden nicht mehr Zusatzversicherungen abgeschlossen oder das Vertrauensverhältnis bleibt ungestört). Insofern könnte hierin ein Indiz gesehen werden, dass sich diese wahrgenommene Zwei-Klassen-Medizin auf Service- aber nicht medizinische Versorgungsaspekte bezieht und wohl medial geprägt ist. Dazu der Vorstand Winfried Baumgärtner der mhplus BKK: Für uns hat die Studie gezeigt, dass es zwar Unterschiede bei sogenannten Komfortfaktoren wie Wartezeit gibt. Letztlich kommt die sehr gute medizinische Versorgung in Deutschland aber beiden Systemen, GKV und PKV, gleichermaßen zu Gute. Dies müssen wir unseren Versicherten gegenüber auch so kommunizieren. 6% 8% 26% 24% 36% 0% 20 20% 40% 60% 80% 80 100% stimmt völlig stimmt ziemlich stimmt teils/teils stimmt wenig stimmt gar nicht 1. Allensbach Umfrage im Auftrag von MLP 2013 2. Wido 2006 Wissenschaftliches Institut der AOK Unfairer Wettbewerb zu Lasten der Patienten. Pressemeldung vom 03.11.2006. Lüngen M, Stollenwerk B, Messner P, Lauterbach KW und Gerber A (2008). Waiting times for elective treatments according to insurance status: A randomized empirical study in Germany. International Journal for Equity in Health (7) 1. Roll K, Stargardt T, Schreyögg J (2012): Effect of type of insurance and income on waiting time for outpatient care, Geneva Papers on Risk and Insurance-Issues and Practice, 37(4): 609-632. 3. Roll K, Stargardt T, Schreyögg J (2012): Einfluss von Versichertenstatus und Einkommen auf die Wartezeit im ambulanten Bereich, Monitor Versorgungsforschung, 5(5): 27-29. 4. Prentice JC, Pizer SD (2007): Delayed access to health care and mortality. Health Services Research. Apr;42(2):644-62. 5. SHARE (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (2004)) 6. Krobot KJ, Miller WC, Kaufman JS (2004). The disparity in access to new medication by type of health insurance. Lessons from Germany. Med Care 42, 487-491. 7. Martin S, Heinemann L, Lodwig V, Schneider B, Kolb H (2008). Analyse der Versorgungsqualität bei Typ-2-Diabetes bei gesetzlich und privat versicherten Patienten. Deutsche Medizinische Wochenzeitschrift (133) 42, 1143-1150. 8. Sawicki PT (2005): Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Ein randomisierter simultaner Sechs-Länder-Vergleich aus Patientensicht. Medizinische Klinik-Intensivmedizin und Notfallmedizin (100) 11, 755-768. 9. Mielck A, Helmert U (2006): Vergleich zwischen GKV- und PKV-Versicherten: Unterschiede bei Morbidität und gesundheitlicher Versorgung. Gesundheitsmonitor 2006. Gesundheitsversor gung und Gesundheitsgestaltungsoptionen aus der Perspektive von Bevölkerung und Ärzten. Hrsg. Böcken J, Braun B, Amhof R, Schnee M. Gütersloh 2006. 32-52. Heier M, Marstedt G (2013): Das Ärzteimage in der Bevölkerung: Im Schatten von IGEL und Zweiklassenmedizin. Gesundheitsmonitor 2012. Bürgerorientierung im Gesundheitswesen. Hrsg. Böcken J, Braun B, Repschläger U. Gütersloh 2012. 54-78 10. NAV-Virchow-Bund 2009, Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschland e.v. Zwei-Klassen-Medizin ist längst Realität. Pressemeldung 10.09.2009. 06 07

Die Legende von der Zwei-Klassen-Medizin das deutsche Versorgungsniveau im internationalen Vergleich Dr. Timm Genett Als Geschäftsführer des Verbandes der Privaten Krankenversicherung leitet Dr. Timm Genett die Abteilung Politik. Das Leitmotiv der Gesundheitspolitik in ganz Europa lautet: Allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von ihren ökonomischen Möglichkeiten die notwendige medizinische Versorgung auf dem Stand des therapeutischen und diagnostischen Fortschritts zu gewährleisten. Dieses herausragende gesundheitspolitische Ziel verfolgen mehr oder weniger alle Länder der OECD-Welt. _Die spezifische Marktferne von Gesundheitssystemen und die Tendenz zur Rationierung von Dr. Timm Genett Dieses gesundheitspolitische Leitmotiv verträgt sich indes schlecht mit den Leistungs- und Preisdifferenzierungen eines freien Marktes. Vielmehr zeichnen sich die Gesundheitssysteme gerade auch marktliberaler Länder durch kollektive Finanzierung und einheitliche staatliche Preisregulierung von in der Regel ebenso einheitlichen Leistungskatalogen im Rahmen der medizinischen Grundversorgung aus. Die relative Marktferne von Gesundheitssystemen hat insbesondere deshalb eine spezifische Staatsnähe zur Folge, weil die Steuerung von Angebot und Nachfrage nicht auf einen marktüblichen Preismechanismus zurückgreifen kann und jedes Gesundheitssystem vor einem Mengenproblem steht. Denn sowohl der theoretisch unbegrenzte Behandlungsbedarf des Patienten als auch die Tendenz der Leistungserbringer, möglichst viel medizinische Leistungen anzubieten, würden das System in kürzester Zeit an die Grenze zur Unfinanzierbarkeit bringen. Infolge des fehlenden Preismechanismus müssen Angebot und Nachfrage durch gesetzliche Steuerung zur Deckung gebracht werden. Dies geschieht in der Europäischen Union durch unterschiedliche Formen der Rationierung: Wartezeiten von Wochen und Monaten auf eine Behandlung, oft organisiert über offizielle Wartelisten; Einschränkung der freien Arztwahl durch Gatekeeping oder Hausarztsysteme; Expliziter Ausschluss von Leistungen wie Zahnersatz oder von Arzneimitteln auf Basis von Positivlisten; International Implizite Leistungseinschränkung durch Budgetierung; Verweigerung von Behandlungen bei älteren Menschen, wenn der finanzielle Aufwand zu hoch, der Nutzen zu gering erscheint (Großbritannien, Schweden). Eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Institutes der PKV (WIP) belegt jetzt empirisch, was wir immer schon geahnt haben und was zugleich viel zu selten gesagt wird. Deutschland ist von diesen realen Rationierungsszenarien unserer unmittelbaren Umwelt weit entfernt. Im OECD-Vergleich treten vielmehr die Besonderheiten Deutschlands als ein Land mit sehr geringem Rationierungsniveau umso deutlicher hervor. Egal ob gesetzlich oder privat versichert, können sich Patienten in Deutschland über den umfangreichsten Leistungskatalog, die geringsten Wartezeiten, die größte Patientenautonomie bei der Auswahl von Ärzten und Krankenhäusern und sehr maßvolle Zuzahlungen freuen. Der internationale Vergleich widerlegt zugleich die These, dass einheitliche Krankenversicherungssysteme eine Prophylaxe gegen Zwei-Klassen-Medizin sein könnten. Das Gegenteil ist der Fall: mit dem hohen Rationierungsniveau korrespondieren in allen OECD-Staaten mit Einheitssystemen ebenso hohe Versorgungsunterschiede, da die vorenthaltenen Leistungen privat dazu gekauft werden oder in privaten Zusatzversicherungen abgesichert werden. Das staatliche Versorgungssystem wird umgangen, um sich in der reinen Privatpraxis oder in Privatkliniken behandeln zu lassen. _Wartezeiten In Deutschland wartet die Mehrheit der Versicherten egal, ob PKV- oder GKV-versichert gar nicht oder maximal eine Woche auf einen Termin. Die durchschnittliche Wartezeit auf einen Facharzttermin beträgt für die GKV-Versicherten 16 Tage (Quelle: Universität Hamburg). Entsprechend hoch ist die Zufriedenheit (Messung WINEG/TK). Bei internationalen Befragungen über die Wartezeit auf einen geplanten Eingriff oder einen Facharzttermin schneidet Deutschland am besten ab vor den Niederlanden, Schweiz, USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Neuseeland und Schweden (Commonwealth Fund International Health Policy Survey 2010). Zum Vergleich: In Großbritannien stehen rund 5,5 Mio. Patienten auf Wartelisten. Die durchschnittliche Wartezeit von der Überweisung des Hausarztes bis zur stationären Behandlung beträgt über acht Wochen. Welche Norm in Großbritannien für zumutbar gehalten wird, zeigt der 2008 geschaffene Rechtsanspruch, demzufolge Patienten innerhalb von maximal 18 Wochen nach einer nicht notfallbedingten Überweisung behandelt werden müssen. In Irland beträgt die Wartezeit durchschnittlich 2,8 Monate. In 36 der 42 Krankenhäuser gab es Wartezeiten von über neun Monaten. In Schweden begrenzt ein Gesetz offiziell die Wartezeit für eine fachärztliche Behandlung auf drei Monate. Im Oktober 2011 warteten indes rund 22.000 Patienten länger als 90 Tage. Besonders lange Wartezeiten gibt es bei schweren Operationen: Auf eine neue Hüfte warten Patienten drei bis neun Monate bis zum ersten Untersuchungstermin im Krankenhaus. Danach vergehen noch einmal vier bis 12 Monate bis zur Operation. In Spanien standen Mitte 2011 rund 417.000 Menschen auf Warte- Merkmale von Gesundheitssystemen: OECD-Welt im Vergleich mit Deutschland OECD-Welt Wartezeiten / Wartelisten Gatekeeping Streichung von Leistungen Positivlisten Implizite Leistungseinschränkungen Behandlungsverweigerung Zahnersatz Zuzahlungen Ausdünnung der flächendeckenden Versorgung Situation in Deutschland (GKV) Sehr kurze Wartezeiten Freier Zugang zum (Vertrags-)Arzt, freiwillige Teilnahme an Hausarztprogrammen. G-BA trifft Entscheidungen nach Evidenz, Ausschluss ist die Ausnahme, bei Arzneimitteln nicht mehr möglich. Gestrichen wurden OTC, Brillen, Lifestyle-Präparate. Gibt es nicht. Bei Arzneimitteln Preisverhandlungen über Innovationen. Ja, über Budgetierung (Regelleistungsvolumina) Nein Ist im Versicherungsschutz enthalten (befundorientierte Festzuschüsse) Geringer Umfang, mit Belastungsgrenze Flächendeckende Versorgung mit Haus- und Fachärzten, Krankenhäusern und and. Heilberufen Die Zusammenhänge von Einheitssystemen und Rationierung auf den Punkt gebracht In Ländern mit einheitlichen Krankenversicherungssystemen bestehen größere Versorgungsunterschiede als im deutschen dualen System von GKV und PKV. Steuerfinanzierte Gesundheitssysteme rationieren am stärksten. Die Finanz-und Staatsschuldenkrise hat das Problem der Rationierung in vielen Ländern weiter verschärft. Einheitssysteme sind Wegbereiter der Zwei-Klassen-Medizin. Abb. 1 Abb. 2 08 09

listen für Operationen. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt 64 Tage, bei einer Hüftprothese beträgt die Wartezeit über 90 Tage. In den Niederlanden gibt es besonders lange Wartezeiten in Ballungsgebieten: Auf eine Hüftprothese warteten Patienten in Amsterdam im Sommer 2012 bis zu 24 Wochen, auf eine Leistenbruchoperation in Rotterdam bis zu 52 Wochen. _Eingeschränkte Wahlfreiheit des Patienten In Deutschland gilt für alle Versicherten grundsätzlich die freie Arzt- und Krankenhauswahl (mit geringfügigen Einschränkungen in der GKV, wie der Begrenzung auf Vertragsärzte). In den steuerfinanzierten Einheitssystemen Dänemark, Finnland, Spanien und Portugal kann weder der Hausarzt noch der Facharzt vom Patienten selbst ausgesucht werden. In Großbritannien gibt es keine freie Wahl des Primärarztes. In den Niederlanden wird die Wahl des Hausarztes in der Praxis eingeschränkt, z.b. durch Begrenzung auf Ärzte mit Wohnortnähe. In Frankreich müssen Patienten finanzielle Nachteile in Kauf nehmen, wenn sie sich nicht bei einem Arzt registrieren. _Begrenzter Leistungsumfang Der Leistungsumfang der deutschen GKV ist deutlich größer als in anderen OECD-Ländern. So gibt es in den Niederlanden keine Physio- und keine Psychotherapie. In Schweden entscheiden Anteil der Befragten in %, die weniger als einen Monat auf einen Facharzttermin warten mussten Commonwealth Fund International Health Policy Survey 2010, WIP 2012 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Deutschland 83 82 80 Schweiz USA GB 72 70 Niederlande 61 Neuseeland Australien 54 53 Frankreich 50 Norwegen 45 41 Schweden Kanada Abb. 3 Provinzlandtage über die Kostenübernahme bestimmter Operationen. In Irland finanzieren 70 Prozent der Patienten ihren Hausarzt privat, weil sie die Einkommensschwelle für einen Erstattungsanspruch überschreiten. In Australien, Kanada, Dänemark, Irland, Italien, Luxemburg, Niederland, Schweiz ist der Zahnersatz ausgeschlossen. Im Arzneimittelbereich sind Positivund Negativlisten sowie weitere Instrumente internationaler Rationierungsstandard. Es gibt Leistungsausschlüsse auf Basis von Kosten-Nutzen-Bewertungen, z.b. über QALYs in Großbritannien. Zuzahlungen sind in steuerfinanzierten Gesundheitsdiensten, die über Leistungsausschlüsse, Wartezeiten und Gatekeeping steuern, in der Regel kein typisches Rationierungsinstrument (Ausnahme: Schweden, Norwegen). In der OECD sind Zuzahlungen ansonsten zum Teil deutlich höher als in Deutschland. Besonders hoch sind die Zuzahlungen in Frankreich: 25 Prozent der Krankheitskosten müssen im Durchschnitt privat getragen werden. _Private Auswege aus der Rationierung: Selbstzahlung und Zusatzversicherung In allen OECD-Ländern entsteht Zwei-Klassen-Medizin in Reaktion auf und korrespondierend zum jeweiligen nationalen Rationierungsniveau. Die Patienten umgehen die Leistungsbeschränkungen im staatlichen Versorgungssystem und lassen sich in der reinen Privatpraxis oder Privatklinik behandeln, vorausgesetzt, sie sind individuell in der Lage, die ärztliche Leistung selbst zu bezahlen oder sich eine private Zusatzversicherung zu leisten. Die duplizierende Zusatzversicherung ist in den meisten OECD-Staaten längst ein Indikator für erhebliche Rationierung in der gesetzlichen Grundversorgung. Die Menschen sichern sich mit diesen Produkten einen Anspruch auf Leistungen ab, den sie rechtlich schon haben, praktisch aber nicht durchsetzen können. Derartige Versicherungen werden vor allem genutzt, um die Wartezeiten und Einschränkungen der freien Arztwahl in staatlichen Gesundheitssystemen zu umgehen (Großbritannien, Irland, Australien, Neuseeland, Spanien, Dänemark). In Italien, Norwegen, Dänemark und Spanien gibt es private Zusatzversicherungen, die den Zugang zur Behandlung in der Privatklinik oder beim Privatarzt ermöglichen. Eine weitere Reaktion finanzkräftiger Patienten auf Rationierung in Einheitssystemen ist im übrigen der Medizin-Tourismus, der häufig nach Deutschland führt. Und die Versorgungsunterschiede nehmen in allen OECD-Ländern zu, da die Gesundheitsausgaben in den gesetzlichen Systemen seit der Finanzkrise gebremst werden, stagnieren oder gar sinken. Einige Länder wandeln sich dabei zu Laboratorien forcierter Rationierung. Investitionen werden auf Eis gelegt, Löhne und Gehälter des Gesundheitspersonals werden gekürzt oder eingefroren, Zuzahlungen werden erhöht, Wartezeiten steigen an. Die Ausnahme ist wiederum Deutschland: Hier haben sich die Gesundheitsausgaben 2010 zu 2009 um real 2,4 Prozent erhöht, während sie in Europa im Schnitt um 0,6 Prozent zurückgegangen sind. Die Zuzahlung Praxisgebühr wurde abgeschafft. _Fazit Der internationale Vergleich zeigt: Deutschland hat nicht nur ein auffallend geringes Niveau medizinischer Rationierung. Unter dem Aspekt der Versorgungsgerechtigkeit ist Deutschland auch das Land, das dem eingangs zitierten Leitmotiv des gleichen Zugangs aller Bürgerinnen und Bürger zu einer hochwertigen medizinischen Versorgung am nächsten kommt. Von Serviceaspekten abgesehen, gibt es in der Grundversorgung von PKV- und GKV-Versicherten keinen substantiellen Versorgungsunterschied. Unterschiede existieren vielmehr in Segmenten, die GKV- und PKV-Versicherten über Zusatzversicherungen (Zahnersatz, Wahlleistungen) gleichermaßen offen stehen. Im Gegensatz dazu haben sich in allen einheitlichen Krankenversicherungsmärkten der OECD-Welt Strukturen einer echten Zwei-Klassen-Medizin herausgebildet. Der Grund für diese Unterschiede ist nicht in der deutschen Kultur zu suchen, sondern wurzelt in der Struktur des dualen Krankenversicherungssystems. Im Ausland haben wir in der Regel ein gesetzliches Versicherungssystem für alle, aber exklusive parallele Versorgungssysteme. In Deutschland stärken dagegen zwei unterschiedliche Versicherungssysteme ein inklusives Versorgungssystem für alle. Der Systemwettbewerb von PKV und GKV wirkt zugleich als Korrektiv gegen Rationierung, weil Leistungsunterschiede in einem gemeinsamen Versorgungssystem sofort sichtbar werden und begründungspflichtig sind. Wer vor diesem Hintergrund dennoch von einer angeblichen Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland spricht, hat offensichtlich kein Interesse an tatsächlichen Problemen, sondern spekuliert auf den politischen Mehrwert der Skandalisierung, um so ideologische Ziele wie Bürgerversicherung oder den integrierten bzw. einheitlichen Krankenversicherungsmarkt zu befördern. Dabei wird die Etablierung einer echten Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland offenkundig in Kauf genommen. 1. Verena Finkenstädt, Frank Niehaus: Rationierung und Versorgungsunterschiede in Gesundheitssystemen. Ein internationaler Überblick, Köln 2013. 10 11

Systemfrage Private und Gesetzliche Krankenversicherung - Zwei-Klassen-Medizin oder Koexistenz von zwei Versicherungssystemen? Sind dann mit der Kritik an der (vermuteten) Existenz einer Zwei-Klassenmedizin die Vision und das Streben nach einer (implizit besser erwarteten) Einheitsmedizin verbunden? Idealtypisch wäre hier ein gleiches medizinisches Angebot für alle Bürger unabhängig vom Versicherungs- oder Sozialstatus oder von finanziell verfügbaren Mitteln anzustreben. Ein Zukaufen zusätzlicher und ggf. höherwertiger medizinischer Leistungen wäre nicht nötig. 3 Allerdings die Behandlung (PV = GV). Zudem berichten sie seltener über Kommunikationsschwierigkeiten im Krankenhaus und mussten weniger häufig zu Wiederholungseingriffen ins Krankenhaus. Insofern scheint die deutsche Situation kaum von gravierenden Nachteilen durch den Versicherungsstatus geprägt zu sein. _ Besondere Aspekte des deutschen Systems sind Probleme, wie eine von der Postleitzahl ab- Zwei-Klassenmedizin wird häufig mit einem von Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen hängigen Versorgungsqualität und Wartelisten unterschiedlichen Leistungsumfang assoziiert: nur zwei Beispiele von Umsetzungsschwierig- So erhält eine Bevölkerungsgruppe nur die Der Zugang zu einer aus heutiger Sicht sehr begrenzten gesundheitlichen Versorgung war im Mittelalter von der gesellschaftlichen Klasse abhängig und geprägt durch Hospize und Armenhäuser. Die Vorstellung vom Irdischen Jammertal ließ den Tod als Ausweg in Form des Zugangs zu Himmel und Gottseligkeit erscheinen. Erst im 18. Jahrhundert orientieren sich die Versorgungsstrukturen mit der Gründung von ersten großen Spitälern zunehmend an der Behandlung Kranker und weniger an der Versorgung Benachteiligter. Mit der Gründung von Einrichtungen wie die der Berliner Charité oder des Wiener Allgemeinen Krankenhauses findet zudem die Krankenbehandlung aller Schichten Eingang in das Versorgungskonzept der Bevölke- Das Konzept der Zwei-Klassen Unterteilung kann als historische Anleihe aus den Theorien der Klassengesellschaft mit der Differenzierung von Unter-, Mittel- und Oberschicht verstanden werden. Insofern ist der Begriff der Zwei-Klassengesellschaft negativ besetzt: Nur Privilegierte haben uneingeschränkten Zugang zur ersten Klasse. Dies ist eng mit den Forderungen nach Abkehr gerade von durch den Kapitalismus geprägten Klassengrenzen verbunden und mündet bei Sozialismus und Kommunismus in die politische Utopie einer klassenlosen Gesellschaft. In einer extremeren Ausprägung würde Zwei-Klassenmedizin gar dazu führen, dass Begünstigte negative Einflüsse auf Benachteiligte verursachen. keiten einer Einheitsmedizin in anderen Gesundheitssystemen (Hierzu siehe auch Genett in diesem Heft). Selbst hinsichtlich der Finanzierung weisen die staatlich organisierten und steuerfinanzierten Systeme Brüche auf, indem sie z.b. private Zusatzversicherungen zulassen. Nach Schulze Ehring und Weber (2008) wäre zudem die Ein-Klassen-Medizin mit einer Aufgabe von jeglichem Wettbewerb verbunden und nur dann darstellbar, wenn die medizinischen Möglichkeiten nicht über das Finanzierbare hinausge- notwendige Grundversorgung, wohingegen der finanziell besser gestellten Gruppe differenzierte individuelle Gesundheitsleistungen zur Verfügung stehen. Problematisch, insbesondere hinsichtlich der Fairness des Zugangs, wird die Leistungs- und Qualitätsdifferenzierung zu Lasten Dritter gesehen: Bei gegebenen medizinischen Versorgungskapazitäten geht die Wahl einer besseren medizinischen Versorgung zu Lasten Gesetzlich Versicherter oder führt zur Verdrängung anderer Leistungen: Muss der Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen Seit Dezember 2008 leitet Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen das SDK-Institut für Gesundheitsökonomie an der Steinbeis-Hochschule Berlin. rung. Die Industrialisierung brachte das Verlangen nach der qualitativen Das deutsche Gesundheitswesen kennzeichnet ein Nebeneinander zweier hen. 3 Kassenpatient länger warten, weil der Privatpa- Verbesserung eines quantitativ ausreichenden Sockelwohlstandes und unterschiedlicher Vollversicherungssysteme. Insofern kann man zu Recht tient bevorzugt wird (= negativer externer Effekt) John Adams, der 2. US-Präsident verkündete erstmals das verbrieftes Ziel, von einer Gesundheitsversorgung in einem Zwei-Versicherungssystem Die Qualität der Gesundheitsversorgung in west- oder würde der Kassenpatient genau so lange Ease, comfort and security zu erreichen. sprechen, welches historisch aus der schrittweisen Einführung der ge- lichen Staaten unterscheidet sich und ist stark warten müssen, wenn es den Privatpatienten Heute sind die Anforderungen an die Gesundheitsversorgung insbesondere setzlichen Krankenversicherung durch Bismarck entstanden ist. Interna- von der individuellen länderbezogenen Wahr- nicht gäbe? 3 (S.7) Insofern läge hier ein externer durch eine stark individualisierte Betrachtung gekennzeichnet. Dies zeigt tional charakterisiert das deutsche System eine ausgeprägte Wahlmög- nehmung geprägt. Bei einem repräsentativen Effekt vor: Die (Be)Handlung eines Einzelnen hat sich in den Erwartungen an das deutsche Gesundheitswesen, die in der lichkeit mit kaum beschränktem Zugang. Wie in anderen Systemen auch, Vergleichs der Gesundheitssysteme in AUS, Auswirkung auf die Gesundheit eines unbetei- 5. Delphi-Studie zur Zukunft des Gesundheitswesens - Perspektive 2020 sind allerdings in der Entwicklung der Gesundheitssysteme immer wieder CAN, NZ, USA, UK, D zeigte sich für deutsche ligten Dritten. Um diesen Aspekt näher zu be- - untersucht wurden. 1 Hier fand sich ein deutlicher Zuspruch eines einheit- Kompromisse in der Ausgestaltung von Leistungen und Systemfinanzie- Patienten (PV - Privat Versicherte, GV Gesetz- leuchten, werden die besonderen Aspekte des lichen und vom Einkommen unabhängigen Versorgungsanspruchs und -zu- rung zu beobachten: So wäre idealtypisch zwar z.b. die Forderung nach lich Versicherte) eine geringere Zuzahlung als deutschen Systems aufgezeigt. gangs durch die Bevölkerung. Sowohl die Gleichheit des Zugangs zur Ver- vollständiger Verteilungsgerechtigkeit anzustreben und dann erfüllt, wenn in USA und AUS - jedoch höher als in UK,NZ, sorgung als auch die Wahlfreiheit bei der Ausgestaltung werden begrüßt. Bürger mit gleichem Einkommen proportional gleiche Beiträge in die Ge- CAN. 4 Deutsche Patienten haben seltener aus Das deutsche Gesundheitssystem ist durch eine Allerdings findet sich Skepsis gegenüber dem Vertragswettbewerb sowie sundheitsversorgung leisten und Einwohner mit höherem Einkommen finanziellen Gründen auf Leistungen verzichten stationäre Versorgung mit einer fallpauscha- der Bindung an einzelne Leistungsanbieter - auch wenn grundsätzlich eine entsprechend höhere Beiträge zahlen. 2 Dies wird auch in der Finanzie- müssen (häufiger im Vergleich zu UK). Sie haben lierten Erstattung der Leistungen (DRG) und Integration der Versorgung gewünscht wird. Interessant ist die gleichzei- rung der Gesetzlichen Krankenversicherung nur eingeschränkt erreicht: häufiger Doppeluntersuchungen erhalten (PV einer ambulanten Versorgung auf Basis eines tige Befürwortung von Einheitlichkeit von Tarifen, andererseits soll aber die So fällt ab der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV keine weitere doppelt so häufig) und eine kürzere Wartezeit eher Einzelleistungs-basierten Honorierungs- Wahlfreiheit unbedingt gewährleistet sein. Zudem scheinen grundsätzlich Erhöhung der Beitragszahlungen an. In der PKV wird nach Erreichen auf eine Elektivoperation. Sie benötigen seltener systems gekennzeichnet. Nach streng liberal- ökonomische Finanzierungsprinzipien wie Tarifvielfalt akzeptabel zu sein, der Versicherungspflichtgrenze der Beitrag individuell risikobasiert eine Notfallversorgung im Krankenhaus (PV ökonomischer Interpretation sind die beteiligten allerdings ohne Leistungsunterschiede zugestehen zu wollen. berechnet. 2 häufiger) und warten im Krankenhaus kürzer auf Leistungserbringer in einem derartigen System 12 13

starken ökonomischen Anreizen ausgesetzt. So sieht Le Grand (2003) die angebotenen Gesundheitsleistungen stark in Abhängigkeit von der mit ihrer Erbringung verbundenen Versdienstmöglichkeiten. 5 Allerdings ist die Theorie des alleinigen Nutzenmaximierers, des homo oeconomicus, starker Kritik ausgesetzt und wird zunehmend hinterfragt. 6 Sie gehört nicht zuletzt im Gesundheitswesen auch in den sozialen Kontext gestellt und beinhaltet gerade hier auch (immer noch) selbstlose Motive. Dennoch sind die ökonomischen Realitäten und Zwänge zu beachten, und so zeigt eine aktuelle Befragung der deutschen Ärzteschaft, dass 52% aller befragten niedergelassenen Ärzte die finanzielle Situation der Praxis so einschätzen, dass sie ohne Privatpatienten wirtschaftlich nicht überleben könnten. 7 Schulze Ehring und Weber (2008) sehen als Ausdruck einer Zwei-Klassenmedizin nur einen potentiell negativen externen Effekt auf unbeteiligte Dritte in der Situation, in der der PKV-Versicherte im Wartezimmer vorgezogen wird und der GKV-Versicherte länger warten muss (Terminabsagen zu Lasten Dritter werden bisher nicht berichtet). 3 Auch wenn im internationalen Vergleich die Wartezeiten in Deutschland am niedrigsten ausfallen, kommt es im direkten Vergleich zu Unterschieden in der deutschen Versorgung, die nicht zuletzt auch durch das deutsche Honorierungssystem bedingt werden. So gaben im Rahmen einer aktuellen repräsentativen Allensbach- Befragung der deutschen Bevölkerung 20% der Privat Krankenversicherte im Vergleich zu 17% der Gesetzlich Krankenversicherten an, dass sie einmal sehr lange auf eine Arzttermin warten mussten, zudem mussten 23% gegenüber 19% einmal trotz Termins lange im Wartezimmer warten. Wurde nach mehrmaligen Erfahrungen mit längeren Wartezeiten gefragt, war dies bei Privat Versicherten mit 15% halb so ausgeprägt wie bei Gesetzlich Versicherten. 7 Ein vergleichbarer Effekt ist auch in der stationären Versorgung zu beobachten. Sauerland et al. (2009) zeigten in einer standardisierten Untersuchung von Wartezeiten auf planbare Elektiveingriffe, dass Gesetzlich Versicherte 1,5 Tage länger, insgesamt 11 Tage, bei Knöchelbruch, Herzkranzgefäßverengungen und Krebsverdacht warten müssen. 8 Hat diese Differenz negative gesundheitliche Folgen? Prentice et al. (2007) wiesen zur Auswirkung von Wartezeiten auf das Behandlungsergebnis nach, dass erst bei einer Wartezeit von mehr als 31 Tage ein negativer Einfluss auf die klinische Ergebnisqualität zu beobachten ist. 9 So könnte vielmehr durch unterschiedliche Versorgungsangebote sogar ein positiver externer Effekt entstehen: Durch die Vielfalt des höherwertigen Angebots könnte auch für die Grundversorgung Dritter eine Verbesserung erreicht werden. 3 Nicht untersucht ist zudem die weiterführende Frage nach der Intensität der Diagnostik und der Ein- oder Überweisungspraxis bei Privat Versicherten. Wenn die beschriebenen monetären Anreize einerseits zu einer verringerten Wartezeit führen, wäre auch ein korrespondierender Effekt auf eine umfangreiche Diagnostik zu vermuten: So könnte eine diagnostische Überversorgung Privat Krankenversicherter auch zu Verzögerungen hinsichtlich der durchzuführenden Behandlung führen. Neben den Wartezeiten ist zudem auch bei der Arzneimittelversorgung kein negativer externer Einfluss festzustellen: Privat versicherte Patienten erhalten zwar mehr innovative Präparate, diese Andersversorgung ist aber nicht die Ursache für die höhere Generikaquote der GKV-Versicherten. Eine eingeschränkte Verfügbarkeit von innovativen Medikamenten durch die bevorzugte Nutzung dieser Medikamente durch Privat Versicherte ist nicht gegeben. 3 _Veränderte Wahrnehmung des deutschen Gesundheitswesens Die Wahrnehmung des deutschen Gesundheitswesens verändert sich: So herrschte in 2007 noch die Einschätzung, dass die Zwei-Klassen Medizin weiter zunimmt. 10 Allerdings sinkt in der neuesten Allensbach Befragung der Anteil der GKV-Versicherten, die sich Sorgen machen, aus Kostengründen eine notwendige Behandlung nicht mehr zu erhalten, von 46% in 2010 auf 34% in 2012. 7 In der PKV steigt die Sorge auf niedrigem Niveau von 10% auf 11% leicht an. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass die Zuversicht in das deutsche System stetig zunimmt. So stieg der Anteil derjenigen Befragten, die zuversichtlich hinsichtlich der Sicherung der zukünftigen Gesundheitsversorgung waren, von 15% in 2008 auf 38% in 2012. 7 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die im internationalen Vergleich geringfügigen Unterschiede im Zugang zu Gesundheitsleistungen keine Bevölkerungsgruppe hinsichtlich der Ergebnisqualität diskriminieren bzw. schädigen. Im Rahmen der Akut- und Notfallversorgung sind zudem keinerlei Unterschiede in der Versorgung nach Versicherungsstatus zu beobachten. Daher kann weniger von einer Zwei-Klassenmedizin als von einem Zwei-Säulen-Versicherungssystem gesprochen werden, das historisch entstanden ist und - historisch bedingt - geringfügige, aber medizinisch nicht relevante Unterschiede im Zugang zu Leistungen und ggf. Komfort aufweist. 1 Nolting, Hans-Dieter, Albrecht, Martin, Schwinger, Antje, Wasem, Jürgen, Overstijns, Toon, Mangen, Marcel, and Klesse, Mario. Gesundheit als Chance - 5. Delphi-Studie zur Zukunft des Gesundheitswesens. 2009. Janssen-Cilag. Ref Type: Report. 2 Kreisz FP, Gericke C. User choice in European health systems: towards a systematic framework for analysis. Health Economics, Policy and Law 2010;5(1):13-30. 3 Schulze Ehring, Frank and Weber, Christian. Zwei-Klassen-Medizin - Behauptungen und Wahrheit. Ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. Verband der privaten Krankenversicherung e.v. 1.1.2008. Ref Type: Report 4 Sawicki P. Qualität der Gesundheitsversorgung in Deutschland - Ein randomisierter simultaner Sechs-Länder-Vergleich aus Patientensicht. Medizinische Klinik 2005;100(11):755-66. 5 Le Grand, J. Motivation, Agency and Public Policy. New York: Oxford University Press, 2003. 6 Ockenfels, Axel. Fairness, Reziprozität und Eigennutz Ökonomische Theorie und Experimentelle Evidenz. Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 108. 1.1.1999. Mohr Siebeck. Ref Type: Serial (Book,Monograph). 7 Köcher, Renate. MLP Gesundheitsreport 2012/13. Institut für Demoskopie Allensbach. 23-1-2013. MLP. Ref Type: Report. 8 Sauerland D, Kuchinke BA, Wübker A. Warten gesetzlich Versicherte länger? Zum Einfluss des Versichertenstatus auf den Zugang zu medizinischen Leistungen im stationären Sektor. Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2009;14(1):86-94. 9 Prentice J, Pizer S. Delayed access to health care and mortality. Health Serv Res 2007;42(2):644-62. 10 Köcher, Renate and Schroeder-Wildberg, Uwe. MLP Gesundheitsreport 2007 - Institut für Demoskopie Allensbach. 1.11.2007. Ref Type: Slide. Abkürzungsverzeichnis und Glossar _Abkürzungsverzeichnis DRG: Diagnosis Related Groups GKV: Gesetzliche Krankenversicherung OECD: Organization for economic co-operation and development PKV: Private Krankenversicherung QALY (Quality adjusted life year): Qualitätskorrigiertes Lebensjahr WIP: Wissenschaftliches Institut des PKV-Verbandes _Glossar Beitragsbemessungsgrenze: Die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) stellt die Einkommensgrenze dar, bis zu der der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhoben wird. Bis 2002 war diese identisch mit der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Seitdem ist sie nur noch mit der besonderen Jahresarbeitsentgeltgrenze identisch. Die Beitragsbemessungsgrenze der GKV liegt 2013 bei 3.937,50 Euro monatlich oder 47.250 Euro jährlich. Bürgerversicherung: Schlagwort für ein Einheitssystem, welches die Abschaffung des dualen Gesundheitssystems aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung vorsieht. Alle Bürger sollen sich darin, unabhängig vom Berufsstand, mit einem festgelegten Prozentsatz des Einkommens an der Finanzierung beteiligten. In den Wahlprogrammen der eine Bürgerversicherung befürwortenden Partien (SPD, Grüne, Die Linke) ist die Ausgestaltung, welche Einkommensquellen zur Finanzierung herangezogen werden, unterschiedlich. Duales Krankenversicherungssystem: Ein Zwei-Säulen-System, das aus einer gesetzlichen Krankenversicherung (umlagefinanziert) und einer privaten Krankenversicherung (kapitalgedeckt) besteht. Der Zugang zur privaten Krankenversicherung ist nur Personen möglich, die bestimmte Bedingungen erfüllen (z.b. Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze). Auch Beamte und Selbstständige haben die Möglichkeit, sich privat zu versichern. Einheitssystem: Innerhalb eines solchen Systems werden alle System-Nutzer unter den gleichen Bedingungen und mit den gleichen Maßstäben behandelt. Es gibt keine Rangfolge und keine Hierarchisierung. Faktoren, die eine solche Hierarchisierung bedingen könnten, z.b. Einkommen, gelten nicht als Maßstäbe für den Erhalt von Leistungen. Gatekeeping: Form der medizinischen Versorgung, in der beispielsweise ein Hausarzt als erste Anlaufstelle für den Patienten sämtliche Behandlungsschritte koordiniert. Er nimmt dabei die Funktion eines Lotsen bzw. Schleusenwärters (= Gatekeeper) ein. OECD-Welt: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist eine internationale Organisation mit 34 Mitgliedstaaten. Ihnen ist gemein, dass sie sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Das Pro-Kopf-Einkommen ist in den meisten OECD-Ländern hoch, so dass sie dadurch als entwickelte Länder gelten. Positivlisten: Aufstellung zugelassener Arzneimittel, deren Kosten von den Kassen übernommen werden. QALY (Quality adjusted life year): Ein qualitätskorrigiertes Lebensjahr ist eine Kennzahl für die Bewertung eines Lebensjahres. Sie wird in Relation zur Gesundheit gebildet. Ein Jahr voller Gesundheit entspricht einem QALY. QALYs als Art Nutzwerte für ein Lebensjahr, werden häufig in der gesundheitsökonomischen Evaluation genutzt. Rationierung: Unter Rationierung versteht man allgemein eine Zuteilung nur beschränkt vorhandener Güter oder Dienstleistungen. Im Gesundheitswesen unterscheidet man zwischen primärer/sekundärer, harter/weicher und expliziter/impliziter Rationierung. Dabei geht es meist um die Zuteilung med. Budgets, Leistungen und Arzneimittel-Zuteilung gegenüber Patienten sowie vorhandene/nicht vorhandene Möglichkeiten, med. Leistungen (legal) dazuzukaufen. Ein Beispiel für Rationierung sind Wartezeiten. Versicherungspflichtgrenze: Auch Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) genannt, ist die relevante Einkommensgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), ab der die Versicherungsfreiheit oder Befreiung aus der Versicherungspflicht eintritt. Für das Jahr 2013 liegt die allgemeine Jahresarbeitsentgeltgrenze bei 52.200 Euro (jährliches Brutto-Arbeitsentgelt). Die Jahresarbeitsentgeltgrenze wird jedes Jahr per Rechtsverordnung an die Veränderung der durchschnittlichen Bruttolohn- und Gehaltssumme angepasst. Vertragsärzte: Vertragsarzt ist jeder im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Behandlung von sozialversicherten Patienten zugelassene Arzt. Organisiert sind zugelassene Vertragsärzte in den Kassenärztlichen Vereinigungen. Wahlleistungen: Als Wahlleistungen bezeichnet man Leistungen, die über die Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hinausgehen. Zu den Wahlleistungen im Krankenhaus zählen etwa die Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer und die Chefarzt-Behandlung. Wahlleistungen im Krankenhaus gehören nicht zum Umfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und können nur im Rahmen einer Krankheitskostenvollversicherung oder Krankheitskostenteilversicherung versichert werden. GKV-Versicherte können Wahlleistungen im Krankenhaus über eine Ergänzungsversicherung bekommen. _Weiterführende Links Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) Rationierung und Versorgungsunterschiede in Gesundheitssystemen. Ein internationaler Überblick. http://www.wip-pkv.de Kampagne des PKV-Verbandes Gesundheit braucht Vielfalt http://www.gesundheit-braucht-vielfalt.de Gemeinsame Aktion der Betriebsräte der Privaten Krankenversicherungsunternehmen Bürgerversicherung? Nein Danke! http://www.buergerversicherung-nein-danke.de 14 15

Vielseitiges Engagement in wichtigen Bereichen der Gesellschaft - Die SDK-Stiftung Beim Symposium 2013 sprachen Experten vor über 150 Zuhörern über die vermeintliche Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland. Die SDK-Stiftung wurde 2007 gegründet. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft verwaltet die SDK-Stiftung treuhänderisch. Sie fördert das Gesundheitswesen, Wissenschaft und Forschung, Umweltschutz, Kunst und Kultur, Bildung und Erziehung sowie mildtätige Zwecke. Aktuell unterstützt sie die Hilfsorganisation Ärzte der Welt und die Benefiz-Radveranstaltung Tour Ginkgo der Christiane Eichenhofer-Stiftung. Der SDK-Stiftungslehrstuhl für Gesundheitsökonomie wurde zum 1. Dezember 2008 an der Steinbeis-Hochschule Berlin eingerichtet. Die Steinbeis-Hochschule ist eine der größten deutschen Hochschulen für postgraduale Masterstudiengänge. Lehrstuhlinhaber ist Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen. Als Mediziner und Gesundheitsökonom verfügt er über langjährige Erfahrung als Berater im Gesundheitswesen. Brüggenjürgen ist im Vorstand des Deutschen Verbandes für Gesundheitswissenschaften und Public Health und im erweiterten Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie. Einmal jährlich veranstaltet die SDK-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem SDK-Institut für Gesundheitsökonomie das SDK-Symposium. Bei der Tagesveranstaltung kommen Experten aus dem Gesundheitswesen zu Wort und beleuchten aktuelle Themen aus Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik. https://www.sdk.de/unternehmen/sdk-stiftung