Jugendhilfefachtag Nürnberg, 25. April 2012 Dialektisch Behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A) Kristin von Auer
Überblick Symptomatologie Biosoziale Theorie Therapiestruktur Dialektische Strategien Commitment Validierung Skillstraining
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) Symptomatologie (um eine BPS zu diagnostizieren, müssen nach DSM-IV mindestens 5 der folgenden Kriterien vorhanden sein) 1. Verzweifeltes Bemühen, reales oder imaginäres Alleinsein zu verhindern 2. Ein Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen 3. Identitätsstörungen: Eine ausgeprägte Instabilität des Selbstbildes oder des Gefühls für sich selbst
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) Symptomatologie 4. Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (z.b. Geld ausgeben, Sex, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Essanfälle) 5. Wiederkehrende Suiziddrohungen, -andeutungen oder -versuche oder selbstschädigendes Verhalten 6. Affektive Instabilität, die durch eine ausgeprägte Orientierung an der aktuellen Stimmung gekennzeichnet ist (z.b. starke episodische Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit oder Angst)
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) Symptomatologie 7. Chronisches Gefühl der Leere 8. Unangemessen starke Wut oder Schwierigkeiten, Wut oder Ärger zu kontrollieren (z.b. häufige Wutausbrüche, andauernder Ärger, wiederholte Prügeleien) 9. Vorübergehende stressabhängige paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome
Biosoziales Entstehungsmodell (Linehan) Emotionale Vulnerabiliät + Invalidierendes Umfeld
Biosoziales Entstehungsmodell Emotionale Vulnerabilität Hohe Sensitivität prompte Reaktionen niedrige Reizschwelle Hohe Reaktivität extreme Reaktionen starke Erregungszustände beeinflussen kognitive Prozesse Langsame Rückkehr zum Ausgangsniveau langanhaltende Reaktionen hohe Sensitivität für nachfolgende emotionale Stimuli
Biosoziales Entstehungsmodell Invalidierendes Umfeld (emotionale) Reaktionen und Mitteilung persönlicher Erfahrungen werden nicht als stimmige Selbstbeschreibungen akzeptiert, als sozial unakzeptabel charakterisiert oder pathologisiert Extremform Missbrauch Das Umfeld lehrt das Individuum nicht, Gefühle richtig zu benennen und zu regulieren fundamentale Verunsicherung bzgl. eigener Gefühlswahrnehmung
Bausteine der stationären DBT-A Einzeltherapie (2 x 45 Min) Skillsgruppe (2 x 90 Min) Bezugspersonenstunden (45 Min) Achtsamkeitsgruppe (30 Min) Gespräche mit Eltern oder Betreuern aus den Einrichtungen Elterngruppe (alternativ: Skillsgruppe mit Jugendlichen und Eltern) Patientengruppe (Jugendkonferenz) (Basisgruppe)
Station Wellenreiter Behandlungsangebot Qi-Gong oder Yoga (tägl. 20 Min) Klinikschule (2-3 Schulstunden/ Tag) Zusatztherapien (Musik-, Kunst-, Reit-, Moto-, Ergotherapie, Capoeira)
Setting Ambulantes Vorgespräch zur Diagnostik und Abklärung der Behandlungsvoraussetzungen Aufnahme auf die Warteliste Drei Monate Behandlungsdauer Intervallbehandlung bei Bedarf Realitätserprobungen an den Wochenenden
Einzeltherapieplanung Ambulantes Vorgespräch : Diagnostische Erhebung Information über Hauptziele, Dauer und Ablauf der Behandlung (z.b. Module der Skillsgruppe) Aufklärung über Umgang mit Selbstverletzungen und Suizidalität Beziehungsaufbau, Commitment und Behandlungsvertrag
Einzeltherapieplanung Die ersten 2-3 Wochen: Aufklärung über Diagnose und Biosoziales Modell Aufklärung über die Hierarchie der Therapieziele Erstellen einer Verhaltensanalyse (VA) zur letzten Selbstverletzung, zum letzten Suizidversuch oder Therapieabbruch, Vorstellung der VA im Team Spannungsmodell entwickeln
Einzeltherapieplanung Die nächsten 6-8 Wochen: Orientierung an der Hierarchie der Therapieziele
Einzeltherapieplanung Die letzten 2-4 Wochen: Erstellung eines Notfallplans Kontakt zum ambulanten Therapeuten Abschlussgespräch mit Jugendhilfeeinrichtung und/oder Eltern: Vorstellung der Skillsbox, Bilanzierung Bilanzierung, Rückmeldung und Verabschiedung
Familiengespräche Anamneseerhebung Entwicklung/ Vermittlung eines Störungsmodells Förderung von Akzeptanz/ Verständnis für die Symptomatik der Jugendlichen Vermittlung von Strategien zum Umgang mit typischen Verhaltensweisen der Jugendlichen Einsatz von Strategien zur Verbesserung der familiären Kommunikation und Interaktion Ggf. Empfehlung von Einzel- oder Paartherapie für die Eltern Klärung der Perspektive (z.b. Schule, Wohnort, Unterstützungsmöglichkeiten)
Planung der Bezugspersonenstunden Pflegeanamnese Erstellen einer individuellen Spannungskurven Vorstellung und Training von Skills
Bezugspersonenstunden (BP) Die ersten 2-3 Wochen: Beziehungsaufbau, Struktur der BP erklären Pflegeanamnese Skills vorstellen, gemeinsam ausprobieren, üben; bereits angewandte Fertigkeiten als Skills identifizieren, Skillskette Ggf. Abendritual entwickeln
Bezugspersonenstunden (BP) Die nächsten 6-8 Wochen: Spannungskurve und Skillsauswertung Skillsbarometer erstellen Überprüfung der aktuellen Skillskette Resumee über bisherigen Verlauf, Planung der weiteren BP-Stunden Wunschaktivitäten, z.b. Eisessen, Billiard
Bezugspersonenstunden (BP) Die letzten 4 Wochen: Liste für Skillseinkauf erstellen Skillsbox vorbereiten, Karteikarten erstellen Gemeinsamer Skillseinkauf in der Stadt Skillsbox fertigstellen Skillsbox gemeinsam Familie oder Einrichtung vorstellen Abschlussstunde mit Resumee und Verabschiedung
Umgang mit selbstverletzendem Verhalten (SVV) In Krisen kann die Patientin zu einer Mitarbeiterin kommen und erhält Unterstützung Validierung Unterstützung beim Einsatz von Stresstoleranzskills abendliches Abzeichnen von Diary-Cards durch Mitarbeiter bei Situationsverschlechterung Angebot von Unterstützung
Umgang mit selbstverletzendem Verhalten (SVV) Ist bereits selbstverletzendes Verhalten erfolgt, so erhält die Patientin wenig Zuwendung - Vorgehen: Wundversorgung Information Dienstarzt wenn notwendig chirurgische Versorgung veranlassen Aushändigen des Verhaltensanalyse-Protokoll einstündiger Aufenthalt im Zimmer zur Erstellung der Verhaltensanalyse (VA) Durchsprechen der VA mit dem Einzeltherapeuten
DBT Behandlungsstrategien - Dialektische Beziehungsgestaltung - Teeter-Totter
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Pro und Contra Advocatus Diaboli Fuß-in-der-Tür / Tür-im-Gesicht Erinnern an frühere Zustimmungen Betonen der freien Wahlmöglichkeit Cheerleading
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Pro und Contra - Ausgangsidee: - Menschen halten sich eher an Vereinbarungen, an die sie glauben, als an solche, an die sie nicht glauben. - Ziele: - Vorteile einer geprüften und getroffenen Entscheidung wiederholen. - frühzeitige Argumente gegen Zweifel entwickeln, die ziemlich sicher später auftauchen werden.
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Advocatus Diaboli - Wenn eine schwache Zustimmung seitens des Patienten vorhanden ist, Argumente entwickeln, die gegen eine Zustimmung sprechen. - Die Argumente müssen etwas schwächer als die Argumente des Patienten für eine Zustimmung sein. - Diese Technik verstärkt das Gefühl des Patienten, Wahlmöglichkeiten, und daraus folgernd, Kontrolle von zu Auer haben.
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Fuß-in-der-Tür - eine einfachere Anforderung wird von einer schwierigeren gefolgt. Tür-im-Gesicht - zunächst mehr verlangen, als der Patient erwartet, um dann etwas leichteres zu vereinbaren.
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Erinnern an frühere Zustimmungen - wenn die Stärke einer früheren Zustimmung abzunehmen scheint. - wenn das Verhalten der Patientin nicht (mehr) mit bereits getroffenen Vereinbarungen kongruent ist. - in Krisensituationen sehr sinnvoll, weil das Entwickeln neuer Zustimmungen gerade dann extrem schwierig sein kann.
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Betonen der freien Wahlmöglichkeit - Zustimmung und Zusammenarbeit werden verstärkt, wenn Menschen glauben, eine Entscheidung aus freien Stücken getroffen zu haben. - Aber: T sollte die Entscheidungsfreiheit von P betonen und gleichzeitig klar realistische Konsequenzen der jeweiligen Entscheidungen aufzeigen.
DBT Behandlungsstrategien - Commitmentstrategien - Cheerleading - Die Patientin ermutigen, um kleinste Fortschritte zu verstärken und zu betonen, dass sie alles in sich trägt, um letztendliche Schwierigkeiten bewältigen zu können.
Definition: DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - Dem Gegenüber vermitteln, dass seine subjektive Sicht der Dinge für ihn stimmig und daher nachvollziehbar ist.
DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - V1 : ungeteilte Aufmerksamkeit Interessiert und ungeteilt aufmerksam sein Erinnern von früher Gesagtem Nicht werten Dialektik: Teilnehmerin in P s Welt werden und Beobachterin bleiben
DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - V2 Genaue Reflektion: Vermitteln, dass das Gesagte gehört und verstanden wurde ( Ich habe dies und das verstanden, stimmt das? ) Nachfragen (um zu verstehen) Beibehaltung der Modi (Emotion, Kognition, Verhalten) Dialektik: P s Perspektive ist nicht die einzig mögliche aber der IST-Zustand
DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - V3 Verbalisieren: Aussprechen von Emotionen, Gedanken oder Verhaltensmustern, die die Patientin erlebt, aber nicht ausspricht (als Hypothese) Wechsel der Modi Mind Reading Deutlich machen, dass die Reaktionen der Patientin nachvollziehbar und vorhersagbar sind Vorhersagen, welche Konsequenzen eine therapeutische Intervention haben wird
DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - V4 Validierung in Termini vergangener Lernerfahrungen oder biologischer Dysfunktion: Annahme: jedes Verhalten hat seine Ursache und ist daher nachvollziehbar Bei der Geschichte, wie könnte die Reaktion anders sein. Normale Reaktion bei einer biologischen Dysfunktion Unterscheidung zwischen dem Verstehen, wie und warum eine Reaktion zustande kommt und dem Gutheißen der Reaktion
DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - V5 Validierung in Termini von gegenwärtigen Umständen: Therapeut sucht den gegenwärtigen Stimulus, die Bewertungsprozesse des Patienten und die verfügbaren Handlungskompetenzen für das jeweilige Verhalten und zeigt, dass das Verhalten auf den Stimulus nachvollziehbar ist Wenn Sie die Dinge so und so sehen, ist es nachvollziehbar, dass sie so und so fühlen oder handeln... Differenziere zwischen subjektiver und objektiver Stimmigkeit V5 öffnet die Tür zur Veränderung
DBT Behandlungsstrategien - Validierungsstrategien - V6 P als valide behandeln - Radikale Echtheit: Das Verhalten wird an der gesellschaftlichen Norm gemessen. In der Situation hätte jeder so reagiert. Das Verhalten entspricht nicht der Norm. TherapeutIn glaubt an P und ihre Fähigkeiten zur Veränderung und Bewegung in Richtung ihrer Lebensziele PatientIn wird respektvoll als Person mit gleichem Status behandelt (P nicht in Watte packen)
DBT Behandlungsstrategien - Fertigkeitentraining - Skills-Gruppe, in der Skills (Fertigkeiten) erlernt werden Besprechen und Üben von Skills in der Einzeltherapie und den Bezugspersonenstunden Hausaufgabe, Skills im Alltag zu üben Mitarbeiter unterstützen Patientin in der Anwendung von Skills und üben diese mit ihr im Stationsalltag
Skillsgruppe Problembereich I. Identitätsunsicherheit und Denkstörungen Modul Innere Achtsamkeit II. Starke Gefühls- und Stimmungsschwankungen Umgang mit Gefühlen III. Impulsivität Stresstoleranz IV. Chaotische zwischenmenschliche Beziehungen Zwischenmenschliche Fertigkeiten V. Schwarz-Weiß-Denken Walking the middlepath VI. Geringes Selbstwertgefühl Selbstwert
Rahmenbedingungen: Skillsgruppe Alle Patientinnen, 2 Therapeuten, 1 Mitarbeiter aus dem Pflege- und Erziehungsdienst 2-mal wöchentlich 90 Minuten mit Pause Offene Gruppe Themenbezogene Gruppe Fertigkeitentraining orientiert an dem Manual von Renate Böhme und Christian Fleischhaker
Allgemeine Methoden: Psychoedukation Skillsgruppe Bearbeitung vorgegebener Themen in der Großgruppe Kleingruppenarbeit Hausaufgaben Übungen Spezifische Methoden
Skillsgruppe Ablauf: Eingangsrunde Achtsamkeitsübung Besprechung der Hausaufgaben aktuelles Thema neue Hausaufgabe Abschlussrunde
Skillsgruppe Was heißt DBT-A? Problembereiche und zugehörige Module vorstellen Bio-soziales Modell Achtsamkeit Stresstoleranz Emotionsregulation Zwischenmenschliche Fertigkeiten Den goldenen Mittelweg finden Selbstwert