Belehrungspflichten gegenüber Unternehmen ( 19 Absatz 5 VVG)



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Transkript:

Dr. Anja Mayer, Rechtsanwältin, Wilhelm Rechtsanwälte, Düsseldorf, www.wilhelm-rae.de Belehrungspflichten gegenüber Unternehmen ( 19 Absatz 5 VVG) 1. EINLEITUNG Vor Abschluss des Versicherungsvertrages trifft den Versicherungsnehmer eine Anzeigepflicht gemäß 19 Absatz 1 VVG gegenüber dem Versicherer. Er muss dem Versicherer alle gefahrerheblichen Umstände anzeigen, die für den Versicherer erheblich sind und nach denen er in Textform gefragt hat. Verletzt der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht, so kann der Versicherer abhängig vom Verschulden des Versicherungsnehmers gemäß 19 Absatz 2-4 VVG vom Vertrag zurücktreten (vorsätzliche oder grob fahrlässige Nichtanzeige), kündigen oder den Vertrag anpassen (fahrlässige Nichtanzeige). 1.1 Belehrung über Anzeigepflichtverletzung Das Rücktritts-, Kündigungs- oder Anpassungsrecht des Versicherers setzt gemäß 19 Absatz 5 Satz 1 VVG voraus, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung belehrt hat. Hierzu muss der Versicherer den Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss durch eine gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hinweisen. Was im Einzelfall unter einer gesonderten Mitteilung zu verstehen ist, welchen Inhalt sie hat und an welcher Stelle sie zu erfolgen hat, ist höchstrichterlich nicht geklärt und streitig. 1 Unterbleibt die Belehrung oder ist sie unwirksam stehen dem Versicherer die vorgenannten Rechte trotz Anzeigepflichtverletzung nicht zu. Er hat die Versicherungsleistung zu erbringen. 1.1.1 Funktion der Belehrung Die Belehrung gemäß 19 Absatz 5 VVG dient somit dem Schutz des Versicherungsnehmers. Sie soll den Versicherungsnehmer vor den Konsequenzen warnen, die sich aus einer Nichtanzeige be- 1 Vgl. hierzu Mayer, VP 12/2010. PARTNERSCHAFT VON RECHTSANWÄLTEN SITZ: DÜSSELDORF AG ESSEN PR 1597

- 2 - kannter Gefahrumstände ergeben. Das Risiko einer fehlenden oder falschen Belehrung liegt beim Versicherer. Die Belehrungspflicht gemäß 19 Absatz 5 VVG stellt eine halbzwingende Vorschrift dar. Das bedeutet, dass von ihr gemäß 32 VVG nur zu Gunsten des Versicherungsnehmers abgewichen werden kann. Insoweit schränkt die Vorschrift die Vertragsfreiheit der Parteien des Versicherungsvertrages ein und trägt so den Interessen des Versicherungsnehmers Rechnung. Dieser wird damit als der in der Regel geschäftsunkundigere und schwächere Vertragsteil eingestuft. 1.1.2 Bedeutung der Belehrungspflicht Verweigert der Versicherer im Versicherungsfall die Deckung mit einem Hinweis auf eine Anzeigepflichtverletzung, kann der Versicherungsnehmer geltend machen, der Versicherer habe ihn über die Folgen der Nichtanzeige gefahrerheblicher Umstände nicht zutreffend belehrt. In diesem Fall trägt der Versicherer entsprechend der Warnfunktion die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Belehrung gemäß 19 Absatz 5 Satz 1 VVG. 2 Angesichts der Unsicherheiten über den Inhalt und den Umfang der Belehrungspflicht ist der Nachweis der ordnungsgemäßen Belehrung für den Versicherer mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und von praktischer Bedeutung. 1.2 Abschluss von Industrieversicherungen Werden Industrieversicherungen abgeschlossen, ist auf Seiten des zu versichernden Unternehmens häufig ein erfahrener Mitarbeiter, ein Versicherungsmakler oder eine Versicherungsvermittlungsgesellschaft des Unternehmens tätig. Diese schließen die gewünschte Versicherung mit dem Versicherer ab. Dabei treten sie als Vertreter des zukünftigen Versicherungsnehmers auf. Verweigert der Versicherer in einem späteren Versicherungsfall die Deckung wegen einer vermeintlichen Anzeigepflichtverletzung, wird sich das versicherte Unternehmen ebenfalls auf eine unzutreffende oder fehlende Belehrung durch den Versicherer berufen. Unter Umständen wird der Versicherer vorbringen, er habe den Versicherungsnehmer (das Unternehmen) wegen besonderer Sachkunde der Beteiligten, insbesondere des Versicherungsmaklers, bereits nicht beraten müssen. 2 Vgl. zum Umfang der Beweislast des Versicherers bei Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit Mayer, VP 12/2010.

- 3 - Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die Belehrungspflicht des Versicherers auch dann uneingeschränkt gilt, wenn der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrages wie in der Industrieversicherung üblich - versicherungsrechtlich sachkundig beraten oder vertreten wurde. 2. BELEHRUNGSPFLICHT DES VERSICHERERS AUCH GEGENÜBER SACHKUNDIG VERTRETENEN UNTERNEHMEN 2.1 Kein Wegfall der Belehrungspflicht bei Vertretung durch Versicherungsmakler Gemäß 19 Absatz 5 Satz 1 VVG hat der Versicherer den Versicherungsnehmer über die Folgen der Anzeigepflichtverletzung zu belehren. Eine ausdrückliche Einschränkung der Belehrungspflicht des Versicherers danach, ob der Versicherungsnehmer durch einen Makler vertreten ist oder selbst sachkundig ist, enthält das Gesetz nicht. 2.1.1 Versicherer als Belehrender Der Versicherer hat die Belehrung über die Versicherungsleistung selbst zu erbringen. Er kann sich hierbei auch durch einen Dritten (Versicherungsvertreter) vertreten lassen. Der in den Abschluss des Versicherungsvertrages involvierte Versicherungsmakler ist kein Vertreter des Versicherers. Der Versicherungsmakler vertritt die Interessen des Versicherungsnehmers. Wird die Belehrung durch einen Versicherungsmakler erteilt, so stellt sie wohl keine Belehrung des Versicherers dar. In seinem Urteil vom 3. November 2010 3 stellte das OLG Hamm fest, dass die Fragen nach anzeigepflichtigen, gefahrerheblichen Umständen ( 19 Absatz 1 VVG) in einem Maklerfragebogen keine eigenen Fragen des Versicherers sind. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Versicherungsmakler als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Versicherungsnehmers tätig sei. Es sei Anliegen des Gesetzes, das Risiko einer Fehleinschätzung der Gefahrerheblichkeit auf den Versicherer zu verlagern. Etwas anderes gelte nur dann, wenn sich der Versicherer den Fragebogen des Versicherungsmaklers vor der Beantwortung zu Eigen gemacht habe. Diese Erwägungen sind auch auf die Belehrungspflicht gemäß 19 Absatz 5 VVG übertragbar. Die Belehrung des Versicherungsnehmers hat vor Stellung des Versicherungsantrages (Ausfüllen des Antrages/Fragebogens) zu erfolgen. Nur so kann die Belehrung, ihre Warnfunktion erfüllen. Übernimmt der Versicherungsmakler die Belehrung handelt es sich daher nicht um eine Belehrung des 3 OLG Hamm, Urteil vom 3. November 2010, Az. I-20 U 38/10, r + s 2011, 198.

- 4 - Versicherers. Der Versicherungsmakler ist Interessenvertreter des Versicherungsnehmers. Wären seine Handlungen sogleich solche des Versicherers, wäre dem Schutz des Versicherungsnehmers nicht ausreichend Rechnung getragen. 2.1.2 Vertreter des Versicherungsnehmers als Adressat der Belehrung Adressat der Belehrungspflicht ist dem Gesetzeswortlaut nach der zukünftige Versicherungsnehmer. Wird der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrages rechtsgeschäftlich vertreten, ist der Vertreter Adressat der Belehrung. Ist der Vertreter ein Versicherungsmakler, so ist die Belehrung an ihn zu richten. 2.1.3 Kenntnis des Versicherungsmaklers unerheblich Fraglich ist, ob die besondere Sachkunde des Versicherungsmaklers ausnahmsweise den Wegfall der Belehrungspflicht begründen kann. Das OLG Hamm hat dies im vorgenannten Urteil zu Recht verneint: Auch die Kenntnis des Versicherungsmaklers von den Folgen einer Anzeigepflichtverletzung lasse die Belehrungspflicht des Versicherers nicht entfallen. Der Wortlaut des 19 Absatz 5 Satz 1 VVG enthalte keine Einschränkung hinsichtlich des zu belehrenden Personenkreises. Die Belehrung solle vielmehr nach dem Anliegen des Gesetzes gegenüber jedermann erfolgen. Eine bloße Gesetzeskenntnis könne eine Mitteilung gemäß 19 Absatz 5 VVG nicht ersetzen. Wenn Gesetzeskenntnis eine Mitteilung entbehrlich mache, müsste auch eine Gesetzeskenntnis des Versicherungsnehmers ausreichen. Hierfür biete das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Auch die der Belehrung zukommende Warnfunktion werde verfehlt, wenn man bereits eine bloße Gesetzeskenntnis ausreichen ließe. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Auffassung enthält auch 20 VVG. Wird der Versicherungsvertrag von einem Vertreter geschlossen, so ist bei der Anwendung des 19 Absätze 1 bis 4 VVG neben der Kenntnis des Versicherungsnehmers auch die Kenntnis des Vertreters maßgeblich. Zwar zielt 20 VVG auf die tatsächlichen Umstände einer Anzeigepflichtverletzung und nicht auf die Rechtskenntnis. Die Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung nach 19 Absatz 5 VVG nimmt 20 VVG nicht in Bezug. Für diese Vorschrift ist die Kenntnis des Versicherungsmaklers auch unerheblich.

- 5-2.2 Kein Wegfall des gesonderten Hinweiserfordernisses Der Versicherer hat die Belehrung in einem gesonderten Hinweis in Textform zu erteilen. Fraglich ist, ob diese formale Anforderung wegen der Beratung oder Vertretung des Versicherungsnehmers durch einen Versicherungsmakler entfällt. Die gesonderte Textmitteilung verkörpert die Warnfunktion der Belehrung. Wird die Belehrung in allgemeinen Versicherungsbedingungen oder in einem Fließtext erteilt, wird sie dieser vom Gesetzgeber gewollten Funktion nicht mehr gerecht. Es fehlt an einem räumlichen und inhaltlichen Zusammenhang zu den Fragen des Versicherers nach gefahrerheblichen Umständen. Daher ergeben sich auch bei der Involvierung eines Versicherungsmaklers keine Erleichterungen für den Versicherer hinsichtlich der Form und Gestaltung der Belehrung. 2.3 Kein Ausweichen der Belehrungspflicht in der Industrieversicherung Das OLG Hamm führt in seiner Entscheidung aus, dass bloße Gepflogenheiten in der Industrieversicherung für sich allein keinen Anlass geben, den Anwendungsbereich von 19 Absatz 5 VVG einzuschränken. Dies gilt umso mehr als das Gesetz ein mögliches Abweichen von der Belehrungspflicht bei bestimmten Versicherungsverträgen erlaubt. Im Falle sogenannter Großrisiken im Sinne des 210 VVG können die Parteien durch Vereinbarung von 19 Absatz 5 VVG abweichen. Damit enthält das Gesetz eine flexible Ausnahme für bestimmte Konstellationen. Außerhalb des 210 VVG bestehe daher kein Bedürfnis, die Anforderungen an die Belehrungspflicht weiter einzuschränken. Es bestehe keine Rechtfertigung dafür, den Bereich der Industrieversicherung vom Anwendungsbereich des 19 VVG auszunehmen. 3. ABBEDINGEN DER BELEHRUNGSPFLICHT NUR BEI GROßRISIKEN GEMÄß 210 VVG Das Belehrungserfordernis gemäß 19 Absatz 5 VVG können die Vertragsparteien nur gemäß 210 VVG einschränken. 3.1 Funktion des 210 VVG Die Einschränkung der Vertragsfreiheit aufgrund (halb-)zwingender Vorschriften des VVG gilt nicht bei Vorliegen von Großrisiken oder laufenden Versicherungen gemäß 210 VVG. 3.1.1 Großrisiko

- 6 - Das Gesetz unterstellt das Vorliegen eines Großrisikos in bestimmten Konstellationen. Ein Großrisiko liegt vor, wenn eine Versicherung in einer besonderen, im Gesetz genannten Versicherungssparte geschlossen wird (bspw. Transportversicherung oder Kreditversicherung für gewerbliche Versicherungsnehmer). Ein Großrisiko liegt auch vor, wenn der Versicherungsnehmer in der Sach-, Haftplicht oder sonstigen Schadenversicherung bestimmte wirtschaftliche Kenngrößen 4 übersteigt. 3.1.2 Laufende Versicherung Eine laufende Versicherung liegt vor, wenn das versicherte Risiko bei Vertragsschluss nur der Gattung nach, d.h. abstrakt bezeichnet wird und erst nach seiner Entstehung dem Versicherer einzeln angemeldet wird (z.b. in der Montage-, Bauleistungs-, Filmversicherung). 5 3.1.3 Folge: Abweichung durch Parteivereinbarung In den Fällen eines Großrisikos oder einer laufenden Versicherung können die Vertragsparteien durch Vereinbarung von (halb-)zwingenden Vorschriften des VVG abweichen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Versicherungsnehmer in diesen Versicherungszweigen typischerweise geschäftlich erfahren ist und des gesetzlichen Schutzes durch eine Einschränkung der Vertragsfreiheit nicht bedarf. Dementsprechend können die Parteien bei Vorliegen der Voraussetzungen des 210 VVG eine Abweichung (auch zu Lasten des Versicherungsnehmers) oder sogar die Außerkraftsetzung von 19 Absatz 5 Satz 1 VVG vereinbaren. Sie können durch Vereinbarung die Belehrungspflicht des Versicherers ganz abbedingen oder auf eine gesonderte Textform der Belehrung verzichten. 3.2 Anforderungen an die Abbedingung der Belehrungspflicht Die Abbedingung des 19 Absatz 5 Satz 1 VVG im Rahmen des 210 VVG setzt eine ausdrückliche oder stillschweigende rechtsgeschäftliche Vereinbarung des Versicherungsnehmers und des Versicherers voraus. Die Abschlusspraxis in der Industrieversicherung stellt keine derartige Vereinbarung dar. 4 Der Versicherungsnehmer muss zwei der folgenden drei Merkmale übersteigen: a) EUR 6,2 Millionen Bilanzsumme, b) EUR 12,8 Millionen Nettoumsatzerlöse, c) im Durschnitt 250 Arbeitnehmer pro Wirtschaftsjahr beschäftigen. Gehört der Versicherungsnehmer zu einem Konzern ist der Konzernabschluss maßgeblich. 5 Armbrüster in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, Vorbem 53-58 Rn. 2 f.

- 7 - Wie das OLG Hamm klarstellt, ist ein stillschweigendes Abbedingen von 19 Absatz 5 VVG nicht in einer beständigen, abweichenden Handhabung bei Vertragsschluss zu sehen. Allein aus der ständigen Einschaltung des Versicherungsmaklers kann nicht auf einen vertraglichen Konsens geschlossen werden, dass das Wissen des Versicherungsmaklers um die gesetzliche Regelung das Belehrungserfordernis ersetzt oder dieses entfallen lässt. Eine solche Annahme wäre eine bloße Willensfiktion und keine Vereinbarung durch bewusstes Handeln. 4. FAZIT Die Belehrung des Versicherers gemäß 19 Absatz 5 VVG gegenüber Unternehmen als Versicherungsnehmern muss die gleichen Anforderungen erfüllen wie gegenüber anderen Versicherungsnehmern. Die Belehrungspflicht unterliegt dem gleichen inhaltlichen Maßstab. Der Versicherer kann sich nicht auf eine etwaige Sachkunde oder besondere Rechtskunde seines Versicherungsnehmers oder des in den Vertragsschluss involvierten Maklers berufen. Die Belehrungspflicht kann nur im Fall sogenannter Großrisiken gemäß 210 VVG abbedungen werden. Allein die Tatsache, dass die Belehrung im Industrieversicherungsgeschäft üblicherweise in allgemeinen Versicherungsbedingungen enthalten ist, stellt keine ausdrückliche oder stillschweigende Abbedingung einer gesonderten Belehrung dar. Beruft sich der Versicherer in einem Deckungsstreit auf eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung, sollten Industrieversicherungsnehmer daher stets prüfen, ob sie ordnungsgemäß nach 19 Absatz 5 VVG über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung belehrt worden sind. Dr. Anja Mayer Rechtsanwältin Wilhelm Partnerschaft von Rechtsanwälten Sitz: Düsseldorf - AG Essen: PR 1597 Fürstenwall 63 40219 Düsseldorf Telefon: + 49 (0)211 687746-24 Telefax: + 49 (0)211 687746-20 www.wilhelm-rae.de anja.mayer@wilhelm-rae.de