24. Kongress für Fremdsprachendidaktik der DGFF Migrationsbedingte Zwei-/Mehrsprachigkeit und Fremdsprachenlernen in der Grundschule (eine qualitative Studie unter besonderer Berücksichtigung der Herkunftssprache Russisch) Natalia Portnaia Hamburg, 29. September 2011
Agenda 1. Begründung des Forschungsinteresses 2. Fragestellung und Zielsetzung der Studie 3. Aktueller Forschungsstand 4. Design der Studie 5. Ergebnisse 6. Konsequenzen
1. Begründung des Forschungsinteresses ca. ein Drittel der Grundschüler besitzt einen Migrationshintergrund Einführung des Fremdsprachenunterrichts in der Grundschule Debatte Überforderung oder Chance
2. Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit Wie deuten die Kinder mit russischsprachigem Migrationshintergrund ihre aktuelle Sprachlernsituation in einer deutschen Grundschule mit Englisch als Fremdsprache vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen? Welche Handlungsmuster entwickeln sie im Umgang mit dieser Situation?
Kinder mit russischsprachigem Migrationshintergrund Eltern: Zugewanderte aus der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten (Aussiedler, Ausländer, (jüdische) Kontingentsflüchtlinge) zahlenmäßig starke Migrantengruppe Vitalität der russischen Sprache Sprachenkombination aus linguistischer Sicht: Deutsch + Englisch +Russisch + evtl. andere HS (z.b. Kasachisch)
3. Aktueller Forschungsstand Forschung zur Mehrsprachigkeit unter den Migrationsbedingungen DaZ-Erwerb (Apeltauer, Dirim, Gogolin, Neumann, Tracy u.a.) Mehrsprachige Biografien (Fürstenau, Reich u.a.) Erforschung der Sprachsituation russischsprachiger Migranten (Anstatt, Meng, Protassova u.a.) Forschung zum frühen Fremdsprachenunterricht Erforschung des Sprachenlernens in mehrsprachigen Kontexten (Cenoz, Hufeisen, Meißner u.a.) Tertiärsprachenforschung Mehrsprachigkeitsdidaktik empirische Vergleichsstudien zu den Leistungen von ein- vs. mehrsprachigen Lernern (KESS 4, EVENING, Elsner)
4. Design der Studie Unterrichtsbeobachtungen Befragung schriftlich mündlich 14 Kinder Eltern in 14 Familien Lehrerin Sprachenporträts Meine Sprache und Meine Schule
Datenauswertung Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring Erstellen der Lernprofile drei Fälle als Einzelfallanalyse
Aspekte der Sprach(lern)situation Wahrnehmung und Deutung Selbsteinschätzung Sprachengebrauch Wahrnehmung und Deutung Deutung eigener Rolle / Rolle anderer Sprachliches Können Sprachenlernen subjektiver Wert der Sprachen und Mehrsprachigkeit sprach(lern)- bezogene Anforderungen gesteuertes / nicht gesteuertes Lernen Lernerstrategien
Aspekte der Sprach(lern)situation Wahrnehmung und Deutung von Präsenz der Sprachen in Sprachlernprozessen Wahrnehmung der Ähnlichkeit der Sprachen Erfahrungen mit Sprachenlernen in multilingualen Kontexten Deutung der Rolle der vorhandenen Sprachkompetenzen Deutung der Rolle migrationsbedingter Mehrsprachigkeit beim Fremdsprachenlernen
5. Ergebnisse Welche Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster in der Sprachlernsituation lassen sich erkennen? Welche Erkenntnisse ergeben sich aus dem Perspektivenvergleich der Beteiligten?
Ergebnisse Heterogenität der Stichprobe / der Lernergruppe Spracherwerbsmodelle (mono-, bili-, trilinguales Aufwachsen, DaZ mit 3-9 Jahren) Famil. Sprachengebrauch (im mono- bzw. bilingualen Modus) Bildungsaspiration und Stile der Spracherziehung in den Familien: Russischförderung Eigener Lernwunsch / Sprachpräferenzen Unterschiedliche Kompetenzniveaus in Deutsch und Russisch Aktuelle Sprachlernprozesse: DaZ-Erwerb, Weiterlernen/Verlernen des Russischen Gleichzeitiges Sprachenlernen von 2 oder 3 Sprachen Individuelle Unterschiede in Wahrnehmung und Deutung der Sprachlernsituation Bewusstheit Emotionales Erleben Vorstellungen vom Sprachenlernen
Ergebnisse Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster Aktiver und positiver Umgang aktiver Umgang mit der Sprachlernsituation emotional positiv gefärbt eigene Rolle - als aktive erfolgreiche Lerner nutzen und schaffen die Lerngelegenheiten Präsenz der Sprachen - als Herausforderung, Versuch des koordinierten Sprachenlernens
I.: Wenn ihr Englisch lernt, habt ihr dann auch Russisch oder Deutsch im Kopf? Anna: Wie? Deutsch im Kopf? Nastja: Mhh, Deutsch, also, erst Englisch, dann Deutsch, dann Russisch. Anna: Ich habe alle im Kopf. Nastja: Wenn sagt sie (Englischlehrerin) one, dann mache ich eins und dann один (russ. für: eins) Anna: Ich auch. I.: Wie? Erklärt mir das jetzt mal. Anna: Also wenn sie sagt one, dann sage ich immer im Kopf ein und auf Russisch один (russ. für: eins) (66)
Ergebnisse Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster Überforderung Selbsteinschätzung der Sprach(teil)kompetenzen als mangelhaft Gefühl des Durcheinanders durch die Präsenz der Sprachen Angst vor Blamage bei Sprachinterferenzen Vermeidungsstrategien beim Gebrauch des Russischen und/oder des Englischen Übertragung negativer Erfahrungen
I.: Wenn ihr Englisch lernt, habt ihr dann auch Russisch oder Deutsch im Kopf? Thorsten: Russisch, wegen... wegen ich das auch nicht so gut kann wie ich Englisch nicht so gut kann. Das ist dann so fast gleich, wenn ich.. wenn man es sprechen muss. Habe ich beides so ein bisschen. (78) Vicki: Russisch, habe ich jedenfalls im Kopf. [...] Ich habe nur Russisch, da verstehe ich gar nicht. Also, wenn sie (Englischlehrerin) los redet, dann denke ich immer, das ist Russisch. Dann kapiere ich doch gar nichts. Dann denke ich, dass sie bla, bla redet. (lacht) (33)
Ergebnisse Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster Benachteiligt-Sein Wahrgenommene Ähnlichkeit von Deutsch und Englisch im Vergleich zu Russisch I: Es gibt ja Kinder, die nur eine Sprache können, Deutsch. Und Kinder, die Deutsch und Russisch können. Welche Kinder lernen schneller und besser Englisch? Inga: Weil paar englische Wörter, wie ich das gesagt habe schon, da setzt man tomate tomates und so, und die kennen das besser, Tomaten aussprechen, die können sie irgendwie besser aussprechen, glaube ich. (91) Die Vorstellung vom Englischlernen im Medium der deutschen Sprache Nastja: Ich glaube die Deutschen können besser lernen, weil die brauchen das nicht auf Russisch lernen oder auf Polnisch. (68) Die Vorstellung von begrenzten Gedächtniskapazitäten Thorsten: Die die nur Deutsch können. Wegen die noch viel Platz zum Beispiel im Gedächtnis haben. Für Sprache, und wie sie sich das merken können. Wegen die nicht so zwei Sprachen können. (...) Die können viel mehr Wörter merken. (78)
Ergebnisse Erkenntnisse aus dem Perspektivenvergleich Wahrnehmung und Deutung
Ergebnisse Erkenntnisse aus dem Perspektivenvergleich Handlung
6. Konsequenzen für den Unterricht Wahrnehmung als mehrsprachig Förderung der Mehrsprachigkeit als didaktisches Prinzip Umgang mit Mehrsprachigkeit üben Entwicklung negativer Emotionen verhindern Subjektive Vorstellungen vom Sprachenlernen thematisieren lebenslanges Sprachenlernen oder kein Platz im Kopf? für die Lehrerausbildung Erkenntnisse der Mehrsprachigkeitsforschung Sensibilisieren für die Heterogenität dieser Lernergruppe Eigene Sprachlernerfahrungen von Vorteil, mit typologisch nicht verwandten Sprachen, im nicht institutionellen Kontext)
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