Medikamentöse Behandlung der Alkoholabhängigkeit



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Transkript:

Medikamentöse Behandlung der Alkoholabhängigkeit PD Dr. med. Monika Ridinger Chefärztin Zentrum Suchtpsychiatrie und -psychotherapie Psychiatrische Klinik Königsfelden PDAG

Inhalt Ziele der Therapie bei Alkoholabhängigkeit Stufenmodell der Behandlung: Schadensminderung / Trinkmengenreduktion / Rückfallprävention Medikamentöse Behandlung der Alkoholabhängigkeit Zusammenfassung und Ausblick

Ziele der Behandlung Schadensminderung (Gesundheitsschäden / negative Auswirkungen Gesellschaft minimieren) Trinkmengenreduktion (z.b. Kontrollierter Konsum / Medikamente) Abstinenzerhaltende Massnahmen (Rückfallprävention / Medikamente) Lebensqualität erhalten / verbessern Verantwortlicher Umgang mit Suchtmitteln («das rechte Mass»)

Screening Risikokonsum Wieviel konsumieren Sie? Gibt es Einbussen in ihrem Leben durch den Konsum (körperlich, psychisch, eigene Ziele, Umfeld, Gesellschaft, etc.)? Haben ihnen schon einmal andere geraten, ihren Alkoholkonsum zu reduzieren? Haben sie sich schon einmal geärgert, dass ihnen andere vorgeworfen haben, sie trinken zu viel? Haben sie schon einmal morgens Alkohol getrunken, um wieder fit zu werden?

Schadensminderung 10g Ethanol sind 100 ml glass of wine (12% alc.) 330 ml can of beer (4% alc.) 30 ml spirit (40% alc.) Empfehlung der WHO Frauen < 20g Ethanol pro Tag 7 standard drinks A 750- ml bo?le of wine (12% alc.) contains approximately 70 grams of alcohol, equal to 7 standard drinks Männer < 30-40g Ethanol pro Tag Babor et al. The alcohol use disorders identification test: Guidelines for use in primary care. World Health Organization: Geneva; 2001

Trinkmengenreduktion oder stepped care (Sobell et al., 1999; 2010) Beginn mit der Intervention, die am wenigsten restriktiv, in den Alltag eingreifend ist, gute Ergebnisse verspricht und mit der Zufriedenheit des Betroffenen einhergeht

Kontrolliertes Trinken Festgelegter Trinkplan und Trinkregeln, z.b. Zeiten, Mengen, abstinente Tage Reduktion der Trinkmengen in Bereichen mit niedrigem Risiko à Kontrolle Trinktagebuch mit trinkfreien Tagen; Prinzip: Planung des Konsums Niederschwelliger Zugang Erhöhung der Bereitschaft zum Kontakt mit Suchthilfesystem

Abstinenz oder Trinkmengenreduktion? UK survey of pakents with alcohol problems (n=742) Canadian study of pakents with chronic alcoholism (n=106) 50%

Was die Menschen erreichen Orford & Keddie. Br J Addict 1986;81(4):495 504 12- month follow- up status by actual treatment received Allowing pa6ents to set their own treatment goals is more likely to result in a successful outcome

Achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention Interventionen der Zukunft? Risikokonsum von Alkohol Gebrauchs(störung) Zeitgeist Konsum Genuss Ablenkung Belohnung Stressregulation )

Achtsamkeit Von der «mindlessness» (Automatismus) hin zur «mindfulness» (Innenschau) Gewahrwerden innerer Haltungen (Garland et al., 2014) Aktivierung von Ressourcen und Selbstwirksamkeit Hin zur «Selbstheilung», Lebendigkeit

Achtsamkeit als «Erweiterung» des «Möglichkeitenraumes» Craving ReakKon AlternaKve ReakKonen

Achtsamkeit als «Erweiterung» des «Möglichkeitenraumes» Craving Achtsamkeit ReakKon AlternaKve ReakKonen

Studien zur Rückfallprävention mittels achtsamkeitsbasierter Verfahren JAMA Psychiatry. 2014 May;71(5):547-56. Rela6ve efficacy of mindfulness- based relapse preven6on, standard relapse preven6on, and treatment as usual for substance use disorders: a randomized clinical trial. Bowen S, Witkiewitz K, Clifasefi SL, Grow J, Chawla N, Hsu SH, Carroll HA, Harrop E, Collins SE, Lustyk MK, Larimer ME. N=286; Substanzabhängigkeit; Vergleich MBPR vs. RP vs. TAU (12-Schritte + PE), jeweils 8 Wo Ergebnisse verglichen mit TAU: MBRP + RP: geringere Rückfallquoten und geringere Konsummengen RP > MBRP (6 Mo): kürzere Zeit bis zum ersten Konsum MBRP > RP (12 Mo): signifikant weniger heavy drinking days (HDD) MBRP für Langzeiteffekte geeignet

Medikamente

Pharmakotherapie Chronischer Alkoholkonsum Serotonin Transmi?er GABA Glutamate Dopamine Opioids Effect SedaKve/anxiolyKc Reward/ mokvakon Pleasure/ euphoria Alkoholentzug Transmi?er GABA Glutamate Dopamine Endorphin Dynorphin Effect Withdrawal Reward deficiency NegaKve emokonal state Figure developed from Clapp et al. Alcohol Res Health 2008;31(4):310 339; Jupp et al., 2010

Aversivbehandlung: Disulfiram Disulfiram à Antabus (Ehrenreich et al., 2004; Laaksonen et al., 2008) Aldehyddehydrogenaseê à Acetaldehydé à (Flush, Tachykardie, RR ê, Erbrechen) Aversionstherapie (Bourdelat-Parks et al., 2005) Nachteile Compliance Toxizität Leberwerte (medikamentös induzierte Hepatitis) Verstärkung von gerinnungshemmenden Medikamenten (Cytochrom P-450)

Anticraving: Acamprosat à Campral GABA Analogon à Rückfallprävention (Mann et al., 2008) à Cravingê Besetzt NMDA- und mglu5- Rezeptoren (Antagonist) à Alkoholwirkung ê Nachteile - Geringe Bioverfügbarkeit - USA-Studien: keine ausreichende Wirkung (Anton et al., 2006; Mason et al., 2006) - Toleranzeffekte im Tiermodell (Cowen et al., 2005)

Abstinenzerhalt: Naltrexon à Naltrexin Nicht-selektiver Opioidrezeptor-Antagonist (µ) Akuter Alkoholkonsum à Dopaminé NAc à Direkt über ß-Endorphiné à Indirekt über GABA ê à Aufhebung EtOH-Wirkung à Alkoholkonsumê (Graham et al., 2002) à Cravingê > Acamprosat (Richardson et al., 2008) Cave à 6 Mo Haltequote 58% (Krumpl et al., 2004) (Raymond, 2008)

Nalmefen à Selincro Nalmefene is an opioid system modulator and acts as: Antagonist at µ-opioid receptors Antagonist at δ-opioid receptors Partial agonist at κ-opioid receptors Nalmefene diminishes the reinforcing effects of alcohol, helping the patient to reduce drinking possibly by modulating cortico-mesolimbic functions Neue Einsatzmöglichkeit: as needed Ziel: Trinkmengenreduktion Prefrontal cortex Nucleus accumbens Amygdala Ventral tegmental area Nalmefene Areas in the brain affected by alcohol, including the mesolimbic dopamine system Hippocampus Nalmefene Summary of Product Characteristics; Nalmefene European Public Assessment Report, 2012; Clapp et al. Alcohol Res Health 2008;31(4):310 339

HDD/TAC: change from baseline in the 1-year study: Patients with at least high DRL at baseline and randomisation SENSE: change in HDDs SENSE: change in TAC 19 HDDs 100 g/day Difference: - 3.6 HDDs, p=0.0164 Difference: - 17.3 g/day, p=0.0129 7 HDDs 33 g/day MMRM (OC) FAS eskmates and SE; *p<0.05; MMRM=mixed- effect model repeated measure;

Experimentelle GABAerge Substanzen (Besheer et al., 2004) Baclofen (MS) à GABA B -Agonist à DAé VTA Abstinenzé, Cravingê (Addolorato et al., 2007) Angstê Muskelrelaxation, Sedierung +EtOH à Koma, Schwindel, Dosierung? Toleranz? (Colombo et al., 2000) Experimentell: + Rezeptormodulatoren à Alkoholkonsumê, Dosisê, Toleranzê (Liang et al., 2006; Adams et al., 2007) Evidenz: wenige random. plazebokontr. Studien: Wirksamkeit (Addolorato et al., 2002 (4 Wo.); 2007 (10 Wo.)) Kein Vorteil gg. Plazebo (Garbutt et al., 2010 (12 Wo., 3x10mg/d) Off-Label Use à Aufklärungspflicht u. Haftung Arzt Dosierung 200-300mg/d: NW-Rate steigt (Schwindel, Erbrechen, Hypotonie, Bradykardie)

Zusammenfassung: Update medikamentöse Behandlung der Alkoholabhängigkeit Verantwortungsvoller Gebrauch und Schadensminderung Ansprechen Trinkmengenreduktion (Medikamente, Kontrollierter Konsum) Abstinenzerhalt (Medikamente) individuelle Behandlung («was will der Betroffene?»; Behandlung «as needed») Selbststeuerung, z.b. durch achtsamkeitsbasierte Verfahren / «das rechte Mass»

Viktor E. Frankl Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegen unsere Freiheit und die Möglichkeit, unsere Antwort zu wählen. In unserer Antwort liegt unser Wachstum und unsere Freiheit