Langzeitverlauf (Outcome) bei Patienten mit Chronisch Ventilatorischer Insuffizienz



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Aus dem Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft Direktor: Prof. Dr. med. Dieter Köhler Langzeitverlauf (Outcome) bei Patienten mit Chronisch Ventilatorischer Insuffizienz Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der gesamten Humanmedizin dem Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg vorgelegt von Marco Nietsch aus Gießen Marburg, 2010

Angenommen vom Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg am: 25. Februar 2010 Gedruckt mit Genehmigung des Fachbereichs Dekan: Prof. Dr. med. M. Rothmund Referent: Prof. Dr. med. B. Schönhofer 1. Korreferent: Prof. Dr. med. H. Becker

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Offenbarung 21,4-5

Gewidmet meiner Frau Kirsten, meinen Kindern Nele Sophia und Mia Madleen sowie meinen Eltern Guido und Eva-Maria, die mit ihrer Geduld, ihrer Ermutigung und ihrem Ansporn am Gelingen dieser Arbeit maßgeblich Teil gehabt haben.

Inhaltsverzeichnis I Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 1 2. Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz... 6 2.1 Ursachen der CVI... 6 2.1.1 Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)... 6 2.1.2 Thorakorestriktive Erkrankungen... 8 2.1.2.1 Thoraxwanddeformitäten... 9 2.1.2.2 Post-Tbc-Syndrom... 9 2.1.2.3 Obesitas-Hypoventilationssyndrom... 9 2.1.3 Neuromuskuläre Erkrankungen... 10 2.1.3.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)... 11 2.1.3.2 Muskeldystrophien... 11 2.1.3.3 Post-Poliomyelistis-Syndrom (PPS)... 12 2.1.4 Zentrale Atemdysregulation... 12 2.2 Symptomatik der CVI... 13 2.3 Therapie der CVI... 14 2.3.1 Intermittierende Selbstbeatmung (ISB) mit Positivdruck... 14 2.3.2 Kontrollierte Beatmungsformen (Controlled Mechanical Ventilation CMV)... 15 2.3.3 Assistierte Beatmungsformen... 16 2.3.4 Beatmungszugang bei NIV... 17 2.3.5 Indikation zur nicht-invasiven Selbstbeatmung... 18 3. Fragestellung der Arbeit... 20 3.1 Effekt der Intermittierenden Selbstbeatmung (ISB)... 20 3.2 Lebensqualität... 20 3.3 Überlebenszeitanalyse... 21 4. Methoden... 22 4.1 Datenerhebung... 22 4.1.1 Beobachtungsort... 22 4.1.2 Beobachtungszeitraum... 22

Inhaltsverzeichnis II 4.1.3 Einschlusskriterien... 22 4.1.4 Ausschlusskriterien... 23 4.1.5 Hauptdiagnosen... 23 4.1.5.1Chronisch obstruktive Lungenerkrankung... 23 4.1.5.2 Thorakorestriktive Ventilationsstörungen... 23 4.1.5.3 Neuromuskuläre Erkrankungen... 23 4.1.5.4 Obesitas-Hypoventilationssyndrom... 24 4.1.6 Beatmung und Procedere... 24 4.1.7 Messprotokoll der klinischen Untersuchung... 25 4.1.8 Allgemein klinisch relevante Parameter... 26 4.2 Standardisierte Diagnostik der CVI... 26 4.2.1 Kapilläre Blutgasanalyse (BGA)... 26 4.2.2 Nächtliche Sauerstoffsättigungs- und transkutane PaCO 2 -Messung... 27 4.2.3 Ganzkörperplethysmographie... 27 4.2.4 Atemdruckmessung... 27 4.2.4.1 Inspiratorischer Mundverschlussdruck (P0.1)... 28 4.2.4.2 Maximaler Inspiratorischer Mundverschlussdruck (P0.1max)... 28 4.2.4.3 Maximale inspiratorische Kraft (Pimax)... 28 4.2.4.4 Maximale exspiratorische Muskelkraft (Pemax)... 29 4.2.5 Atemmuster... 29 4.2.6 Hämoglobin und Hämatokrit... 29 4.2.7 Körpergewicht... 29 4.2.8 Fahrradergometrie... 30 4.2.9 6-Minuten-Gehtest (6-MGT)... 30 4.2.10 Epworth- Schläfrigkeitsskala (ESS)... 30 4.3. Messinstrumente zu Belastbarkeit und gesundheitsbezogener Lebensqualität... 31 4.3.1 SF-36... 31 4.3.2 Activity of Daily Living / Barthel Index (ADL)... 33 4.3.3 Fragebogen zur Beatmung (F-Bat)... 33 4.3.4 Fragebogen zur Wohn- und Betreuungssituation (Wo/Be)... 34

Inhaltsverzeichnis III 4.3.5 Fragebogen zur Sexualität (F-S)... 34 4.4 Statistik... 35 4.4.1 Überlebenszeitanalyse... 35 4.4.2 Lebensqualität der Überlebenden... 36 4.4.2.1 Besonderheiten in der Auswertung des SF-36... 37 5. Ergebnisse... 38 5.1 Beschreibung des Patientenkollektivs (n= 438)... 38 5.2 Überlebenszeitanalyse... 44 5.2.1 Beschreibung des Kollektivs der Überlebenszeitanalyse (n=418)... 44 5.2.2 Univarianzanalyse... 45 5.2.2.1 Abhängigkeit der Überlebenszeit von Alter, Geschlecht, BMI und Hauptdiagnose... 45 5.2.2.2 Abhängigkeit der Überlebenszeit von physiologischen Parametern... 47 5.3 Effekt der ISB... 47 5.3.1 Entwicklung des Hämoglobin und Hämatokrit unter ISB... 48 5.3.2 Entwicklung der Blutgasanalyse unter ISB... 51 5.3.3 Entwicklung des Body-Mass-Index, des P0.1/Pimax und der Atemfrequenz... 56 5.3.4 Entwicklung der Epworth-Schläfrigkeitsskala (ESS-Wert)... 59 5.4 Gesundheitsbezogene Lebensqualität... 60 5.4.1 SF-36... 63 5.4.1.1 Vergleich der 8 Subsummenskalen und der 2 Summenskalen des SF-36 mit einem angepassten Normkollektiv bzw. Kollektiv chronisch Lungenkranker... 65 5.4.1.2 Korrelationen der SF-36 Summenskalen mit gruppenbezogenen Charakteristika... 70 5.4.2 Barthel-Index (ADL)... 71 5.4.3 Fragebogen Beatmung (F-BAT)... 72 5.4.4 Fragebogen Wohn- und Betreuungssituation (Wo/Be)... 76 5.4.5 Fragebogen Sexualität (F-S)... 82 5.4.6 Korrelation der Fragebogenergebnisse... 83

Inhaltsverzeichnis IV 6. Diskussion... 84 6.1 Diskussion der Methoden... 84 6.1.1 Datenerhebung... 84 6.1.2 Standardisierte Diagnostik... 84 6.1.3 Fragebögen... 85 6.1.4 Gesundheitsbezogene Lebensqualität... 86 6.2 Diskussion der Ergebnisse... 87 6.2.1 Zusammensetzung des Patientenkollektivs... 87 6.2.2 Überlebenszeitanalyse... 87 6.2.3 Weitere Effekt der ISB... 89 6.2.4 Gesundheitsbezogene Lebensqualität... 91 6.2.4.1 SF-36... 93 6.2.4.2 Barthel-Index (ADL)... 98 6.2.4.3 Fragebogen Beatmung (F-BAT)... 99 6.2.4.4 Fragebogen Wohn- und Betreuungssituation (Wo/Be)... 101 6.2.4.5 Sexualität (F-S)... 101 6.2.5 Korrelation der Fragebogenergebnisse... 102 6.2.6 Limitierung der Arbeit... 103 6.3 Zusammenfassung... 103 6.4 Ausblick... 106 7. Literaturverzeichnis... 108 8. Abkürzungsverzeichnis... 125 9. Normalwerte der physiologischen Messwerte... 127 10. Verwendete Fragebögen im Original... 128 10.1 ADL-Index... 128 10.2 Fragebogen zur Beatmung... 132 10.3 Fragebogen Sexualität... 134 10.4 SF-36... 139 10.5 Fragebogen zur Wohn- und Betreuungssituation... 142 11. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen... 146 11.1 Abbildungsverzeichnis... 146 11.2 Tabellenverzeichnis... 147

Inhaltsverzeichnis V 12. Anhang... 149 12.1 Verzeichnis akademischer Lehrer... 149 12.2 Danksagung... 150

1 Einleitung 1 1 Einleitung Die Frage nach der Lebensqualität chronisch Kranker hat in den vergangenen Jahren neben der Untersuchung der Lebensverlängerung einen führenden Stellenwert eingenommen. Ursächlich hierfür anzusehen sind u.a. die veränderte Arzt-Patient-Beziehung, in welcher der Patient zunehmend als mündiger Partner betrachtet wird, neben der Tatsache, dass eine Therapie auch die Verlängerung eines Leidensweges bedeuten kann. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die kontinuierliche Kostenzunahme im Gesundheitssystem, so dass die Frage nach der Effizienz im Sinne einer verbesserten Lebensqualität zunehmend gestellt wird. Somit ist sie zu einem wichtigen Behandlungskriterium in der Beurteilung des medizinischen Therapieerfolges chronisch Kranker geworden. Die Behandlungsmöglichkeiten haben in den vergangenen Jahrzehnten rasante Fortschritte erzielt. In etlichen Bereichen wurde eine Lebensverlängerung chronisch Erkrankter erreicht, wenn auch die Grunderkrankung an sich nicht beseitigt werden konnte. So z.b. in der Therapie des Diabetes mellitus Typ 2, der zu den weit verbreiteten und stark zunehmenden chronischen Erkrankungen der Industrienationen gehört (Richter, 2002). Eine weitere große Gruppe chronisch Kranker, die, verglichen mit den Diabetikern innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, etwa gleich groß ist, stellen die chronisch Lungenkranken dar (Das statistische Jahrbuch, 2007). Auch hier wurden in den letzten 15 Jahren große Fortschritte erzielt, so z.b. in der Therapie der Chronisch Ventilatorischen Insuffizienz (CVI). Unter diesem Begriff subsummieren sich sowohl chronisch obstruktive als auch restriktive Lungenerkrankungen. Kennzeichnend für die CVI ist unabhängig von der pulmonologischen Grunderkrankung eine Reduzierung des Atemminutenvolumens (AMV) während des Schlafs (Becker et al., 1999). Die hierdurch herbeigeführte Hypoventilation bewirkt zunächst nächtliche Hyperkapnien, die im Verlauf der Erkrankung auch tagsüber auftreten. Einer der Gründe für die Hypoventilation

1 Einleitung 2 liegt in der Atmungsregulation: Die wesentliche Regelgröße für die Ventilation ist der Kohlendioxid-Partialdruck (PaCO 2 ). Der PaCO 2 bzw. der direkt damit in Verbindung stehende ph reguliert die Ventilation sowohl im Schlaf- als auch im Wachzustand. Bereits ein Anstieg des PaCO 2 um 1 mmhg bewirkt beim Gesunden eine Ventilationssteigerung um ca. 2,7 Liter/min. (Schmidt, 2004). Eine wichtige Therapieoption für Patienten mit CVI ist die Heimbeatmung, eine nicht-invasive Beatmungsform (NIV), die im weiteren Verlauf noch näher betrachtet und erklärt wird. Sie findet bei chronisch obstruktiven und restriktiven Erkrankungen unterschiedlicher Genese Anwendung, so z.b. bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), Thoraxdeformitäten wie Skoliosen, dem Obesitas-Hypoventilationssyndrom (OHS), dem Post-Tbc-Syndrom, zentralen Dysregulationen wie Undines Fluch, neuromuskulären Erkrankungen wie der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder diversen Muskeldystrophien. Die Effekte der üblicherweise nachts durchgeführten NIV sind vielschichtig und teilweise noch Gegenstand der Forschung. Bereits 1987 wurde bei einem pneumologischen Meeting in Göttingen über die Atempumpe gezeigt, dass intermittierende Beatmung eine effektive Therapie der ventilatorischen Insuffizienz ist (Criée et al., 1991). Als Modellvorstellung dient dabei die Theorie, dass die erschöpfungsbedingten Funktionseinschränkungen der Inspirationsmuskulatur durch eine intermittierende Ruhigstellung, die zur Erholung der Atemmuskulatur führt, beseitigt werden. Als Folge davon wird angenommen, dass die Atemmuskulatur hierdurch funktionstüchtiger wird und so zur Verbesserung der arteriellen Blutgaspartialdrücke beiträgt. Wenngleich diese Annahme sich bis heute uneingeschränkt bewährt hat, so konnte sie doch noch nicht endgültig bewiesen werden. Des Weiteren ließ sich eine Verbesserung der Schlafstruktur durch Vermeidung nächtlicher Hypoventilation feststellen (Schönhofer & Köhler, 2000), doch auch die Beatmung im Wachzustand bringt einen vergleichbaren Effekt gemessen an den Blutgasen (Schönhofer et al., 1997). Eine wesentliche Rolle bei den meisten Patienten mit CVI spielt die Mehrbelastung der Atemmuskulatur. Misst man die Muskelkraft am maximalen Inspirationsdruck, so nimmt diese unter NIV oft zu

1 Einleitung 3 (Laier-Groeneveld et al., 1990). Doch auch eine Verbesserung des Cor pulmonale und weitere Mechanismen, insbesondere aber das Resetting des zentralen Chemorezeptors, sind belegt (Elliott et al., 1992; Hill et al., 1992; Jimenez et al., 1995). Als Resetting wird in diesem Zusammenhang die Rückstellung der bereits oben erwähnten PaCO 2 -Empfindlichkeit des Chemorezeptors bezeichnet, die für die Atemantwort verantwortlich ist. Betrachtet man die Lebenserwartung, so wurde für einige chronische Lungenerkrankungen mit CVI, so z.b. Thoraxdeformitäten wie Skoliosen, das OHS oder neuromuskuläre Erkrankungen (s.o.), bereits eine Lebensverlängerung formuliert (Elliott et al., 1992). Nicht eindeutig belegt hingegen ist die Lebensverlängerung bei Patienten mit einer COPD. Da jedoch auch Patienten mit COPD bereits seit Jahren mit einer Heimbeatmung therapiert werden und man sich aus ethischen Gesichtspunkten scheute, eine randomisiert kontrollierte Studie (RCT) durchzuführen, gewann die Frage nach der Lebensqualität insbesondere der COPD-Patienten eine wichtige Bedeutung. Mittlerweile findet aufgrund der umfassenderen Datenlage eine RCT statt, deren Ergebnisse mit Spannung erwartet werden dürfen. Erfreulicherweise ist in den letzten Jahren ein steigendes Interesse am Thema Heimbeatmung insgesamt zu verzeichnen, betrachtet man die zunehmende Zahl an Zentren, die das Therapieverfahren Heimbeatmung anbieten. Ebenso ist die Zahl der Patienten, die einer Heimbeatmungstherapie zugeführt wurde, steigend. Neben den oben genannten Effekten berichteten Patienten unter Heimbeatmung von einer Verbesserung ihrer Lebensqualität, die zusammengefasst eine vermehrte Aktivität und geringere Tagesschläfrigkeit bedeutete. Schon unter kurzfristiger Pausierung der Heimbeatmung traten Symptome wie vermehrte Tagesschläfrigkeit mit Cephalgien und Dyspnoe bei geringerer Belastung auf, erneute Hypoxämien und eine Verschlechterung der Blutgase im Schlaf waren nachweisbar (Elliott et al., 1992; Hill et al., 1992; Jimenez et al., 1995). Zusammengefasst verhindert eine effektive NIV die Hypoventilation und führt zu einer allgemeinen Rekonditionierung. Bei regelmäßiger Anwendung wird damit

1 Einleitung 4 eine Reduzierung oder Beseitigung der chronisch ventilatorischen Insuffizienz erreicht. Zu Beginn dieser Arbeit lag eine RCT aus den zuvor genannten Gründen noch nicht vor, ein Schwerpunkt hier wurde auf die retrospektive Erforschung der Lebensqualität unter Heimbeatmung gelegt. Ziel dieser Arbeit ist es, eigene Ergebnisse zu präsentieren und damit einen Beitrag zum derzeitigen Forschungsstand zu Überlebenszeit und Lebensqualität heimbeatmeter Patienten zu leisten sowie einige Anregungen zu möglichen Designs zukünftiger Arbeiten zu geben. Es soll gezeigt werden, dass bei der Verwendung auf chronisch ventilatorische Insuffizienz spezialisierter Instrumente zur Lebensqualität nach wie vor wichtige Bereiche nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Dies nicht zuletzt, da zu Beginn der Arbeit die Entwicklung geeigneter Fragebögen noch Gegenstand wissenschaftlicher Anstrengungen war. Heute steht für Patienten mit ventilatorischer Insuffizienz z.b. der Severe Respiratory Insufficiency (SRI) Questionnaire zur Verfügung, ein krankheitsspezifischer Fragebogen, der seit kurzem auch in deutscher Sprache vorliegt und insbesondere für den Vergleich verschiedener Grundkrankheiten geeignet ist (Windisch et al., 2003). Da zum Zeitpunkt der Datenerhebung spezielle Instrumente zur Erfassung der Lebensqualität unter Beatmung in der gewünschten Form noch nicht existierten, wurden zwei entsprechende Fragebögen (F-Bat und F-S) im Rahmen dieser Arbeit entwickelt. Sexualität ist ein wichtiger Bestandteil der Lebensqualität, der lebenslang anhält. Sämtliche Recherchen (Medline 1966 bis 2008; Web of Science version 4.1 02.2000 bis 2008) ergaben, dass insbesondere der Aspekt der Sexualität unter Patienten mit intermittierender Selbstbeatmung (ISB) bzw. Heimbeatmung bisher keine Berücksichtigung fand. Unsere Arbeitsgruppe konnte inzwischen erstmalig eine Studie zur Sexualität bei Patienten mit nicht-invasiver Langzeit- Heimbeatmung präsentieren (Schönhofer, von Sydow, Bucher et al. 2001). Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Arbeit ist die Untersuchung der Lebensqualität des Patientenkollektivs mit chronischen Lungenerkrankungen aus dem Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft unter Heimbeatmung. Eine

1 Einleitung 5 einheitliche Definition gesundheitsbezogener Lebensqualität ist in der Literatur nicht zu finden, eine umfassende Definition geben Ravens-Sieberer & Bullinger als ein psychologisches Konstrukt, das in einem mehrdimensionalen Modell als das subjektive Befinden eines Patienten auf fünf minimal zu definierenden Grundsäulen charakterisiert ist (Ravens-Sieberer & Bullinger 1995; Bullinger 1997). Berücksichtigt werden dabei physische, psychische, mentale, soziale und funktionale Aspekte. Bislang wurde eine Vielzahl spezifischer und krankheitsübergreifender Instrumente entwickelt. So finden unter den auf Lungenerkrankungen bezogenen Fragebögen international der St. George s Respiratory Questionnaire (Jones et al., 1991) und der Chronic Respiratory Questionnaire (Guyatt et al., 1987) weite Verbreitung. Unter den krankheitsübergreifenden Instrumenten finden überwiegend der Short Form-36 Health Survey (Ware and Sherbourne, 1992), das Sickness Impact Profile (Bergner et al., 1981) und das Nottingham Health Profile (Hunt et al., 1981) Verwendung. Während die krankheitsübergreifenden Instrumente einen Vergleich zwischen einzelnen Krankheiten ermöglichen, zielen die krankheitsspezifischen eher auf die Erfassung spezieller Probleme innerhalb einer definierten Krankheit ab. Sie erfassen so auf genauere Art und Weise Änderungen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität innerhalb einer bestimmten Erkrankung.

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 6 2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 2.1 Ursachen der CVI Neben physiologischen Ursachen, die einer Steigerung der Atemarbeit bedürfen (wie z.b. Belastung oder Aufenthalt in über 2.000 m Höhe), führen diverse Erkrankungen zu einer erhöhten Atemarbeit. Im Folgenden soll die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) genauer betrachtet werden. 2.1.1 Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) Neben teilweise erheblich unterschiedlicher Definitionen der COPD sind sich die internationalen Fachgesellschaften über die Dreiteilung in Asthma Bronchiale, Chronisch obstruktive Bronchitis (COB) und Emphysem einig. In der vorliegenden Arbeit fand die Definition der American Thoracic Society aus dem Jahr 1995 Verwendung. Diese fasst die chronischen Atemwegsobstruktionen durch die COB und das Emphysem als COPD zusammen. Eine COB besteht definitionsgemäß genau dann, wenn an mindestens 3 Monaten von 2 aufeinander folgenden Jahren produktiver Husten besteht. Ein Emphysem besteht, wenn die Luftwege distal der Bronchioli terminales pathologisch erweitert sind. Eine emphysematische Erweiterung findet sich in 15-20% der Fälle der Patienten mit einer COB (Fletcher et al., 1976), d.h. 15-20% der Patienten mit einer COB entwickeln im Laufe ihrer Erkrankung eine COPD. Die COPD stellt also ein fortgeschrittenes Stadium der COB dar. In der Regel zeigt die chronische Atemwegsobstruktion der genannten Atemwegserkrankungen einen progressiven Verlauf, der durch eine eventuell reversible Hyperreagibilität der Luftwege begleitet sein kann (American Thoracic Society, 1995). Die obstruktiven Anteile der Erkrankung haben eine Erhöhung des resistiven Lungenwiderstandes zur Folge. Zusätzlich ist die Compliance der Lunge eingeschränkt, da die chronische Entzündungsreaktion des Bronchialgewebes die Rückstellungskräfte der Lunge reduziert. Beides führt zur Verlängerung des Exspiriums, es kommt zur Lungenüberblähung im Sinne einer dynamischen

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 7 Hyperventilation. Die Überblähung führt zu einem endexspiratorischen Kollaps der unteren Atemwege, deren zusätzlicher Widerstand bei der nächstfolgenden Inspiration überwunden werden muss. Ein Lufteinstrom in die Alveolen erfolgt über den negativen Alveolardruck. Herrscht dort ein positiver endexspiratorischer Druck (PEEP) vor, muss ein betragsmäßig größerer negativer intrapleuraler Druck erzeugt werden, um die Rückstellkräfte der Lunge zu überwinden und einen Lufteinstrom zu ermöglichen. Um dies zu ermöglichen findet in der frühen inspiratorischen Phase eine isometrische Atemarbeit der Inspirationsmuskulatur statt. Findet man bei Patienten mit COPD im Vergleich zu gesunden Probanden erhöhte Inspirationsdrücke ohne Hyperkapnie, liegt eine noch kompensierte Überlastung der Atempumpe vor. Befindet sich ein Patient bereits in der Dekompensationsphase, findet sich eine Hyperkapnie (Criée et al., 1991). Bereits eine kontinuierliche Belastung mit inspiratorischen Drücken von mehr als 35-40% des maximal möglichen zu erzeugenden Druckes führt auf Dauer zu einer Erschöpfung der Inspirationsmuskulatur (Roussos et al., 1977). Bellemare und Grassino zeigten, dass die zur Erschöpfung führende kritische Schwelle zusätzlich abhängig ist von der Kontraktionsdauer der inspiratorischen Muskulatur während der Inspitarion (Bellemare et Grasssino, 1982). Da bei COPD-Patienten die Exspirationszeit bei gleicher Länge des Atemzyklus zu Lasten der Inspirationsdauer verlängert ist, führt dies zunächst zu einer Verzögerung der fortschreitenden Ermüdung der Atemmuskulatur. Dennoch führt gerade das verlängerte Exspirium zur o.g. Überblähung, so dass der inspiratorische Druck mittelfristig abfällt. Hiermit sinkt auch das Atemzugvolumen (V T ) und die Atemarbeit nimmt ab. Um nun das Atemminutenvolumen aufrecht erhalten zu können, erhöht der Körper die Atemfrequenz (f B ), und es kommt zur Tachypnoe. Ein Circulus vitiosus nimmt seinen Lauf: Die Tachypnoe reduziert Inspirations- und Exspirationsphase. Letztere führt zu einer Progression der Lungenüberblähung und zu einer geometrischen Veränderung des Thorax, die als Fassthorax bezeichnet wird. Die Zwerchfellkuppeln flachen ab, und die Inspirationsmuskulatur verkürzt sich. Trotz erhaltener Muskelkontraktionskraft kann die Inspirationskraft nicht mehr in

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 8 einen effektiven Alveolardruck umgewandelt werden. Der maximal mögliche Alveolardruck und das Atemzugvolumen bleiben reduziert (Criée et al., 1991). Es resultiert eine flache, schnelle Atmung, die als rapid-shallow-breathing (RSB) bezeichnet wird. Bei verringertem Atemzugvolumen und gleich bleibendem Totraum verschlechtert sich das Belüftungsverhältnis des Alveolarraums. Folge ist eine Verringerung des Gasaustausches mit Hyperkapnie und Hypoxämie. Der Organismus kompensiert zunächst durch eine Reihe geeigneter Gegenmaßnahmen die Hypoxämie, so dass eine organgefährliche Hypoxie vermieden wird. Bei COPD-Patienten beobachtet man bereits im stabilen Stadium ihrer Erkrankung recht früh eine Anhebung der Reizschwelle für CO 2, so dass eine reflektorische Tachypnoe ausbleibt. Diese Anhebung kann als ein Mechanismus der Gegenregulation gegen eine mechanische Überbeanspruchung gedeutet werden, die eine Schädigung der Inspirationsmuskulatur verhindert. Die Hyperkapnie bewirkt außerdem ein weiteres Absinken der Erschöpfungsschwelle des Zwerchfells (Juan et al., 1984). Die messbare Hypoxämie spiegelt hierbei viel weniger als bisher oft angenommen die tatsächliche Sauerstoffversorgung des Körpers wider. Hierfür sind der Hämoglobingehalt und die Sauerstoffsättigung, aus denen sich der Sauerstoffgehalt errechnet, viel eher richtungsweisend für das aktuelle Stadium der Erkrankung (Köhler, 2002). Im Finalstadium der CVI kann der Organismus die Erschöpfung der Atemmuskulatur nicht mehr verhindern. Es kommt zu klinischen Zeichen wie paradoxer abdomineller Atmung, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur und phaseweisem Wechsel zwischen ausschließlich thorakaler und abdomineller Atmung. Es droht das totale Atmungsversagen. 2.1.2 Thorakorestriktive Erkrankungen Liegt eine thorakorestriktive Erkrankung vor, ist das an der Ventilation beteiligte Lungengewebe reduziert. Ursachen hierfür sind z.b. Wirbelsäulenverkrümmungen, Thoraxwanddeformitäten, Adipositas oder Zustände nach operativen Interventionen. Die Vitalkapazität (VC) und die totale

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 9 Lungenkapazität (TLC) sind reduziert, der Atemstoßtest (FEV 1 ), der in Prozent der VC gemessen wird (FEV 1 %VC), ist normal oder erhöht. 2.1.2.1 Thoraxwanddeformitäten Thoraxwanddeformitäten sind knöchernen Formanomalien des Brustkorbs, der angeborene oder erworbene Störungen der Wirbelsäule, der Rippen und/oder des Sternums zugrunde liegen. Bei den Skoliosen unterscheidet man die während der Wachstumsphase mit 90% am häufigsten auftretende idiopathische Skoliose von kongenitalen, neuromuskulären und Skoliosen bei zugrundeliegenden Systemerkrankungen (z.b. Post-Tbc-Syndrom). Ursache der CVI ist die verminderte Dehnbarkeit (Compliance) der Lunge und des Thorax. Aus den Deformitäten, insbesondere, wenn die Skoliose mit einer Torsionskomponente einhergeht, resultiert eine ineffektive Hebelwirkung der mechanischen Kopplung zwischen Inspirationsmuskulatur und knöchernem Thorax. Die Kontraktionskraft der Muskulatur ist hierbei uneingeschränkt vorhanden. 2.1.2.2 Post-Tbc-Syndrom In früheren Jahren, bevor eine antituberkulotische Therapie eingesetzt werden konnte, waren chirurgische Eingriffe weit verbreitete Behandlungsverfahren der Tuberkulose (Tbc). Hierzu zählten u.a. Thorakoplastiken, Pneumo- und Oleothorax, extrapleurale Pneumolysen oder die Phrenicusexhairese. Durch diese Verfahren wurde die Verkleinerung des Thoraxraumes und/oder die Kompression des infizierten Lungenparenchyms angestrebt, was häufig zu einer Heilung der Tbc führte. Jedoch kam es hierdurch oft zu irreversiblen Beeinträchtigungen der Atempumpe wie z.b. der Kyphoskoliose mit nachfolgender Hypoventilation. 2.1.2.3 Obesitas-Hypoventilationssyndrom In der Definition des Obesitas-Hypoventilationssyndroms (OHS) bezüglich seiner komplexen Pathogenese besteht Einigkeit bezüglich zweier Aspekte, nämlich der Belastung der Atemmuskulatur und der reduzierten CO 2 - Empfindlichkeit der Chemorezeptoren. Weiterhin beschrieben Burwell et al. das OHS als bestehend aus extremer Adipositas (BMI >35kg/m²), Somnolenz,

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 10 Zyanose, periodischer Atmung im Schlaf, sekundärer Polyglobulie und Rechtsherzbelastung (Burwell et al., 1956). Ein wesentlicher Faktor, der dem Krankheitsbild der OHS zugrunde liegt, ist die Belastung der Atemmuskulatur. Das OHS zeichnet sich durch eine starke restriktive sowie obstruktive Ventilationsstörung aus, wobei die Restriktion häufig stärker ausgeprägt ist. Letztere steht in direktem kausalen Zusammenhang mit der Adipositas, was durch die Reduktion der Lungen- und Thoraxcompliance eine erhöhte elastisch bedingte Atemarbeit nach sich zieht. Zusätzlich besteht ein größerer Atemwegswiderstand, der eine erhöhte resistive Atemarbeit zur Folge hat. Neben der Obesitas finden sich Tagesmüdigkeit, nächtliche alveoläre Hypoventilation, Hyperkapnie am Tag und pulmonale Hypertonie. 2.1.3 Neuromuskuläre Erkrankungen Unter dem Begriff der neuromuskulären Erkrankungen (NM) subsummieren sich unterschiedliche Erkrankungsgruppen wie z.b. Muskelerkrankungen, Erkrankungen der neuromuskulären Übertragung, der peripheren Nerven (Polyneuropathien), des ersten und/oder zweiten Motoneurons (Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Post-Polio-Syndrom (PPS) und des zweiten motorischen Neurons (Vorderhornerkrankungen wie die spinale Muskelatrophie (SMA)). Für die hier genannten NM ergibt sich eine Prävalenz >1:50.000, jedoch gibt es noch weitere Erkrankungen mit einer deutlich geringeren Prävalenz. Eine ausführliche Darstellung würde den Rahmen dieser Dissertation sprengen, daher wurden nur die häufigeren neuromuskulären Erkrankungen aufgegriffen, unter denen auch tatsächlich Patienten der untersuchten Population litten und in die Arbeit eingingen. NM sind durch eine Schwäche der Atemmuskulatur im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung gekennzeichnet, die zur CVI führt (NHLBI Workshop Summary, 1990). Es kommt durch die fehlende Innervation, hier besonders des Zwerchfells, zu einer Kraftminderung der Atemmuskulatur. Ein Fehlen der Innervation kann sowohl zentral durch eine primäre Störung des Atemzentrums bzw. der Atemregulation als auch peripher durch eine Störung der neuronalen Transmission bedingt sein. Die Atemmuskulatur ist i.d.r. später als die übrige

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 11 quergestreifte Muskulatur von der Schwächung betroffen, dennoch tritt die CVI bei einer Reihe von NM meist bereits im Kindesalter in Erscheinung. Dazu zählen die Dystrophinopathie vom Typ Duchenne und die im Weiteren nicht näher beschriebene Dystrophische Myotonie vom Typ Curschmann-Steinert (Beginn direkt nach Geburt oder 15.-30. LJ.), spinale Muskelatrophien und metabolische Myopathien, unter denen die Glykogenose Typ 2 nach Pompe eine führende Position einnimmt. Daneben treten Ateminsuffizienzen bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) oder Zwerchfellparesen und das Post- Poliomyelitis-Syndrom i.d.r. erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter auf, ebenso die nicht weiter ausgeführte Myasthenia gravis. 2.1.3.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) Bei der ALS handelt es sich um eine Erkrankung des ersten und zweiten Motoneurons, die durch die Degeneration der Neurone gekennzeichnet ist und zu atrophischen und spastischen Paresen mit fortschreitender Funktionseinschränkung der Skelettmuskulatur führt. In seltenen Fällen (5%) tritt sie hereditär auf. Jährlich erkranken 1-2/100.000 Einwohner meist im mittleren bis höheren Erwachsenenalter an einer ALS, die mittlere Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt je nach Studie zwischen 16 Monaten und 3 Jahren. Somit ist sie die häufigste der schweren NM mit einer raschen Progredienz. Man unterscheidet vier verschiedene Verlaufstypen, die mit unterschiedlicher Häufigkeit und variablem Symptombeginn auftreten. In der Spätphase nach chronischem Verlauf bestimmt im wesentlichen die CVI das klinische Bild. Bei 10-20% treten Lähmungen der Atemmuskulatur bereits sehr früh auf, bei 60% findet man diese erst nach Verlust der Gehfähigkeit im Rahmen der generalisierten Muskelatrophie. Bei weiteren etwa 10% besteht bereits bei oder vor Diagnosestellung eine zur Ateminsuffizienz und Beatmungspflicht führende Atemmuskelschwäche. 2.1.3.2 Muskeldystrophien Die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne ist eine Dystrophinopathie des Kindes- bzw. Jugendalters. Die Häufigkeit liegt bei 1:4000 männlichen Geburten, die Produktion von Dystrophin bleibt bedingt durch einen

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 12 genetischen Defekt auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms (XR) aus, was eine relativ rasche Degeneration der Muskelzellen in proximaler Lokalisation verursacht. Dies zieht eine Fallneigung und Schwierigkeiten beim Treppensteigen nach sich, die Schwäche im Schultergürtel tritt später auf. In 95% der Fälle tritt die Symptomatik zwischen dem 7. und 13. Lebensjahr auf, sich rasch entwickelnde Beugekontrakturen der großen Gelenke tragen zur Progredienz bei. Eine Torsionsskoliose im thorakolumbalen Bereich der Wirbelsäule mit konsekutiver CVI meist nach der Pubertät ist von großer Relevanz, da 90% der Patienten ohne Beatmung zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr primär an den Folgen der CVI versterben. Mit Beatmung sind Verläufe bis zum 35. Lebensjahr beschrieben (Nigro et al., 1990). Bei der Muskeldystrophie vom Typ Becker-Kiener, die mit einer Häufigkeit von 4-5:100.000 männliche Geburten auftritt, bewirkt der Defekt des Genlocus Xp 21.2 eine verminderte Menge oder verändertes Molekulargewicht des Dystrophins. Je nach Ausprägung des Defektes kann die Lebenserwartung bis auf 40 Jahre verkürzt oder normal sein. Sie beginnt im Mittel im Alter von 12 Jahren und ist im Vergleich zum Typ Duchenne milder ausgeprägt. Konduktorinnen beider Typen haben eine normale Lebenserwartung. 2.1.3.3 Post-Poliomyelitis-Syndrom (PPS) Das PPS stellt eine sekundäre Verschlechterung von Lähmungen nach einer Poliomyelitis acuta anterior dar. 25-35 Jahre später kommt es zu verstärkter Muskelermüdbarkeit mit Zunahme der Paresen und Atrophien, ungewöhnlichen Muskel- und Gelenkschmerzen, Schluckstörungen und CVI. Sie betrifft ca. 25% der Patienten mit Zustand nach Poliomyelitis acuta anterior, die unter einem PPS leiden. Somit ist die CVI im Rahmen des PPS relativ häufig, die zugrunde liegende Pathogenese bleibt hypothetisch. 2.1.4 Zentrale Atemdysregulation Die zentrale Atemdysregulation, auch zentrales Hypoventilationssyndrom (CHS), das überwiegend als eine auf den Schlaf begrenzte alveoläre Hypoventilation verstanden wird, ist in den meisten Fällen erworben. Sie kann Folge eines zentralen Tumors (z.b. Neuroblastom), einer Enzephalitis, eines

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 13 Traumas oder neurochirurgischen Eingriffs u.a. sein. Sie kann durch medikamentöse Intoxikationen oder atemdepressive Medikamente hervorgerufen werden. Sehr selten ist die angeborene Form, das sogenannte Undine s Fluch-Syndrom. Typisch für die CHS ist eine verminderte oder vollständig fehlende CO 2 - Atmungsantwort, die beim Gesunden den PaCO 2 reguliert. Eine subjektive Atemnot fehlt typischerweise völlig, das Spektrum der Fehlregulation reicht von leichter Hypoventilation im Schlaf bis zu tiefen Hypoxämien durch minutenlange Apnoephasen. Es kommt erst zu einer kurzfristigen Steigerung der alveolären Ventilation, wenn ein Sauerstoffpartialdruck von <30 mmhg erreicht wird (Schläfke, 1997). 2.2 Symptomatik der CVI Patienten mit CVI klagen zu Beginn der Erkrankung oftmals nur über eine gering ausgeprägte Dyspnoe oder haben evtl. gar keine Beschwerden. Meist bestehen eher unspezifische Symptome, wie z.b. Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit, psychische Syndrome, Kopfschmerzen oder physische Abgeschlagenheit mit zunehmender Mobilitätseinschränkung und hiermit verbundenem Verlust von Lebensqualität. Diese Symptome können auch Ausdruck eines Obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms (OSAS) sein, das zusätzlich zu einer CVI bestehen kann, aber grundsätzlich davon zu trennen ist. So zeigten sich zwischen Patienten mit OHS oder einem OSAS unterschiede in Alter, Lungenfunktionsdaten, BMI und pulmonal arteriellem Mitteldruck (Flenley, 1985; Stradling 1995; McNicholas, 1997; Kessler et al., 2001). Des Weiteren wurde durch Fahrradergometrie nachgewiesen, dass es bei schwergradig ausgeprägtem OSAS im Gegensatz zum OHS unter Belastungsbedingungen zu keinem Anstieg des pco 2 kommt (Schönhofer et al., 1994). Die Polysomnographie gibt Aufschluss über REM/NREM-assoziierte Hypoventilationen, die ein wichtiges Kriterium der CVI sind. Durch sie kommt es zur Hypoxie, die neben des in der Einleitung beschriebenen wichtigen PaCO 2 die Atemantwort beeinflusst, wenn auch in geringerem Maße. So kommt es ab einer Sauerstoffsättigung unter 90%, was einem PO 2 unter ca. 60 mmhg

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 14 entspricht, zu einer Ventilationssteigerung. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung treten neben der Dyspnoe die durch die Hypoxie bedingten Komplikationen auf, so z.b. die Polyglobulie mit konsekutiver Erhöhung von Hämoglobin und Hämatokrit, oder ferner ein Cor pulmonale (Bergofsky, 1967; Fishman, 1979; Macnee, 1994; Vanuxem et al., 1977). Im Gegensatz zur akuten respiratorischen Insuffizienz ist also in der Frühphase einer CVI die genaue Beobachtung und eine sehr sorgfältige Diagnostik notwendig, um eine Ateminsuffizienz nachzuweisen. 2.3 Therapie der CVI 2.3.1 Intermittierende Selbstbeatmung (ISB) mit Positivdruck Basierend auf der Pathophysiologie der CVI, die bereits in der Einleitung näher erläutert wurde, ist ein wesentliches Ziel der ISB die Entlastung der überlasteten und ermüdeten Atemmuskulatur mit Regenerierung ihrer erschöpften Energiespeicher (Bach, 1997; Levine et al., 1988; Reid und Wilcox, 1992; Roussos und Zakynthinos, 1996; Schönhofer, 1995). Ergebnisse der Grundlagenforschung haben gezeigt, dass eine chronische Überlastung der peripheren Muskulatur die Speicher der Energieträger entleert. Hiervon ist besonders das Glykogen betroffen (Bazzy et al., 1988; Green et al., 1987; Ferguson et al., 1990; Fregosi und Dempsey, 1986). Durch die ISB kommt es zur Entlastung der Atemmuskulatur und darüber hinaus zu einer Regeneration der Energiespeicher. Dies führt zu einer Verbesserung der CVI und zur Zunahme der Ventilation während der Spontanatmung. Sie bewirkt weiterhin eine Abnahme des Sauerstoffverbrauches der Atemmuskulatur (Laier-Groeneveld et al., 1992) und eine Abnahme der Atemarbeit, die als elektromyographische Aktivitätsreduktion erkennbar ist (Carrey et al., 1991; Hill et al., 1992; Renston et al., 1994; Rochester et al., 1977). Die heute übliche Durchführung der ISB im Positivdruckverfahren (positive pressure ventilation, PPV) ist Ergebnis der anfänglichen Beatmungsform im Negativdruckverfahren (negative pressure ventilation, NPV). Letzteres ist seit über 100 Jahren bekannt und wurde in Form des Tankrespirators, auch als

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 15 Eiserne Lunge bezeichnet, verwendet. Das zu Grunde liegende Prinzip der NPV besteht im Aufbringen eines negativen Druckes auf den Brustkorb. Dieser folgt dem Unterdruck durch Expansion, es kommt zur Inspiration. Die Rückstellkräfte der Lunge und des Thorax bewirken die nachfolgende Exspiration. Diese Form der Beatmung wurde zunächst zur Behandlung von Asphyxien bei Arbeitsunfällen eingesetzt, bot aber Nachteile wie hohes Gewicht und Unförmigkeit mit Immobilisierung der Patienten sowie Veränderungen der Schlafarchitektur durch nächtliche, obstruktive Apnoephasen (Levy et al., 1992). Im Rahmen der Poliomyelitisepidemie in den 1950er Jahren stieß sie aufgrund der begrenzten Anzahl der Tankrespiratoren an ihre Grenzen, es musste kurzfristig eine andere Lösung gefunden werden. Diese lag in der passageren, manuellen Beatmung. Die Erfahrungen hierdurch führten zur Entwicklung der pressluftbetriebenen, oronasalen Positivdruckventilatoren (Bang, 1953). Nach der letzten großen Polio-Epidemie geriet die NIV für fast 30 Jahre in Vergessenheit und wurde erst in den 1980er Jahren und in Form der Positivdruckbeatmung wieder entdeckt. 2.3.2 Kontrollierte Beatmungsformen (Controlled Mechanical Ventilation: CMV) In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts setzten sich Beatmungsverfahren im Positivdruckverfahren vorwiegend im kontrollierten Modus (Intermittent Positive Pressure Ventilation, IPPV) wegen der in Kapitel 2.3.1 genannten Nachteile durch (Bach, 1996; Pierson, 1997). Die rein kontrollierte Beatmung führt zu einer kompletten Entlastung der Atemmuskulatur, da das Beatmungsgerät den gesamten Ventilationsbedarf des Patienten deckt. Bei den Positivdruckverfahren unterscheidet man prinzipiell zwei Verfahren der kontrollierten Beatmung: Die Beatmung mit Druck- bzw. Volumenvorgabe (Schönhofer et al., 1997). Beide Verfahren unterscheiden sich dahingehend, dass bei Volumenvorgabe die Beatmungsdrücke von Atemwegswiderstand (R AW ), Thorax- und Lungencompliance, dem eingestellten Volumen, der Inspirationszeit und dem Flow abhängig sind, während bei Druckvorgabe das Atemzugvolumen (V T ) abhängig von R AW, Thorax- und

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 16 Lungencompliance, den Beatmungsdrücken, der Inspirationszeit und der Atemfrequenz ist. Bei Beatmungsverfahren mit Druckvorgabe sind die Druckniveaus während Inspiration (Inspiratory Positive Airway Pressure: IPAP) und Exspiration (Expiratory Positive Airway Pressure: EPAP) individuell wählbar. Das Verhältnis von Inspiration zu Exspiration (I:E) und Atemfrequenz (f B ) sind bei beiden Verfahren vorgegeben. Bei CMV mit Volumenvorgabe richten sich das einzustellende VT und das Verhältnis I:E nach der Grunderkrankung. Obstruktive Erkrankungen erfordern ungefähr ein VT zwischen 600 und 800 ml, bei restriktiven liegt es meist zwischen 450 und 600 ml. Das Verhältnis I:E ist bei COPD zugunsten der Exspiration mit 1:2 bis 1:3, selten auch darüber hinaus verlängert, während es bei der Restriktion häufig 1:1 oder im Extremfall sogar 2:1 beträgt. Bei Patienten mit COPD wird das Druckniveau des EPAP zur Antagonisierung des oft vorhandenen PEEP i verwandt (Elliott und Simonds, 1995; Nava et al., 1993). Besteht zusätzlich eine schlafbezogene Atemstörung (SBAS), so verhindert der EPAP den Kollaps der extrathorakalen Atemwege (Stradling, 1995). 2.3.3 Assistierte Beatmungsformen Zu den assistierten Beatmungsformen zählen z.b. Bilevel Positive Airway Pressure im Spontanmodus (BiPAP S) oder Pressure Support Ventilation (PSV). Vorteile der assistierten Beatmung sind vor allem die hohe Akzeptanz und die leichte Adaptation (Meecham Jones und Wedzicha, 1993; Restrick et al., 1993). Darüber hinaus existieren zu COPD-Patienten mit akut respiratorischem Versagen prospektive und randomisierte Studien, die eindeutig einen günstigen Effekt auf die Komplikations- und Intubationsrate, die Kosten sowie die Prognose nachweisen (Brochard et al., 1995; Kramer et al., 1995). In der Therapie der CVI ist unter den assistierten Beatmungsformen die druckunterstützte Beatmung (BiPAP S) die weitest verbreitete. Es handelt sich um eine Mischform aus Spontanatmung und maschineller Beatmung. Die vom Patienten aktiv begonnene Inspiration wird flow- oder druckgetriggert unterstützt. Durch die weiterhin vorhandene, eigene Atemtätigkeit des Patienten (die Inspiration dient als Triggermechanismus für die Beatmung) erfolgt nur eine

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 17 inkomplette Entlastung der Atemmuskulatur (Flick et al., 1989; Imsand et al., 1994; Marini et al., 1985, 1986, 1988). Bei hohem intrinsischen PEEP kann es zu vermehrter Atemarbeit während des Triggerns kommen (Elliott et al., 1993), so dass diese Beatmungsformen in kritischen Fällen aufgrund unzureichender Entlastung bis hin zur Erschöpfung der Atemmuskulatur führen können (Schönhofer et al., 1994, 1995b, 1996). 2.3.4 Beatmungszugang bei NIV Mittlerweile haben sich gegenüber der früher hauptsächlich angelegten Tracheotomie die nicht invasiven Beatmungszugänge in Form von Beatmungsmasken durchgesetzt. Deren Vorteile sind gegenüber invasiven Beatmungsformen die Senkung des Infektionsrisikos durch physiologische Erwärmung und Befeuchtung der Atemluft sowie die Möglichkeit für den Patienten zu sprechen, zu schlucken und abzuhusten (Bach et al., 1993). Unter den Beatmungsmasken stellen die nasalen Masken den häufigsten Beatmungszugang der Positivdruckverfahren dar (Meecham Jones et al., 1994; Sullivan et al., 1981). Auch hier hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung stattgefunden, so dass konfektionelle Nasenmasken meist schon eine ausreichende Beatmungsqualität bieten (Meduri, 1996). Jedoch stehen auch konfektionelle Gesichtsmasken zur Verfügung (Curiner et al., 1994). Unter Verwendung konfektioneller Masken können fehlende Passgenauigkeit, Leckagen oder Druckstellen auftreten, die eine Sonderanfertigung einer individuellen Nasen- oder Nasen-Mund-Maske erfordern. Diese Probleme treten jedoch nur noch selten auf. Der Vorteil individueller Masken liegt in guter Passgenauigkeit, längerer Haltbarkeit, fehlender Totraumvergrößerung und weniger häufigen Druckstellen (Cornette und Mougel, 1993; Leger et al., 1993; Robert et al., 1993, Turner, 1997). Nachteilig sind jedoch sicherlich die erhöhten Herstellungskosten. Bei einer durchschnittlichen Beatmungsdauer von mehr als 18 Stunden täglich sehen Robert und Mitarbeiter die Indikation für eine Tracheotomie gegeben, da sie eine Beatmung via Maske für nicht mehr praktikabel halten (Robert et al., 1993). Dem gegenüber sieht Bach die Möglichkeit eines nicht invasiven

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 18 Zugangs auch bei einer 24-stündigen Beatmung, meist über ein Mundstück, die sich in seiner Arbeit jedoch auf neuromuskuläre Patienten beschränkt (Bach et al., 1993, 1993a). 2.3.5 Indikation zur nicht-invasiven Selbstbeatmung Die Indikation zur intermittierenden Selbstbeatmung (ISB) wird je nach Grunderkrankung in Abhängigkeit von der Symptomatik der CVI gestellt (siehe Kapitel 2.2). So ist der Beginn einer ISB für Patienten mit thorakorestriktiven Erkrankungen in den Richtlinien dann vorgeschlagen, wenn die nächtliche Sauerstoffsättigung (SaO 2 ) über einen Zeitraum von 5 Minuten oder mehr unter 88% beträt oder der PaCO 2 am Tag über 45 mmhg ansteigt. Weitere Indikationen sind die wiederholte stationäre Therapie wegen akuter respiratorischer Insuffizienz oder in der Erholungsphase nach einem akuten Versagen (Laier-Groeneveld et al., 1994, 1995; Winterholler et al., 1997). Ähnlich sehen die Empfehlungen für Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen aus. Bisher wurden als Kriterien für eine ISB ein pco 2 > 45 mmhg, ein O 2 < 60 mmhg, ein VC < 20% des Sollwertes und für Erwachsene ein maximaler statischer Inspirationsdruck (Pimax) < 3 kpa vorgeschlagen (American Association for Respiratory Care, 1997; Köhler et al., 1996; Laier-Groeneveld, 1993). Allerdings sind die Verläufe der unterschiedlichen Erkrankungen variabel. So weichen die eher statischen Kriterien mehr und mehr einer dynamischen Betrachtung, welche Hyperkapnie, nächtliche Sauerstoffentsättigung und Symptome der Hypoventilation in die Indikationsstellung einbezieht. Für die ALS wurde bisher kein eindeutiger Zeitpunkt für den Beginn einer ISB festgelegt, doch werden das Auftreten einer Hyperkapnie am Tage oder eine erhebliche Hypoventilationssymptomatik und eine VC < 50% als Indikation zum Beginn der ISB betrachtet (Miller et al., 1999). Patienten mit OHS haben mit Nachweis einer Hypoventilation im Schlaf und Hyperkapnie am Tage mit einem pco 2 > 45 mmhg bereits eine Indikation zur ISB.

2 Die Chronisch Ventilatorische Insuffizienz 19 Für Patienten mit COPD gibt es aufgrund der aktuellen Datenlage bisher keine Empfehlung zur Beatmungseinstellung. Weder liegen Daten über einen Überlebensvorteil vor, noch gibt es einen Unwirksamkeitsnachweis. Im Consensus Report wurden Indikationskriterien zusammengefasst, die neben Symptomen der CVI wie Dyspnoe, morgendlichen Cephalgien und Müdigkeit eine Hyperkapnie ab 55 mmhg, eine Hyperkapnie zwischen 50 und 54 mmhg mit nächtlichen O 2 -Entsättigungen < 88% über mindestens 5 Minuten trotz Sauerstoffgabe von 2l/min. oder eine Hyperkapnie zwischen 50 und 54 mmhg und mindestens 2 Hospitalisationen pro Jahr aufgrund von hyperkapnischen Exazerbationen beinhalten (Consensus Report, 1999). Nicht alle Patienten mit schwerer COPD profitieren allein von einer pneumologischen Rehabilitation im Sinne einer verbesserten Atmung, jedoch ist durch mehrere Arbeiten eine Verbesserung der Lebensqualität unter ISB auch für COPD-Patienten in stabiler Phase beschrieben (Elliott, 2002; Criée, 2002; Windisch et al., 2002). Absolute Kontraindikationen für die ISB bei CVI gibt es nicht. Kommt es infolge von meist durch die Maske bedingten Nebenwirkungen wie Druckstellen, Austrocknung der Atemwege, Konjunktivitis oder Aerophagie, die trotz Korrekturversuchen nicht zu einer Beseitigung der Komplikationen (Hill, 1997; Meecham Jones et al., 1994) führten, zum Abbruch einer Therapie, so kann nach sorgfältiger Prüfung von Experten individuell und nur in Ausnahmefällen die Indikation zur Tracheotomie gestellt werden (Heffner, 1993; Leger et al., 1993; Robert et al., 1993).

3 Fragestellung der Arbeit 20 3 Fragestellung der Arbeit Die vorliegende Arbeit untersucht den Langzeitverlauf (Outcome) bei Patienten mit CVI. Dies geschieht anhand der Charakterisierung eines Kollektivs langzeitbeatmeter Patienten vom Beginn der Beatmung an über die Verlaufskontrollen der unterschiedlichen Messparameter, Erfassung der Lebensqualität bei Status nach Heimbeatmung bis hin zur Erfassung der Überlebensraten. Hierzu werden auf Grundlage erhobener klinischer Daten und empirischer Forschung Fragestellungen untersucht, die nachfolgend im Einzelnen dargestellt werden. 3.1 Effekt der ISB Es wird der Effekt der ISB (siehe auch Kap. 2.3.1) anhand des Verlaufs klinischer Parameter gemessen. Diese sind ausführlich im Methodenteil in den Kapiteln 4.1.6 bis 4.1.9 sowie 4.2 aufgeführt. Je nach Hauptdiagnose sollen prädiktive Parameter für den Verlauf einer Erkrankung identifiziert werden. 3.2 Lebensqualität Untersucht wird die Lebensqualität chronisch Lungenkranker anhand unterschiedlicher Messinstrumente, nachdem eine nicht-invasive Heimbeatmung für mindestens drei Monate durchgeführt wurde. Hierzu findet der Vergleich der in dieser Arbeit erzielten Ergebnisse des Short-Form 36 Health Survey (SF-36) mit anderen Studien und Normkollektiven statt. Des Weiteren finden die alltäglichen Aktivitäten (ADL), die Wohn- und Betreuungssituation (Wo/Be) sowie die Problematik, Zufriedenheit und soziale Beeinträchtigung unter Beatmung (F-BAT) und die Sexualität (Fragebogen Sexualität) Eingang in die Untersuchungen.

3 Fragestellung der Arbeit 21 3.3 Überlebenszeitanalyse In dieser Arbeit wird im Rahmen einer Outcome-Analyse die Überlebenszeit eines Langzeitbeatmungskollektivs mit CVI betrachtet. Hierzu wird die Abhängigkeit der Überlebenszeit von Hauptdiagnose, Geschlecht, Alter, Hämoglobin- und Hämatokritwert, Blutgasanalyse, Body Mass Index (BMI), dem ESS-Wert (Epworth-Schläfrigkeitsskala), den Atmungswerten, Atemdrücken und der Spirometrie untersucht.

4 Methoden 22 4 Methoden 4.1 Datenerhebung 4.1.1 Beobachtungsort Die Datenerhebung fand im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft (FKKG), Schmallenberg im Hochsauerlandkreis statt. Das FKKG ist ein Zentrum für Pneumologie, Beatmungs- und Schlafmedizin mit zusätzlichem Schwerpunkt Allergologie. Zum Zeitpunkt der Messerhebung standen 140 Betten zur Verfügung, von denen 7 auf die Intensivabteilung und 35 auf die Abteilung für Allergologie entfielen. Aktuell verfügt das Haus über zusätzliche 50 Betten für den AHB/Reha-Bereich. Alle Untersuchungen wurden abhängig vom klinischen Zustand des Patienten in den dafür vorgesehenen Untersuchungsräumen oder auf den Patientenzimmern der auf ISB spezialisierten Station durchgeführt. Diese Station umfasst 24 Betten und beherbergt durchschnittlich neben Patienten der Schlafmedizin, dem zweiten Behandlungsschwerpunkt, zwischen 6 und 10 Patienten mit CVI zur Neueinstellung auf ein Beatmungsgerät oder zur Verlaufskontrolle bei bereits länger bestehender CVI. 4.1.2 Beobachtungszeitraum Bei den erhobenen Daten handelt es sich um Ergebnisse klinischer Untersuchungen und Fragebogenerhebungen bei Patienten mit CVI, die im Zeitraum vom 01.01.1990 bis 31.12.1999 mit nicht-invasiver Heimbeatmung therapiert wurden. 4.1.3 Einschlusskriterien Zur Auswahl der Patienten in die Stichprobe der vorliegenden Arbeit wurden bestimmte Einschlusskriterien festgelegt: Alle Patienten mussten einer CVI unterliegen, deren Ursache eine der unter Kap. 4.1.5 genannten Hauptdiagnosen war. Sie mussten eine kontrollierte oder

4 Methoden 23 assistierte Beatmung mittels Nasen- oder Nasen-Mund-Maske akzeptieren. Die Beatmung musste seit mindestens 3 Monaten erfolgen. Des weiteren mussten die Patienten zu den vorgesehenen Kontrollterminen nach 3 und bei Beatmung von mindestens 12 Monaten 12 Monaten erschienen sein. Neben der ISB durfte die vorbestehende spezifische Behandlung in Form von Steroiden, Theophyllin, Diuretika, inhalativen ß-2-Sympathikomimetika oder O 2 - Langzeittherapie (bei COPD-Patienten, bei denen nach den entsprechenden Richtlinien die Indikation hierzu bestand) weitergeführt werden (Köhler et al., 1996). 4.1.4 Ausschlusskriterien Patienten, die nach Abbruch eine erneute ISB begannen, fanden keine Aufnahme in die untersuchte Gruppe. Weitere Ausschlusskriterien waren Beatmung via Tracheostoma, Alter der Patienten unter 20 Jahren und ein pco 2 -Wert unter 45 mmhg vor Therapiebeginn. Patienten mit CPAP-Therapie fanden ebenfalls keine Berücksichtigung. 4.1.5 Hauptdiagnosen Die Patienten der in dieser Arbeit untersuchten Stichprobe lassen sich 4 Hauptdiagnosen zuordnen: 4.1.5.1 Chronisch obstruktive Lungenerkrankung Hierzu siehe Kapitel 2.1.1 4.1.5.2 Thorakorestriktive Ventilationsstörungen In der Gruppe der Patienten mit thorakorestriktiven Erkrankungen sind die in Kapitel 2.1.2 aufgeführten Erkrankungen mit Ausnahme der OHS-Patienten vertreten. Letztere bilden in dieser Arbeit eine eigene Gruppe. 4.1.5.3 Neuromuskuläre Erkrankungen In der vorliegenden Arbeit handelt es sich bei der Zusammensetzung der neuromuskulären Erkrankungen um eine relativ inhomogene Gruppe, da sowohl Störungen mit peripheren als auch der zentralen Dysregulationen zusammengefasst sind. Siehe hierzu auch Kapitel 2.1.3 und 2.1.4.