Musik und Zeit: Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding Folge 4: Wie spät ist es? Jahreszeiten, Tageszeiten

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2 Musik und Zeit: Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding Folge 4: Wie spät ist es? Jahreszeiten, Tageszeiten Es ist nicht sein letztes Werk, aber viel kam danach nicht mehr: ein paar Lieder, ein paar Harmonisierungen, zwei Quartettsätze das ist, gemessen an Joseph Haydns sonstigem Arbeitstempo, nicht eben viel für acht Lebensjahre. Allerdings war Haydn auch schon fast 70 Jahre alt und keineswegs gesund; er litt unter Kopfschmerzen, Augenproblemen und einer Art Grippe. Die Jahreszeiten haben mir den Rest gegeben, soll er gesagt haben, ich hätte sie nicht schreiben sollen. Den Rest hatten ihm vor allen Dingen die dauernden Querelen mit seinem Textdichter Gottfried van Swieten gegeben, der unbedingt an den großen Erfolg des Oratoriums Die Schöpfung anknüpfen wollte. Unglücklicherweise war van Swieten nicht nur Diplomat und Textdichter, er verstand sich auch als Komponist, weshalb er keine Skrupel hatte, Haydn auf musikalischem Gebiet Vorschriften zu machen. Man weiß übrigens, was Haydn von den Kompositionen seines Textdichters hielt: Sie seien so steif wie der Baron selbst. Das waren nicht nur nach Haydns Ansicht auch etliche Textstellen. Ganz besonders störte er sich am Lob des Fleißes im Herbst-Abschnitt der Jahreszeiten : O Fleiß! O edler Fleiß! Von dir kommt alles Heil, singen die Protagonisten Hanne, Lukas und Simon im Terzett. Diesen Text wollte Haydn zunächst gar nicht vertonen, denn, so Haydn, er sei zwar sein Lebtag ein fleißiger Mensch gewesen, aber es sei ihm nie eingefallen, den Fleiß in Noten zu bringen. Vielleicht war ihm auch die ganze idyllische Darstellung des Landlebens und ganz besonders des bäuerlichen Fleißes einfach zu verlogen. - Musik 1: Joseph Haydn, Die Jahreszeiten. René Pape (Simon), Ruth Ziesak (Hanne), Uwe Heilmann (Lukas) Chicago Symphony Chorus and Orchestra Dir: Georg Solti. Decca CD 2, Tr. 2. Dauer: 5 58

3 Das Terzett So lohnet die Natur den Fleiß aus Haydns Die Jahreszeiten mit René Pape als Simon, Ruth Ziesak als Hanne und Uwe Heilmann als Lukas. Es begleitete das Chicago Symphony Orchestra unter Georg Solti. Die Jahreszeiten sind, anders als die meisten anderen Oratorien, kein dramatischer Stoff. Das Stück besteht aus einer losen Aneinanderreihung von Naturschilderungen und bäuerlichen Idyllen vom Schlage der eben gehörten. Auch das mag ein Grund für Haydns distanziertes Verhältnis zu seinem eigenen Werk gewesen sein: Er wusste nämlich sehr gut und aus eigener Erfahrung, dass das Landleben noch dazu im Zeitalter der Maschinenlosigkeit längst nicht immer ein reines Vergnügen war. Ein weiteres Oratorium zum Thema Jahreszeiten gibt es meines Wissens nicht, genauso wenig wie eine Oper und das mit gutem Grund, was sollte denn auch darin vorkommen? In anderen musikalischen Gattungen hingegen waren die Jahreszeiten genau wie kleinteiligere Zeitunterteilungen wie Monat oder Tag beliebte Themen. Die vier Violinkonzerte, die Antonio Vivaldi 1725 zu seinen Quattro stagioni bündelte, sind nicht nur die populärsten all dieser Kompositionen, sondern auch die populärsten Werke Vivaldis. Zu jedem der Konzerte hat Vivaldi ein Sonett verfasst, das durchaus als Programm des jeweiligen Werks verstanden werden kann. Hier das Sonett zum ersten Satz des Sommers: Unter der harten Zeit sengender Sonne leiden Mensch und Herde und es glüht die Pinie. Kuckuck erhebt seine Stimme, und bald singen ihr Einverständnis Taube und Distelfink. Doch dieses Sonett bräuchte man eigentlich gar nicht; Vivaldi hat so plastisch komponiert, dass man auch ohne Worte mühelos verstehen kann, worum es geht. Musik 2: Antonio Vivaldi, Die Vier Jahreszeiten. Sommer RV 315, 1. Satz. Freiburger Barockorchester Dir: Gottfried von der Goltz. Deutsche harmonia mundi/bmg Tr. 4. Dauer: 6 19 Das war der erste Satz des Sommers aus Antonio Vivaldis Die Vier Jahreszeiten mit dem Freiburger Barockorchester unter Gottfried von der Goltz. Bei der wahrscheinlich eigenartigsten Verarbeitung des Themas der vier Jahreszeiten kennt man nicht einmal den Komponisten, jedenfalls ist er nirgendwo

4 verzeichnet. Angeblich soll es sich bei der Musik dieses Liedes um eine Volksweise handeln, doch in der überlieferten Fassung ist es eher ein Gesamtkunstwerk, an dem außer Karl Valentin auch Liesl Karlstadt, ein unbekannter Pianist sowie ein noch unbekannterer Zwischenrufer beteiligt sind. Ich muss Sie bitten, über die technische Qualität dieser Aufnahme aus dem Jahre 1939 großzügig hinweg zu hören und ihre Aufmerksamkeit stattdessen auf die Vertonung des Winters zu richten. Besonders bemerkenswert ist auch Karl Valentins vorbildliche Aussprache des Zungen- r : - Musik 3: Karl Valentin: Die vier Jahreszeiten. Archiv-Nr Tr. 6. Dauer: 3 00 Das waren Liesl Karlstadt und Karl Valentin mit ihrer Version der Vier Jahreszeiten. Lassen Sie uns zurück kehren zur möglicherweise seriöseren, dafür aber auch mit weniger exklusiv ausgesprochenen r -Konsonanten ausgestattete Vertonungen der vier Jahreszeiten. Zum Beispiel zu Alexander Glasunows Ballett-Musik gleichen Titels: eine allegorische Darstellung, in der kein einziger Mensch vorkommt, dafür gibt es im Sommer einen Korn- und Mohnblumenwalzer, im Herbst einen Reigen fallender Blätter und im Winterabschnitt schwingen Frost, Eis, Hagel und Schnee das Tanzbein. Glasunow erweist sich auch in den 1900 uraufgeführten Jahreszeiten als glänzender Orchestrator; hier vielleicht noch mehr als sonst, denn diese Ballettmusik trug nicht eben wenig zum Weltruhm Glasunows bei. Die Tatsache, dass seine Musiksprache eher klassizistisch war man könnte auch sagen: klassizistisch geglättet, war an der Popularität und der Breitenwirkung Glasunows gleichfalls beteiligt; und das in einer Zeit, als alle Künste und eben auch die Musik dabei waren, zu völlig neuen Ufern aufzubrechen. Glasunow blieb an den alten Ufern. Die Außenseite der Glasunowschen Musik ist mit allen Eigenschaften ausgestattet, um dem Ohr zu schmeicheln... Dass der Inhalt dieser Kunst noch und noch von Technik durchdrungen sei, ist eine nicht nur allgemein verbreitete, sondern oft bis ins Extrem vertretene Meinung. Ich bin bereit, mich dieser Position bis zur letzten Konsequenz anzuschließen, bemerkte ein Kritiker. Hier der Beginn des Winters.

5 - Musik 4: Alexander Glasunow, Die Jahreszeiten. Winter (Beginn). Archiv-Nr CD 2, Tr. 5, nach 4 52 ausblenden. Dauer: Das Royal Philharmonic Orchestra unter Vladimir Ashkenazy mit dem Beginn des Winters aus Alexander Glasunows Ballettmusik Die Jahreszeiten. Das Jahr ist die größte Zeiteinheit, die wir Menschen kennen Jahrhunderte oder Jahrmillionen sind ja auch nichts anderes als Jahre. Nur eben sehr viele. Kürzere Zeitabschnitte kennen wir dagegen eine ganze Menge, und einige von ihnen wurden auch vertont, genau wie das Jahr. Da sind etwa die Monate, die Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, 1840/41 in Musik setzte übrigens zum ersten Mal in der Musikgeschichte. Veröffentlichen konnte Fanny Hensel ihren Zyklus Das Jahr allerdings nie, das geschah erst 1989 die Mitte des 19. Jahrhunderts war nicht gerade eine Blütezeit der Emanzipation, in der eine Komponistin ohne weiteres hätte veröffentlichen können. Dem standen erstens die gesellschaftlichen Konventionen und zweitens die Familie Mendelssohn entgegen; wobei man dazu sagen muss, dass Felix seine Schwester kompositorisch als absolut ebenbürtig anerkannte. Aber beruflich hatte ein Mädchen in dieser Zeit eine ganz andere Perspektive als Komponistin zu werden. Du musst dich ernster und emsiger zu deinem eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Mädchens, zu Hausfrau, bilden, hatte der Vater Abraham Mendelssohn Fanny anlässlich ihrer Konfirmation ins Stammbuch geschrieben. Und Bruder Felix sekundierte: Zureden etwas zu publicieren kann ich ihr nicht, weil es gegen meine Ansicht und Überzeugung ist. - Musik 5: Fanny Mendelssohn, Das Jahr. August. Liana Serbescu, Klavier. Cpo Tr. 8. Dauer: Liana Serbescu spielte den Monat August aus Fanny Hensels Zyklus Das Jahr. Karlheinz Stockhausen hatte nie ein Problem mit ziemlich gigantischen Größenordnungen. Als er im Interview darauf angesprochen wurde, dass sein Zyklus Licht wohl das größte zusammenhängende musikalische Kunstwerk des Abendlandes sei, antwortete er lakonisch: Sieht so aus, ja. Tatsächlich übertrifft

6 seine Heptalogie, also die Vertonung der sieben Wochentage, Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen bei weitem. Doch es gibt unübersehbare Parallelen zwischen beiden zyklischen Werken. Wie Wagner arbeitete auch Stockhausen an seinem Opus summum mehrere Jahrzehnte, von 1977 bis Was bei Wagner die Leitmotive sind, die den Ring des Nibelungen musikalisch zusammen halten, ist bei Stockhausen die sogenannte Formel, ein in allen sieben Teilen des Werks immer wieder auftauchender Melodieabschnitt. Die Formel ist mehr als leitmotivisches Zeichen, mehr als Thema oder generierende Reihe: die Formel ist Matrix und Plan von Mikro- und Makroform, erläuterte Stockhausen die konstitutive Bedeutung dieses Kompositionsprinzips. Ähnlich wie in Wagners Ring taucht auch bei Stockhausen immer wieder dasselbe Personal auf, in Licht genügen Stockhausen drei Personen: Eva, Michael und Luzifer. Der in den frühen 1980er Jahren entstandene Samstag zum Beispiel ist ausschließlich Luzifer gewidmet, dem die Luzifer-Instrumente Posaune und tiefe Blechbläser zugeordnet sind. Hier der Beginn des sogenannten Samstags-Grußes. Musik 6: Karlheinz Stockhausen, Samstag-Gruss aus Licht (Anfang). Archiv-Nr Tr. 5. Nach 3 44 ausblenden. Dauer: 3 44 Der Beginn des Samstags-Grußes aus Karlheinz Stockhausens siebenteiligem Zyklus Licht mit Mitgliedern der University of Michigan Symphony Band unter Karlheinz Stockhausen. Joseph Haydns Jahreszeiten, von denen zu Beginn dieser Musikstunde die Rede war, sind nicht das einzige Werk dieses so überaus produktiven Komponisten, das Zeitabschnitte zum Thema hat. Wohl im Jahre 1761, also als 29jähriger Mann, komponierte Haydn das einzige Mal einen zusammenhängenden Zyklus von Sinfonien: Le Matin, Le Midi und Le Soir die Titel gehen höchstwahrscheinlich auf Haydn selbst zurück. Der hatte gerade seinen Vertrag als Vizekapellmeister bei der Familie Esterházy unterschrieben, der 48 Jahre lang bis zu Haydns Tod 1809 Bestand haben sollte. Die Anregung, die Tageszeiten zu vertonen, war möglicherweise eine Idee von Haydns neuem Dienstherrn, der über ein ausgezeichnetes Orchester verfügte. In den Tageszeiten-Sinfonien erledigte Haydn gleich mehrere Aufgaben auf einmal: Er sorgte dafür, dass sich die Solisten des Orchesters angemessen und virtuos präsentieren konnten, was

7 zweifellos auch im Interesse seines Dienstherren lag; bei dieser Gelegenheit brachte Haydn auch gleich die Gattung der Sinfonie in die Form, die sich langfristig durchsetzte. Zum Beispiel waren schon diese frühen Sinfonien mit den Ordnungsnummern 6 8 viersätzig, also mit einem Menuett als drittem Satz. - Musik 7: Joseph Haydn, Sinfonie Nr. 6 D-Dur. Menuett Stuttgarter Kammerorchester Dir: Dennis Russell Davies Sony Classical CD 5, Tr. 11. Dauer: Das Stuttgarter Kammerorchester unter Dennis Russell Davies mit dem Menuett aus Joseph Haydns sechster Sinfonie D-Dur mit dem Beinamen Le Matin. Nur wenige Jahre vor Haydns Tageszeiten -Sinfonien stellte sich ein anderer Komponist ebenfalls die Aufgabe, die Tageszeiten zu vertonen: Georg Philipp Telemann Werk, das auch genau so heißt, nämlich Die Tageszeiten, besteht aus den vier Abschnitten, aus denen auch der Tag besteht: Der Morgen, Der Mittag, Der Abend und Die Nacht letztere fehlt bei Haydn, vielleicht ging sie verloren, vielleicht gab es sie nie. Da nur zwei winzige Jahre die beiden Zyklen trennen 1759 bei Telemann, 1761 bei Haydn drängt sich ein Vergleich geradezu auf; auch wenn wir es bei Haydn mit drei Sinfonien und bei Telemann mit vier Kantaten zu tun haben. Und da merkt man dann schon, dass Telemann ein Barock-Komponist ist, auch wenn die Einflüsse des galantes Stils nicht zu überhören sind, während der über 50 Jahre jüngere Haydn nicht mehr in barocken Kategorien dachte und komponierte, sondern zum Beispiel in seiner Themenbildung und in der formalen Organisation seiner Sinfonien ein eindeutig klassischer Komponist ist. Hier ein Ausschnitt aus Telemanns Kantate Der Morgen Musik 8: Georg Philipp Telemann, Die Tageszeiten. Der Morgen Monika Mauch, Sopran Basler Madrigalisten, L Arpa festante Dir: Fritz Näf. Carus Tr Auf Ende einblenden. Dauer komplett: