Peter Zumthor. Architektur Denken
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- Christin Melsbach
- vor 5 Jahren
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Transkript
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2 Peter Zumthor Architektur Denken Zweite, erweiterte Auflage Birkhäuser - Verlag für Architektur Basel Boston Berlin
3 Eine Anschauung der Dinge 7 Der harte Kern der Schönheit 29 Von den Leidenschaften zu den Dingen 39 Der Körper der Architektur 53 Architektur lehren, Architektur lernen 65 Hat Schönheit eine Form? 7 I Die Magie des Realen 83 Das Licht in der Landschaft 89
4 Eine Anschauung der Dinge Auf de r Suche nach d e r verlorenen Architektur Wenn ich an Architektur denke. steigen Bilder in mir auf. Viele dieser Bilder stehen im Zusammenhang mit meiner Ausbildung und Arbeit als Architekt. Sie enthalten das berufliche Wissen über Architektur, das ich mir im Laufe der Zeit erwerben konnte. Andere Bilder haben mit meiner Kindheit zu tun.lch erinnere mich an jene Zeit in meinem Leben, in der ich Architektur erlebte. ohne darüber- nachzudenken. Noch glaube ich, die Türklinke. jenes Stück Metall, geformt wie der Rücken eines Löffels. in meiner Hand zu verspüren. Ich fasste es an. wenn ich den Garten meiner Tante betrat. Noch heute erscheint mir jene Klinke wie ein besonderes Zeichen d es Eintritts in eine Welt verschiedenartiger Stimmungen und Gerüche. Ich erinnere mich an das Geräusch der Kieselsteine unter meinen Füssen, an den milden Glanz des gewachsten Eichenholzes im Treppenhaus, häre die schwere H austür hinter mir ins Schloss fallen. laufe den düsteren Gang entlang und betrete die Küche; den einzigen wirklich hellen Raum im H aus. Nur dieser Raum, so will mir heute scheinen, hatte eine Decke, die nicht im Zwielicht entschwand; und die kleinen sechseckigen Platten des Bodens. dunkelrot und satt verfugt. setzten meinen Schritten eine unnachgiebige Härte entgegen. und dem Küchenschrank entströmte dieser eigentümliche Geruch von Ölfarbe. Alles in dieser Küche war so. wie herkömmliche Küchen eben sind. Es gab nichts Besonderes an ihr. Aber vielleicht ist sie, gerade weil sie auf diese fast natürliche Weise einfach Küche war, in meiner Erinnerung so sehr als Inbild einer Küche präsent. Die Atmosphäre dieses 7
5 Raumes hat sich für immer mit meiner Vorstellung von einer Küche verbunden. Nun wäre mir danach, fortzufahr-en und zu erzählen: von allen Türklinken, die auf jene Klmke am Gartentor meiner Tante folgten, und von Böden, von weichen A sphaltflachen, von der Sonne erwär-mt; von Steinpflästerungen, bedeckt von Kastanienblattern im Herbst, und von T üren, die auf so unterschiedlicheweise ins Schloss fielen: die einen satt und vor-nehm, andere dünn und billig schepper-nd, wieder andere hart, grossartig, einschüchternd... Erinnerungen dieser Art beinhalten die am tiefsten gegründecen Architekturerfahrungen, die ich kenne. Sie bilden den Grundstock von architekt:onischen Scimmungen und Bildern. den ich in meiner A rbeit als Architekt auszuloten versuche. Wenn tch entwerfe. finde ich mich immer wieder eingetaucht in alte und halbvergessene Ennnerungen. und ich versuche. mich zu fragen: Wie genau war jene architektonische Situation w irklich beschaffen. w as bedeutete sie für mich damals. und was könnte mir helfen, jene reiche Atmosphäre wieder entstehen zu lassen. die gesattigt zu sein scheint von der selbstverständlichen Präsenz der Dinge. wo alles seinen richtigen Ort und seine richtige Form hat? Daber waren gar keine besonderen Formen auszumachen. Aber dieser Anflug von Fulle wäre spürbar, von Reichtum auch, der einen denken lasse das habe ich schon einmal gesehen. während ich gleichzeitig w eiss, dass alles neu und anders ist und kein direktes Zitat einer alten Architektur das Geheimnis der erinnerungsmichtigen Scimmung verrät. Aus Stoff gebaut Die Arbeiten von Joseph Beuys und einigen Künstlern der A rte-povera Gruppe haben fur mich etwas Aufschlussreiches. Was mich beeindr-uckt, ist der präzise und sinnliche Einsatz des Materials in diesen Kunstwerken. Er scheint in einem alten W issen um den Gebrauch der Materialien durch 8
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7 den Menschen verankert zu sein und gleichzeitig das eigentliche Wesen dieser Materialien. das bar jeglicher kulturell vermittelten Bedeutung ist, freizulegen. ln meiner Arbeit versuche ich, die Materialien auf ähnliche Weise einzusetzen. Ich glaube. dass Materialien tm Kontext eines architektonischen Objektes poetische Qualitaten annehmen können. Dazu ist es notwendig. tm Objekt selbst einen entsprechenden Form- und Sinnzusammenhang zu generieren; denn Materialien an sich sind nicht poetisch. Der Stnn, den es 1m Stofflichen z.u stiften gilt, liegt jenseits kompositorischer Regeln. und auch die Fuhlbarkeit. der Geruch und der akustische Ausdruck der Materialien sind lediglich Elemente der Sprache. in der wir sprechen mussen Sinn entsteht dann. wenn es gelingt. im architektonischen Gegenstand spezifische Bedeutungen bestimmter Baumaterialien hervorzubringen, die nur in dtesem einen ObJekt auf diese Weise spürbar werden. Wenn wir auf dieses Ziel hinarbeiten, mussen wir uns immer wieder fragen. was em bestimmtes Material in einem bestimmten architektonischen Zusammenhang bedeuten kann. Gute Antworten auf diese Frage können sowohl dte An. wie dieses Material fur gewöhnlich angewendet wird, als auch seine ihm eigenen sinnlichen und sinnstiftenden Eigenschaften in einem neuen Lichte erscheinen lassen. Gelingt uns dies. können Materialien in der Architektur zum Kltngen und Strahlen gebracht werden. Die A rbeit in den Dingen Etwas vom Etndrucklichsten an der Musik Johann Sebastian Bachs ist, sagt man. thre «Archttektur».lhr Aufbau wirkt klar und durchsichtig. Es ist möglich, dte melodischen. harmonischen und rhythmischen Elemente der Musik tm Emzelnen z.u verfolgen, ohne das Gefuhl fur die KompoSition als Ganzes, tn der alle Einzelheiten ihren Sinn finden. zu verlieren. Eine klare Struktur schemt dem Werk zugrunde zu liegen, und folgt man den einzelnen 10
8 Fäden des musikalischen Gewebes. so ist es möglich, die Regeln, die den konstruktiven Aufbau dieser Musik bestimmen, zu ahnen. Konstruktion ist die Kunst. aus vielen Einzelteilen ein sinnvolles Ganzes zu formen. Gebäude sind Zeugnisse der menschlichen Fähigkeit, konkrete Dinge zu konstruieren. Im Akt des Konstruierens liegt für mich der eigentliche Kern jeder architektonischen Aufgabe. Hier, wo konkrete Materialien gefügt und aufgerichtet werden. wird die erdachte Architektur Teil der realen Welt. Ich empfinde Respekt für die Kunst des Fügens, für die Fähigkeiten der Konstrukteure, der Handwerker und Ingenieure. D as Wissen der Menschen über die Herstellung von Dingen, das in ihrem Können enthalten ist. beeindruckt mich. Ich versuche darum, Bauten zu entwerfen, die diesem W issen gerecht werden und die es auch wert sind, dieses Können herauszufordern. «Da drin steckt viel Arbeit», pflegt man zu sagen, wenn man einen schön gearbeiteten Gegenstand betrachtet und glaubt, die Sorgfalt und das Können des Menschen, der den Gegenstand geschaffen hat, zu verspüren. Dass unsere Arbeit wirklich in den Dingen steckt, die uns gelingen. ist eine Vorstellung, die an die Grenzen des Nachdenkens über den Wert eines Werkes heranführe. Steckt unsere Arbeit wirklich in den Dingen? Manchmal, wenn ein Bauwerk mich berührt wie eine Musik, ein Stück Literatur oder ein Bild, bin ich versucht. daran zu glauben. Für die Stille des Schlafs Ich liebe Musik. Langsame Säue aus Mozarts Klavierkonzerten, John Coltranes Balladen, der Klang der menschlichen Stimme in bestimmten Liedern gehen mir nahe. Das menschliche Vermögen. Melodien, Harmonien und Rhythmen zu erfinden. versetzt mich in Erstaunen. II
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