1. Erzählen als Basisform der Verständigung
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- Wolfgang Färber
- vor 6 Jahren
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1 1. Erzählen als Basisform der Verständigung Erzählen ist eine Grundform sprachlicher Darstellung, die in verschiedenen Formen und Kontexten und mit unterschiedlichen Zielen stattfindet. Erzählungen sind im Alltag das Mittel, mit dem wir einander auf den gleichen Stand unserer Erfahrungen und äusseren wie inneren Zustände bringen. Der Erzähler versetzt sich und seinen Hörer in die zu erzählende Vergangenheit: Er bildet das Geschehene sprachlich mit seinen Erzählsätzen nach. Der Hörer lässt sich von der Plausibilität und Authentizität überzeugen. Das Erzählen von Geschichten ist eine vielfältige und komplexe Praxis der Sinnbildung.
2 2. Funktionen des Erzählens Erinnerung, Erfahrung, Erwartung, Handeln und Erleiden würden ohne Bezugnahme auf das Erzählen ihren Bedeutungsgehalt verlieren. Erzählungen sind in ihrer psychosozialen Bedeutung eine unüberschätzbare Artikulationsform des Menschen. (Boothe, 2002) 3. Erzählen ist identitätsstiftend Erzählung ist nicht Abbildung der vergangenen Realität, ist nicht «objektiv». Der Erzähler entscheidet, welche Aspekte des Geschehens er in welcher Form kausal oder final miteinander verknüpft. Die Wahl der Aspekte ergibt sich aus der Bedeutung, die der Erzähler dem Narrativ zuordnet. Die Unterlegung der Bedeutungsstruktur erfolgt im Prozess der Geschichtenkonstruktion, oft erst in der Erzählsituation selbst, in der der Erzähler seine Botschaft an die Funktion seiner Erzählung anpasst.
3 Im Erzählen verarbeiten wir Geschehensabläufe speichern sie als narrative Struktur im Gedächtnis konstituieren wir unsere Biographie arbeiten wir an unserer Identität schaffen wir uns eine Vergangenheitsbedeutung über die Zukunft hinaus werden Sinnstrukturen verankert Erzählungen nehmen unsere Weltdeutungen, unsere Theorien vom Gang der Dinge und der Ordnung des Lebens auf. Sie enthalten unsere Emotionen und Bewertungen, unsere moralischen Kategorien und unsere Vorstellungen von Verantwortlichkeit, Handlungsmächtigkeit oder Schicksalhaftigkeit. Durch die analytische Bearbeitung von Narrativen lassen sich die Selbst- und Weltbilder von Erzählern minutiös rekonstruieren. Im Erzählen konstruieren wir unsere Selbst- und Weltbilder. Das personale Selbst und die Identität von Individuen gelten als «narrative Konstrukte».
4 Erzählen von Geschichten ermöglicht ein Verständnis dessen, wie Menschen handeln, wie sie sich selbst und ihre Welt, einschliesslich ihrer Vorstellungen von der Welt auffassen, imaginieren und handelnd gestalten Narrative Konstruktionen manifestieren sich im Spannungsfeld zwischen dem, was erfahrungs- und erinnerungsmässig zuhanden, und dem, was kulturell verfügbar ist. Unter diesem Aspekt ist der Akt des Geschichtenerzählens als Identitätskonstruktion zu analysieren. Biographisches Erzählen Die Erzählung findet vor allem in der interdisziplinären Biographieforschung grosse Aufmerksamkeit. Das «narrative Interview» als wichtigstes Erhebungsinstrument (Schütze 1983) Narratives Interview nutzt die menschliche Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und zu verstehen. Biographische Passagen, Übergänge oder kritische Lebensereignisse sind notwendigerweise an das Erzählen von Geschichten gebunden. Narrative Selbstthematisierung bei der Darstellung aktueller psychischer Befindlichkeiten, sozialer Beziehungen, von Wünschen und Handlungspotentialen.
5 Die Biographieforschung erbringt den Beweis, dass Erzählen Aufmerksamkeit verdient: Erlebtes wird im Erzählen lebendig. Erlebtes vergegenwärtigt Episoden, in die man emotional verstrickt war. Erzählen ermöglicht, dass Erzähler und Hörer ein dramaturgisches Geschehen gemeinsam in der Vorstellung mit- und nachvollziehen. Erzählen schafft eine Erlebensgemeinschaft. Aktuelle Qualität und Identität dieser komplexen Phänomene kann nur durch die Rekonstruktion ihrer Geschichte, ihrer Entstehung und Entwicklung angemessen erfasst werden. In der Wissenschaft wird biographisches Erzählen als identitätsstiftende Handlung oder diskursive Herstellung des Selbst fokussiert.
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