Der Codex Argenteus und die Gotenbibel des Bischofs Wulfila, ihre Wanderung durch Europa
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- Kajetan Arnold
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1 Evangelische Akademie Recklinghausen e. V. Der Codex Argenteus und die Gotenbibel des Bischofs Wulfila, ihre Wanderung durch Europa Vortrag von Peter Borggraefe am 15. November 2007 in der Sparkasse Vest Recklinghausen Vor einigen Monaten erregte ein Buch mit dem Druckdatum 1665 meine Aufmerksamkeit. Als Druckort war angegeben: Dordrecht, die niederländische Partnerstadt Recklinghausens. Der lateinische Titel des Buches lautet in deutscher Übersetzung: Die vier Evangelien Jesu Christi in zwei Versionen: Gotisch und Angelsächsisch, deren erstgenannte aus dem berühmten Codex Argenteus hier zum ersten Mal veröffentlicht wird von Franziscus Junius Das Buch ist demnach eine Druckausgabe des Neuen Testaments, in der die gotische und die angelsächsische Version in parallelen Kolumnen gegenüber gestellt wird. Bei der gotischen Version handelt es sich um die Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila. Es ist die erste Druckausgabe dieser Gotenbibel, die in Europa erschienen ist. Überliefert ist die Bibelübersetzung des Wulfila im Codex Argenteus, einer der berühmtesten Handschriften des frühen Mittelalters. Sie befindet sich heute in Schweden in der Bibliothek der Universität Uppsala. Wann entstand die Gotenbibel? Ihre Entstehungsgeschichte führt uns zurück in die Zeit der Völkerwanderung. Wie viele andere Völkerschaften aus Nord- und Osteuropa waren die Goten, aus Skandinavien kommend, in das Gebiet des Römischen Reiches eingewandert. Sie hatten sich um 350 n. Chr. am Unterlauf der Donau im Grenzgebiet der heutigen Staaten Rumänien und Bulgarien angesiedelt. Unter Anleitung des späteren Bischofs Wulfila ( ) traten sie im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts zum Christentum über. Vor dem Hintergrund dieses Ereignisses schuf Wulfila die Gotenbibel, indem er die biblischen Texte unter Verwendung mehrerer griechischer Vorlagen in die Sprache der Goten übertrug. Damit wurde zum ersten Mal der biblische Text in eine germanische Sprache übersetzt. Wulfilas Leistung ist um so höher einzuschätzen, weil die Goten damals noch keine ausgefeilte Schriftsprache besaßen. Wulfila musste nicht nur den Bibeltext übersetzen, sondern zunächst ein gotisches Alphabet erfinden. Das Ergebnis 1
2 seiner Kreativität war eine Mischung aus griechischen Buchstaben und nordischen Runen. Von der Gotenbibel ist uns heute nur das Neue Testament überliefert, obwohl Wulfila auch zumindest Teile des Alten Testaments ins Gotische übertragen hat. Und der Codex Argenteus? Damit bezeichnet man die Handschrift, in der die Gotenbibel überliefert wurde. Verfasst wurde diese Handschrift auf einem purpurfarbenen Pergament mit einer silberfarbenen Tinte. Daher der Name Codex Argenteus. Wissenschaftler datieren seine Entstehung in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts und vermuten, dass er in Ravenna in der Zeit des Gotenkönigs Theoderich ( ) geschrieben worden ist. Wieder entdeckt wurde der Codex Argenteus zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Benediktinerabtei Werden a. d. Ruhr (Essen- Werden). Wann und auf welchem Weg der Codex Argenteus von Ravenna nach Essen-Werden gelangte, konnte von der Geschichtswissenschaft bisher noch nicht ermittelt werden. Werden, Prag, Stockholm Der Verbleib des Codex Argenteus in der Abtei Werden ist nachweisbar bis etwa Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gelangte er nach Prag an den Hof des Kaisers Rudolf II. aus dem Hause Habsburg. Warum er dorthin gebracht wurde, ist nicht endgültig geklärt. Am wahrscheinlichsten ist: Man wollte die wertvolle Handschrift vor den konfessionellen Auseinandersetzungen am Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs in Sicherheit bringen. Aber auch seine Unterbringung in Prag schützten den Codex Argenteus letztlich nicht vor den Kriegsereignissen. Kurz vor dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs eroberten im Frühjahr 1648 schwedische Truppen ein letztes Mal die böhmische Hauptstadt. Der Codex Argenteus wurde neben anderen Kunstschätzen von den Schweden konfisziert und gelangte in die Bibliothek der Königin Christina ( ) nach Stockholm. Von Stockholm nach Dordrecht Im Jahre 1649 wird der niederländische Gelehrte Isaac Vossius ( ) von Christina an den Hof von Stockholm berufen, um dort als Griechischlehrer und Bibliothekar der Königin zu wirken. Dabei stößt er auf den erst ein Jahr zuvor in die Bibliothek eingestellten Codex Argenteus. Er berichtet seinem Onkel Franz Junius ( ) über seinen Fund. Damit stößt er bei Franz Junius auf ein außerordentliches Interesse. Junius war nämlich einer der bedeutendsten Vertreter der damals noch jungen europäischen Sprachwissenschaften. Das Feld seiner Forschung beschränkte sich nicht nur auf die Philologie der klassischen alten Sprachen, Hebräisch, Griechisch und Latein, sondern er erforschte auch die alten germanischen Sprachen. Sein Schwerpunkt 2
3 hier: Die Philologie der nordischen Sprachen, das Angelsächsische und die alten Dialekte Skandinaviens. Darum war die Nachricht vom Codex Argenteus eine willkommene Ergänzung seines Forschungsgebiets. Der begeisterte Bericht über das Interesse seines Onkels Franz Junius am Codex Argenteus veranlasste die Königin Christina, die Handschrift an Isaac Vossius zu verkaufen bringt Vossius den Codex Argenteus in die Niederlande, zunächst nach Amsterdam. Die Drucklegung der Gotenbibel Es sollten noch 13 Jahre vergehen, bis der Druck der Gotenbibel abgeschlossen werden konnte. Unendlich beschwerlich waren die Vorbereitungen. Zunächst musste man den Text vollständig verstehen und übersetzen können. Dann wurde handschriftlich eine vollständige Kopie des Codex Argenteus angefertigt. Für das gotische Alphabet, das der Bibelübersetzer Wulfila geschaffen hatte, gab es nirgendwo in Europa die für den Druck brauchbaren Letter. Sie mussten eigens angefertigt werden. Hoch war aber auch das verlegerische Risiko für die Herausgabe eines derartigen Buches. Daher konnten Isaac Vossius und Franz Junius in Amsterdam keinen Drucker finden, der bereit war, das verlegerische Risiko zu übernehmen. Darum mussten sie ausweichen nach Dordrecht. Diesem Umstand verdanken wir heute das Ergebnis, dass die erste Druckausgabe (Editio Princeps) der Gotenbibel des Bischofs Wulfila 1665 in Dordrecht, der niederländischen Partnerstadt Recklinghausens hergestellt worden ist, und zwar bei Heinrich und Johannes Esseus, den öffentlich bestellten Stadtdruckern Dordrechts. Zurück nach Schweden Nachdem die erste Drucklegung der Gotenbibel erfolgreich abgeschlossen war, hat Isaac Vossius den Codex Argenteus wieder an die Schweden zurück verkauft. Sein Geschäftspartner auf schwedischer Seite war der damalige Staatskanzler Magnus Gabriel de la Gardie ( ). Dieser sorgte dafür, dass der Codex Argenteus 1669 in einer feierlichen Zeremonie der Bibliothek der Universität Uppsala übergeben wurde. Mit diesem Akt endet die europäische Wanderschaft des Codex Argenteus. Aus der Distanz des Historikers betrachtet, sicherlich ein Ereignis von europäischem Rang. Die zeitlich längste Zwischenstation war die alte Benediktinerabtei Werden an der Ruhr. Hieraus abzuleiten: Ein nicht ganz unbedeutendes Argument für die Bewerbung Essens als Kulturhauptstadt Europas. Peter Borggraefe 3
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6 Das Vaterunser aus der Gotenbibel des Wulfila Matthäus 6,
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