Acht Versmasse. Metrik / Acht Versmasse 1
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- Gerda Waltz
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1 Acht Versmasse Teil 1: Mit dieser Arbeitsreihe kannst du die acht wichtigsten Versmasse der deutschen Dichtung kennenlernen. Die Definitionen dieser Versmasse kannst du selbst herausfinden, indem du die Beispieltexte untersuchst. (Sie stehen auf den Seiten 9 bis 16.) Damit du diese Arbeitsreihe mit Erfolg bearbeiten kannst, musst du bei einem Verstext das Metrum bestimmen und beschreiben können. (Diese Fähigkeiten lernst du in den Arbeitsreihen Das Metrum und die Tonbeugungen, Der Rhythmus und Beschreibung von Versmassen.) (Die Bezeichnung dieser acht Versmasse mit den römischen Zahlen I bis VIII ist nur innerhalb dieser Arbeitsreihe gültig.) Setze über jeden Teil einen Titel, der das Wichtigste dieses Teils zum Ausdruck bringt. Teil 2: Wir unterscheiden vier Arten von Verstexten: 1. Verstexte, bei denen das Metrum aller Verse genau gleich ist, nennen wir streng regelmässige Verstexte. 2. Verstexte, bei denen die Anzahl der Hebungen in den Versen gleich ist, nennen wir regelmässige Verstexte im engern Sinn. (Hier kommen also Varianten im Bereich der Füllungen, des Verseingangs und des Versausgangs vor.) 3. Verstexte, bei denen zwei Verstypen (etwa: Verse mit ungerader Nummer haben eine andere Anzahl Hebungen als die Verse mit gerader Nummer) vorliegen, nennen wir regelmässige Verstexte im weitern Sinn. 4. Verstexte, bei denen im Bereich der Anzahl der Hebungen keine Gesetzmässigkeit vorliegt, nennen wir unregelmässige Verstexte. Teil 3: Wir führen hier die Begriffe Grundmetrum und Einzelmetrum ein. Das ist nötig, damit wir die Gesetzmässigkeiten eines ganzen Verstexts, der ein regelmässiger Verstext im engern Sinn ist, beschreiben können; denn diese Gesetzmässigkeit stimmt ja nicht mit dem Metrum eines einzelnen Verses überein und muss alle möglichen Varianten umfassen. Metrik / Acht Versmasse 1
2 Teil 4: Beispiel für die Darstellung eines Grundmetrums: Bei diesem Grundmetrum sind acht Einzelmetren möglich. Schreib sie hier auf: Alle in dieser Arbeitsreihe untersuchten Metren sind streng regelmässig oder regelmässig im engern Sinn. Das heisst, dass die Anzahl der Hebungen in allen Einzelversen gleich ist. Die Hebungen sind gleichsam die Säulen des Metrums, sie tragen es. Varianten sind darum nur in den Bereichen der Füllungen, des Verseingangs und des Versausgangs möglich. Diese Varianten werden in dem Schema des Grundmetrums untereinander gezeichnet, und zwar wird auf jeder Zeile die ganze Variante der Füllung eingetragen. Zum Beispiel: richtig: falsch: Die Hebungen sind, weil sie die Säulen des Metrums sind, nie Varianten zu Senkungen oder zu Leerstellen. Es gibt also die hier gezeichneten Möglichkeiten nicht: Das Zeichen (Leerstelle) bedeutet keine Senkung. Es wird nur gesetzt, wenn es eine Variante ist (also nie, wenn es alleine an einer Stelle steht). Stelle richtig falsch Verseingang Füllung Versausgang Metrik / Acht Versmasse 2
3 Teil 5: Wir wenden uns in diesem Teil der Frage zu, wie man das Grundmetrum herausfinden kann, wenn eine bestimmte Anzahl von Einzelmetren vorliegt. Wenn die Hebungen genau untereinander gezeichnet werden (und zwar die 1. Hebung unter die 1., die 2. Hebung unter die 2. usw.), zeigt sich, an welchen Stellen Varianten vorkommen und an welchen nicht. Und auch die Art der Varianten kann durch zusammenzählen der untereinander liegenden Einzel-Stellen leicht gefunden werden. Beispiel: Einzelverse: Grundmetrum: Trage das Grundmetrum selbst ein. Halte dich an die in Teil 4 getroffenen Abmachungen. Teil 6: Beachte auch bei der Darstellung von Verstexten mit verschiedener Anzahl Hebungen und von Verstexten mit verschiedener Anzahl Senkungen in den Füllungen, dass die Hebungen genau untereinander gezeichnet werden, damit nicht der falsche Eindruck von Regelmässigkeit entsteht. richtig dargestellt: falsch dargestellt: Teil 7: Wir wenden uns jetzt der Bestimmung der acht Metren zu, die du in dieser Arbeitsreihe kennenlernst. Diese Bestimmungen kannst du anhand der Beispieltexte auf den Seiten 9 bis 16 selbst herausfinden. (Schau sie dir jetzt einmal an.) Damit du die Grundmetren richtig bestimmen kannst, musst du dich an die Abmachungen halten, die in den folgenden Teilen festgehalten sind. Metrik / Acht Versmasse 3
4 Teil 8: Verse, die bei den Beispieltexten (Seiten 9 bis 16) mit A bezeichnet sind, sind Ausnahmen zu dem Metrum, das im Blick ist. Sie dürfen also für die Bestimmung des Grundmetrums nicht verwendet werden. Verse, die mit a bezeichnet sind, sind nur in einer bestimmten Hinsicht eine Ausnahme, nämlich im Bereich der Zäsur. Für die Bestimmung des Vorhandenseins oder der Lage der Zäsur dürfen diese Verse also nicht verwendet werden. Für die Bestimmung der andern Aspekte des Grundmetrums müssen sie aber auch verwendet werden. Zäsuren sind Pausen in Versen. Sie werden mit senkrechten Strichen bezeichnet. Teil 9: Bei der Untersuchung der Metren der Versmasse I bis VIII müssen die Vorschriften zur metrischen Interpretation einzelner Wendungen eingehalten werden. Diese Vorschriften sind bei den Anmerkungen (Seiten 6 bis 8) aufgeführt. Wenn diese Vorschriften nicht eingehalten werden, ist nicht gewähr-leistet, dass das Grundmetrum richtig bestimmt wird. Schau dir die Anmerkungen jetzt einmal an. Teil 10: Bei zwei Versmassen kommen in den Beispieltexten nicht genügend Varianten vor. (Es sind die Versmasse IV und VIII.) Damit das Grundmetrum dennoch richtig bestimmt wird, ist bei diesen Versmassen bei den Anmerkungen angegeben, wie der Mangel des Beispieltexts wettgemacht werden kann. Teil 11: Damit keine falschen (und zu komplizierten) Bestimmungen des Grundmetrums entstehen, muss noch die folgende Angabe gemacht werden, die für alle acht Versmasse gilt: Es gibt keine Verknüpfungen zwischen einzelnen Füllungen von Versen. Erscheinungen wie Wenn zwischen der ersten und zweiten Hebung eine einzige Senkung vorliegt, kommen zwischen der zweiten und dritten Hebung zwei Senkungen vor gibt es nicht. Das heisst: Jede Stelle, an der Varianten möglich sind (Füllungen, Verseingang, Versausgang), kann unabhängig von den andern solchen Stellen (also einzeln) untersucht werden. Metrik / Acht Versmasse 4
5 Teil 12: a. Schreib nun bei jedem Vers des Versmasses I (Seite 9) das Strich/Haken-Schema des Metrums auf die dafür vorgesehene Zeile in der unteren Hälfte der Seite. Beachte, dass du bei den Versen, die mit A bezeichnet sind, das Schema nicht aufschreiben darfst. b. Trage einen senkrechten Strich als Bezeichnung der Zäsuren bei denjenigen Versen, die nicht mit a bezeichnet sind, in die Einzelmetren ein. c. Bestimme das Grundmetrum und zeichne sein Schema zuoberst auf der Seite an der dafür vorgesehenen Stelle. d. Führe diese Arbeiten nun bei den Versmassen II bis VIII durch. e. Kontrolle: In allen acht Grundmetren hat es zusammen 23 Stellen, an denen Varianten vorkommen. Die Zäsur ist nur gerade in zwei Versmassen eine feste Eigenschaft des Grundmetrums. Teil 13: Schreib auf einem Beiblatt die Definitionen der acht Versmasse in Worten auf. Verwende dabei die Methode Beschreibung nach vier Kriterien. Halte zusätzlich auch die Stelle der Zäsur fest, wenn sie eine Eigenschaft des Grundmetrums ist. Teil 14: a. Jetzt kannst du noch das Metrum der Verse, die mit A bezeichnet sind, bestimmen und (vielleicht mit einer Kennfarbe) ihr Strich-Haken-Schema auf dem unteren Teil der Seite auf den für sie vorgesehenen Zeilen eintragen. Überlege dir auch, warum diese Verse Ausnahmen sind, inwiefern sie das Grundmetrum sprengen und deshalb zur Bestimmung des Grundmetrums nicht verwendet werden durften. b. Untersuche jetzt die nicht nummerierten Verse des Beispieltexts von Metrum IV (Seite 12) und bestimme, zu welchem Versmass sie gehören (es ist eines von den acht, die du in dieser Arbeitsreihe kennengelernt hast). Welches ist es? Teil 15: Die acht Versmasse sind in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet. Was für eine ist es? Teil 16: Die Bezeichnungen der acht Versmasse kannst du dir leichter einprägen, wenn du dir die Erläuterungen zu diesen Begriffen merkst, die auf den Seiten 17 und 18 angegeben sind. Lies sie jetzt einmal durch. Metrik / Acht Versmasse 5
6 Anmerkungen Die Anmerkungen sind nach den römischen Kennzahlen der acht Versmasse gegliedert. Zuerst stehen allgemein gültige Angaben zum Verständnis und zur Betonung von Ausdrücken. (Der betonte Vokal ist unterstrichen.) Dann folgen Vorschriften, die für die metrische Bestimmung der Beispieltexte verwendet werden müssen (siehe Teil 9). Die Zahlen links sind die Zeilennummern der Beispieltexte. Versmass I 1 Helena die schönste Frau der Antike (in der griechischen Sage); sie wurde vom trojanischen Königssohn Paris nach Troja entführt und wurde Anlass des Trojanischen Krieges 4 phrygisch zu der Landschaft Phrygien an der kleinasiatischen Westküste gehörig 4 Blachgefild Ebene 5 Rücken Rücken der Wellen 5 Poseidon griechischer Meeresgott 6 Euros griechischer Westwind(gott) 7 Menelas hier aus metrischen Gründen statt Menelaos Menelaos in der griechischen Sage der Gatte der Helena, Bruder des Agamemnon 10 Tyndareos Vater von Helena 11 Pallas Pallas Athene, griechische Göttin der Weisheit 12 Klytämnestra Stiefschwester von Helena, Gattin von Agamemnon 13 Castor sonst: Kastor; Kastor und Pollux sind Zwillinge und 13 Pollux Geschwister von Helena; sie heissen auch Dioskuren (Zeus-Söhne) 14 Sparta Stadt auf dem Peloponnes, Heimat von Helena 7 Menelas 10 Tyndareos 12 Klytämnestra Bei allen Versen ist die letzte Silbe eine Hebung. Metrik / Acht Versmasse 6
7 Versmass II 1 von euch 4 herzlicher 4 Verträglichkeit 4 Wohltun 5 innigster 5 Ergebenheit 9 wiederum 9 da wird Versmass III 3 jetzund jetzt 4 Schäferskind Kind eines Schafhirten 6 Asch Asche (Symbol der Vergänglichkeit) 6 Bein Gebein, Knochen 3 jetzund 3 eine 4 Schäferskind 7 nichts ist 7 Marmorstein 8 jetzt lacht 8 die Versmass IV 1 Steine die Ruinen in Rom 6 versengend verbrennend ohne Flamme 2 Genius Geist 12 Amor römischer Liebesgott 4 Roma die Stadt Rom 12 der Geweihte der Liebhaber 6 Geschöpf die Geliebte Die Verse mit ungerader Nummer sind nicht Pentameter. 2 Genius 4 nur mir 6 das mich 8 zu ihr und von ihr 12 nur sein, der den 14 wär denn Rom Da bei den Beispielversen nicht alle Varianten vorkommen, muss zur Bestimmung des Grundmetrums noch die folgende Angabe berücksichtigt werden (siehe Teil 10): Die Füllung nach der zweiten Hebung soll beim Grundmetrum gleich aussehen wie die Füllung nach der ersten Hebung. Metrik / Acht Versmasse 7
8 Versmass V 1 Muse eine der neun griechischen Göttinnen der Kunst und der Wissenschaft 2 Troja Stadt an der kleinasiatischen Westküste 8 Sonnenbeherrscher der griechische Sonnengott Helios 2 so weit 4 so viel 4 unnennbare (Tonbeugungen selbst bezeichnen!) 5 Zurückkunft 6 er nicht 7 denn sie 7 Missetat 9 Zurückkunft Versmass VI 3 verneuen erneuern 4 geit gibt 5 erschwingen aufschwingen 1 tut mich 4 geit 5 tut sich 8 voraus 8 Nachtigall Versmass VII: Hier sind keine Anmerkungen nötig. Versmass VIII 7 Magister niedriger akademischer Titel 7 Doktor höherer akademischer Titel 1 nun ach 1 Philosophie 2 Juristerei 2 Medizin 3 Theologie 7 Magister 7 heisse (3. Wort) 7 Doktor 8 schon an die 10 an der 11 dass wir nichts Da bei den Beispielversen nicht alle Varianten vorkommen, muss zur Bestimmung des Grundmetrums noch die folgende Angabe berücksichtigt werden (siehe Teil 10): Die Füllung nach der ersten Hebung und die Füllung nach der der dritten Hebung sollen beim Grundmetrum gleich aussehen wie die Füllung nach der zweiten Hebung. Metrik / Acht Versmasse 8
9 I. Der jambische Trimeter Johann Wolfgang Goethe: Faust II / 3. Akt (Verse ) Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta / Helena spricht: a 1 Bewundert viel und viel gescholten, Helena, a 2 Vom Strande komm ich, wo wir erst gelandet sind, A 3 Noch immer trunken von des Gewoges regsamem A 4 Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her 5 Auf sträubig-hohem Rücken durch Poseidons Gunst A 6 Und Euros Kraft in vaterländische Buchten trug. 7 Dort unten freuet nun der König Menelas A 8 Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich. A 9 Du aber heisse mich willkommen, hohes Haus, A 10 Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich 11 Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut a 12 Und, als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich, 13 Mit Castor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs, 14 Vor allen Häusern Spartas herrlich ausgeschmückt. A 15 Gegrüsset seid mir, der ehrnen Pforte Flügel ihr! a 1 a 2 A 3 A 4 5 A 6 7 A 8 A 9 A a A 15 Metrik / Acht Versmasse 9
10 II. Der Blankvers Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise / III, 7 (Verse ) Nathan spricht: 1 Es strebe von euch jeder um die Wette, 2 Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag a 3 Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmut, a 4 Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, 5 Mit innigster Ergebenheit in Gott a 6 Zu Hilf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte 7 Bei euern Kindes-Kindeskindern äussern: 8 So lad ich über tausend tausend Jahre a 9 Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird 10 Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen A 11 Als ich und sprechen. 1 2 a 3 a 4 5 a a 9 10 A 11 Metrik / Acht Versmasse 10
11 III. Der Alexandriner Andreas Gryphius: Es ist alles eitel 1. und 2. Strophe des Sonetts a 1 Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. 2 Was dieser heute baut, reisst jener morgen ein; 3 Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein, a 4 Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden; 5 Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden; 6 Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein; a 7 Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. 8 Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden. a a a Metrik / Acht Versmasse 11
12 IV. Der Pentameter Johann Wolfgang Goethe: Römische Elegien / I. Elegie (Verse 1 14) A Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste! a 2 Strassen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht? A Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern, a 4 Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still. A O wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick ich 6 Einst das holde Geschöpf, das mich versengend erquickt? A Ahn ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und immer 8 Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit? A Noch betracht ich Kirch und Palast, Ruinen und Säulen, a 10 Wie ein bedächtiger Mann schicklich die Reise benutzt. A Doch bald ist es vorbei; dann wird ein einziger Tempel, a 12 Amors Tempel, nur sein, der den Geweihten empfängt. A Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die Liebe 14 Wäre die Welt nicht die Welt, wär denn Rom auch nicht Rom. a 2 a a 10 a Metrik / Acht Versmasse 12
13 V. Der daktylische Hexameter Homer: Odyssee / I. Gesang (Verse 1 9) Übersetzung von Heinrich Voss a 1 Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, 2 Welcher so weit geirrt nach der heiligen Troja Zerstörung, 3 Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat 4 Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet, 5 Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft. a 6 Aber die Freunde rettet er nicht, wie eifrig er strebte; 7 Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben: a 8 Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers a 9 Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft. a a 6 7 a 8 a 9 Metrik / Acht Versmasse 13
14 VI. Die kurze Volksliedzeile Sommerlied Volkslied 1 Herzlich tut mich erfreuen 2 Die fröhliche Sommerzeit, 3 All mein Geblüt verneuen, 4 Der Mai viel Wollust geit: 5 Die Lerch tut sich erschwingen 6 Mit ihrem hellen Schall, 7 Lieblich die Vöglein singen, 8 Voraus die Nachtigall Metrik / Acht Versmasse 14
15 VII. Die lange Volksliedzeile Ernst Moritz Arndt: Klage um den kleinen Jakob (leicht geändert) 1 Wo ist der kleine Jakob geblieben? 2 Hatte die Kühe waldein getrieben, a 3 Kam nimmer wieder. Schwestern und Brüder 4 Gingen ihn suchen in n Wald hinaus - a 5 Kleiner Jakob! Komm nach Haus! 6 Wohin ist der kleine Jakob gegangen? 7 Es hat ihn ein Unterirdscher gefangen, a 8 Muss unten wohnen, trägt goldne Kronen, a 9 Gläserne Schuh, hat ein gläsern Haus a 10 Kleiner Jakob! Komm nach Haus! 1 2 a 3 4 a a 8 a 9 a 10 Metrik / Acht Versmasse 15
16 VIII. Der Knittelvers Johann Wolfgang Goethe: Faust I / Nacht (Verse ) Faust spricht: a 1 Habe nun, ach! Philosophie, 2 Juristerei und Medizin, 3 Und leider auch Theologie a 4 Durchaus studiert, mit heissem Bemühn. a 5 Da steh ich nun, ich armer Tor, 6 Und bin so klug als wie zuvor! a 7 Heisse Magister, heisse Doktor gar 8 Und ziehe schon an die zehen Jahr a 9 Herauf, herab und quer und krumm 10 Meine Schüler an der Nase herum a 11 Und sehe, dass wir nichts wissen können! 12 Das will mir schier das Herz verbrennen. a a 4 a 5 6 a 7 8 a 9 10 a Metrik / Acht Versmasse 16
17 Erläuterungen zu den einzelnen Versmassen I. Der jambische Trimeter Der antike jambische Trimeter besteht aus drei Metren, d. h. in diesem Falle sechs Versfüssen (Jamben) und ist dipodisch (je zwei Versfüsse zusammenfassend) gegliedert. (P/G 148) Im deutschen Drama konnte sich der jambische Trimeter, der Hauptvers des antiken Dramas, neben dem Blankvers nicht durchsetzen. (P/G 148) Griechisch treis : drei / di : zwei / pous (Genitiv: podos ): Fuss II. Der Blankvers Die englische Bezeichnung blank verse dieses jambischen Fünfhebers weist schon auf ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen jambischen Fünfhebern (...): seine Reimlosigkeit. Durch die Vermittlung der englischen Dichtung gelangt er nach Deutschland, zuerst in Übersetzungen [ ], vereinzelt auch im Drama [ ]. Seit Lessings Nathan (1779) wird er zum beherrschenden deutschen Bühnenvers. (P/G 145) III. Der Alexandriner Der Alexandriner, der seinen Namen nach der Verwendung in französischen Alexanderepen des 12. Jahrhunderts erhält, ist der Hauptvers der klassischen französischen Tragödie [ ]. In Deutschland erscheint er seit Beginn des 17. Jahrhunderts. Von Opitz in feste Regeln gefasst und besonders empfohlen, wird er der beherrschende Verstyp der deutschen Barockdichtung, tritt aber nach der Mitte des 18. Jahrhunderts immer stärker zurück gegenüber freieren Versformen. (P/G 123) IV. Der Pentameter Griechisch pente : fünf / metron : Mass Die Bezeichnung ist irreführend und wahrscheinlich auf Grund falscher Messungen entstanden, denn es handelt sich hier nicht um einen aus fünf, sondern aus sechs Metra bestehenden Vers. (P/G 161/162) Andere Erklärung: Diejenigen beiden Silben der griechischen Verse, die der dritten und sechsten Hebung entsprechen, wurden von den Griechen als zwei halbe Versfüsse, zusammen also nur als ein einziger Versfuss gezählt. V. Der daktylische Hexameter Griechisch hex : sechs / metron : Mass Ein Mass besteht hier aus einem einzigen Fuss. Metrik / Acht Versmasse 17
18 VI. / VII. Die Volksliedzeilen Neben der silbenzählenden Kunst der Meistersinger lebt eine Lied- und Sangtradition weiter, in der die alte Füllungsfreiheit erhalten bleibt [ ]. Diese Lieder, die wir als Volkslieder bezeichnen, behalten auch im 16. Jahrhundert und später fern von schulmässiger Pflege ihre freie Form. Manches davon fassen bereits die Sammlungen des 15./16. Jahrhunderts zusammen [ ], anderes erscheint auf Flugblättern. Wenn die Volkslieder auch durch Jahrhunderte hauptsächlich in mündlicher Tradition leben, müssen wir doch immer auch mit einem wechselseitgen Austausch zwischen mündlicher und schriftlicher Tradition rechnen. Die gelehrte, durch fremde Vorbilder bestimmte Dichtung und Poetik beachtet sie bis spät ins 18. Jahrhundert hinein kaum. [ ] Die gemeinen Liedlein mit ihren oft vielsilbigen Takten [ ] galten als kunstlos, weil nicht gemessen, bis Herder durch die Ausgabe seiner Volkslieder (bei ihm auch diese Bezeichnung, dem englischen popular song entsprechend) auch diesen weiten Bereich der Literatur erneut erschloss. [ ] Wie mit dem Sammeln begann man Ende des 18. Jahrhunderts auch mit dem Nachbilden dieser Volksliedformen in der Kunstdichtung. (P/G 107) VIII. Der Knittelvers Paarweise gereimte Vierheber bilden [ ] das Grundmass der dramatischen, erzählenden und lehrhaft-satirischen Dichtung des 16. Jahrhunderts. Die ursprünglich abschätzige Bezeichnung Knittel-(Knüttel-)vers so verwendet in der Poetik des 17. und 18. Jahrhunderts bezog sich auf die Holprigkeit und Schwerfälligkeit dieses Versmasses. ( Knittel heisst ursprünglich so viel wie Reim.) Im 17./18. Jahrhundert, als in der deutschen Verskunst romanische Vorbilder wieder bestimmend wurden, hält sich der Knittelvers vereinzelt, aber ausdauernd in volkstümlicher Dichtung oder parodistisch verwendet [ ] und erlebt erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine literarische Rehabilitierung. [ ] In humoristischer, parodistischer und volkstümlicher Dichtung behauptet der Knittelvers weiterhin seinen Platz in der Literatur [ ]. (P/G 100) Quellenangabe ( P/G und Seitenzahl): Otto Paul, Ingeborg Glier Deutsche Metrik Max Hueber-Verlag, München 1966 (6. Auflage) Metrik / Acht Versmasse 18
19 Acht Versmasse / Lösungen Teil 1: Thema der Arbeitsreihe Teil 2: Vier Arten von Verstexten Teil 3: Einführung der Begriffe Grundmetrum und Einzelmetrum Teil 4: Darstellung des Grundmetrums Teil 5: Herausfinden des Grundmetrums Grundmetrum: Teil 6: Darstellung von Versen mit nicht streng regelmässigem Metrum Teil 7: Einleitung zur Bestimmung der acht Metren Teil 8: Ausnahmen bei den Beispieltexten (Zeichen A und a ) Teil 9: Verwendung der Anmerkungen Teil 10: Beispieltexte mit zu wenig Varianten Teil 11: Unabhängigkeit der Varianten-Stellen (bei den Füllungen) Teil 12: Arbeitsanweisung zur Bestimmung der Versmasse Teil 13: Beschreibung der Versmasse mit vier Kriterien Teil 14: Metrum der Ausnahme-Verse b. Die nicht nummerierten Verse des Beispieltexts von Metrum IV (Seite 12) sind Hexameter. Teil 15: Reihenfolge der Metren in der Arbeitsreihe Die Anzahl der Varianten-Stellen nimmt im Verlauf der Reihe zu. Teil 16: Erläuterungen zu den Bezeichnungen der Versmasse Metrik / Acht Versmasse 19
20 I. Der jambische Trimeter Johann Wolfgang Goethe: Faust II / 3. Akt (Verse ) Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta / Helena spricht: a 1 Bewundert viel und viel gescholten, Helena, a 2 Vom Strande komm ich, wo wir erst gelandet sind, A 3 Noch immer trunken von des Gewoges regsamem A 4 Geschaukel, das vom phrygischen Blachgefild uns her 5 Auf sträubig-hohem Rücken durch Poseidons Gunst A 6 Und Euros Kraft in vaterländische Buchten trug. 7 Dort unten freuet nun der König Menelas A 8 Der Rückkehr samt den tapfersten seiner Krieger sich. A 9 Du aber heisse mich willkommen, hohes Haus, A 10 Das Tyndareos, mein Vater, nah dem Hange sich 11 Von Pallas Hügel wiederkehrend aufgebaut a 12 Und, als ich hier mit Klytämnestren schwesterlich, 13 Mit Castor auch und Pollux fröhlich spielend wuchs, 14 Vor allen Häusern Spartas herrlich ausgeschmückt. A 15 Gegrüsset seid mir, der ehrnen Pforte Flügel ihr! a 1 a 2 A 3 A 4 5 A 6 7 A 8 A 9 A a A 15 Metrik / Acht Versmasse 20
21 II. Der Blankvers Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise / III, 7 (Verse ) Nathan spricht: 1 Es strebe von euch jeder um die Wette, 2 Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag a 3 Zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmut, a 4 Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, 5 Mit innigster Ergebenheit in Gott a 6 Zu Hilf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte 7 Bei euern Kindes-Kindeskindern äussern: 8 So lad ich über tausend tausend Jahre a 9 Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird 10 Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen A 11 Als ich und sprechen. 1 2 a 3 a 4 5 a a 9 10 A 11 Metrik / Acht Versmasse 21
22 III. Der Alexandriner Andreas Gryphius: Es ist alles eitel 1. und 2. Strophe des Sonetts a 1 Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. 2 Was dieser heute baut, reisst jener morgen ein; 3 Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein, a 4 Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden; 5 Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden; 6 Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein; a 7 Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein. 8 Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden. a a a Metrik / Acht Versmasse 22
23 IV. Der Pentameter Johann Wolfgang Goethe: Römische Elegien / I. Elegie (Verse 1 14) A Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste! a 2 Strassen, redet ein Wort! Genius, regst du dich nicht? A Ja, es ist alles beseelt in deinen heiligen Mauern, a 4 Ewige Roma; nur mir schweiget noch alles so still. A O wer flüstert mir zu, an welchem Fenster erblick ich 6 Einst das holde Geschöpf, das mich versengend erquickt? A Ahn ich die Wege noch nicht, durch die ich immer und immer 8 Zu ihr und von ihr zu gehn, opfre die köstliche Zeit? A Noch betracht ich Kirch und Palast, Ruinen und Säulen, a 10 Wie ein bedächtiger Mann schicklich die Reise benutzt. A Doch bald ist es vorbei; dann wird ein einziger Tempel, a 12 Amors Tempel, nur sein, der den Geweihten empfängt. A Eine Welt zwar bist du, o Rom; doch ohne die Liebe 14 Wäre die Welt nicht die Welt, wär denn Rom auch nicht Rom. a 2 a a 10 a Metrik / Acht Versmasse 23
24 V. Der daktylische Hexameter Homer: Odyssee / I. Gesang (Verse 1 9) Übersetzung von Heinrich Voss a 1 Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, 2 Welcher so weit geirrt nach der heiligen Troja Zerstörung, 3 Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat 4 Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet, 5 Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft. a 6 Aber die Freunde rettet er nicht, wie eifrig er strebte; 7 Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben: a 8 Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers a 9 Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft. a a 6 7 a 8 a 9 Metrik / Acht Versmasse 24
25 VI. Die kurze Volksliedzeile Sommerlied Volkslied 1 Herzlich tut mich erfreuen 2 Die fröhliche Sommerzeit, 3 All mein Geblüt verneuen, 4 Der Mai viel Wollust geit: 5 Die Lerch tut sich erschwingen 6 Mit ihrem hellen Schall, 7 Lieblich die Vöglein singen, 8 Voraus die Nachtigall Metrik / Acht Versmasse 25
26 VII. Die lange Volksliedzeile Ernst Moritz Arndt: Klage um den kleinen Jakob (leicht geändert) 1 Wo ist der kleine Jakob geblieben? 2 Hatte die Kühe waldein getrieben, a 3 Kam nimmer wieder. Schwestern und Brüder 4 Gingen ihn suchen in n Wald hinaus a 5 Kleiner Jakob! Komm nach Haus! 6 Wohin ist der kleine Jakob gegangen? 7 Es hat ihn ein Unterirdscher gefangen, a 8 Muss unten wohnen, trägt goldne Kronen, a 9 Gläserne Schuh, hat ein gläsern Haus a 10 Kleiner Jakob! Komm nach Haus! 1 2 a 3 4 a a 8 a 9 a 10 Metrik / Acht Versmasse 26
27 VIII. Der Knittelvers Johann Wolfgang Goethe: Faust I / Nacht (Verse ) Faust spricht: a 1 Habe nun, ach! Philosophie, 2 Juristerei und Medizin, 3 Und leider auch Theologie a 4 Durchaus studiert, mit heissem Bemühn. a 5 Da steh ich nun, ich armer Tor, 6 Und bin so klug als wie zuvor! a 7 Heisse Magister, heisse Doktor gar 8 Und ziehe schon an die zehen Jahr a 9 Herauf, herab und quer und krumm 10 Meine Schüler an der Nase herum a 11 Und sehe, dass wir nichts wissen können! 12 Das will mir schier das Herz verbrennen. a a 4 a 5 6 a 7 2. Füllung: 8 a 9 10 a Metrik / Acht Versmasse 27
28 Die acht Grundmetren I. Der jambische Trimeter II. Der Blankvers III. Der Alexandriner IV. Der Pentameter V. Der daktylische Hexameter VI. Die kurze Volksliedzeile VII. Die lange Volksliedzeile VIII. Der Knittelvers Metrik / Acht Versmasse 28
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